European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128436
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat mit der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. In der Versicherungspolizze sind (ua) folgende Versicherungsleistungen vereinbart:
„…
‑ Heilkosten, Pflegekosten und psychologische Betreuung bis Maximalleistung EUR 4.000
kosmetische Operation en bis Maximalleistung EUR 20.000
...“
Dem Unfallversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für den Premium‑Unfallschutz (AUVB 2012) in der Fassung 7/2013 (in Folge AUVB) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„Art 15
Unfallassist ance und Unfallkosten
…
A) Bergung und Transport
….
B) Heilbehandlung, Pflege und Hilfsdienste
7. Heilbehandlungen zur Behebung der Unfallfolgen, die nach ärztlicher Verordnung notwendig sind:
…
8. Kosmetische Operationen zur Behebung der Unfallfolgen: Kostenersatz bis zur 5 -fachen Versicherungssumme
…
C) R EHAB‑Management nach Unfall
…
D) 24 h‑Nofall-Management
…
Bitte beachten Sie!
…
Voraussetzungen für den Kostenersatz
Wir ersetzen nachgewiesene Unfallkosten, die innerhalb von 2 Jahren (bei versicherten Personen bis zum vollendeten 15. Lebensjahr innerhalb von 5 Jahren) vom Unfallstag an gerechnet entstehen.
...“
Die Klägerin erlitt am 18. 8. 2015 einen Unfall. Als Folge dieses Unfalls unterzog sie sich am 26. 8. 2015 und 19. 5. 2016 Operationen.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, die Beklagte habe ihr aufgrund und im Umfang des abgeschlossenen Versicherungsvertrags für die Folgeoperation „tertiäre Rinoplastik + sekundäre Lippenkorrektur OP 4,5“ im Zusammenhang mit dem Schadensfall vom 18. 8. 2015 Deckungsschutz zu gewähren. Der Unfall vom 18. 8. 2015 sei von der Beklagten dem Grunde nach als Schadenfall anerkannt. Die Klägerin habe sich in der Folge am 26. 8. 2015 und am 19. 5. 2016 medizinisch notwendigen operativen Eingriffen im Bereich des Gesichts unterziehen müssen. Sodann sei die aus dem Klagebegehren ersichtliche Folgeoperation (mit voraussichtlichen Kosten von 10.533,89 EUR) erforderlich geworden. Diese Operation habe aus medizinischen Gründen nicht innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall durchgeführt werden können, weil zum einen die Nachwirkungen der Voroperationen abklingen hätten müssen, und sich die Klägerin zum anderen im Frühjahr 2017 einer Hormontherapie unterzogen habe, die zu einer im Dezember 2017 begonnenen Schwangerschaft geführt habe. Das Kind sei im Jahr 2018 zur Welt gekommen und bis Oktober 2018 gestillt worden. Die Bestimmung des Art 15 AUVB sei einerseits unklar und zum anderen für Frauen im allgemeinen und die Klägerin im speziellen gröblich benachteiligend, weil bei einem Mann die Durchführung der Operation innerhalb von zwei Jahren möglich gewesen wäre. Gemäß § 1c VersVG dürfe das Geschlecht nicht zu unterschiedlichen Leistungen für Frauen und Männer führen. Die Beklagte könne sich daher gemäß § 15a VersVG nicht auf Art 15 AUVB berufen.
Die Beklagte bestreitet. Nach Art 15 AUVB seien nachgewiesene Unfallkosten, die innerhalb von zwei Jahren vom Unfalltag an gerechnet entstanden seien, zu ersetzen. Die Kosten einer Operation hätten daher spätestens per 18. 8. 2017 entstanden und auch nachgewiesen sein müssen. Eine gröbliche Benachteiligung sei nicht ersichtlich, es liege ein Vertrag im Rahmen einer privaten Unfallversicherung vor, der zu bestimmten Bedingungen und mit einem bestimmten Leistungskatalog vereinbart sei und für Männer und Frauen gleichermaßen gelte. Im Übrigen sei der Klägerin der laut Versicherungsvertrag zustehende Maximalbetrag an Heilkosten bereits überwiesen worden, sodass auch aus diesem Grund jegliche weitere Forderung unberechtigt sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die im vorliegenden Fall relevante Bestimmung des Art 15 AUVB sei, ohne Raum für Zweifelsfragen offen zu lassen, eindeutig so formuliert, dass Kosten nur dann zu ersetzen seien, wenn sie innerhalb von zwei Jahren ab Unfallstag entstanden seien. In Bezug auf die Ursachen werde nicht differenziert. Gemäß § 1c VersVG dürfe der Faktor Geschlecht nicht zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer führen. Dies sei bei der hier zu beurteilenden Bestimmung auch nicht der Fall.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Regelungsinhalt des § 1c VersVG sei die Gewährung von Unisex‑Tarifen im Versicherungsrecht. Die Verwendung anderer Risikofaktoren, die eine geschlechtsspezifische Komponente haben könnten, bleibe möglich, solange sie echte und eigenständige Risikofaktoren darstellen würden; insoweit sei eine mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt. Die hier gegenständliche Bestimmung, falle nicht in den von § 1c VersVG erfassten Bereich. Der Wortlaut der gegenständlichen Formulierung sei auch nicht unklar. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeute das Entstehen von Kosten deren tatsächlichen Anfall; für die von der Klägerin vertretene Auslegung dahin, dass innerhalb von zwei Jahren die Kosten nicht tatsächlich angefallen, sondern bloß „notwendig geworden“ sein müssten – in dem Sinn, dass die Notwendigkeit einer Operation eingetreten sei, deren Durchführung (später) Kosten entstehen lassen werde –, biete der Wortlaut der genannten Bestimmung keinen Anhaltspunkt.
