Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 70.639,80 (darin enthalten S 9.498,30 USt und S 14.050,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hatte seinen PKW Ferrari bei der beklagten Partei kaskoversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die AFIB und die KKB 1993 zugrunde.
Am 7. 9. 1996 prallte der Kläger mit seinem PKW gegen 21,30 Uhr in W***** gegen die Hausmauer des Hauses Dorfstraße 15 und in der Folge gegen eine Straßenlaterne. Hiedurch wurde der PKW stark beschädigt. Die beklagte Partei lehnte mit Schreiben vom 3. 12. 1996 eine Versicherungsleistung ab. Auch die Schadenshöhe ist strittig.
Mit seiner am 26. 5. 1997 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß die beklagte Partei zur Bezahlung des Schadens im Rahmen der abgeschlossenen Kaskoversicherung verpflichtet sei. Gemäß Art 7 der KKB 1993 entscheide im Fall von Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens ein Sachverständigenausschuß. Solange die beklagte Partei die Ansprüche der Höhe nach nicht außer Streit gestellt habe, sei dem Kläger die Leistungsklage verwehrt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Obwohl beim Unfall öffentliches Gut, nämlich eine Straßenlaterne, stark beschädigt worden sei, habe der Kläger den Unfall nicht beim örtlichen Gendarmerieposten gemeldet, sondern habe sich von der Unfallstelle entfernt. Er habe die Kennzeichentafeln abmontiert und in das Auto gelegt. Der Gendarmerieposten W***** sei von dritter Seite vom Unfall informiert worden. Die einschreitenden Gendarmeriebeamten hätten den Kläger weder an der Unfallstelle noch an seiner Wohnadresse angetroffen. Der Kläger habe erst um 1 Uhr bei der Gendarmerie angerufen, sei aber nicht bereit gewesen, persönlich am Gendarmerieposten W***** zu erscheinen. Er habe daher gegen § 4 Abs 1 lit b und c sowie § 4 Abs 5 StVO verstoßen. Wegen letzterer Übertretung sei er auch von der Verwaltungsbehörde zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Durch dieses Verhalten habe der Kläger die Obliegenheit gemäß Art 5.3.1 der AFIB verletzt, sodaß die beklagte Partei gemäß § 6 Abs 3 VersVG leistungsfrei sei. Der Kläger habe vorsätzlich gehandelt. Die Obliegenheitsverletzung habe Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles gehabt. Der Kläger habe ganz offensichtlich irgendeinen dringenden Grund gehabt - was es auch immer gewesen sein möge, könne dahingestellt bleiben - , den tatsächlichen Sachverhalt zu verschleiern und an der lückenlosen Unfallrekonstruktion mitzuwirken. Der Kläger habe auch die Verständigung der beklagten Partei über die Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens unterlassen, sodaß der Kläger weiters gegen die Obliegenheit des Art 5.3.2 AFIB verstoßen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Kläger hatte vor dem Unfall keine alkoholischen Getränke konsumiert. Er war auch nicht durch andere Umstände körperlich beeinträchtigt. Auf Höhe des Hauses Dorfstraße 15 bemerkte er einen unbeleuchteten, auf der Fahrbahnseite des Klägers in entgegenkommender Richtung auf dem Gehsteig fahrenden Radfahrer. Dieser übersetzte unmittelbar vor dem Kläger die Fahrbahn. Um eine Kollision mit dem Radfahrer zu vermeiden, wich der Kläger nach rechts aus und kollidierte dabei rechtsseitig mit der dort befindlichen Bordsteinkante, wodurch der PKW unlenkbar wurde und zuerst gegen die Hausmauer des Hauses Dorfstraße 15 und in der Folge gegen eine Straßenlaterne stieß. Der Kläger stellte sein Fahrzeug in einer etwa 50 bis 80 m von der Unfallstelle entfernten Grundstückseinfahrt ab. Der Kläger und sein Beifahrer Martin B***** hielten sich noch eine Weile im Bereich der Unfallstelle auf. Den Radfahrer fanden sie nicht mehr. Schließlich begaben sie sich in das Gastlokal "S*****" und beratschlagten dort die weitere Vorgangsweise. Inzwischen hatten Anrainer die Gendarmerie verständigt. Die Gendarmeriebeamten kamen zum Unfallsort, fertigten Lichtbilder an und erhoben den Zulassungsbesitzer sowie die Zulassungsadresse, die sie anschließend aufsuchten. Die Mutter des Klägers teilte den Beamten mit, daß ihr Sohn nicht zuhause sei.
