OGH 7Ob82/15g

OGH7Ob82/15g10.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** T*****, vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei B***** A***** GmbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. Februar 2015, GZ 53 R 254/14f‑24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Thalgau vom 14. August 2014, GZ 2 C 826/13w‑20, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 978,84 EUR (darin enthalten 163,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte vertreibt als Teil der Firmengruppe B***** E***** die von ihren Schwestergesellschaften hergestellten Produkte. Sie stellt selbst keine Produkte her und ist auch nicht in den Herstellungsprozess eingebunden.

Die beim Kläger im Jahr 2006 in einem Klinikum implantierte Hüfttotalendoprothese setzt sich aus vier Komponenten zusammen. Diese wurden von der Beklagten einzeln verpackt an ihr Konsignationslager beim Klinikum geliefert. Von dort wurden sie ‑ wie von der Beklagten vorgesehen ‑ vom operierenden Arzt entnommen. Darunter befand sich ein im Auftrag einer französischen Schwestergesellschaft hergestellter Keramikhüftkopf. In der beiliegenden Gebrauchsanleitung schien als Hersteller ausschließlich die französische Schwestergesellschaft auf. Diese wurde auch als einzige Gesellschaft auf der (Rückseite der) Kartonverpackung und auf den mitgelieferten Klebeetiketten angeführt, die unter anderem zum Einkleben in die Krankengeschichte und in einen dem Patienten zu Informationszwecken auszufolgenden Implantate-Pass bestimmt waren. Der Keramikhüftkopf selbst enthielt keinen Hinweis auf den Hersteller. Auch bei den drei weiteren bei der Implantation verwendeten Komponenten und deren Beilagen war die Beklagte nicht angeführt, sondern das Schwesterunternehmen.

Der Kläger bekam nach der Implantation weder die Verpackungen der einzelnen Komponenten noch deren Gebrauchsanleitungen ausgefolgt. Im Zuge seiner Entlassung aus dem Klinikum erhielt er bloß - ohne nähere Erklärungen - einen Implantate-Pass zu Informationszwecken. Dabei handelte es sich um ein von der Beklagten an das Klinikum geliefertes Heft, auf dessen Vorderseite die Beklagte samt Adresse mit dem Zusatz „Total Orthopaedic Solutions“ angeführt ist. Dieses wurde vom Klinikpersonal ausgefüllt und mit den aus den einzelnen Verpackungen der vier Komponenten entnommenen Klebeetiketten vervollständigt.

Am 6. 6. 2011 zerbrach der implantierte Keramikhüftkopf in vier große und einige kleinere Teile. Am 15. 6. 2011 wurden die zerbrochenen Teile operativ entfernt und durch einen neuen Keramikhüftkopf ersetzt. Zudem musste der Einsatz der Schraubpfanne ausgetauscht werden.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 15.000 EUR sA an Schadenersatz nach dem PHG. Aus dem übergebenen Implantate-Pass gehe eindeutig die Beklagte als Herstellerin hervor. Es gebe darin keinen Hinweis, dass die Beklagte lediglich Händlerin gewesen sei. Vielmehr werde durch die Beifügung des englischsprachigen Zusatzes beim Firmennamen der Beklagten auf der Vorderseite, wonach (sinngemäß übersetzt) „Gesamtlösungen in orthopädischer Hinsicht“ angeboten würden, der Eindruck vermittelt, dass die Produkte von der Beklagten hergestellt und geliefert worden seien. Die Beklagte hafte daher als Anscheinsherstellerin.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie habe das beschädigte Produkt nicht hergestellt. Der tatsächliche Hersteller sei auf den Produktetiketten im Implantate-Pass deutlich vermerkt. Der Implantate-Pass sei getrennt von den Implantat-Komponenten geliefert worden und sei demnach nicht Bestandteil des beschädigten Produkts. Die Beklagte treffe weder eine Haftung als Herstellerin noch als Anscheinsherstellerin.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte hafte nicht als Anscheinsherstellerin, weil sich anhand der Hinweise auf der Kartonverpackung, aus der Gebrauchsanleitung, den Klebeetiketten und dem nicht gleichzeitig mit dem Keramikhüftkopf in Verkehr gebrachten Implantate-Pass die französische Schwestergesellschaft jeweils objektiv eindeutig als dessen Herstellerin ableiten lasse.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Implantate-Pass habe keine ausreichende körperliche Verbindung mit dem Produkt aufgewiesen. Dabei handle es sich um eine von der beklagten Händlerin unabhängig vom Produkt gelieferte „Drucksorte“, mit der schon auf Grund dieser deutlichen Trennung vom Produkt kein Eindruck erweckt werden könne, der Händler hätte es selbst hergestellt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Frage der Haftung des Händlers von Implantaten als Anscheinshersteller, weil er das Formular für einen Implantate-Pass zur Verfügung stelle, komme über den Anlassfall hinaus erhebliche Bedeutung zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Kläger sieht in seiner Revision auf Grund des ihm nach der Operation übergebenen Implantate-Passes die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten als Anscheinsherstellerin verwirklicht.