Das Berufungsgericht ließ über Antrag der Klägerin die Revision nachträglich zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob für Frauen eine in der privaten Unfallversicherung auf zwei Jahre beschränkte Leistungsfrist wegen Schwangerschaft und Mutterschaft mittelbar diskriminierend sein könne und ob eine derartige Frist im Sinn der §§ 1c, 15a VersVG gegebenenfalls aufgrund der Wertungen des Gleichbehandlungsgesetzes unangewendet zu bleiben haben.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Eine private Unfallversicherung im Sinn der §§ 179 ff VersVG dient der Abdeckung bestimmter Folgen eines Unfalls, insbesondere auch der einer eingetretenen dauernden Invalidität. Die Invaliditätsentschädigung wird je nach dem Grad der zurückgebliebenen Dauerfolgen nach einer sogenannten „Gliedertaxe“ bemessen. Es handelt sich dabei um eine Summenversicherung, weil die Leistung unabhängig von dem Nachweis eines konkreten Vermögensnachteils in voller Höhe gebührt (7 Ob 19/10k; Perner in Fenyves/Schauer, VersVG § 179 Rz 3). Mit Blick auf die Unfallkosten handelt es sich jedoch um eine Schadensversicherung (7 Ob 168/03m), weil der Versicherer die tatsächlich angefallenen Kosten ersetzt (4 Ob 2107/96y; Perner aaO Rz 4, 41; Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 505).
2.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§ 914 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
2.2 Nach Art 15 AUVB besteht hinsichtlich des Ersatzes von Unfallkosten eine zeitliche Begrenzung. Ersetzt werden nur nachgewiesene Kosten, die innerhalb von zwei Jahren ab dem Unfalltag entstehen.
2.3 Diese zeitliche Begrenzung stellt eine Ausschlussfrist dar. Mit einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme (RS0080068, RS0080166, RS0034591). Wird eine Ausschlussfrist versäumt, so erlischt der Entschädigungsanspruch (RS0082292). Dieser Rechtsverlust tritt grundsätzlich auch dann ein, wenn die Geltendmachung des Rechts während der Laufzeit unverschuldet unterblieben ist. Der Zweck von Ausschlussfristen in Versicherungsbedingungen liegt in der Herstellung von möglichst rascher Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, also darin, den (verspätet) in Anspruch genommenen Versicherer vor Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs zu schützen (vgl RS0082216) und eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeizuführen. Es soll damit eine Ab- und Ausgrenzung schwer aufklärbarer und unüberschaubarer (Spät-)Schäden bewirkt werden (7 Ob 22/10a).
2.4 Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer versteht unter „Entstehen von Kosten“ das Entstehen einer Zahlungsverbindlichkeit. Diesen Zeitpunkt wird er dabei in der Regel mit der Erbringung der– vertraglich vereinbarten – Leistung an ihn gleichsetzen, da damit auch für ihn feststeht, dass er, wenn auch allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt, die dafür vereinbarte Gegenleistung (Zahlung) erbringen muss. Auf den Zeitpunkt des Erkennens oder der Erkennbarkeit der Notwendigkeit der Leistung kommt es dabei aber ebensowenig an wie auf die Fälligstellung der Gegenleistung oder deren Erbringung (Bezahlung) durch ihn. Insoweit ist die Bestimmung auch nicht unklar. Nach ihrem Wortlaut ist aber der Nachweis des Entstehens der Kosten nicht innerhalb der genannten Frist zu führen; bezieht sich doch die Zweijahresfrist ausschließlich auf das Entstehen der Kosten und nicht auf deren Nachweis.
