OGH 8Ob44/14z

OGH8Ob44/14z23.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr.

Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** J*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei I***** AG, *****, vertreten durch Stix Rechtsanwälte Kommandit‑Partnerschaft in Wien, und die auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenientin Stadtgemeinde I*****, vertreten durch Rainer‑Ruetz Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert: 11.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Februar 2014, GZ 3 R 358/12m‑38, womit über die Berufungen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 17. August 2012, GZ 16 C 1841/10d‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, über die Berufungen neuerlich zu entscheiden.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger ist Eigentümer von Anteilen eines Grundstücks, auf dem er mit seiner Familie ein Haus bewohnt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Liegenschaft befindet sich eine im Eigentum der Nebenintervenientin (im Weiteren auch: Stadtgemeinde) befindliche Liegenschaft. Der Beklagten wurde durch privatrechtliche Vereinbarung mit der Stadtgemeinde das Nutzungsrecht an dieser Liegenschaft eingeräumt. Auf dieser Liegenschaft errichtete die Beklagte im August 2010 eine Müllinsel mit insgesamt 13 Müllcontainern.

Die Stadtgemeinde ist aufgrund des Tiroler Abfallwirtschaftsgesetzes (LGBl 2008/3, TAWG) dazu verpflichtet, eine öffentliche Müllabfuhr einzurichten und ausreichend Container zur Verfügung zu stellen. Sie bedient sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung der Beklagten, welche im Auftrag der Stadtgemeinde Müllinseln errichtet.

Der Bereich der Müllinseln ist seit dem Jahr 2003 ausgegliedert und durch einen Vertrag zwischen der Stadtgemeinde und der Beklagten an die Beklagte übertragen. Es ist grundsätzlich Aufgabe der Beklagten zu entscheiden, an welchen Standorten Müllinseln errichtet werden. Auch die Art der Errichtung einer Müllinsel lag in der Entscheidung der Beklagten. Die Beklagte hat der Stadtgemeinde, die vorher die Standorteignung durch ihre fachlich zuständigen Referate und Ämter prüft, mitzuteilen, wo eine Sammelstelle errichtet wird.

Die Reinigung der Müllinsel wird fünf Mal wöchentlich von einem Unternehmen durchgeführt, das dazu ‑ nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten ‑ von dieser beauftragt wird. Nach dem weiteren nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten entsorgt sie vier Mal wöchentlich das getrennt gesammelte Altpapier und die Kartonagen selbst, weitere Unternehmen sind mit der Entsorgung von Kunststoff, Dosen und Altglas betraut.

Der Kläger erhob, gestützt auf § 364 ABGB, das Begehren, die Beklagte sei ihm gegenüber schuldig, ab sofort

1. die von der Müllinsel ausgehenden Immissionen von Gestank, soweit sie sich über das ortsübliche Maß hinaus auf das Grundstück des Klägers erstrecken, zu unterlassen;

2. Sorge dafür zu tragen, dass es auf dem Grundstück des Klägers zu keinem Eindringen von Abfällen von der Müllinsel kommen kann, und

3. an Sonn‑ und Feiertagen ganztägig sowie an allen Tagen in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr die von der Müllinsel ausgehenden Lärmimmissionen auf das Grundstück des Klägers, durch die die Sonn‑ und Feiertagsruhe sowie die nächtliche Ruhe des Klägers gestört wird, zu unterlassen.

Er brachte dazu zusammengefasst vor, dass sowohl Lage als auch Größe der Müllinsel ortsunüblich seien und von dieser Geruchs‑ und Lärmimmissionen sowie Verunreinigungen ausgingen, durch die die ortsübliche Nutzung des Grundstücks des Klägers wesentlich beeinträchtigt sei.

Zu der im Revisionsverfahren allein zu behandelnden Rechtsfrage der Passivlegitimation der Beklagten führte der Kläger aus, dass die Beklagte das Nachbargrundstück auf Dauer und zur Erbringung vertraglicher Verpflichtungen, daher zu eigenen Zwecken nutze. Auch sei die Ausführung der Müllinsel durch die Beklagte und nicht durch die Stadtgemeinde erfolgt. Die Beklagte sei daher als Störerin für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gemäß § 364 ABGB passiv legitimiert.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Sie wandte ua ihre mangelnde Passivlegitimation ein, weil sie lediglich als Werkunternehmerin für die Stadtgemeinde tätig sei. Die Stadtgemeinde bediene sich ihrer zur Besorgung der öffentlichen Müllabfuhr. Die Beklagte unterbreite der Stadtgemeinde lediglich Vorschläge für die räumliche Situierung von Müllinseln; über die Auswahl und Zuweisung der dafür erforderlichen Grundstücke entscheide jedoch die Stadtgemeinde. Die Beklagte nütze daher das Nachbargrundstück des Klägers nicht für eigene Zwecke.

