OGH 7Ob43/95

OGH7Ob43/9510.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas Michael W*****, vertreten durch Dr.Gerhard Strobich, Rechtsanwalt in Trofaiach, wider die beklagte Partei W***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Eisenberger ua Rechtsanwälte in Graz, wegen S 78.685,80 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 4.September 1995, GZ 4 R 208/95-12, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 1.Februar 1995, GZ 4 C 2753/94b-6, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger stieß am 29.4.1994 gegen 22,30 Uhr mit dem von ihm gelenkten und von ihm geleasten PKW auf der Bundesstraße 115 im Bereich des Straßenkilometers 136,6 im Ortsgebiet von H***** einen Rehbock nieder. Das vom Kläger gelenkte Fahrzeug war bei der beklagten Partei aufgrund der AFIB 1993 und der EKKB 1993 kaskoversichert. Die Leasinggeberin, die V***** Leasing reg.Gen.mbH zedierte ihre Ansprüche aus dem Kaskoversicherungsvertrag dem Kläger.

Über diesen unstrittigen Sachverhalt hinaus stellte das Erstgericht noch fest, daß der Kläger nach dem Unfall nach Vordernberg weiterfuhr, bei dem dortigen Gendarmerieposten aber keine Anzeige darüber erstattete, sondern in ein nahegelegenes Gasthaus ging und dort alkoholische Getränke konsumierte. Er meldete den Unfall erst über eine entsprechende Anfrage der Gendarmerie Vordernberg am 3.5.1994. Der Gendarmerieposten Vordernberg war am 29.4.1994 ab 19 Uhr nicht mehr besetzt; an seinem Eingang befand sich jedoch ein Hinweisschild, daß (im Bedarfsfall) die Telefonnummer 133 anzurufen sei. Unter dieser Nummer hätte sich der Gendarmerieposten St.Michael ob Leoben gemeldet, der dann alles weitere für eine Anzeigeerstattung veranlaßt hätte. Ein öffentlicher Fernsprecher befand sich ca. 150 m vom Gendarmerieposten Vordernberg entfernt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bezahlung des (der Höhe nach nicht strittigen) Betrages von S 78.685,80 sA. Er brachte vor, die Beklagte werfe ihm zu Unrecht eine Obliegenheitsverletzung vor. Mangels eines Hinweises auf dem versperrten Gendarmerieposten sei ihm die Verständigung einer benachbarten Behörde nicht möglich gewesen. Es habe in der Nähe auch kein Telefon gegeben.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, der Kläger habe vorsätzlich gegen die ihn treffende Obliegenheit, den nächsten Gendarmerieposten vom Unfall zu verständigen, verstoßen, weil er im Unfallszeitpunkt erheblich alkoholisiert gewesen sei. Sollte der Gendarmerieposten in Vordernberg tatsächlich zur Nachtzeit am Unfallstag nicht besetzt gewesen sein, hätte der Kläger aufgrund des Hinweisschildes den nächstgelegenen Gendarmerieposten anzurufen gehabt. Der Kläger habe nur seine Alkoholisierung verschleiern wollen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da der Kläger den Gendarmerieposten Vordernberg gar nicht aufgesucht, sondern sich sogleich in ein Gasthaus begeben habe, um alkoholische Getränke zu konsumieren, liege eine vorsätzliche oder zumindest grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung vor, die die beklagte Partei leistungsfrei mache.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit dem angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neuerliche Entscheidung auf. Da das Erstgericht die Feststellung, wonach der Kläger den Gendarmerieposten Vordernberg nach dem Unfall gar nicht aufgesucht habe, nur aufgrund der telefonischen Auskunft eines Gendarmeriebeamten und aufgrund von Urkunden getroffen habe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Dem Verfahrensmangel komme auch rechtliche Bedeutung zu. Das Geschehen sei nach § 6 Abs.3 VersVG idF vor der Vers-VG-Novelle BGBl 1994/509 zu beurteilen, weil der Unfall vor dem Inkrafttreten der geänderten Fassung dieser Bestimmung geschehen sei. Danach habe nur eine leicht fahrlässig begangene Verletzung einer in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalles keinen Einfluß auf die Leistungsfreiheit des Versicherers. Zur Abwehr eines Deckungsanspruches habe der Kaskoversicherer nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung dieser Art nachzuweisen; dem Versicherten obliege es dann, zu beweisen, daß er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt, bzw, daß die grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheitsverpflichtung keinen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung gehabt habe. Eine Obliegenheitsverletzung im objektiven Sinn ergebe sich schon aus dem Zugeständnis des Klägers, nach dem vergeblichen Versuch, den Unfall noch in der Nacht beim Gendarmerieposten Vordernberg zu melden, Alkohol zu sich genommen und den Unfall erst am nächsten Tag in den Morgenstunden gemeldet zu haben. Daraus könne aber noch kein Schluß auf einen Vorsatz oder zumindestens ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers gezogen werden. Für die vorsätzliche Begehung reiche im allgemeinen schon aus, daß der Versicherungsnehmer im Bewußtsein, an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken zu müssen, sich gegensätzlich verhalte. Verstöße gegen die Vorschriften des § 4 Abs.1 lit.c und § 4 Abs.5 StVO würden im allgemeinen vorsätzlich begangen, es sei denn, es ergäbe sich Gegenteiliges aus besonderen, vom Versicherungsnehmer zu behauptenden und beweisenden Umständen. Erschwerend sei der vom Kläger zugestandene Nachtrunk, sohin eine Verhaltensweise, die gemeiniglich auf eine Verschleierungsabsicht und sohin auf eine vorsätzlice Obliegenheitsverletzung hinweise. Art.5.2.2 der EKKB fordere die "unverzügliche" Meldung eines Unfalles mit Tieren, es genüge nicht, nur versucht zu haben, den Unfall anzuzeigen. Wesentlich sei die tatsächliche Anzeige. Unter "nächste" Gendarmeriedienststelle sei immer die nächstbesetzte und erreichbare zu verstehen. Der Kläger hätte daher von sich aus den nächstbesetzten Gendarmerieposten anrufen müssen. Dem klägerischen Vorbringen sei aber nicht zu entnehmen, von welchen Überlegungen der Kläger sich nach Feststellung, daß der Gendarmerieposten Vordernberg unbesetzt war, zu seiner weiteren Vorgangsweise subjektiv habe leiten lassen und weshalb er in dieser Situation subjektiv der Meinung habe sein dürfen, seiner Obliegenheit entsprochen zu haben. Im fortgesetzten Verfahren sei daher der Kläger zu einer Ergänzung seiner Behauptungen anzuleiten. Im übrigen habe das Erstgericht die von beiden Streitteilen angebotenen Beweise über den Geschehensablauf aufzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Beklagten gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