2.5 Damit sind der Klägerin, die die Operation noch nicht hat durchführen lassen, iSd Art 15 AUVB bisher keine Unfallkosten entstanden.
3.1 Nach § 1c VersVG darf der Faktor Geschlecht – vorbehaltlich des § 93 Abs 7 VAG – nicht zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer führen. § 1c VersVG – wie auch § 91 Abs 2 VAG (vormals § 9 Abs 2 VAG idF BGBl I Nr 34/2015) – setzen die durch den EuGH (EuGH 1. 3. 2011 Rs C‑236/09 , Test-Achats) modifizierte Richtlinie 2004/113/EG („Unisex‑Richtlinie“) um. Danach darf der Versicherer bei Verträgen, die seit 21. 12. 2012 abgeschlossen wurden, keine verschiedenen Prämien und Leistungen für Männer und Frauen vereinbaren (Perner aaO § 1c VersVG Rz 4, 6, 8).
3.2 Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung wurde für Sachverhalte außerhalb der Arbeitswelt in den §§ 30 ff GlBG umgesetzt. Die Bestimmungen des GlBG wurden nach § 30 Abs 4 GlBG durch das VersVG und das VAG verdrängt, soweit diese besondere Regelungen enthielten. Dies war ursprünglich als Verweis auf die Ausnahmebestimmung (§ 9 Abs 2 bis 4 VAG vor dem VersRÄG 2013) gedacht, wonach noch Geschlechtertarife zulässig waren. Nunmehr sind sie nicht mehr zulässig, insofern existieren keine besonderen Vorschriften im VersVG und VAG mehr. Damit ist der Weg für eine Anwendung der Vorschriften des GlBG möglich, die die mittelbare Diskriminierung regeln (Perner aaO Rz 16).
3.3 Nach § 32 Abs 2 GlBG liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen oder erforderlich.
3.4 Die Klägerin argumentiert, die in Art 15 AUVB enthaltene Zweijahresfrist schließe sie von der Inanspruchnahme einer Leistung aus der privaten Unfallversicherung aus, weil sie aufgrund ihrer Schwangerschaft und nachfolgenden Mutterschaft an der fristgerechten Durchführung der (kosmetischen) Operation gehindert gewesen sei. Dieser Umstand führe für die Klägerin im Vergleich zu Männern zu einem „weniger“ an Versicherungsleistungen, was eine mittelbare Diskriminierung der Klägerin aufgrund ihres Geschlechts bei der Leistungserbringung darstelle.
3.5 Eine mittelbare Diskriminierung setzt voraus, dass die neutral formulierte Regelung des Art 15 AUVB eine Person gegenüber Personen des anderen Geschlechts in besonderer Weise benachteiligen kann. Die Bestimmung begrenzt objektiv den Versicherungsschutz im Zusammenhang mit einer Vielzahl von verschiedenen Unfallkosten generell auf zwei Jahre. Die zeitliche Begrenzung gilt unabhängig vom konkreten Grund der Nichtvornahme einer Behandlung innerhalb dieses Zeitraums. Die Ursachen für das Unterbleiben – hier – einer Behandlung innerhalb der Frist können vielfältig sein. Dabei kann sich eine Vielzahl dieser Gründe unabhängig von Alter, der psychischen oder physischen Disposition oder desGeschlechts des Versicherungsnehmers verwirklichen. Schwangerschaft/Geburt eines Kindes ist letztlich nur einer von vielen möglichen Gründen für das Verschieben einer medizinischen Behandlung. Trotz Bestreitung der geltend gemachten geschlechtsspezifischen Diskriminierung durch die Beklagte hat die Klägerin den eben angeführten Umständen entgegenstehende Aspekte, aus denen sich ergeben könnte, dass wesentlich mehr Frauen als Männer an einer Behandlung innerhalb der gegenständlichen Ausschlussfrist gehindert seien, weder vorgetragen noch nachgewiesen.
3.6 Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus hervorzuheben, dass die Klägerin innerhalb der Zweijahresfrist auch weder schwanger war, noch ein Kind bekam. Nach ihrem Vorbringen unterzog sie sich nach dem Unfall vom 18. 8. 2015 am 26. 8. 2015 und am 19. 5. 2016 Operationen. Im Frühjahr 2017 begann sie mit einer Hormontherapie, im Dezember 2017 – außerhalb der Zweijahresfrist – begann die Schwangerschaft. Das Unterbleiben der Operation beruhte damit auf der bewussten Entscheidung der Klägerin, sich nicht der – an sich geplanten – (kosmetischen) Operation zu unterziehen, sondern eine Hormontherapie zu beginnen, um erst eine Schwangerschaft zu erreichen.
4. Die Vorinstanzen haben damit zutreffend die Leistungspflicht der Beklagten verneint. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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