Der Kläger und Martin B***** kamen nach ihrem Aufenthalt im "S*****" zu Fuß wieder zur Unfallsstelle zurück. Schon nach dem Unfall hat der Kläger die heruntergefallene vordere Nummerntafel und die von ihm abmontierte, in einer Wechselkennzeichenvorrichtung steckende hintere Kennzeichentafel auf die Heckablage des Ferrari gelegt. Nun überprüfte er, ob der PKW abgesperrt ist und aktivierte die Alarmanlage. Dann fuhren der Kläger und Martin B***** mit einem Taxi zur Wohnung des Martin B*****. Von dort brachte dieser den Kläger mit seinem PKW nachhause. Die Mutter des Klägers hatte dem Kläger einen Zettel hingelegt, daß er beim Gendarmerieposten W***** anrufen solle. Dies tat der Kläger um ca 1 Uhr. Am Vormittag des 8. 9. 1996 begaben sich der Kläger und Martin B***** zum Gendarmerieposten W*****. Weiters schleppten sie den PKW ab. Nicht festgestellt werden kann, daß sich der Kläger geweigert hätte, noch in der Nacht zum Gendarmerieposten W***** zu kommen.
Der Kläger meldete den Unfall der beklagten Partei. Der Schadensreferent erhielt auch Kenntnis vom Verwaltungsstrafverfahren gegen den Kläger und nahm Akteneinsicht. Eine konkrete Mitteilung vom Verwaltungsstrafverfahren an die beklagte Partei ist nicht erfolgt. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 21. 10. 1996 wurde der Kläger rechtskräftig zur Zahlung einer Geldstrafe von S 4.000 wegen Verletzung des § 4 Abs 5 StVO verurteilt. Es wurde ihm zur Last gelegt, es als Lenker unterlassen zu haben, die nächste Sicherheitsdienststelle vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Feststellungsklage zulässig sei, weil die Schadenshöhe strittig sei und noch keine Entscheidung des gemäß Art 7 KKB hiezu berufenen Sachverständigenausschusses vorliege. Die Unterlassung der Unfallmeldung nach § 4 Abs 5 StVO stelle für sich allein noch keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 5.3.1 AFIB dar. Im vorliegenden Fall bestehe weder ein Verdacht noch ein Anhaltspunkt für eine Alkoholisierung oder eine andere Beeinträchtigung des Klägers. Sein Entfernen vom Unfallsort habe sich auch nicht nachteilig auf die Aufklärung des Unfalles ausgewirkt. Auf eine Obliegenheitsverletzung im Sinn des Art 5.3.2 AFIB habe sich die beklagte Partei in ihrem Ablehnungsschreiben gar nicht berufen. Der Umstand, daß der beklagten Partei keine konkrete Mitteilung über das Verwaltungsstrafverfahren gemacht worden sei, habe nicht den geringsten Einfluß auf die Möglichkeit gehabt, den Sachverhalt festzustellen. Es ergäben sich keinerlei Hinweise auf eine Schädigungs- oder eine Verschleierungsabsicht des Klägers.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinn einer Klagsabweisung ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht erachtete die in der Berufung angeführte Mängelrüge für nicht berechtigt. Auf die umfangreiche Beweisrüge ging es nicht ein. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, daß das Klagebegehren jedenfalls abzuweisen sei, weil der Kläger gegen seine Aufklärungsobliegenheit verstoßen habe und damit vorliegende Verdachtsmomente in Richtung Alkoholisierung oder einer anderen Beeinträchtigung nicht überprüft hätten werden können. Da nicht nur das Fahrzeug des Klägers, sondern auch eine Hausmauer und eine Straßenlaterne beschädigt worden seien, hätte der Kläger in Entsprechung der Obliegenheit nach Art 5 AFIB in Verbindung mit § 4 Abs 5 StVO eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige erstatten müssen. Schon der Umstand, daß der Kläger die Unfallmeldung hinausgeschoben habe, bis die Gendarmerie bereits in seiner Wohnung nach ihm gefragt habe, stelle einen Verdachtsmoment dahin dar, daß die Verständigung der Gendarmerie deshalb unterblieben sei, um eine Überprüfung des Klägers auf Alkohol oder sonstige Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit zu unterbinden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung im vorliegenden Fall keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.
Die Revision des Klägers ist jedoch zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß Art 5.3.1 AFIB hat der Versicherungsnehmer nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Nach Art 5.3.2 hat er dem Versicherer innerhalb einer Woche den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes sowie die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen.
Die AFIB 1996 weisen insoweit einen identen Wortlaut auf.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates zu dieser Bestimmung und der insoweit gleichlautenden Bestimmung des § 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988, (nunmehr Art 9 Z 3.4) bzw den entsprechenden Vorgängerbestimmungen ist die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht nach diesen Bestimmungen gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung dadurch, daß ein Beweismittel infolge der unterlassenen Anzeige objektiv unbenützbar bzw beseitigt wird, im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels infolge Unterlassung bzw Verspätung der Anzeige muß vom Versicherer behauptet und bewiesen werden (SZ 51/180; SZ 64/105 = ZVR 1992/11 ua, zuletzt etwa 7 Ob 43/95, 7 Ob 2068/96k; 7 Ob 294/97d).
