European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130067
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Beklagten waren beim Kläger, der als Wirtschaftstreuhänder tätig ist, seit 2008 als Bilanzbuchhalterinnen zu einem Bruttogehalt von jeweils weniger als 1.500 EUR (teilzeit‑)beschäftigt. Die Beklagten kündigten ihre Dienstverhältnisse zum 31. 12. 2015, nachdem sie eine Buchhaltungs OG gegründet hatten, in deren Rahmen sie nun selbstständig tätig sind.
Die Dienstverträge beider Beklagten enthalten folgende Klausel mit der Überschrift „Klientenschutz“:
„Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klienten des Dienstgebers weder mittelbar noch unmittelbar zu betreuen. Bei einer Verletzung dieser Bestimmung wird schon jetzt eine Vertragsstrafe in der Höhe des eineinhalbfachen durchschnittlichen Jahresumsatzes des Dienstgebers mit den betreffenden Klienten vereinbart (...).“
Der Kläger brachte vor, die Beklagten hätten unter Verstoß gegen das Verbot gemäß § 88 Abs 8 WTBG idF BGBl I 58/1999 bzw des gleichlautenden § 77 Abs 10 WTBG idgF noch während ihrer aufrechten Dienstverhältnisse mehrere namentlich genannte Klienten aktiv abgeworben. Die Beklagten seien wegen vorsätzlicher Verletzung dieses Schutzgesetzes zum Ersatz des dadurch verursachten Schadens verpflichtet. Der Kläger mache aus diesem Titel 85 % des mit den abgeworbenen Klienten durchschnittlich erzielten Jahresumsatzes geltend.
Die Beklagten wandten unter anderem die Unwirksamkeit eines Konkurrenzverbots ein, weil ihre zuletzt bezogenen Gehälter den in § 36 Abs 2 AngG normierten Grenzbetrag nicht erreicht hätten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Klagebegehren stütze sich auf eine gesetzliche Konkurrenzklausel, die im vorliegenden Fall ebenso wie eine vertragliche Klientenschutzklausel den Beschränkungen des § 36 AngG unterliege.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge und billigte die Rechtsausführungen des Erstgerichts. Der Anwendungsbereich des in § 77 Abs 10 WTBG geregelten Konkurrenzverbots unterscheide sich von jenem der spezielleren Norm des § 36 AngG, in dessen Abs 3 die Wirksamkeit einer Konkurrenzklausel gegenüber Angestellten begrenzt werde.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Frage, ob die Regelung des § 77 Abs 10 WTBG in Verbindung mit einer vereinbarten Klientenschutzklausel dem Anwendungsbereich des § 36 AngG unterliegt, eine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die von den Beklagten beantwortete Revision des Klägers, die auf die genannte Zulassungsbegründung verweist, ist zulässig, weil die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts einer Klarstellung und Korrektur bedarf.
Die Revision ist im Sinne des darin gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Nach Artikel II Abs 1 AngG findet dieses Gesetz auch auf das Dienstverhältnis von Personen Anwendung, die vorwiegend zur Leistung kaufmännischer oder höherer, nicht kaufmännischer Dienste oder zu Kanzleiarbeiten bei Wirtschaftstreuhändern angestellt sind. § 7 Abs 4 AngG ist (mit einer hier nicht relevanten Ausnahme) auf diese Dienstverhältnisse sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 36 Abs 2 AngG ist eine Vereinbarung nach Abs 1 leg cit, durch die der Angestellte für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner Erwerbstätigkeit beschränkt wird (Konkurrenzklausel), unwirksam, wenn sie im Rahmen eines Dienstverhältnisses getroffen wird, bei dem das für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührende Entgelt exklusive allfälliger Sonderzahlungen das Zwanzigfache der Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 ASVG nicht übersteigt.
2. Die Streitteile haben mit der Verpflichtung der Beklagten, während zweier Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klienten des Dienstgebers weder mittelbar noch unmittelbar zu betreuen, eine sogenannte „Mandantenschutzklausel“ oder „Klientenschutzvereinbarung“ mit Wirksamkeit für die Zeit nach dem Ende des Dienstverhältnisses vereinbart. Eine derartige Vereinbarung, die eine nachvertragliche Erwerbsbeschränkung bewirkt, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung den §§ 36, 37 AngG (RIS‑Justiz RS0118907; 8 ObA 21/04b = ZAS 2005/23 [Grießer]).
3. Der Kläger begehrt im vorliegenden Fall aber gerade nicht die mit den Beklagten für eine Betreuung seiner Klienten nach Beendigung des Dienstvertrags vereinbarte Vertragsstrafe, sondern Schadenersatz für eine Konkurrenztätigkeit, die von den Beklagten unter Verstoß gegen (nunmehr) § 77 Abs 10 WTBG noch während ihrer aufrechten Dienstverhältnisse oder spätestens anlässlich ihrer Beendigung entfaltet worden sein soll.
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass § 77 Abs 10 WTBG als auch der vereinbarten, dem § 36 Abs 1 AngG unterliegenden Konkurrenzklausel ein ähnlicher Zweck zugrundeliegt. Beide dienen dem Schutz eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses des Dienstgebers, weil sich zwischen den für ihn tätigen Personen und den ständig von ihnen betreuten Klienten oft ein deren Abwerbung erleichterndes Vertrauensverhältnis entwickelt.
Der Anwendungsbereich der beiden Gesetzesbestimmungen unterscheidet sich jedoch.
Der Wirkungsbereich einer Klientenschutzklausel beginnt erst im Anschluss an die Beendigung des Dienstverhältnisses. Sie beschränkt den Angestellten für die Zeit danach in seiner Erwerbstätigkeit und im umfassenden Einsatz aller während des vorherigen Arbeitsverhältnisses rechtmäßig gewonnenen Informationen und Kenntnisse (9 ObA 59/15i; 9 ObA 185/05d mwN). Ohne gesonderte Vereinbarung würde eine solche nachvertragliche Beschränkung nicht bestehen, weil es Dienstnehmern grundsätzlich frei steht, ihre Qualifikationen bei künftigen Arbeitgebern gewinnbringend zu verwerten und im Fall des Wechsels in eine selbstständige Tätigkeit der Versuch, in den fremden Kundenkreis einzudringen, zum Wesen des Wettbewerbs gehört (vgl RS0078521).
Das Verbot gemäß § 77 Abs 10 WTBG gilt dagegen ex lege während der Vertragsdauer bis zur Beendigung des Rechtsverhältnisses mit dem Berufsberechtigten. Diese Bestimmung stellt, soweit sie sich auf Angestellte bezieht, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keine in Gesetzesform ergangene Konkurrenzklausel gemäß § 36 AngG dar, sondern es handelt sich um eine berufsspezifische Konkretisierungdes nach § 7 Abs 4 AngG während eines aufrechten Dienstverhältnisses geltenden Konkurrenzverbots.
4. Wird gegen dieses Konkurrenzverbot verstoßen, ist der Dienstgeber unter den sinngemäß anzuwendenden Voraussetzungen des § 7 Abs 3 AngG zum Ersatz des verursachten Schadens berechtigt. Die Geltendmachung dieses gesetzlichen Anspruchs unterliegt nicht den für vertragliche Konkurrenzklauseln geltenden Regelungen und Beschränkungen der §§ 36 f AngG, insbesondere auch nicht der Einkommensgrenze nach § 36 Abs 2 AngG.
Der vom Berufungsgericht für seine vom erkennenden Senat nicht geteilte Rechtsansicht zitierten höchstgerichtlichen Judikatur (9 ObA 59/15i; 9 ObA 37/07t, 9 ObA 185/05d) lagen jeweils Klagsforderungenzugrunde, die auf vereinbarte Kundenschutzklauseln mit nachvertraglicher Erwerbsbeschränkung gegründet waren. Diese Rechtsprechung ist für den vorliegenden Fall, dem ein gesetzlicher Ersatzanspruch zugrundeliegt, nicht einschlägig.
5. Die Rechtsfrage der Qualifikation des geltend gemachten Anspruchs als Schadenersatz nach § 7 Abs 4 AngG wurde im bisherigen Verfahren mit den Parteien noch nicht erörtert. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung wird ihnen im fortgesetzten Verfahren Gelegenheit zu geben sein, zu den gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere den Fristen nach § 7 Abs 3 AngG, Stellung zu nehmen und allfälliges Vorbringen zu erstatten.
Sollte im fortgesetzten Verfahren von einer rechtzeitigen Geltendmachung der Klagsforderung auszugehen sein, wären die angebotenen Beweise zu Grund und Höhe des behaupteten konkreten Schadens aufzunehmen. Auch in diesem Punkt wäre den Parteien Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens zu gewähren, weil auf die in der vertraglichen Konkurrenzklausel vereinbarte pauschalierende Berechnung wegen der anders gelagerten Rechtsgrundlage der Klagsforderung nicht zurückgegriffen werden kann.
6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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