OGH 7Ob96/13p

OGH7Ob96/13p19.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S* KG, *, und 2. V* M*, beide vertreten durch Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, gegen die beklagte Partei A* Versicherungs‑AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2013, GZ 1 R 267/12d‑16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. September 2012, GZ 4 C 325/12s‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:E106147

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Anfechtungsrecht, Insolvenzrecht, Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien jeweils die mit 409,33 EUR (darin enthalten 68,22 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Deckungspflicht für die Abwehr der Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters nach dem Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz nach Art 23 ARB 2008.

Beide Kläger schlossen mit der Beklagten jeweils Rechtsschutzversicherungsverträge ab. Den beiden Rechtsschutzversicherungsverträgen liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2008) zu Grunde. Art 23 ARB 2008 lautet auszugsweise:

Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz

...

2. Was ist versichert?

2.1  Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

...

Die beiden Kläger machten jeweils Ansprüche aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Bioprodukte gegen die spätere (Gemein‑)Schuldnerin gerichtlich geltend. Am 27. 1. 2011 schlossen die Kläger und die spätere (Gemein‑)Schuldnerin einen außergerichtlichen Vergleich ab, auf Grund dessen die Schuldnerin Zahlung von insgesamt 8.743 EUR leistete. Damit wurde der Vergleich erfüllt. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 9. 3. 2011 das Sanierungsverfahren und anschließend das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Insolvenzverwalter brachte gegen beide Kläger wegen der Zahlung auf Grund dieses Vergleichs gestützt auf § 27 iVm § 30 Abs 1 Z 1 und § 31 Abs 1 Z 2 IO eine Anfechtungsklage ein. Er stellte das Begehren, dass die Rechtshandlung, nämlich die Zahlung von 8.743 EUR und die dadurch bewirkte Befriedigung und Sicherstellung der Kläger gegenüber den Gläubigern im Insolvenzverfahren der Schuldnerin für unwirksam erklärt wird. Weiters begehrte er von den Klägern zur ungeteilten Hand die Zahlung dieses Betrags.

Die Beklagte lehnte gegenüber den Klägern die Deckung für die Abwehr dieser Anfechtungsklage ab.

Die Kläger begehrten von der Beklagten auf Grund der jeweils abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsverträge Rechtsschutzdeckung für die Anfechtungsklage. Die Deckungspflicht der Beklagten bestehe gemäß Art 23 ARB 2008. Die Kläger hätten zunächst mit der späteren (Gemein‑)Schuldnerin einen Kaufvertrag geschlossen, in weiterer Folge dann einen außergerichtlichen Vergleich, der die Zahlung eines Geldbetrags an sie zum Inhalt gehabt habe. Dass diese Zahlung (Erfüllungshandlung) vom Insolvenzverwalter angefochten werde, ändere nichts daran, dass sie ihre Grundlage im Kaufvertrag oder im außergerichtlichen Vergleich habe.

Die Beklagte wendete ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ im Wesentlichen ein, die Anfechtungsklage falle nicht unter den Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz. Der Insolvenzverwalter mache einen Anspruch geltend, der aus dem Gesetz (IO) direkt entstehe. Die Anfechtungsklage bezwecke nur die relative Unwirksamkeit und stelle keine generelle Anfechtung eines Rechtsgeschäfts dar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Mit der Anfechtungsklage werde zwar ein aus dem Gesetz entstehender Anspruch verfolgt, jedoch sei dieser nicht losgelöst zu betrachten, sondern resultiere aus der zuvor zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung. Es entspreche dem Zweck des Art 23.2.1 ARB 2008, dass Rechtsschutz auch für die aus dem ursprünglichen schuldrechtlichen Vertrag „erfließenden“ Ansprüche bestehe. Auf die Ursache der nachfolgenden Streitigkeit komme es dabei nicht an. Für die Rückabwicklung von gescheiterten Vertragsverhältnissen bestehe nach dem Zweck des Vertragsrechtsschutzes Deckung. Daher sei Versicherungsschutz für die Abwehr der Anfechtungsklage gegen die Kläger gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Rechtlich führte es aus, die Anfechtung nach § 31 IO erfordere ein schuldhaftes (Kenntnis oder schuldhafte Unkenntnis von der Insolvenz) und rechtswidriges Verhalten (Gläubigerbenachteiligung) der Kläger. Die Anfechtungsklage sei damit Schadenersatzansprüchen ähnlich, die ebenfalls ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten erforderten. Die Anfechtungsklage sei unter Berücksichtigung des Regelungszwecks des zweiten Absatzes des Art 23.2.1 ARB 2008 von der Rechtsschutzversicherung der Kläger mitumfasst. Bei der im Insolvenzfall geltenden Gläubigergleichbehandlung im Zusammenhalt mit der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis davon durch den begünstigten Gläubiger handle es sich um eine gesetzliche Pflicht, die zwischen der Gemeinschuldnerin und den Klägern als deren Vertragspartner bestehe. „Den Vertragsparteien“ sei in diesem Fall die Tilgung vertraglicher Geldansprüche durch vergleichsweise Zahlung verwehrt. Den Gläubigern entstünden dadurch reine Vermögensschäden. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Vermögensschäden im Wege des Schadenersatzes von den benachteiligten übrigen Gläubigern direkt oder nur vom Insolvenzverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahrens im Wege der Anfechtung nach § 31 IO geltend gemacht werden könnten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (erkennbar gemeint: jeweils) 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Rechtsschutzdeckung für eine Anfechtungsklage gemäß Art 23.2.1 ARB 2008 keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Klägern beantwortete ordentliche Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Die positive Deckungsbeschreibung des Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB 2008 („Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen ...“) umfasst die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate aus schuldrechtlichen Verträgen. Diesem Basistatbestand werden im weiteren Absatz zwei Ergänzungstatbestände angefügt, die gegenüber dem Basistatbestand konstitutive Bedeutung haben, also Deckung gewähren, die sich aus dem Grundtatbestand nicht ergeben würde (7 Ob 17/08p = SZ 2008/93 [ARB 2002]; 7 Ob 140/12g [ARB 2005]; 7 Ob 17/13w [ARB 2006], jeweils mwN). Zum einen wird ausdrücklich auch die Geltendmachung und Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen „reiner“ Vermögensschäden gedeckt, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern entstehen. Zum anderen wird auch die Geltendmachung und Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen „reiner“ Vermögensschäden, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen, zum Gegenstand der Deckung im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz erklärt. Obwohl der Text der Ergänzungstatbestände von dem der Musterbedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 1994) abweicht, soll nach Dunst (in Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat, Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung [ARB 2007], 286 [Anh 2, zu Art 17.2.4 ARB 2007]) damit keine inhaltliche Veränderung des Versicherungsschutzes verbunden sein.

2. Der Insolvenzverwalter ist der gesetzliche Vertreter der Schuldnerin hinsichtlich der Insolvenzmasse (vgl RIS‑Justiz RS0106041). Er ist zwar im Interesse aller Gläubiger, aber „immer nur als Vertreter und Organ (Amtsorgan) der Insolvenzmasse“ tätig, sodass er nur Ansprüche der Masse geltend machen kann (7 Ob 172/11m mwN). Das Anfechtungsrecht wird gemäß § 37 Abs 1 IO grundsätzlich vom Insolvenzverwalter ausgeübt (vgl dazu RIS‑Justiz RS0112593).

Der (hier auf § 30 Abs 1 Z 1 und § 31 Abs 1 Z 2 IO gestützte) Anfechtungsanspruch ist ein Forderungsanspruch eigener Natur, dessen Ziel nicht bloß die Wiederherstellung des Zustands der Insolvenzmasse vor der Rechtshandlung, sondern die Herstellung des Zustands ist, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre (RIS‑Justiz RS0050372; 7 Ob 153/04g mwN = SZ 2004/134). Hierbei sind auch Erfüllungshandlungen von Rechtsgeschäften ‑ wie hier die Zahlung auf Grund des außergerichtlichen Vergleichs ‑ als Rechtshandlungen anfechtbar (RIS‑Justiz RS0050635). Die Anfechtungstatbestände der §§ 30 und 31 IO dienen dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum). Der Anfechtungserfolg soll die Insolvenzmasse so stellen, als ob die Insolvenz schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend soll ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen (aber noch vor Einleitung des gesetzlichen Verfahrens, das die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen soll) erlangt hat, wieder in den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Insolvenzmasse) der Schuldnerin zurückstellen (vgl 3 Ob 99/10w = SZ 2011/2; RIS‑Justiz RS0064417 [T2]).

