OGH 7Ob95/05d

OGH7Ob95/05d28.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sylvia J*****, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Robert J*****, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Revisionsinteresse EUR 3.600), über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2004, GZ 48 R 349/04k-33, womit infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 6. August 2004, GZ 7 C 93/02k-29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 300,22 (darin enthalten EUR 50,02 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulassung der Revision nicht gebunden. Die Revision ist - entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes - mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines solchen Rechtsmittels auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Zum besseren Verständnis sind aber der unstrittige Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang doch vorweg kurz darzustellen:

Die Streitteile sind miteinander verheiratet. Das Scheidungsverfahren ist noch nicht beendet. Der Ehe entstammen die Kinder Nikolaus, geboren am 6. 2. 1988, Matthias, geboren am 10. 2. 1994, und Maximilian, geboren am 17. 6. 1997. Im März 2001 hat der Beklagte den ehelichen Haushalt verlassen und eine eigene Wohnung bezogen. In der Folge ist er mit seiner nunmehrigen Lebensgefährtin zu seiner Mutter gezogen, die er nach deren zweitem Schlaganfall betreut.

Die Klägerin begehrte den Beklagten zu verpflichten, ihr einen monatlichen Unterhalt von EUR 145 für die Zeit vom 1. 4. 2001 bis 31. 8. 2002 und von EUR 100 ab 1. 2. 2003 zu bezahlen. Er habe den ehelichen Haushalt am 10. 3. 2001 plötzlich verlassen, weil er eine andere Frau kennengelernt hatte, mit welcher er bereits zusammenlebe. Das Unterhaltsbegehren stützte die Klägerin unter anderem darauf, dass der Beklagte vor seinem schuldhaften Auszug aus der Ehewohnung den mit dieser Wohnung verbundenen Aufwand stets alleine getragen habe. Es sei daher selbst dann verpflichtet, weiterhin zumindest 50 % dieses Aufwandes zu bezahlen, wenn sich rechnerisch nach der Prozentkomponente kein Unterhaltsanspruch der Klägerin ergebe.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er sei nicht eigenmächtig aus der Ehewohnung ausgezogen, sondern lediglich deshalb, weil ihm ein weiteres Zusammenleben nicht mehr zumutbar gewesen wäre. Im Hinblick auf sein Einkommen ergebe sich rechnerisch kein Unterhaltsanspruch der Klägerin.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Dazu traf es detaillierte Feststellungen zum jeweiligen Einkommen der Streitteile und ging im Übrigen von folgendem Sachverhalt aus:

Nicht erwiesen ist, dass der Beklagte vor seinem Auszug eine andere Frau kennengelernt und ihretwegen die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben hat; andererseits aber auch nicht, dass ihm das weitere Zusammenleben nicht mehr zumutbar gewesen wäre. Vielmehr hatten ihm das Zusammenleben mit seiner ebenfalls bis zur Grenze ausgelasteten Frau und drei lebhaften Söhnen auf engem Raum sowie die Probleme aufgrund der Behinderung des „mittleren" Sohnes belastet. Als er selbst gesundheitliche Probleme bekam, beschloss er, sein Leben zu ändern und zog aus. Die Fixkosten für die von beiden Ehegatten angemietete Ehewohnung machen monatlich „über" EUR 250 an Miete, EUR 100 an Strom und EUR 150 an Haushaltsversicherung aus. Bei aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft war der Beklagte Hauptverdiener, während die Klägerin jahrelang lediglich durch die Betreuung von Tageskindern und Bügeln Geld dazu verdiente.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass sich - selbst bei Anspannung des Beklagten auf ein Einkommen von EUR 1.661,01 - rechnerisch kein Unterhaltsanspruch der Klägerin ergebe, weil ihr eigener Verdienst über 28 % des Familieneinkommens (also über ihrem Unterhaltsanspruch neben den drei Kindern) liege. Der Beklagte sei jedoch iSd E 2 Ob 1/01p (SZ 74/12) wegen seines grundlosen Auszugs aus der Ehewohnung unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als wäre er in der Ehewohnung verblieben. Dabei müssten die Mietzinszahlungen unter den Ehegatten und die sonstigen Kosten der laufenden Benützung auch unter den unterhaltsberechtigten Kindern anteilsmäßig aufgeteilt werden. Der Beklagte habe daher jedenfalls die halbe Miete und ein Fünftel der Stromkosten zu tragen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. In Lehre und Rsp bestehe grundsätzlich Einvernehmen darüber, dass der durch das Wohnen bewirkte Unterhaltsbedarf unterhaltsrechtlich nicht gänzlich außer Betracht gelassen werden könne. Ausgehend von den im Berufungsverfahren von keiner Seite mehr bestrittenen Feststellungen erscheine zunächst fraglich, ob die Ansprüche der Klägerin im vorliegenden Fall auch auf § 97 ABGB gestützt werden könnten. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Sachvorbringen der Klägerin eine derartige rechtliche Qualifikation grundsätzlich zulasse, stünde ihr nämlich ihr eigenes Einkommen von monatlich über EUR 900 zur Verfügung, um ihren Unterhalt inklusive des dringenden Wohnbedarfs zu sichern. Demgegenüber würden dem Beklagten ab 1. 1. 2003 ausgehend von dem ihm maximal möglichen Einkommen von monatlich EUR 1.661,01 und unter Berücksichtigung seiner weiteren Sorgepflichten monatlich höchstens ca EUR 720 verbleiben. Zugunsten der Klägerin könnte höchstens noch ins Treffen geführt werden, dass der Beklagte ab der Übersiedlung zu seiner Mutter möglicherweise keine oder nur geringe eigene Wohnungskosten zu tragen habe, doch ließen die Feststellungen diesbezüglich keine eindeutigen Schlüsse zu. Von der Klägerin sei dies auch gar nicht behauptet worden.

Bis zum 31. 8. 2004 könnten die Ansprüche der Klägerin unter Umständen auf die Kostentragung (im Rahmen ihres Unterhaltsanspruches nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB) durch den Beklagten bis zu seinem Auszug aus der Wohnung gestützt werden, weil er nach den Feststellungen bis dahin Hauptverdiener gewesen sei, während die Klägerin durch die Betreuung von Tageskindern und Bügeln lediglich dazuverdient habe. Ab dem Verlust des Arbeitsplatzes durch den Beklagten lägen diesbezüglich jedoch geänderte Verhältnisse vor. Eine bis dahin allenfalls bestehende Verpflichtung zur Zahlung sämtlicher Wohnungskosten könne dem Beklagten nicht mehr auferlegt werden.

Die der Klägerin im Ersturteil zuerkannten Ansprüche könnten jedoch jedenfalls mit der vom Erstgericht im Wesentlichen auch richtig angewendeten Judikatur begründet werden. Lediglich in den Stromkosten sei wohl nicht nur die verbrauchsunabhängige Grundgebühr enthalten. Dabei handle es sich jedoch insgesamt um eine vernachlässigbare Größe. Nicht zuletzt aus Zweckmäßigkeitsgründen folge das Berufungsgericht dieser, „derzeit am ehesten abgesicherten" Judikatur.

Die Revision ließ das Berufungsgericht trotz Wiedergabe der stRsp des Obersten Gerichtshofes, mit der - wie die Berufungsentscheidung selbst festhält - die der Klägerin im Ersturteil zuerkannten Ansprüche „begründet werden können" (Seite 13 f der Berufungsentscheidung; vglauch RIS-Justiz RS0009578; zuletzt: 9 Ob 49/04b bzw 1 Ob 84/04s mwN; RS0080373 [T3]; zuletzt: 4 Ob 41/05s; sowie insb RS0114742; zuletzt: 2 Ob 180/05t), und in Verkennung des Umstandes zu, dass diese Beurteilung immer von den Umständen des Einzelfalles abhängt (vgl 10 Ob 34/03b) und daher grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bildet, weshalb die Revision nur zulässig wäre, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur aufgestellten Kriterien nicht entspräche, also nur dann, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (1 Ob 123/04a; 4 Ob 41/05s).

Den Zulassungsausspruch begründete es damit, dass die Judikatur zur Frage, ob sämtliche Wohnungskosten mit einem entsprechenden Anteil auch den unterhaltsberechtigten Kindern der Ehegatten wirtschaftlich zuzurechnen sind, seit neuestem - und mit durchaus beachtlicher Begründung - wieder divergierend sei. Es erscheine auch deshalb geboten, die Revision zuzulassen, weil der Oberste Gerichtshof in seiner überaus ausführlich begründeten Entscheidung 1 Ob 123/04a auf die in der oberstgerichtlichen Judikatur bis dahin mehrmals relevierte Frage der allfälligen unterhaltsrechtlichen Unerheblichkeit eines grundlosen Auszuges des unterhaltspflichtigen Ehegatten mit keinem Wort eingegangen sei. Ob er die diesbezügliche Rechtsprechung ablehne oder die Nichterwähnung derselben ihre Ursache bloß darin habe, dass dies in jenem Verfahren nicht entsprechend [geltend-]gemacht worden sei, und die Grundlosigkeit des Auszugs in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht eindeutig festgestanden sei, gehe daraus nicht hervor.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist zu erwidern, dass sich der Oberste Gerichtshof erst jüngst mit diesen Fragen beschäftigt und zu dem von den Vorinstanzen zit Rechtssatz (RIS-Justiz RS0114742 = SZ 74/12) - auch unter Berücksichtigung der vom Berufungsgericht wiedergegebenen Entscheidung des 1. Senates (1 Ob 123/04a) - Folgendes erwogen hat (E v 11. 8. 2005, 2 Ob 180/05t):