Art.5.3 der AFIB 1993 lautet (auszugsweise):

"Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs.3 VersVG 1958) werden bestimmt,

3.1 nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen;

3.2 dem Versicherer innerhalb einer Woche ... die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen".

Art.5 der EKKB 1993 lautet (auszugsweise):

"Obliegenheiten

1. Es gelten die allgemeinen Obliegenheiten des Art.5 AFIB 1993.

2. Darüber hinaus werden als Obliegenheiten im Sinne des § 6 Abs.3 VersVG bestimmt,

...

2.2 daß ein Schaden, der durch ... Berührung mit Tieren ... entsteht, vom Versicherungsnehmer oder Lenker bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle unverzüglich anzuzeigen ist."

Der Versicherer muß nur die objektive Verletzung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer, dieser, nachdem diese bewiesen worden ist - mangelndes Verschulden (oder einen geringeren Schuldgrad als grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) sowie mangelnde Kausalität beweisen (VR 1992, 23; VR 1990, 346 ua). Nach § 6 Abs.3 VersVG in der Fassung des BGBl 1994/509 wird dem Versicherungsnehmer der Kausalitätsgegenbeweis auch bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung eröffnet und ist nur dann ausgeschlossen, wenn er die Obliegenheit mit Schädigungs- oder Verschleierungsvorsatz verletzt, also mit dem Vorsatz, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (vgl. Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 258 ff). Im vorliegenden Fall aber ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, die Bestimmung des § 6 Abs 3 VersVG in der Fassung vor der VersVG-Novelle BGBl 1994/509 anzuwenden, weil sich der Schadensfall vor dem Inkrafttreten der geänderten Fassung, das ist der 1.1.1995, ereignet hat (§ 191b VersVG). Zwar ist der erkennende Senat in einigen Entscheidungen ohne weitere Begründung offensichtlich von der Ansicht ausgegangen, § 6 Abs 3 VersVG in der seit 1.1.1995 geltenden Fassung sei auch auf Schadensereignisse vor dem 1.1.1995 anzuwenden, wirke also zurück - wenngleich sich diese Ansicht in keinem dieser Fälle auf das Ergebnis der Verfahren auswirken konnte, weil zum Teil (7 Ob 4/95 = VR 1995/375, 41; 7 Ob 25/95) das Bestehen einer Verschleierungsabsicht und somit jedenfalls einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung angenommen wurde und in einem Fall (7 Ob 23/95) es auf die Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises gar nicht ankam. Diese Ansicht ist allerdings verfehlt; sie wird daher auch nicht aufrechterhalten. Die Rückwirkung von Gesetzen, das heißt, deren Anwendung auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht waren, wird durch § 5 ABGB verwehrt. Zwar kann diese Regel durch eine Rückwirkungsanordnung (als lex specialis) durchbrochen werden (Bydlinski in Rummel2 Rz 2 zu § 5 ABGB); im Zweifel ist dies allerdings nicht anzunehmen (Koziol-Welser, Grundriß I10 33). Den Übergangsbestimmungen der VersVG-Novelle BGBl 1994/509 (= § 191b VersVG) kann die Anordnung einer Rückwirkung nicht entnommen werden.

