OGH 8Ob55/12i

OGH8Ob55/12i27.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** AG, *****, vertreten durch Ullmann, Geiler und Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. M***** S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Kasseroller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 60.000 EUR samt Anhang und Räumung (Interesse 51.207,60 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Februar 2012, GZ 1 R 184/11g-36, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 28. April 2011, GZ 6 C 132/10d-28, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Aus Anlass der Revision wird das Urteil des Berufungsgerichts in seinem Punkt 2., der Abweisung des Räumungsbegehrens der klagenden Partei, sowie im Kostenpunkt als nichtig aufgehoben.

2. Der Revision wird im Übrigen nicht Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird in seinem Punkt 1., der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 60.000 EUR sA, als Teilurteil bestätigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist aufgrund eines Mietvertrags vom 1. 9. 2000 Mieterin eines im Wohnungseigentum stehenden Geschäftslokals, in dem sie ein Fitnessstudio betreibt. Die Aufrechnung von Forderungen der Mieterin gegen Mietzins oder Betriebskosten wurde im Vertrag ausgeschlossen. Am 2. 6. 2003 erwarb die Klägerin durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren das Wohnungseigentum am Mietgegenstand und trat in den Mietvertrag ein.

Ab dem Monat Dezember 2005 bezahlte die Beklagte fortlaufend weniger als den vertraglich festgelegten und von der Klägerin vorgeschriebenen Mietzins samt Betriebskosten, erst seit März 2010 erfolgten die Zahlungen wieder in Höhe der Vorschreibungen, zuletzt 4.267,30 EUR monatlich.

Die am 6. 5. 2010 eingebrachte Klage war auf Zahlung eines Mietzins- und Betriebskostenrückstands von 85.000 EUR sA, Aufhebung des Bestandvertrags gemäß § 1118 ABGB wegen Mietzinsrückstands und auf Räumung des Bestandobjekts gerichtet. Die Klägerin brachte vor, bereits zum 1. 4. 2007 habe der Mietzinsrückstand der Beklagten 80.277,94 EUR betragen. Ihre danach geleisteten Zahlungen seien mangels ausdrücklicher anderweitiger Widmung jeweils auf die älteste Schuld angerechnet worden. Bis zur Klage sei ein Mietzinsrückstand von mehr als 130.000 EUR aufgelaufen, aus „prozessualer Vorsicht“ werde aber nur der Klagsbetrag begehrt.

Die Beklagte wandte ein, der geforderte Pauschalbetrag sei nicht nachvollziehbar und das Zahlungsbegehren unschlüssig. Den Mietzinsvorschreibungen und lückenhaften Betriebskostenabrechnungen der Klägerin lägen jeweils unrichtige Bestandflächen und Nutzwerte zugrunde. Teilweise sei eine Reduktion des Mietzinses mit der Klägerin vereinbart gewesen. Länger als drei Jahre vor Klagseinbringung fällige Rückstände seien verjährt, da kein Anwendungsfall des § 1416 ABGB vorliege und alle Mietzinszahlungen jeweils auf die laufende Periode gewidmet gewesen seien.

Am 22. 6. 2010 bezahlte die Beklagte 25.000 EUR mit der Widmung „Abschlagszahlung auf berechtigte Mietzinsrückstände für den Zeitraum Juni 2007 bis Feber 2010“, worauf die Klägerin ihr Zahlungsbegehren auf 60.000 EUR sA einschränkte.

Dem Verbesserungsauftrag des Erstgerichts, die „einzelnen begehrten Mietzinszahlungen“ in Hauptmietzins, Betriebskosten und Umsatzsteuer aufzuschlüsseln, kam die Klägerin nur insoweit nach, als sie Listen für den Zeitraum Juni 2007 bis August 2010 vorlegte, denen die Zusammensetzung ihrer monatlichen Vorschreibungen zu entnehmen war.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 23.006,16 EUR sA unter Abweisung des Mehrbegehrens mit Teilurteil statt. Die Entscheidung über das Räumungsbegehren und die Verfahrenskosten behielt es seinem Endurteil vor.

Die laufenden Zinszahlungen der Beklagten seien schlüssig und unwidersprochen auf die laufenden Mietzinsperioden gewidmet gewesen, sodass ein vor dem 15. 5. 2007 entstandener Rückstand verjährt sei. Der Gegenforderung der Beklagten stehe das vertragliche Aufrechnungsverbot entgegen.

Der Beklagten sei angesichts der ständig und auch substantiiert von ihr bemängelten Abrechnungen, zu deren Rechtfertigung die Klägerin nie etwas unternommen habe, nur leichtes Verschulden an der Zahlungssäumnis vorzuwerfen, sodass ihr mit einem Teilurteil über den Mietzinsrückstand die Gelegenheit gegeben werden müsse, den feststehenden Rückstand noch vor Schluss der Verhandlung erster Instanz über das Räumungsbegehren nachzubezahlen (§ 33 Abs 2 MRG).

Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht gab lediglich der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Teilurteil des Erstgerichts im Sinne eines zur Gänze klagsabweisenden Endurteils ab.

Das Zahlungsbegehren sei auch nach dem vom Erstgericht durchgeführten Verbesserungsverfahren unschlüssig geblieben. Die Klägerin habe zwar ihre Mietzinsforderungen ab Juni 2007 aufgeschlüsselt, aber nicht den pauschal behaupteten Rückstand aus den Vorjahren. Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2006 und 2007 seien nicht ersichtlich, auch der pauschale Klagsbetrag könne nicht nachvollzogen werden. Die Beklagte habe bereits zu Beginn des Verfahrens die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens eingewendet, ein nochmaliger Verbesserungsauftrag erübrige sich daher. Die Klägerin habe das Räumungsbegehren ausschließlich auf einen qualifizierten Mietzinsrückstand gestützt, weshalb in dessen Ermangelung bereits ein klagsabweisendes Endurteil zu fällen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die nach Freistellung gemäß § 508a ZPO von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist jedenfalls zulässig, soweit das Berufungsgericht funktionell als Erstgericht über das Räumungsbegehren entschieden hat. Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens ist die Revision zwar zulässig, weil die Ausführungen der Vorinstanzen einer Klarstellung bedürfen, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Das Erstgericht hat mit seinem angefochtenen Teilurteil ausschließlich über das eingeschränkte Zahlungsbegehren der Klägerin, aber nicht über das Räumungsbegehren entschieden. Dieses Begehren war somit nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens, das Berufungsgericht hat mit der Fällung eines das Räumungsbegehren einschließenden Endurteils seine funktionelle Zuständigkeit überschritten.

Das Teilurteil über das eingeschränkte Zahlungsbegehren ist nicht mit einem Zwischenurteil über den Grund des Räumungsbegehrens zu verwechseln, dessen Abweisung in zweiter Instanz mit Endurteil zu erfolgen hätte. Die bloße Abweisung des Zahlungsbegehrens ist, worauf auch die Revision zutreffend hinweist, für das Räumungsbegehren schon deswegen nicht präjudiziell, weil die Beklagte das Bestehen eines Rückstands in Höhe von 25.000 EUR im Verfahren durch Zahlung anerkannt hat. Der eingeklagte Pauschalbetrag umfasste von vornherein nur einen Teil des von der Klägerin behaupteten Zahlungsrückstands. Selbst erst während des Verfahrens aufgelaufene Zahlungsrückstände könnten ein auf § 1118 ABGB gestütztes Räumungsbegehren rechtfertigen, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens einen im Sinne dieser Gesetzesstelle qualifizierten Rückstand ergaben und nicht innerhalb der ab Geltendmachung des erst fällig gewordenen Betrags gewährten Nachfrist bezahlt wurden (RIS-Justiz RS0021072).