1. Gemäß § 3 PHG ist auch jeder „Hersteller“, der als solcher auftritt, indem er seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt. Erkennungszeichen im Sinn des § 3 PHG ist alles, woraus die Identität eines Unternehmens erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0114945). Die Anbringung des Erkennungszeichens „auf dem Produkt“ hat durch den Anscheinshersteller (auch Scheinhersteller, Quasi-Hersteller genannt ‑ vgl Posch in Schwimann , ABGB³ § 3 PHG Rz 1; Welser/Rabl , PHG² § 3 Rz 25; Preslmayr , Handbuch der Produkthaftung², 28) selbst, mit seinem Wissen und Willen oder mit seiner Duldung zu erfolgen ( Posch aaO § 3 PHG Rz 9; Welser/Rabl aaO § 3 Rz 30; Preslmayr aaO 28 f; Eustacchio , Produkthaftung, 68; Fitz/Grau in Fitz/Grau/Reindl , Produkthaftung² § 3 Rz 47 f). Entscheidend ist, dass dabei in der Öffentlichkeit der objektive Anschein der Herstellereigenschaft erweckt wird (RIS-Justiz RS0114945; Posch aaO § 3 PHG Rz 10; Eustacchio aaO 67 f; Fitz/Grau aaO § 3 Rz 36). Auf ein spezifisches Vertrauen des Erwerbers des Produkts kommt es nicht an (vgl RIS-Justiz RS0114945; Welser/Rabl aaO § 3 Rz 32).

Der Anschein muss im Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorliegen ( Posch aaO § 3 PHG Rz 11; Welser/Rabl aaO § 3 Rz 34; Preslmayr aaO 31; Eustacchio aaO 68; Fitz/Grau aaO § 3 Rz 55); später angebrachte Zeichen bleiben außer Betracht ( Welser/Rabl aaO; Preslmayr aaO; Fitz/Grau aaO).

Demnach ist zu prüfen, ob im Zeitpunkt des Inverkehrbringens der objektive Anschein bestand, dass der Beklagte das Implantat hergestellt hätte.

2. Nach § 6 PHG ist ein Produkt in den Verkehr gebracht, sobald es der Unternehmer, gleich auf Grund welchen Titels, einem anderen in dessen Verfügungsmacht oder zu dessen Gebrauch übergeben hat. Die Versendung an den Abnehmer genügt. Der Oberste Gerichtshof hat dazu ausgesprochen, dass Inverkehrbringen demnach die auf Grund eines Rechtsverhältnisses vorgenommene freiwillige Übertragung der selbständigen Gewahrsame an einem Produkt und die sonstige Einräumung des Gebrauchs daran bedeutet. Wesentlich ist die willentliche Aufgabe der eigenen Verfügungsmacht über das Produkt (RIS-Justiz RS0071557).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zu Art 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, die diesen Begriff mehrfach enthält, ohne ihn jedoch näher zu beschreiben, ausgesprochen, dass ein Produkt bereits dann in den Verkehr gebracht ist, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird (EuGH 9. 2. 2006, Rs C-127/04 [O'Byrne gegen Sanofi Pasteur MSD Ltd ua]). In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH zu Art 7 lit a dieser Richtlinie ausgesprochen, dass ein Produkt bereits dann in den Verkehr gebracht ist, wenn es im Rahmen einer konkreten medizinischen Dienstleistung verwendet wurde, die in der Vorbereitung eines menschlichen Organs für die Transplantation bestand, und der Schaden im Zuge dieser Vorbereitung eingetreten ist (EuGH 10. 5. 2001, Rs C-203/99 [Veedfald gegen Århus Amtskommune]). Dem lag zu Grunde, dass eine für eine Nierentransplantation verwendete fehlerhafte Spülflüssigkeit in einer Apotheke eines anderen Krankenhauses desselben Betreibers hergestellt worden war. Nach Meinung des EuGH ist es im Fall eines Patienten, der sich in das Krankenhaus begibt, für die Lösung der Frage des Inverkehrbringens unerheblich, ob das im Rahmen einer medizinischen Behandlung benutzte Produkt im Krankenhaus selbst oder von einer mit diesem verbundenen Stelle hergestellt oder von einem Dritten bezogen wird (Rn 17).

Auf die Frage einer richtlinienkonformen Interpretation des § 6 PHG (vgl Posch aaO § 6 PHG Rz 5 ff; Welser/Rabl aaO § 6 Rz 10; Schmid , PHG § 6 Rz 11) braucht hier nicht eingegangen werden, weil die Beklagte schon nach dem Wortlaut des § 6 PHG das Implantat in Verkehr gebracht hat. Es steht nämlich fest, dass der operierende Arzt die von ihm benötigten Komponenten dem Konsignationslager der Beklagten entnahm. Dadurch gelangte unter anderem der Keramikhüftkopf ‑ mit Zustimmung der Beklagten ‑ in die Gewahrsame des Krankenhauses und wurde jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Beklagten in Verkehr gebracht. Im Zeitpunkt der Entnahme befanden sich die Klebeetiketten der verwendeten Komponenten noch in der Verpackung; sie wurden erst nach der Entnahme vom Klinikpersonal in den Implantate-Pass eingeklebt, der von der Beklagten dem Klinikum unabhängig von den zum Einsatz gelangten Komponenten zur Verfügung gestellt wurde. Damit wurde im maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Keramikhüftkopfs kein Bezug auf die Beklagte gemacht. Diese schien weder auf dem Produkt selbst noch auf der Verpackung oder auf den beigefügten Unterlagen (Gebrauchsanleitung, Klebeetiketten) in irgendeiner Form auf.

3. Demnach liegen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Beklagten als Anscheinsherstellerin nach § 3 PHG nicht vor. Der Revision des Klägers ist ein Erfolg zu versagen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte