European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00065.15I.0929.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Zum Parteienantrag auf Normenkontrolle:
1.1 Gemäß § 62a Abs 5 Satz 2 VfGG hat das Gericht erster Instanz dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels (nach § 528b Abs 2 ZPO die rechtskräftige Zurückweisung des Rechtsmittels) mitzuteilen, wenn eine Partei „gleichzeitig“ damit einen Parteienantrag auf Normenkontrolle stellt.
Gemäß § 62a Abs 5 Satz 1 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof das Gericht erster Instanz von der Stellung eines Parteienantrags auf Normenkontrolle gemäß Abs 1 zu verständigen. In diesem Fall tritt im gerichtlichen Verfahren gemäß § 62a Abs 6 VfGG eine grundsätzliche Pflicht zur Innehaltung ein. Danach dürfen in dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nur bestimmte gerichtliche Schritte gesetzt werden.
Gemäß § 62a Abs 1 VfGG kann der Parteienantrag auf Normenkontrolle nur gegen die gerichtliche Entscheidung in der (Haupt‑)Sache in erster Instanz erhoben werden. Aus diesem Grund ordnet § 62a Abs 5 Satz 2 VfGG an, dass das Gericht erster Instanz seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels dem Verfassungsgerichtshof mitzuteilen hat. Die wechselseitigen Informationen sind dementsprechend zwischen dem Verfassungsgerichtshof einerseits und dem ordentlichen Gericht erster Instanz andererseits vorgesehen.
1.2 Nach dieser Gesetzessystematik bezieht sich die gerichtliche Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels auf das Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung und nicht gegen die Entscheidung des Berufungs‑ oder Rekursgerichts. Bei dem „beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren“ nach § 62a Abs 6 VfGG handelt es sich demnach um das Berufungs‑ oder Rekursverfahren.
1.3 Die vorliegende Entscheidung fällt damit nicht unter die grundsätzliche Innehaltepflicht des § 62a Abs 6 VfGG. Daraus folgt, dass über den außerordentlichen Revisionsrekurs ungeachtet der Mitteilung des Verfassungsgerichtshofs vom 8. 7. 2015, G 272/2015‑3, zu entscheiden ist, wonach der Kläger aus Anlass eines gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 30. 4. 2015, AZ 9 Ra 99/14s, 9 Ra 100/14p, erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurses einen auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG gestützten Antrag gestellt habe, das Wiener Zuweisungsgesetz, LGBl 1999/17 idgF, zur Gänze sowie § 1 Abs 2 Z 1 AÜG, BGBl 1993/460 idgF, als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Zum Zulassungsantrag an das Oberlandesgericht Wien:
2.1 Der vom Kläger in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs gestellte Antrag, den ordentlichen Revisionsrekurs doch für zulässig zu erklären, ist formell an das Oberlandesgericht Wien gerichtet.
Dazu wird darauf hingewiesen, dass ein derartiger Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nur in Rechtsstreitigkeiten nach § 528 Abs 2 Z 1a ZPO iVm mit § 528 Abs 2a und § 508 ZPO in Betracht kommt. In jenen Fällen, in denen gemäß § 528 Abs 3 ZPO iVm § 505 Abs 4 und § 502 Abs 5 ZPO ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden kann, ist ein Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nicht vorgesehen und daher unzulässig.
§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO betrifft „Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen“.
2.2 Der Kläger hat nach seinen Behauptungen eine Klage nach § 502 Abs 5 Z 4 ZPO eingebracht. Für die Beurteilung der Rechtsmittelbeschränkungen ist daher diese Bestimmung maßgebend.
Daraus ist freilich nicht abzuleiten, dass es sich im Anlassfall um eine Streitigkeit in Arbeitsrechtssachen handelt und daher der Rechtsweg zulässig sei. Vielmehr bedeutet dies nur, dass über die formelle Frage der Rechtswegszulässigkeit nach den Verfahrensvorschriften für das arbeits‑ und sozialgerichtliche Verfahren zu entscheiden ist.
3. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs:
Der Kläger hat mit seinem Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichts die Spruchpunkte 1 (ON 8) sowie die Kostenpunkte 4 und 5 (ON 9) bekämpft. Er wandte sich demnach gegen die Zurückweisung der Klage gegen die Erstbeklagte. Der Ausspruch über die sachliche Unzuständigkeit für die Klage gegen die Zweitbeklagte (als Klage nach dem AHG) und die Überweisung an das allgemeine Zivilgericht war nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
Das Rekursgericht hat die Zurückweisung der Klage gegen die Erstbeklagte in Ansehung der Verletzung von Fürsorgepflichten und damit auf der Anspruchsgrundlage des ABGB bestätigt. Soweit die Klage gegen die Erstbeklagte nach dem Vorbringen des Klägers auf das EKHG gestützt wird, hat das Rekursgericht die von der Erstbeklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen.