Ein Versicherungsnehmer verletzt seine Aufklärungspflicht immer dann, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verspätet meldet, obwohl er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 (hier: Abs 5) StVO verpflichtet war und im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhaltes dienlich gewesen wäre (vgl. SZ 51/180). Diese Anzeigeverpflichtung erstreckt sich auch auf den Unfall mit Tieren (vgl. MGA StVO § 4 Anm.27). Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten, es ist vielmehr notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels infolge Unterlassung (Verspätung) der Anzeige muß vom Versicherer behauptet und bewiesen werden (SZ 51/180). Ein solcher konkreter Verdacht in Richtung Alkoholisierung ist dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nach einem Unfall eine Anzeigeerstattung bei der Gendarmerie unterläßt und unmittelbar nach dem Unfall Alkohol zu sich nimmt (vgl. SZ 56/118). Den Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß bei der Obliegenheit nach Art.5 der EKKB 1993, wonach von einem Zusammenstoß mit Tieren die nächste Gendarmerie- oder Polizeidienststelle unverzüglich zu verständigen ist, der Umstand, daß der so aufgesuchte Posten gerade unbesetzt ist, den Versicherungsnehmer nicht davon entbindet, die Anzeige beim nächstgelegenen Gendarmerieposten vorzunehmen, ist grundsätzlich zuzustimmen. Vom Versicherten darf in einer derartigen Situation all das erwartet werden, was ein Normalbürger bei sonstiger Notwendigkeit einer dringenden Inanspruchnahme von Gendarmerie oder Polizei tun wird. In einer Zeit, in der bundesweit Gendarmerie- und Polizeinotruftelefonnummern überall aufliegen, bei deren Anwählen diese Behörden sofort erreichbar sind, stellt es keine Überspannung der Sorgfaltspflichten gegenüber dem Versicherten dar, vom nächsten öffentlichen Fernsprecher oder von einem Telefon aus einem Gasthaus diese Nummer anzuwählen, den Sachverhalt zu schildern und dann sich den Anweisungen der Gendarmerie oder Polizei entsprechend zu verhalten. Der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.9.1970, 707/69 (ÖJZ 1971, 305), vertretenen Ansicht, es verstoße der Lenker eines Fahrzeuges, der des Nachts an einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden beteiligt war, nicht gegen das Gesetz, wenn er - weil die nächtste Gendarmeriedienststelle sowie jene seines Wohnortes in der Nacht nicht besetzt waren - den Verkehrsunfall erst am Morgen des nächsten Tages melde, kann aus diesem Grund und auch im Hinblick auf den unbestrittenen Nachtrunk des Klägers zumindest in dieser generellen Form nicht beigepflichtet werden.

Dem Vorbringen des Klägers kann, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, noch kein Zugeständnis einer vorsätzlichen Handlungsweise entnommen werden, weil daraus auch ein Geschehensablauf abgeleitet werden könnte, daß der Kläger aus einer von ihm irrig, aber ihn subjektiv überzeugenden Ansicht von einem weiteren Versuch, Anzeige zu erstatten, abgesehen hat. Allerdings ist dem Kläger nach der zu Recht als mangelhaft erachteten Vorgangsweise des Erstgerichtes die Möglichkeit genommen worden, dies in Form seiner Parteieneinvernahme darzulegen. Nur der Nachweis besonders entschuldigender Umstände aber kann die Vorsätzlichkeit des Vorgehens des Klägers in Frage stellen (SZ 53/55 = JBl 1981, 101). Bei der Würdigung der vom Kläger für die fehlende Vorsätzlichkeit anzutretenden Beweise wird das Erstgericht einen strengen Maßstab anzulegen haben. Die Aufklärungsverpflichtung des Versicherten soll ja dazu dienen, dem Versicherer objektive Anhaltspunkte über das Unfallsgeschehen zu verschaffen und um ihm die Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen. Die bloße Behauptung des Klägers, daß sich beim nicht besetzten Gendarmerieposten Vordernberg kein Schild mit einem Hinweis auf den nächsten besetzten Gendarmerieposten befunden habe und daß auch kein Telefon in der Nähe gewesen sei, reicht aber noch nicht zur Annahme aus, dem Kläger seien die objektiv gegebenen Obliegenheitsverletzungen auch subjektiv vorwerfbar. Damit erweist sich der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes im Ergebnis aufgrund des zuvor Gesagten als gerechtfertigt.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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