European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00040.23Z.0803.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die von der Beklagten im Verfahren für die Entlassung des Klägers ins Treffen geführten Sachverhalte waren – mit Ausnahme der aus den Punkten 3. und 4. dieser Entscheidung ersichtlichen Aspekte – nach den Feststellungen bereits Gegenstand der Schlussbesprechung der Beklagten mit dem einen bestimmten Teil ihrer Gebarung prüfenden Kärntner Landesrechnungshof am 13. 11. 2020, bei der die Rechnungshofprüfer ihre Ergebnisse präsentierten und erläuterten. An dieser Schlussbesprechung nahm unter anderem der (Allein-)Vorstand der Beklagten teil. Dieser sah aus den Inhalten der Präsentation noch keine Veranlassung, den Tätigkeitsbereich des Klägers im Hinblick auf Verfehlungen zu überprüfen und wollte den vorläufigen schriftlichen Bericht des Landesrechnungshofs abwarten. Nach dessen Einlangen am 12. 1. 2021 – die bereits aus der Schlussbesprechung bekannten Sachverhalte fanden sich in ihm wieder – nahm der Vorstand der Beklagten nicht sogleich in diesen Einsicht. Die bei der Beklagten für die Betreuung von Rechnungshofprüfungen zuständige Mitarbeiterin war bis 19. 1. 2021 noch auf Urlaub. Nach ihrer Urlaubsrückkehr wurde am 21. 1. 2021 eine Rechtsanwaltskanzlei um Sichtung und Prüfung einer „personalrechtlichen Relevanz“ ersucht. Nach Durchsicht diverser weiterer Unterlagen wurde der Kläger am 5. 2. 2021 vom Vorstand der Beklagten entlassen. Zwischen der Schlussbesprechung und dem Einlangen des vorläufigen Berichts des Landesrechnungshofs hatten sich die Mitarbeiter der Beklagten darauf beschränkt, ergänzende Fragen des Landesrechnungshofs zu beantworten. Über den Inhalt der beantworteten Fragen wurde der Vorstand der Beklagten nicht informiert.
[2] Das Berufungsgericht beurteilte die Entlassung des Klägers als verspätet und gab dessen auf Feststellung, dass sein Dienstverhältnis über den 5. 2. 2021 hinaus aufrecht fortbestehe, gerichteten Klage statt. Die außerordentliche Revision der Beklagten vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Entlassung besagt, dass der Arbeitgeber – bei sonstigem Verlust des Entlassungsrechts – die Entlassung ohne Verzug, das heißt sofort nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen muss (RIS‑Justiz RS0029131 [T8, T9]). Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Arbeitgeber, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung des Arbeitnehmers nicht unverzüglich mit der Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung dieses Arbeitnehmers offenbar nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet (RS0031799 [T12]; RS0029249 [T2]; 9 ObA 79/15f [Pkt 1] ua).
[4] Ein Beendigungsgrund gilt als bekannt geworden, sobald der Auflösungsberechtigte über alle Einzelheiten Bescheid weiß, die er für eine fundierte Entscheidung benötigt. Bei einem zweifelhaften Sachverhalt muss der Arbeitgeber die zu seiner Klärung erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchführen, will er nicht sein Entlassungsrecht verlieren. Diese Obliegenheit zur Nachforschung nach einem Entlassungsgrund besteht dann, wenn dem Arbeitgeber konkrete Umstände zur Kenntnis gelangt sind, die die Annahme rechtfertigen, dass das Verhalten des Dienstnehmers eine Entlassung rechtfertigt (vgl RS0029345; Tarmann‑Prentner in Reissner, AngG4 [2022] § 25 Rz 40).
[5] An dieser Rechtsprechung hat sich das Berufungsgericht orientiert und sie jedenfalls vertretbar auf den festgestellten Sachverhalt angewendet.
[6] 2. Die Beklagte vertritt in der außerordentlichen Revision die Ansicht, es sei nicht auf die Schlussbesprechung, sondern auf das Einlangen des vorläufigen Berichts des Landesrechnungshofs abzustellen, und dass ausgehend von diesem die Entlassung noch rechtzeitig erfolgt sei.Als Grund für die Relevanz des Zeitpunkts des vorläufigen Rechnungshofberichts führt sie an, die Annahme einer Pflicht der Beklagten, die ihr in der Schlussbesprechung bekanntgewordenen Sachverhalte auf ihre Richtigkeit und Eignung zur Entlassung zu prüfen, bedeutete eine „parallele Nachforschungspflicht des geprüften Unternehmens hinsichtlich prüfungsgegenständlicher Sachverhalte“. Dies überspannte nach Ansicht der Beklagten den Grundsatz der Unverzüglichkeit bei Ausspruch einer Entlassung. Eine solche „Doppelprüfung“ widerspräche ihres Erachtens auch dem in der öffentlichen Verwaltung geltenden Effizienzprinzip. Zudem verweist die Beklagte darauf, dass anerkanntermaßen der Arbeitgeber vor einer Entlassung bei unklarer Sachlage berechtigt sei, staatsanwaltschaftliche bzw strafgerichtliche Untersuchungen abwarten, und meint, in Analogie hierzu müsse es statthaft sein, den vorläufigen Bericht des Landesrechnungshofs abzuwarten.
[7] 2.1. Der Beklagten ist zu erwidern, dass weder den Bestimmungen über den Landesrechnungshof in der Kärntner Landesverfassung (siehe insbesondere Art 70 und 71 K‑LVG)noch dem Kärntner Landesrechnungshofgesetz 1996 (K‑LRHG) entnommen werden kann, dass bei Prüfung eines Arbeitgebers durch den Landesrechnungshof die unter Punkt 1 dargestellte (Arbeits-)Rechtslage eine Modifikation erfahren soll, vielmehr ist der Rechnungshof als Organ des Landtags tätig (§ 1 Abs 2 K‑LRHG). Die Annahme der Beklagten, sie wäre nicht bereits aufgrund der Schlussbesprechung (zumindest) zur Überprüfung der bekannt gewordenen Sachverhalte verpflichtet gewesen, weil eine solche „Doppelprüfung“ dem in der öffentlichen Verwaltung geltenden Effizienzprinzip widerspräche, ist auch insoweit unrichtig, als es hier ja um Informationen aus dem Betrieb der Beklagten ging. Dass eine – dem allgemeinen Arbeitsrecht entsprechende – selbstständige Überprüfung potentiell entlassungstauglicher Sachverhalte durch den Arbeitgeber bei gleichzeitig laufender Überprüfung der Gebarung des Arbeitgebers durch den Landesrechnungshof den Grundsatz der Unverzüglichkeit bei Ausspruch einer Entlassung überspannt, ist ebensowenig ersichtlich.
[8] 2.2. Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung überall dort, wo ein vorerst undurchsichtiger und/oder zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, den der Arbeitgeber mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst gar nicht aufklären kann, dem Arbeitgeber das Recht zuzubilligen ist, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die hiefür zuständige Behörde mit der Entlassung zuzuwarten (vgl RS0029297). Dies ist bei unklarer Sachlage anerkanntermaßen insbesondere bei einem Strafverfahren der Fall, bietet dieses doch oft Möglichkeiten der Aufklärung, welche der Arbeitgeber nicht besitzt (vgl RS0029297 [T8, T11]; Tarmann-Prentner in Reissner, AngG4 [2022] § 25 Rz 49 ff). Der Kärntner Landesrechnungshof hatte hier keine besonderen Ermittlungsmöglichkeiten, welche über die Möglichkeiten eines Arbeitgebers zur selbstständigen Aufklärung eines Sachverhalts hinausgehen und den umfangreichen Möglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Strafgericht zur Aufklärung eines Sachverhalts auch nur nahekommen (vgl auch § 14 Abs 2 und 3 K‑LRHG). Dass die der Beklagten zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichten, den in der Schlussbesprechung bekannt gewordenen Sachverhalt – soweit nötig – weiter aufzuklären, ist nicht ersichtlich, beschränkte sich doch die Tätigkeit des Landesrechnungshofs (auch) nach der Schlussbesprechung auf die Einholung weiterer Auskünfte seitens der Beklagten und die Durchsicht von von ihr stammenden Unterlagen.
[9] 3. Die Beklagte führt für die Rechtzeitigkeit der Entlassung in der außerordentlichen Revision ins Treffen, dass ihr erst nach Erhalt des vorläufigen Berichts des Landesrechnungshofs bekannt wurde, dass der Kläger seine Diäten höher als im maßgeblichen Qualitätsmanagementhandbuch vorgesehen beanspruchte und auch ausbezahlt erhielt. Weil nicht feststeht, dass der Kläger bei der Verzeichnung der Diäten wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass die von einer Mitarbeiterin immer so gehandhabten Verrechnung überhöht erfolgt, kann hiermit die Entlassung – selbst wenn man insofern von einer Rechtzeitigkeit der Entlassung ausgehen sollte –aber nicht gerechtfertigt werden.
[10] 4. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass ihr erst am Tag der Entlassung die fehlende Befassung des Aufsichtsrats zum Dienstwagenkauf bekannt geworden sei, ist ihr zu entgegnen, dass nach den Feststellungen der Landesrechnungshof „noch am 13. November 2020 an die Beklagte weitere Ergänzungsfragen zum Dienstwagenverkauf (Beschluss des Aufsichtsrats)“ stellte.
[11] 5. Dass sämtliche als Entlassungsgründe angeführten Sachverhalte dem Vorstand der Beklagten während des Jahres 2020 im Detail bekannt gewesen seien, brachte der Kläger bereits mit seinem Schriftsatz ON 5 vor. Im selben Schriftsatz wendete er ausdrücklich die Verspätung der am 5. 2. 2021 ausgesprochenen Entlassung ein und stützte sich auf den auch wiedergegebenen Rechtssatz RS0029249. Die Ansicht der Beklagten in der außerordentlichen Revision, der Kläger habe nicht im Sinne der Rechtsprechung (RS0029249) implizit einen Verzicht der Beklagten auf seine Entlassung behauptet, ist angesichts all dessen nicht nachvollziehbar.
[12] 6. Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses vorliegen, hängt ebenso wie die Frage, ob dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung entsprochen wurde, immer von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298; RS0031571; zB 8 ObA 94/20m [Pkt 4]). Weil es der Beklagten nicht gelingt, eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, ist ihre außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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