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers bezieht sich demnach nur auf die Zurückweisung der Klage gegen die Erstbeklagte in Ansehung der Verletzung von Fürsorgepflichten. Er ist daher nicht jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO).
4.1 Unstrittig ist, dass der Kläger Beamter ist und als solcher in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis steht und es sich bei der Zweitbeklagten um seine Dienstgeberin handelt.
Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass er die Unzuständigkeitsentscheidung in Ansehung der Zweitbeklagten wegen des Rechtsmittelausschlusses nach § 45 JN (siehe dazu § 261 Abs 6 ZPO) nicht hätte anfechten können, weshalb er weiterhin darlegen könne, dass die Klage gegen die Zweitbeklagte in Wirklichkeit keine Klage nach dem AHG sei und die Wahrnehmung von Fürsorgepflichten der Zweitbeklagten gegenüber Beamten keine hoheitliche Tätigkeit darstelle. Daraus leitet er ab, dass das Privileg des § 9 Abs 5 AHG für die Erstbeklagte nicht gelte, weil gegenüber der Zweitbeklagten keine Amtshaftungsansprüche vorliegen und die Erstbeklagte eigene Fürsorgepflichten gegenüber dem Kläger treffen würden, die nicht hoheitlich wahrzunehmen seien.
4.2 Die Rechtsansicht des Klägers zu den angesprochenen Fürsorgepflichten erweist sich, wie im Weiteren dargelegt wird, als unrichtig. Der vom Kläger erwähnten Frage der sachlichen Zuständigkeit (nach § 93 JN und § 8 ASGG) käme erst nach einer Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs Bedeutung zu. Die Frage nach dem Vorliegen einer Arbeitsrechtssache nach § 50 ASGG setzt ebenfalls die Zulässigkeit des Rechtswegs voraus.
5.1 Bei Beurteilung der Frage, ob mit einer Klage Ansprüche nach dem AHG geltend gemacht werden, ist zu unterscheiden, ob ein Dritter durch eine Person geschädigt wird, die öffentliche Aufgaben erfüllt, oder ob die schadensverursachende Pflichtverletzung aus einem öffentlich‑rechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitet wird.
Hier macht der Kläger (gegenüber der Zeitbeklagten) Ansprüche aus der Verletzung von Pflichten geltend, die aus dem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zur Zweitbeklagten resultieren. Seine Klage betrifft daher die zweite Fallgruppe. Wenn die Erstbeklagte nur Fürsorgepflichten für die Zweitbeklagte ausübt und dementsprechend unmittelbar der Zweitbeklagten zurechenbar ist, bleibt entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, ob der „den Unfall verursachende Kollege“ hoheitlich tätig war oder nicht.
5.2 Der Kläger steht als Beamter in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zur Zweitbeklagten. Die Zweitbeklagte ist Dienstgeberin und übt die Diensthoheit aus.
Streitigkeiten aus dem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis von Beamten sind nach ständiger Rechtsprechung im Verwaltungsweg auszutragen (RIS‑Justiz RS0086019; 9 ObA 64/10t). Soweit dem Beamten die Durchsetzung seiner Ansprüche nach den dienstrechtlichen Vorschriften nicht möglich ist, kann er gegen den Rechtsträger, der ihn ernannt hat, Amtshaftungsansprüche geltend machen; dies gilt insbesondere für den Fall der Verletzung von Fürsorgepflichten aus dem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis durch den Dienstgeber (1 Ob 131/08h).
In der Entscheidung 9 ObA 84/12m wurde dazu ausgesprochen, dass die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist und der Beamte daher Amtshaftungsansprüche gegen seinen Dienstgeber stellen kann. Dies entspricht dem Grundsatz, dass alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen sind, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RIS‑Justiz RS0049948; vgl auch 6 ObA 1/10f).
5.3 Die Erstbeklagte ist eine juristische Person des Privatrechts, die durch Ausgliederung aus dem Vermögen der Zweitbeklagten entstanden ist. Aus Sicht des Klägers besteht ein gesondertes „Zuweisungsverhältnis“ zur Erstbeklagten, der er zur Dienstleistung zugewiesen ist.
Mit genau dieser Zuweisung aufgrund des Gesetzes über die Zuweisung von Bediensteten der Wiener Stadtwerke (Wr Zuweisungsgesetz) hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 84/12m ausführlich befasst. Danach ergibt sich Folgendes: Gemäß § 1 Abs 4 des Wr Zuweisungsgesetzes tritt durch die Zuweisung in der dienst‑ , besoldungs‑ und pensionsrechtlichen Stellung der in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis Beschäftigten bzw in der dienst‑ und besoldungsrechtlichen Stellung der in einem durch Vertrag begründeten Dienstverhältnis Beschäftigten keine Änderung ein. Dementsprechend ändert sich durch die Zuweisung an der Stellung der Gemeinde Wien als Dienstgeberin und an den aus dem Dienstverhältnis erfließenden Rechten und Pflichten grundsätzlich nichts (vgl auch 8 ObA 185/01s; 8 ObA 3/04f). Dienstbehörde gegenüber dem Beamten ist daher nach wie vor der Magistrat (§ 3 Abs 1 leg cit). Zur unveränderten dienstrechtlichen Stellung des Beamten zählt auch die Wahrnehmung von Fürsorgepflichten. Die Fürsorgepflichten der Erstbeklagten in Bezug auf die ihr zugewiesenen öffentlich‑rechtlich Bediensteten sind daher ihrem Wesen nach keine anderen als jene der Zweitbeklagten als öffentlich‑rechtlicher Dienstgeberin. Aus diesem Grund ist bei einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis eine Verletzung der Fürsorgepflicht auch dann als Amtshaftungsanspruch gegenüber dem Dienstgeber geltend zu machen, wenn die Verletzung durch den den Beamten aufgrund einer gesetzlichen Zuweisung beschäftigenden privaten Rechtsträger erfolgt ist.
Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Fürsorgepflicht des „Beschäftigers“ aufgrund einer (hier gesetzlichen) Dienstzuweisung aus der Fürsorgepflicht des öffentlich‑rechtlichen Dienstgebers abzuleiten ist und für den „Beschäftiger“ daher keine eigenständige Fürsorgepflicht besteht. Im Fall eines sogenannten „gespaltenen Dienstverhältnisses“ (aufgrund einer gesetzlichen Zuweisung im Zusammenhang mit einer Ausgliederung) liegt ein Amtshaftungsanspruch gegen den Rechtsträger als öffentlich‑rechtlichen Dienstgeber daher nicht nur dann vor, wenn die schädigende Handlung vom Dienstgeber gesetzt wird, sondern auch dann, wenn sie aus dem Zuweisungsverhältnis durch den „Beschäftiger“ oder eine diesem zurechenbare Person erfolgt (vgl auch 9 ObA 151/14t).
Eine (hier gesetzliche) Zuweisung an einen „Beschäftiger“ im Rahmen einer Ausgliederung im öffentlichen Bereich wird als Arbeitskräfteüberlassung sui generis angesehen, wobei das AÜG nicht zur Anwendung gelangt (9 ObA 64/10t). Aus diesem Grund scheidet auch die Anwendbarkeit des § 6 Abs 3 AÜG hinsichtlich der Fürsorgepflichten des Beschäftigerbetriebs aus (9 ObA 84/12m).
5.4 Insgesamt folgt aus den dargestellten Grundsätzen, dass die Erstbeklagte keine eigenständige Fürsorgepflicht als Beschäftigerin gegenüber dem Kläger trifft. Vielmehr übt sie die Fürsorgepflicht für die Zweitbeklagte aus.
Für Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in die Pflicht genommen werden, ist ‑ ebenso wie für Klagen gegen physische Personen als Organe ‑ gemäß § 9 Abs 5 AHG der Rechtsweg unzulässig (RIS‑Justiz RS0124590; RS0112464). Das Privileg des § 9 Abs 5 AHG gilt daher auch für die Erstbeklagte.
6. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs von den Klagsbehauptungen auszugehen, wobei aber die Natur bzw das Wesen des geltend gemachten Anspruchs maßgebend ist (RIS‑Justiz RS0045584; RS0045718; 9 ObA 64/10t). Die Bestimmungen des AHG können demnach nicht dadurch umgangen werden, dass der Kläger erklärt, seine Schadenersatzansprüche nicht auf dieses Gesetz zu stützen, sondern aus dem bürgerlichen Recht abzuleiten (RIS‑Justiz RS0049976).
7. Das Rekursgericht ist bei Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs für die Klage gegen die Erstbeklagte von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Da ihm auch bei Anwendung dieser Grundsätze kein korrekturbedürftiger Fehler unterlaufen ist, war die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
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