European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00064.22W.0629.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Dieklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand bis 1. August 2019 ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 2003 (ARB 2003) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Was ist Gegenstand der Versicherung?
Der Versicherer sorgt für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten. […]
[...]
Artikel 6
Welche Leistungen erbringt der Versicherer?
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.
[...]
3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht. […]
[…]
Artikel 9
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]
[...]
2. [...] Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis:
[...]
2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen;
[...]“
Rechtliche Beurteilung
[2] Da der Kläger in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[3] 1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer daher den Versicherungsschutz ablehnen (vgl RS0082253). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (RS0124256 [T1]). Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt daher im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RS0081927). Die Frage, in wessen Vermögen der behauptete Schaden eingetreten und wer daher für die Forderung von Ersatz legitimiert ist, stellt ein wesentliches Kriterium für die (rechtliche) Beurteilung der Erfolgschancen dar (7 Ob 130/10h). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]).
[4] 2. Der Kläger begehrt hier als Leasingnehmer eines Fahrzeugs Versicherungsdeckung für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen dessen Herstellerin wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Ausmaß einer Wertminderung von 30 % des Verkaufspreises (Zahlung) sowie hinsichtlich Spät- und Dauerfolgen (Feststellung). Über Einwand der Beklagten, dem Kläger fehle die Aktivlegitimation für den beabsichtigten Schadenersatzprozess, weil er nicht Eigentümer des Fahrzeugs sei, brachte der Kläger zusammengefasst vor, das Fahrzeug sei geleast worden und das Leasing sei noch aufrecht. Allerdings sei der Leasingvertrag von Anfang an darauf ausgelegt worden, dass das Fahrzeug von ihm angekauft werde. Da er eine Anzahlung geleistet habe und die Sach- und Preisgefahr beim Kläger gelegen sei, sei der Schaden schon im Zeitpunkt des Erwerbs bei ihm eingetreten.
[5] 3. In der Entscheidung 9 Ob 53/20i führte der Oberste Gerichtshof zu einem Klagebegehren, das sich inhaltlich mit dem deckt, für das der Kläger hier Versicherungsdeckung begehrt, Folgendes aus: Ein Schaden aus dem Leasingvertrag, etwa aus überhöhten Leasingraten, wird nicht geltend gemacht. Inwieweit es aufgrund des Leasingvertrags zu einer Schadensverlagerung gekommen ist, also ein Mangel des Fahrzeugs, der typischerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt, im besonderen Fall durch ein Rechtsverhältnis auf einen Dritten überwälzt wird, hängt von der konkreten Vertragsgestaltung ab und lässt sich ohne Kenntnis des Inhalts des Leasingvertrags nicht beurteilen, weshalb sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die von einer Unschlüssigkeit des Klagebegehrens ausgegangen sind, im gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum hält.
[6] 4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, ausgehend von dem vom Kläger behaupteten Anspruch bestehe im Hinblick auf die Entscheidung 9 Ob 53/20i keine Aussicht auf Erfolg im Sinn der anzuwendenden ARB, ist nicht korrekturbedürftig, behauptet der Kläger im Deckungsprozess doch keine konkreten Tatsachen zum Inhalt des Leasingvertrags, aus denen sich schlüssig ableiten ließe, warum er als Leasingnehmer zur Geltendmachung des behaupteten Schadenersatzanspruchs gegen die Herstellerin des Fahrzeugs aktivlegitimiert ist. Sein Vorbringen, es sei von Anfang an klar gewesen, dass das Fahrzeug nach Erreichen der Kalkulationsdauer vom Kläger angekauft werde, der auch die Preisgefahr und die Sachgefahr bei Beschädigung und Untergang der Sache getragen habe, reicht nicht aus, um schlüssig darzulegen, warum es aufgrund des Leasingvertrags zu einer Schadensverlagerung betreffend den hier behaupteten Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Fahrzeugherstellerin gekommen ist. Soweit der Kläger in seinem weiteren Vorbringen offenbar den Zeitpunkt des Erwerbs mit dem Beginn des Leasingvertrags gleichsetzen will, übersieht er, dass er nach seinen eigenen Behauptungen zu diesem Zeitpunkt nicht gekauft hat und Eigentümer geworden ist. Wenn er in der Revision meint, im Haftpflichtprozess sei ohnehin die Frage der Schlüssigkeit seines Vorbringens zu überprüfen, weshalb dieser Umstand nicht vorweggenommen werden dürfe, so übersieht er, dass nach der Judikatur lediglich die Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt. Sehr wohl hat der Kläger aber zur Beurteilung der Erfolgsaussichten im Deckungsprozess den Haftpflichtanspruch schlüssig darzulegen, was ihm aufgrund der nicht korrekturbedürftigen Erwägungen der Vorinstanzen jedoch nicht gelungen ist.
[7] 5. Damit muss auf die weiteren Einwände der Beklagten nicht mehr eingegangen werden.
[8] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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