Die Nebenintervenientin schloss sich den Prozesseinwendungen der Beklagten an.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zu der im Revisionsverfahren allein zu behandelnden Rechtsfrage der Passivlegitimation der Beklagten führte es aus, dass der Beeinträchtigte gegen jeden einen Unterlassungsanspruch gemäß § 364 ABGB habe, der das Grundstück aufgrund eines Rechtsverhältnisses zum Grundeigentümer für eigene Zwecke benütze. Die Angelegenheiten der Müllinseln seien seit 2003 aus dem Bereich der Stadtgemeinde ausgegliedert und durch einen Vertrag Sache der Beklagten. Dieser allein obliege die Organisation, die Abrechnung und die Einrichtung derartiger Müllinseln. Es liege daher auch in ihrem Verantwortungsbereich, Nachbargrundstücke vor Immissionen zu schützen.

Im ersten Rechtsgang hatte das Berufungsgericht dieses Urteil und das ihm vorausgegangene Verfahren aus Anlass der Berufungen der Beklagten und der Nebenintervenientin mangels Zulässigkeit des Rechtswegs mit Beschluss als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen.

Diesen Beschluss des Berufungsgerichts hob der erkennende Senat mit Beschluss vom 29. 11. 2013, 8 Ob 28/13w, auf, bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs für die hier geltend gemachten Ansprüche (zust Ballon in EvBl 2014/60, 414), und trug dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über die Berufungen auf.

Mit seiner nunmehr angefochtenen Entscheidung änderte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Die Stadtgemeinde könne sich gemäß § 14 Abs 1 TAWG zur Besorgung der öffentlichen Müllabfuhr auch eines privaten Unternehmens bedienen. Sie habe von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Beklagte im Jahr 2003 mit der Organisation, der Abrechnung und der Einrichtung derartiger Müllinseln betraut. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien werde die Beklagte im Rahmen eines Werkvertrags tätig. Es könne als notorisch und gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, dass die Beklagte, eine Aktiengesellschaft, für ihre Leistungen auch Entgelt beziehe. Diese Tätigkeit übe die Beklagte ausschließlich im Interesse der Stadtgemeinde aus, sodass sie ‑ vergleichbar einem Bauunternehmer ‑ das Grundstück, auf dem die Müllinsel errichtet sei, nicht zu eigenen Zwecken nutze. Der Beklagten fehle daher die Passivlegitimation für nachbarrechtliche Ansprüche gemäß § 364 ABGB.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit nachbarrechtliche Ansprüche gegen Privatrechtssubjekte, die mit der Besorgung hoheitlicher Aufgaben von den dazu berufenen Rechtsträgern betraut werden, geltend gemacht werden können, wenn sie, wie hier, im Rahmen eines Werkvertrags gegen Entgelt tätig sind.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten und der Nebenintervenientin beantwortete Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Die aus dieser Bestimmung abgeleiteten Ansprüche können nach ständiger Rechtsprechung nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Immissionen ausgehen, geltend gemacht werden, sondern gegen jeden, der durch Vorkehrungen auf dem Nachbargrundstück unzulässige Störungen hervorruft, sofern er diesen Grund für eigene Zwecke benutzt (RIS‑Justiz RS0010654; RS0010516 [T2]), wobei eine Beziehung zum emittierenden Grundstück bzw ein „gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission“ gefordert wird (Spielbüchler in Rummel³ § 364 Rz 5; 8 Ob 589/93 mwN; zu vereinzelter Kritik in der Lehre am Erfordernis einer „Sonderbeziehung“ s 6 Ob 216/13b; wie dort muss auch hier darauf nicht eingegangen werden, weil hier diese Sonderbeziehung ohnedies gegeben ist).