Die Entscheidung eines funktionell unzuständigen Gerichts ist als nichtig aufzuheben (RIS-Justiz RS0042059). Diese Konsequenz erstreckt sich hier auch auf die Kostenentscheidung, deren Grundlage der nichtige Entscheidungspunkt bildete.

Das funktionell zuständige Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren mit Endurteil über das Räumungsbegehren zu entscheiden haben.

2. Soweit sie die Abweisung des Zahlungsbegehrens bekämpft, ist die Revision dagegen im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, das Berufungsgericht habe sie mit der Ansicht, dass das Klagebegehren noch immer unschlüssig sei, völlig überrascht. Das Erstgericht habe im Gegensatz dazu die Aufschlüsselung der Mietzinse offenkundig für ausreichend erachtet. Das Berufungsgericht wäre im Fall einer davon abweichenden Ansicht verpflichtet gewesen, der Klägerin noch einmal Gelegenheit zur Verbesserung ihres Vorbringens zu geben. Überhaupt sei es für die Schlüssigkeit des Klagebegehrens nicht erforderlich, auch den außerhalb des klagsgegenständlichen Anspruchszeitraums entstandenen Rückstand aufzuschlüsseln.

Diesen Ausführungen ist nur insoweit beizupflichten, als ein behaupteter „alter“ Mietzinsrückstand, auf den die Klägerin die laufenden Mietzinszahlungen angerechnet hat, nicht Teil des Klagebegehrens war und sein konnte, weil er nach dem Prozessstandpunkt der Klägerin bei Klagseinbringung bereits getilgt war. Die unzureichende Konkretisierung dieses alten Rückstands führt daher nicht zur Unschlüssigkeit der Klage, sondern nur zum Scheitern der angestrebten Anrechnung späterer Zahlungen auf diese ältere Schuld. Auch der Einwand, dass die Betriebskosten und Mietzinse von der Klägerin unrichtig abgerechnet worden wären, betraf nicht die Schlüssigkeit des Klagebegehrens, sondern dessen materielle Berechtigung.

Entscheidend ist jedoch, dass das aus einer Pauschalsumme bestehende Zahlungsbegehren als solches unbestimmt geblieben ist.

Es ist zulässig, dass gleichartige selbstständige Einzelforderungen, die während eines längeren Zeitraums aufgelaufen sind, zu einem einheitlichen Begehren zusammengefasst werden, sodass bei Geldleistungsansprüchen nur mehr die Gesamtsumme im Klagebegehren aufscheint. Auch eine Pauschalierung ist möglich, allerdings muss bei objektiver Klagenhäufung der Pauschalbetrag aufgegliedert werden, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 226 Abs 1 ZPO Rechnung zu tragen.

Es geht nicht an, die Aufteilung des Pauschales auf die jeweiligen Einzelforderungen dem Gericht zu überlassen. Ohne Aufschlüsselung ist es nicht möglich, den Umfang der Rechtskraft einer Teilabweisung des Zahlungsbegehrens zu bestimmen und die Frage zu beantworten, über welche der eingeklagten Forderungen (hier: Mietzins welcher Perioden und Fälligkeiten) endgültig abgesprochen wurde (ua 8 Ob 672/89 ÖBA 1991, 671 = RdW 1991, 357; Fasching in Fasching/Konecny² § 226 ZPO Rz 59). Nur bei Aufschlüsselung der Pauschalforderung kann in einem Folgeprozess die der Zulässigkeit einer weiteren Sachentscheidung allenfalls entgegenstehende materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung beurteilt werden (RIS-Justiz RS0031014 [T19, T22, T23]; 8 ObA 22/02x; 1 Ob 291/00a).

Diesem Erfordernis wird das Klagebegehren aber auch nach der vom Erstgericht aufgetragenen Verbesserung nicht gerecht. Die Klägerin hat darin gerade nicht ihre tatsächlich geltend gemachten Forderungen, also den Pauschalbetrag, sondern nur die in den letzten drei Jahren vor Klagseinbringung gelegten Mietzinsabrechnungen aufgeschlüsselt. Das pauschale Klagebegehren ist aber nicht auf Zahlung der Summe dieser Abrechnungen, sondern auf einen „vorsichtshalber“, ohne Verzicht auf darüber hinausgehende Ansprüche bemessenen Anteil davon gerichtet.

Ohne Aufschlüsselung kann nicht unterschieden werden, ob nur einzelne monatliche Mietzinse eingeklagt wurden und andere nicht, oder ob das Pauschale aus einem prozentuellen Anteil jeder einzelnen Abrechnungssumme bestehen soll. Es ist folglich auch nicht nachvollziehbar, welche konkreten Mieten ganz oder teilweise offen und streitanhängig sind, sowie welche ganz oder teilweise nicht im Pauschale enthalten sind, sodass sie noch Gegenstand eines weiteren Verfahrens sein könnten. Aus dem ergänzten Klagsvorbringen ist bestenfalls erkennbar, dass der vom Pauschalbegehren erfasste Abrechnungszeitraum mit 1. 5. 2007 begann und spätestens mit 31. 1. 2010 endete, weil ab 1. 2. 2010 bezahlte Mietzinse von der Klägerin wieder zur Gänze auf die laufende Periode angerechnet wurden (ON 12). Wenn die Revisionswerberin meint, das Erstgericht sei sehr wohl in der Lage gewesen, das Klagebegehren nachzuvollziehen, ist ihr entgegenzuhalten, dass die erstinstanzliche Entscheidung in zeitlicher Hinsicht (über den 31. 1. 2010 hinaus) den Rahmen des Klagebegehrens überschritten und die Diskrepanz zwischen Klagsforderung und Summe der Abrechnungen lediglich übergangen hatte.

Richtig ist, dass das Erstgericht die nicht ausreichende Erfüllung seines Verbesserungsauftrags zur Aufschlüsselung der „begehrten“ Mietzinse mit den Parteien nicht erörtert hat. Von einer Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts, die einen Verfahrensmangel begründen würde (RIS-Justiz RS0036355; RS0037300), könnte aber nur dann gesprochen werden, wenn die in zweiter Instanz vertretene Rechtsauffassung vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz von niemandem, auch von keiner Partei, ins Treffen geführt worden wäre, sodass die Klägerin dazu noch nicht Stellung nehmen hätte können (RIS-Justiz RS0037300 [T16]). Nur wenn die Parteien an die Rechtsansicht des Gerichts mangels Erörterung weder dachten noch denken mussten, liegt ein Verstoß gegen § 182 ZPO vor (RIS-Justiz RS0037300 [T24]).

Im hier zu beurteilenden Fall erneuerte die Beklagte ihren Einwand der Unschlüssigkeit und Unbestimmtheit des pauschalierten Klagebegehrens nach Durchführung des vom Erstgericht angeordneten Verbesserungsverfahrens und führte aus, die Strategie, es durch Vorgabe eines nicht näher begründeten Pauschalbetrags dem Gericht zu überlassen, allenfalls zu Recht bestehende und nicht zu Recht bestehende Teilbeträge zu erforschen, sei prozessrechtlich nicht korrekt (ON 26, AS 169 f). Die Klägerin beharrte daraufhin auf ihrem Standpunkt, das Begehren hinreichend präzisiert zu haben (ON 26, AS 171), und hielt diese Ansicht auch noch im Rechtsmittelverfahren aufrecht. Unter diesen Umständen war aber ein weiteres Verbesserungsverfahren entbehrlich, sein Unterbleiben begründet keinen Mangel des Berufungsverfahrens (RIS-Justiz RS0036355 [T8]).

Im Umfang der Abweisung des eingeschränkten Zahlungsbegehrens ist die Entscheidung des Berufungsgerichts daher zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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