3. Die erste Zusatzdeckung im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz betrifft die Geltendmachung und Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen „reiner“ Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern entstehen. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist der vom Insolvenzverwalter gegen die Kläger geltend gemachte Anfechtungsanspruch (nach den zu Punkt 2. dargelegten Grundsätzen) kein Schadenersatzanspruch (vgl 7 Ob 2336/96x). Der erste Ergänzungstatbestand des Art 23.2.1 ARB 2008 kann auch im Hinblick auf die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB vom durchschnittlich versierten Versicherungsnehmer nicht so verstanden werden.

4. Im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz sind ‑ soweit hier von Interesse ‑ Ansprüche aus schuldrechtlichen Verträgen über bewegliche Sachen gedeckt. Voraussetzung ist, dass der Vertrag im weitesten Sinn eine bewegliche Sache „betrifft“ (7 Ob 17/13w mwN).

Gegenstand des zwischen den Klägern und der späteren Schuldnerin am 27. 1. 2011 geschlossenen Vergleichs war, dass sich diese zur Zahlung von gesamt 8.743 EUR für die gelieferten landwirtschaftlichen Bioprodukte verpflichtete. In der Folge leistete die spätere Schuldnerin diese Zahlung und erfüllte damit den Vergleich. Der über die Forderungen der Kläger aus dem Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Produkte an die spätere Schuldnerin geschlossene außergerichtliche Vergleich ist ein schuldrechtlicher Vertrag „über bewegliche Sachen“ im Sinn des Art 23.2.1 ARB 2008.

Die Wendung „Wahrnehmung rechtlicher Interessen“ aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers umfasst nicht nur die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate, sondern auch die Ausübung von Gestaltungsrechten wie zum Beispiel Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung. Für die Rückabwicklung eines solchen Vertrags nach Bereicherungsrecht oder sonstigen Rechten besteht nach dem Sinn und Zweck des Vertragsrechtsschutzes bereits nach dem Basistatbestand Versicherungsschutz (vgl Hartmann, Rechtsschutzversicherung [2012], 550; Dunst aaO 161 [zu Art 17.2.4 ARB 2007]; Stahl in Harbauer, Rechtsschutzversicherung7 [2004], Vor § 21 ARB 75 Rn 113; Stahl in Harbauer, Rechtsschutzversicherung8 [2010], Vor § 21 ARB 75 Rn 34, § 2 ARB 2000 Rn 178; Bultmann in Terbille, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht² [2008], § 27 Rechtsschutzversicherung Rn 131, 135; Cornelius‑Winkler in Veith/Gräfe, Versicherungsprozess² [2010], § 20. Rechtsschutzversicherung Rn 56).

Die klagenden Versicherungsnehmer wollen als Anfechtungsgegner mit der Abwehr des Anfechtungsanspruchs erreichen, dass die nach den Behauptungen des Insolvenzverwalters anfechtbare Zahlung in ihrem Vermögen verbleibt. Die Zahlung wurde von der späteren Schuldnerin in Erfüllung des außergerichtlichen Vergleichs geleistet. Die Kläger haben für die Abwehr des Anfechtungsanspruchs des Insolvenzverwalters Versicherungsschutz, ist doch die Abwehr von Ansprüchen auf Rückerstattung oder Rückzahlung dessen, das sie in Erfüllung des schuldrechtlichen Vertrags über eine bewegliche Sache erhielten, ebenfalls vom Basistatbestand des Art 23.2.1 ARB 2008 erfasst. Die Beklagte ist daher im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz verpflichtet, den Klägern für die Abwehr der Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters Deckung zu gewähren.

5. Sollten die erstmals in der Revision erstatteten Ausführungen der Beklagten dahin zu verstehen sein, dass sie den Eintritt des Versicherungsfalls bestreitet, so ist dieser Einwand als Neuerung unzulässig (§ 504 Abs 2 ZPO) und unbeachtlich.

6. Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 46 und § 50 Abs 1 ZPO. Da die Kläger nicht solidarisch berechtigt sind, steht ihnen nach dem Grundgedanken des § 46 ZPO der Kostenanspruch nur anteilig zu (6 Ob 142/10s mwN).

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