2. Das Berufungsgericht ist allerdings der Auffassung, dass die Beklagte ‑ weil sie von der Stadtgemeinde mit Werkvertrag mit der Organisation, der Abrechnung und der Einrichtung der Müllinseln beauftragt worden sei und dafür Entgelt beziehe ‑ das Grundstück nicht für eigene Zwecke verwende. Damit verkennt es, dass ‑ wie schon ausgeführt ‑ jedenfalls die Rechtsprechung gerade eine derartige Beziehung des Störers zum im Eigentum eines anderen stehenden Grundstücks als Voraussetzung für die Passivlegitimation verlangt (RIS‑Justiz RS0010654: ein „auf die Benützung des Grundstücks für eigene Zwecke abzielendes Rechtsverhältnis“). Ein Vertragsverhältnis zum Grundeigentümer (wie immer man es im vorliegenden Fall qualifizieren mag), das dem Störer die Benützung der emittierenden Liegenschaft ermöglicht, schließt daher das für die Passivlegitimation erforderliche Handeln für eigene Zwecke keineswegs aus.

Dass ‑ wie das Berufungsgericht ausführt ‑ nach der Rechtsprechung der Bauunternehmer, der aufgrund eines Werkvertrags Bauarbeiten auf dem emittierenden Grundstück durchführt, nicht nachbarrechtlich haftet (RIS‑Justiz RS0010598), ändert an diesem Ergebnis nichts. Der Bauunternehmer ist nämlich aufgrund des mit dem Grundeigentümer bestehenden Werkvertrags gerade nicht zu der von der Rechtsprechung geforderten Benützung der Liegenschaft berechtigt; der für die Bejahung seiner Passivlegitimation erforderliche Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission liegt bei ihm aufgrund seiner eingeschränkten Befugnisse nicht vor (1 Ob 22/88 mwN).

Ebenso wenig ist für den Standpunkt des Berufungsgerichts aus der Entscheidung 1 Ob 2337/96z (SZ 70/85) zu gewinnen. Dort geht es um die Passivlegitimation einer vom Bund gesetzlich mit der Errichtung eines (vorrangig § 24 Abs 5 BStG 1971 unterliegenden) Straßenbauvorhabens beauftragten Autobahnerrichtungs‑AG, die aufgrund der besonders gelagerten Umstände (die AG wurde sondergesetzlich eigens für diesen Zweck errichtet; dem Bund kam nicht nur die Stellung eines Mehrheitsaktionärs, sondern ein direktes gesetzliches Weisungsrecht zu) als „ein aufgrund eines Gesetzes berufener Bauführer“ qualifiziert wurde. Unter Hinweis auf diese Stellung wurde ein Handeln dieser AG zu eigenen Zwecken verneint.

3. Mit diesen beiden vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen ist der hier zu beurteilende Fall nicht zu vergleichen.

Die Stadtgemeinde hat der Beklagten durch privatrechtliche Vereinbarung ein (dauerndes) Nutzungsrecht am verfahrensgegenständlichen Grundstück eingeräumt. Die Beklagte, die auch die geeigneten Standorte aussucht, hat die Müllinsel nicht nur errichtet; auch die Art der Errichtung lag in ihrer Entscheidungsbefugnis. Sie hat überdies ‑ entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen mit der Stadtgemeinde sowie den durch Gesetz und Verordnung vorgegebenen Rahmenbedingungen (vgl dazu die Vorentscheidung 8 Ob 28/13w) ‑ die Müllinsel auf Dauer zu betreiben und zu organisieren. Sie trifft auch die wesentlichen Entscheidungen über den Betrieb der Müllinsel und sorgt ‑ durch ein von ihr beauftragtes Unternehmen ‑ für deren Reinigung und (teilweise selbst, teilweise durch weitere Unternehmen) für die Entsorgung des Mülls. Sie hat es daher aufgrund ihrer Beziehung zum benützten Grundstück in der Hand, die Nachbarn vor (allenfalls) unzulässigen Immissionen zu schützen.

Weder ist aus diesem Sachverhalt eine der Entscheidung 1 Ob 2337/96z auch nur annähernd vergleichbare Sonderkonstellation abzuleiten, noch kann die umfassende Beziehung der Beklagten zur emittierenden Liegenschaft mit den eingeschränkten Befugnissen eines ein Haus errichtenden Baumeisters verglichen werden.

Dass die Beklagte für ihre Tätigkeit, die ja im Rahmen ihres Unternehmenszwecks liegt, Entgelt erhält, spricht nicht dagegen, dass sie das Grundstück zu eigenen Zwecken benützt, sondern unterstreicht dies vielmehr.

Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ist daher die Passivlegitimation der Beklagten zu bejahen.

4. Der Revision war daher Folge zu geben. Das Berufungsgericht, das sich mit den übrigen Einwänden der Berufungen gegen das Ersturteil noch nicht auseinandergesetzt hat, wird daher neuerlich über die Berufungen zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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