„Nach stRsp können vom Unterhaltspflichtigen getragene Wohnungskosten grundsätzlich einen auf den Geldunterhalt anrechenbaren Naturalunterhalt darstellen (vgl RIS-Justiz RS0005907, RS0009578, RS0047248, RS0047254, RS0047258, RS0105634; vgl auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 577 ff; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3 153 f mwN). Verlässt der Unterhaltsverpflichtete bei aufrechter Ehe grundlos die Ehewohnung, und bleibt der unterhaltsberechtigte Ehegatte allein in der Ehewohnung zurück, ist der Unterhaltsverpflichtete unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als wäre er in der Wohnung verblieben, weshalb die von ihm zur Beschaffung und Erhaltung der Wohnung erbrachten Naturalleistungen nur zur Hälfte auf den Geldunterhaltsanspruch des anderen Ehegatten anzurechnen sind (vgl 2 Ob 1/01p mwN = SZ 74/13 = RIS-Justiz RS0114742)."

In diesem zuletzt entschiedenen Fall war im Revisionsverfahren gar nicht strittig, dass die noch in Rede stehenden Hauskosten (wie Gemeindeabgaben und Wohnbauförderungsdarlehensraten), die zum Teil von der Klägerin, zum Teil vom Beklagten bezahlt wurden, von den Streitteilen als Hälfteeigentümern der Liegenschaft unterhaltsrechtlich zur Hälfte zu tragen sind. Nach der Auffassung des dortigen Berufungsgerichtes hätten die vom Beklagten geleisteten Zahlungen allerdings (zur Hälfte) den Geldunterhaltsanspruch der Klägerin gemindert, während diese mit ihren gleichartigen Aufwendungen auf eine Bereicherungsklage zu verweisen gewesen wäre. Einer solchen Beurteilung, die offenbar auch dem Beklagten vorschwebt, hat die zitierte Entscheidung jedoch wie folgt widersprochen:

„Dem ist nicht zuzustimmen. Vielmehr kommt eine Anrechnung von Hauskostenzahlungen des Beklagten als Naturalunterhalt auf den Geldunterhalt der Klägerin nur dann in Frage, wenn sich aus diesem Titel ein positiver Saldo (bei Zahlung von mehr als der Hälfte der Hauskosten) zu Gunsten des Beklagten ergibt. Um eine Erhöhung des Geldunterhaltsanspruches der Klägerin handelt es sich hiebei entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichtes nicht. Vielmehr ist dieser primäre Anspruch mangels eines solchen Saldos aus der Tragung von Hauskosten nicht zu mindern (im Falle eines negativen Saldos freilich auch nicht zu erhöhen).

Gegenteiliges ist auch der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 123/04a nicht zu entnehmen. Dass die Kosten der Wohnversorgung als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten unterhaltsrechtlich gewöhnlich keinen - zusätzlich zu zahlenden - Sonderbedarf begründen, sagt über die Voraussetzungen der Minderung von Geldunterhalt durch Leistung von Naturalunterhalt nichts aus" (2 Ob 180/05t; Hervorhebungen in Fettdruck nicht im Original).

Nach dieser Rsp können also - auch beim Kindesunterhalt - Leistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils für die (ua) von den Kindern benützte Wohnung (etwa Mietzinszahlungen) oder die Zurverfügungstellung einer Wohngelegenheit durch diesen Elternteil nicht mehr von vornherein als von der Beurteilung als (anrechenbare) Naturalunterhaltsleistung ausgeschlossen angesehen werden. In welchem Ausmaß es dabei zu einer Anrechnung zu kommen hat, wird allerdings in der Regel keine vom Obersten Gerichtshof zu beurteilende Rechtsfrage sein (4 Ob 41/05s mwN).

Demnach ist aber - entgegen dem Standpunkt der Revision - weder eine „zum Teil auch widersprüchliche" Rsp des Obersten Gerichtshofes, noch ein Abweichen der Vorinstanzen von den dargestellten Grundsätzen, das im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste, zu erkennen. Auf ihrer Grundlage deckt vielmehr der Beklagte mit dem der Klägerin von den Vorinstanzen zuerkannten Unterhaltsbeitrag einen Sonderbedarf für die Wohnungskosten. Ob der Klägerin nach den Umständen dieses Falls - nach allen bisherigen Erwägungen - insgesamt der zuerkannte monatliche Unterhaltsbeitrag als Sonderbedarf für Wohnungskosten zustand, ist hingegen ein singuläres Bemessungsproblem, das - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufwirft, weil den Entscheidungen der Vorinstanzen im erörterten Punkt zumindest keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung als Voraussetzung der Zulässigkeit des Revision anhaftet (1 Ob 123/04a).

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war sie daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Da die klagende Partei nicht auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihre Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, weshalb sie die Kosten hiefür selbst zu tragen hat (RIS-Justiz RS0035962; RS0035979; zuletzt: 7 Ob 101/05m).

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