OGH 8Ob133/12k

OGH8Ob133/12k29.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei ***** Bezirkskrankenhaus *****, vertreten durch Dr. Peter Sparer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 151.483,56 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. August 2012, GZ 2 R 149/12x‑65, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt vom beklagten Krankenhausträger Schadenersatz für schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer am 12. 3. 2002 durchgeführten Hämorrhoidenoperation.

Das Klagebegehren blieb ‑ mit Ausnahme eines im ersten Rechtsgang zuerkannten Teilbetrags von 750 EUR - in beiden Vorinstanzen erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls. Der Arzt muss nicht auf alle überhaupt denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen (RIS‑Justiz RS0026529). Über Risiken, die nach dem ärztlichen Stand der Wissenschaft nicht vorhersehbar sind, also atypische, außergewöhnliche Heilungsverläufe und mögliche schicksalhafte Krankheitsfolgen, muss nicht aufgeklärt werden (2 Ob 313/01w).

Davon ausgehend zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhaltsfeststellungen war das geringe (1 %) Risiko einer langfristig anhaltenden Inkontinenz im Jahre 2002 als Folge der gegenständlichen Operation in der ärztlichen Fachliteratur noch nicht bekannt. Die Rechtsansicht, dass die Klägerin unter diesen Umständen und bei der gebotenen ex‑ante‑Betrachtung über die Möglichkeit einer dauernden Inkontinenz nicht aufgeklärt werden musste, ist vertretbar.

Ob eine Aufklärung der Klägerin über das Operationsrisiko einer temporären Inkontinenz infolge einer Störung der Feinmotorik der Schleimhaut erforderlich gewesen wäre, ist für das vorliegende Verfahren nicht entscheidend, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sich dieses Risiko bei der Klägerin verwirklicht hat. Zwar wäre die Hämorrhoidenoperation bei unzureichender Einwilligung der Klägerin rechtswidrig gewesen, es steht aber nicht fest, dass sie jenen Schaden verursacht hat, für den die Klägerin Ersatz begehrt (vgl 4 Ob 137/07m). Die Beweislast für die Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens für den geltend gemachten Schaden trifft auch im Arzthaftungsrecht grundsätzlich den Kläger (RIS‑Justiz RS0026209; RS0106890; 4 Ob 137/07m).

2. Für den Beweis der Kausalität eines ärztlichen Behandlungsfehlers genügt nach ständiger Rechtsprechung der Anscheinsbeweis einer deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit (RIS‑Justiz RS0038222 [T6]; vgl auch RS0106890), es reicht allerdings nicht, wenn eine Verursachung lediglich nicht ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0038222 [T5]).

Steht ein Behandlungsfehler fest und wurde die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch diesen Fehler nicht unwesentlich erhöht, dann obliegt es dem Beklagten zu beweisen, dass die ihm unterlaufene Sorgfaltswidrigkeit mit größter Wahrscheinlichkeit nicht kausal für den Schaden des Patienten war (RIS‑Justiz RS0038222 [T7, T9]; RS0026209 [T6]). Diese Beweislastumkehr besteht also nicht von vornherein, sie tritt nur dann ein, wenn der Kläger zunächst seinerseits den erleichterten Anscheinsbeweis erbringen konnte (RIS‑Justiz RS0038222 [T12]; RS0026768).

Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt kam es bei der Klägerin durch den festgestellten Behandlungsfehler, nämlich eine nach damaligem Standard zu tief gesetzte Klammernaht, zu keiner Verletzung von Muskelgewebe und Nerven und zu keiner wesentlichen Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Inkontinenz. Die gegenteilige Ansicht der Revisionswerberin findet im festgestellten Sachverhalt keine Deckung.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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