Der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung SZ 53/55 lag ein Regreßanspruch nach § 158 f VersVG wegen Verletzung der Obliegenheit der sofortigen Unfallsmeldung bei Vorliegen eines Personenschadens zugrunde. Der dort behandelte Fall ist mit dem hier vorliegenden Fall nicht vergleichbar, weil die AKHB ausdrücklich die Verpflichtung vorsehen, bei eingetretenen Personenschäden die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen (§ 8 Abs 2 Z 4 AKHB 1988, nunmehr Art 9 Z 3.2). Diese konkrete Anordnung, die in den AFIB nicht enthalten ist, ist aber auch in den AKHB auf Unfälle mit Personenschäden begrenzt (SZ 53/56).
Die beklagte Partei hat zwar den Verdacht ausgesprochen, daß der Kläger für seine Entfernung von der Unfallstelle und die ihrer Ansicht nach verspätete Unfallmeldung bei der Gendarmerie "offensichtlich irgendeinen dringenden Grund" gehabt habe, woraus der Vorwurf entnommen werden kann, der Kläger habe seine Fahruntüchtigkeit verbergen wollen. Es wurde aber weder ein konkreter Verdacht in Richtung einer Alkoholisierung noch ein sonstiger, eine Fahruntüchtigkeit bewirkender Umstand geltend gemacht. Das Unfallgeschehen selbst legt den Verdacht der Alkoholisierung auch dann nicht nahe, wenn der Kläger nicht durch einen Radfahrer zum Auslenken gezwungen worden wäre, wie die beklagte Partei nach wie vor behauptet. Ein Abkommen von der nach der Gendarmerieanzeige regennassen Fahrbahn bei Dunkelheit ist ein durchaus häufiges Unfallgeschehen, das für sich allein keinen Schluß auf die Fahruntüchtigkeit des Lenkers zuläßt, sondern auch viele andere Gründe haben kann. Da auch nicht feststeht, ob das Fahrzeug des Beklagten nach dem Unfall überhaupt noch fahrtüchtig war (nach den erstgerichtlichen Feststellungen mußte es am nächsten Tag abgeschleppt werden), indiziert auch der Umstand, daß der Kläger den PKW in der Nähe des Unfallortes stehen ließ und seinen Heimweg mit einem Taxi fortsetzte, nicht, daß der Kläger unter Alkoholeinfluß stand. Ein konkreter Verdacht in Richtung einer Alkoholisierung wäre etwa dann gegeben, wenn der Versicherte einen Unfall nach einem Gasthausbesuch mit Alkoholkonsum auf eine Weise verschuldete, bei der mangelnde Fahrtüchtigkeit naheliegt (SZ 64/105 mwN), wenn der Versicherte nach dem Unfall eine entsprechende Anzeigeerstattung unterläßt und unmittelbar nach dem Unfall Alkohol zu sich nimmt (7 Ob 43/95) oder wenn er nach einer Betriebsfeier einen Unfall verschuldet und Fahrerflucht begeht (ZVR 1985/94).
Ungeachtet dessen, daß vor allem auch die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Kläger nicht alkoholisiert gewesen sei, von der beklagten Partei bekämpft wurde, hat die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz in keiner Weise konkrete Behauptungen über solche Umstände aufgestellt, die im aufgezeigten Sinn den Verdacht einer Alkoholisierung nahelegten. Die beklagte Partei verweist zwar in ihrer Berufung auf die Aussage des Zeugen S***** (den Sachbearbeiter bei der beklagten Partei) und meint, daß sich hieraus ein konkreter Verdacht in Richtung Alkoholisierung oder Rauschgiftbeeinträchtigung ableiten ließe. Die beklagte Partei räumt aber selbst ein, daß auch dieser Zeuge keinen konkreten Hinweis anbieten habe können, "da sich der Kläger infolge Unterlassung der Anzeige einer Kontrollmöglichkeit in diese Richtung in vorwerfbarer Weise entzogen hat". Damit wirft sie dem Kläger letztlich aber wiederum nur die Unterlassung der sofortigen Anzeige vor, ohne konkrete Umstände anzuführen, die für eine Alkoholisierung sprechen. Eine Auflistung solcher Umstände erstmals im Rechtsmittelverfahren wäre im übrigen ohnehin vom Neuerungsverbot umfaßt.
Da sich somit nicht einmal aus dem Vorbringen der hiefür behauptungspflichtigen beklagten Partei eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 5.3.1 AFIB ableiten läßt, stellt sich die Frage des Verschuldensgrades des Klägers und der Verschleierungsabsicht im Sinn des § 12 Abs 3 VersVG idF der Novelle 1995 nicht. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis hinsichtlich der ihm ebenfalls vorgeworfenen Obliegenheitsverletzung nach Art 5.3.2 AFIB erbracht hat, wurde schon in der Berufung der beklagten Partei nicht mehr bekämpft. Zutreffend hat das Erstgericht weiters auch ausgeführt, daß dem Kläger die Einbringung einer Leistungsklage verwehrt war, weil gemäß Art 7 KKB in diesem Fall ein Sachverständigenverfahren vorgesehen ist (JBl 1964, 519 ua).
Es war daher in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes das stattgebende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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