OGH 8ObA52/24s

OGH8ObA52/24s14.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende, die Hofräte MMag. Matzka und Mag. Dr. Sengstschmid sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B* A*, vertreten durch Mag. Harald Lajlar, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 67.966,83 EUR brutto und 1.705,45 EUR netto sA sowie Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 2024, GZ 15 Ra 18/24w‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00052.24S.0114.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Klägerin bezweifelt im Rechtsmittelverfahren nicht, dass das wiederholte Manipulieren der Zeiterfassung zu Lasten der Beklagten einen Entlassungsgrund bildet (vgl RS0029647 [T2]). Sie meint aber, die Beklagte habe auf die festgestellten Falscheintragungen der Klägerin im Zeiterfassungssystem nicht rechtzeitig reagiert.

[2] 2. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Entlassung besagt, dass der Arbeitgeber – bei sonstigem Verlust des Entlassungsrechts – die Entlassung ohne Verzug, das heißt sofort nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen muss (RS0029131 [T8, T9]; RS0028965). Die Unterlassung der sofortigen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes führt zur Verwirkung des Entlassungsrechts, wenn das Zögern nicht in der Sachlage begründet war (vgl RS0031571). Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Arbeitgeber, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung des Arbeitnehmers nicht unverzüglich mit der Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung dieses Arbeitnehmers offenbar nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet (RS0031799 [T12]; RS0029249 [T2]).

[3] 3.1. Unter einem fortgesetzten Entlassungsgrund ist die wiederholte Begehung von im Wesentlichen gleichartigen, auf derselben Neigung oder denselben Eigenschaften des Dienstnehmers beruhenden Handlungen oder Unterlassungen zu verstehen, welche alle demselben Entlassungstatbestand zu unterstellen sind und wegen ihres inneren Zusammenhanges durch Zeit, Ort, Ursache oder Gelegenheit nach den Regeln des Arbeitslebens eine Einheit bilden (RS0028881).

[4] 3.2. Bei Vorliegen fortgesetzter Entlassungsgründe verliert der Arbeitgeber nur hinsichtlich jenes Entlassungsgrundes das Entlassungsrecht, hinsichtlich dessen er die Entlassung nicht (rechtzeitig) ausgesprochen hat; aber auch diese Verfehlungen können im Rahmen der Würdigung des Gesamtverhaltens bei späterer Wiederholung Berücksichtigung finden. Dem Grundsatz von Treu und Glauben und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann es allerdings unter Umständen widersprechen, wenn er zunächst längere Zeit hindurch ein tatbestandsmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers widerspruchslos hinnimmt, sodass der Arbeitnehmer ein Einverständnis oder doch eine Gleichgültigkeit des Arbeitgebers annehmen kann, dann aber dennoch eine Entlassung ausspricht. In einem solchen Fall muss er den Arbeitnehmer vorher zu einem pflichtgemäßen Verhalten auffordern (RS0028859 [insb T1]; RS0107592).

[5] 4. Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf nicht überspannt werden (vgl RS0029273 [T16]; RS0031587 [T1]). Verzögerungen, die dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Gelegenheit gibt, den Entlassungsgrund zu beseitigen oder sich zu erklären, sind in gewissem Ausmaß zu tolerieren (vgl RS0029386; RS0029381). Entscheidend ist vor allem der Verständnishorizont des betroffenen Dienstnehmers (vgl RS0029267): Für diesen muss das Verhalten des Dienstgebers gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe; dies trifft regelmäßig dann nicht zu, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der Dienstgeber durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen (RS0031799 [T25, T27]).

[6] 5. Die Frage, ob dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung entsprochen wurde, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0031571 [insb T12]).

[7] 6. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das die Entlassung am 4. 10. 2022 als rechtzeitig wertete, weil zwischen der letzten Manipulation am 1. 10. 2022 und dem Entlassungsgespräch ein Wochenende lag sowie die Beklagte ihrer langjährigen Mitarbeiterin im Rahmen eines persönlichen Gesprächs die Möglichkeit einräumte, ihr Verhalten zu erklären (vgl 9 ObA 54/18h), hält sich ebenso im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums wie die Berücksichtigung der bereits zuvor erfolgten Manipulationen. Dabei war es auch vertretbar, allfällige Verzögerungen seit der erstmaligen Kenntnisnahme von den Vorfällen am 2. 9. 2022 und 3. 9. 2022 für irrelevant zu erachten, zumal insofern keine Umstände vorlagen, aus denen die Klägerin auf Einverständnis oder Gleichgültigkeit der Beklagten schließen konnte.

[8] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte