European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00077.14W.0521.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel nur dann zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar (7 Ob 186/06p; 1 Ob 21/09h), also primär (2 Ob 77/08z) die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt; nicht hingegen im Fall von unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können (RIS‑Justiz RS0121227; 7 Ob 142/11z; 7 Ob 193/13b; 7 Ob 240/13i). Die abschließende Beurteilung, ob eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, erfordert Feststellungen darüber, welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, ob das Medikament (insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung) dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurde und wird und welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist (RIS‑Justiz RS0123875).
2. Die Bewohnervertreterin beruft sich darauf, dass der im Verfahren beigezogene Sachverständige, entgegen den Ausführungen des behandelnden Arztes und den Fachinformationen des Austria Kodex, davon ausgegangen sei, dass dem Medikament Trittico ‑ in der vorgenommenen Dosierung ‑ keine sedierende Wirkung zukomme.
Mit diesen Ausführungen verkennt sie, dass der Oberste Gerichtshof auch in Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist, weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RIS‑Justiz RS0007236, 1 Ob 179/12y; 2 Ob 82/12s). Zur Beweiswürdigung zählt auch, ob einem Sachverständigen zu folgen ist oder nicht.
3.1 Die Bewohnervertreterin macht geltend, das Rekursgericht habe ihre Rekursausführungen, Depakine könnten die zentral dämpfende Wirkung von Aleptan und Trittico verstärken, unrichtig als unzulässige Neuerung im Sinn des § 49 AußStrG angesehen und unbeachtet gelassen.
Die Beantwortung der als erheblich bezeichneten Frage, ob die eingeschränkte Neuerungserlaubnis nach § 49 Abs 2 und 3 AußStrG auch im Rekursverfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz Anwendung findet, kann dahingestellt bleiben.
Das Rekursgericht ging zwar von einer unzulässigen und daher an sich unbeachtlichen Neuerung aus, behandelte aber dennoch die entsprechenden Ausführungen der Bewohnervertreterin auch inhaltlich. Dabei hob es zutreffend hervor, dass der Sachverständige ‑ dem das Erstgericht vollinhaltlich folgte ‑ ohnedies die konkrete Wirkung der verabreichten Medikamente für den Bewohner vor allem auch in ihrer ‑ sich ausschließlich im positiven Sinn verstärkenden ‑ Wechselwirkung beurteilte.
3.2 Nach den in dritter Instanz nicht mehr angreifbaren Feststellungen erfolgt die Verabreichung der Kombination der genannten Medikamente zur Behandlung einer beginnenden Persönlichkeitsentwicklungsstörung und damit aus therapeutischen Gründen, ohne dass eine Ruhigstellung bezweckt ist. Die verabreichten Medikamente wirken in der Affektregulation gegenseitig (positiv) verstärkend. Bei Absetzen eines der Medikamente käme es zu einer Erhöhung des Aggressionspotentials, in welchem Fall eine Unterbringung wegen Selbst‑ oder Fremdgefährdung wahrscheinlich wäre. Die dauernde Medikation mit Depakine, Aleptan und Trittico ist weiterhin notwendig bis zum Wirksamwerden der bereits ergriffenen gelinderen Mittel wie Psycho‑ und Familientherapie. Als Nebenwirkung besteht bloß eine leichte, die Bewegungsfreiheit nicht einschränkende Müdigkeit.
Dass die Vorinstanzen hier eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG durch Verabreichen von Medikamenten verneinten, ist nicht zu beanstanden und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.
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