OGH 8ObA74/12h

OGH8ObA74/12h19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** H*****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei J*****‑GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 48.925,24 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 2012, GZ 8 Ra 57/12d‑36, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Entlassungstatbestand des § 82 lit f GewO 1859 wird durch den Verstoß gegen die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Verpflichtung erfüllt, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wieder hergestellt wird (8 ObA 50/08y; RIS‑Justiz RS0060869). Ein Arbeitnehmer, der sich im Krankenstand befindet, ist grundsätzlich verpflichtet, den auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit abzielenden Anordnungen des Arztes nach Tunlichkeit nachzukommen und ihnen jedenfalls nicht so schwerwiegend zuwider zu handeln, dass der Krankheitsverlauf negativ beeinflusst und/oder der Heilungsverlauf verzögert werden könnte (8 ObA 101/06w; RIS‑Justiz RS0029456). Ein verhältnismäßig geringfügiges Zuwiderhandeln gegen ärztliche Anordnungen, wie es immer wieder vorkommen mag, wird bei der Beurteilung nicht ins Gewicht fallen (8 ObA 12/00y [zu § 82 lit f GewO 1859], 14 ObA 25/87, 9 ObA 166/90; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 27 Rz 118). Missachtet aber ein wegen Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer die Anordnungen seines Arztes betont und in erheblichem Maß und ist dieses Verhalten geeignet, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsverlauf zu verzögern, so liegt darin eine Verwirklichung des Entlassungstatbestands der beharrlichen Pflichtenverletzung gemäß § 82 lit f 2. Fall GewO 1859 (9 ObA 35/04v mwH; Schrank, Schuldhaftes Arbeitnehmerverhalten bei Krankenständen und Krankschreibungen, ZAS 2003/28, 158 [161] mwH).

Das Berufungsgericht hat diese Rechtslage richtig erkannt. Ob aufgrund dieser Rechtslage ein Verhalten eines Arbeitnehmers den Entlassungsgrund verwirklicht, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung, die die Zulässigkeit der Revision dessen ungeachtet rechtfertigen könnte, zeigt die Revisionswerberin nicht auf.

Die Rechtsauffassung der zweiten Instanz, das hier festgestellte Fehlverhalten des 28 Jahre bei der Beklagten beschäftigten Klägers sei nur einmalig und kurzfristig gewesen und nicht als schwerwiegendes, den Entlassungsgrund verwirklichendes Verhalten zu qualifizieren, ist noch vertretbar. Dass der Kläger mit seinem Verhalten gegen die Anordnung des Arztes verstoßen hat, hat das Berufungsgericht ohnedies berücksichtigt. Gleiches gilt für den Umstand, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich geeignet war, seinen Krankenstand zu verlängern. Zu Recht hat das Berufungsgericht aber auch berücksichtigt, dass sich das Fehlverhalten des Klägers gegen Ende des mehrwöchigen Krankenstands ereignet hat und nach den Feststellungen weder besonders schwerwiegend war noch lange gedauert hat: Nach den Feststellungen hat der Kläger im Zuge einer einstündigen Reinigungsarbeit einige Kanister und zwei Schläuche getragen. Dass das Berufungsgericht von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen sei, trifft nicht zu: Das Erstgericht hat keineswegs festgestellt, dass sich der Kläger während seines gesamten (mehrwöchigen) Krankenstands der Nachbearbeitung der Weinlese gewidmet hat. Die Revisionswerberin stützt sich mit dieser ihrer Behauptung auf Ausführungen des Erstgerichts in seiner Beweiswürdigung, die noch dazu unrichtig wiedergegeben werden. Dass dem Kläger bewusst war, dass er seinen Gesamtzustand durch die Arbeiten „nicht optimal schont“ ‑ entsprechende Ausführungen des Erstgerichts finden sich in seiner rechtlichen Beurteilung ‑ macht die Wertung des Berufungsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers sei einmalig, kurzfristig und nicht schwerwiegend gewesen, nicht unvertretbar.

Dass ein Verstoß gegen eine ärztliche Anordnung, der grundsätzlich geeignet ist, die Genesung zu verzögern, unabhängig von seiner Schwere zwangsläufig immer einen Entlassungsgrund verwirkliche, trifft nicht zu. Derartiges ist auch der Entscheidung 8 ObA 101/06w, der im Übrigen ein Fall zugrunde lag, in dem das als schwerwiegend beurteilte Verhalten den Krankenstand verlängert hat, nicht zu entnehmen.

Dass der gesamte mehrwöchige Krankenstand des Klägers nicht gerechtfertigt gewesen sei, hat die Beklagte im Verfahren vor den Vorinstanzen nicht geltend gemacht und wurde auch nicht ansatzweise festgestellt.

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