OGH 7Ob46/78

OGH7Ob46/7814.12.1978

SZ 51/180

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahreug-Insassen-Versicherung Art6 Abs2
Straßenverkehrsordnung 1960 §4 Abs5
VersVG §6 Abs3
VersVG §61
ZPO §266
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahreug-Insassen-Versicherung Art6 Abs2
Straßenverkehrsordnung 1960 §4 Abs5
VersVG §6 Abs3
VersVG §61
ZPO §266

 

Spruch:

Bei einem Verkehrsunfall ohne Personenschaden wird durch Unterlassung der sofortigen Unfallsmeldung gemäß § 4 Abs. 5 StVO die Aufklärungspflicht gegenüber dem Versicherer nur dann verletzt, wenn dadurch ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung nicht mehr geprüft werden kann. Die Beweislast hiefür trifft den Versicherer

OGH 14. Dezember 1978, 7 Ob 46/78 (OLG Wien 7 R 11/78; KG Wr. Neustadt 1 Cg 1541/77)

Text

Der Kläger erlitt am 26. Dezember 1976 auf der Bundesstraße Nr. 55 mit dem von ihm gelenkten, bei der beklagten Partei kaskoversicherten PKW der Type Peugeot 504 GL einen Unfall, bei dem dieses Fahrzeug beschädigt wurde. Er begehrt mit der vorliegenden Klage - nach einer Klagseinschränkung - die Zahlung des der Höhe nach außer Streit stehenden Betrages von 48 765 S samt Anhang an Reparatur- und Abschleppkosten (abzüglich eines Selbstbehaltes von 5%).

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wendete Leistungsfreiheit infolge Obliegenheitsverletzung (Unterlassung der sofortigen Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle) und grober Fahrlässigkeit (Einhaltung einer Geschwindigkeit von 90 km/h auf schnee- und eisglatter Fahrbahn) ein. Der Kläger sei wegen Unterlassung der Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle von der Verwaltungsbehörde bestraft worden. Durch die Unterlassung der Verständigung habe er sich die Möglichkeit verschafft, andere Ausschließungsgrunde, wie etwa eine Alkoholisierung, zu verschleiern. Überdies sei das zur Feststellung der Höhe des Sachschadens vorgesehene Schiedsverfahren noch nicht durchgeführt worden.

Der Kläger brachte vor, das Glatteis sei an der Unfallstelle plötzlich aufgetreten. Da sich der Unfall gegen Mitternacht ereignet habe, er infolge einer Kopfprellung benommen gewesen sei und da schließlich nur leichter Sachschaden (Beschädigung eines Leitpflockes und geringfügige Beschädigung eines Zaunes) eingetreten sei, habe er sich, ohne an der Endlage des Fahrzeuges eine Änderung vorzunehmen, in der Absicht nach Hause begeben, die Anzeige am nächsten Tag zu erstatten. Bevor er diese Absicht habe verwirklichen können, sei ein Gendarmeriebeamter in seiner Wohnung erschienen und habe Erhebungen durchgeführt. Infolge der Unterlassung der sofortigen Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle sei nichts für die Aufklärung des Sachverhaltes Dienliches verabsäumt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger lenkte seinen PKW am 26. Dezember 1976 auf der Bundesstraße 55 von Bad Sch. nach G, um dort seinen Bruder vom Bahnhof abzuholen. Beim Straßenkilometer 9.550 kam sein Fahrzeug kurz nach 22 Uhr infolge einer im Bereich der Unfallstelle aufgetretenen Schneeglätte ins Schleudern, beschädigte einen Leitpflock sowie einen Gartenzaun leicht, kippte um und blieb etwa 20 m nach dem beschädigten Zaun auf einem an die Straße grenzenden Acker auf dem Dach liegen. Der Kläger hatte im Unfallszeitpunkt eine für die herrschenden Fahrbahnverhältnisse überhöhte Geschwindigkeit von rund 90 km/h eingehalten. Die Unfallstelle liegt im Bereich einer Bergkuppe, an der immer ungünstige Fahrbahnverhältnisse herrschen. Bei Antritt der Fahrt war die Fahrbahn trocken, an der Unfallstelle war sie hingegen infolge der höheren Lage schneeglatt. Der durch den Unfall benommene Kläger verließ sein Fahrzeug durch das Seitenfenster und ließ sich von einem angehaltenen Fahrzeug nach E bringen. Dort ersuchte er den Inhaber des Cafe H, ihn heimzubringen. Da H dieser Bitte erst nach der Sperrstunde hätte entsprechen können, rief der Kläger den in K wohnhaften Bernhard S an und ersuchte diesen, ihn nach Bad Sch. zu fahren. S und dessen Gattin brachten hierauf den Kläger gegen 1 Uhr in dessen Wohnung, wo sie noch etwa 3 Stunden beisammenblieben. Dann begab sich der Kläger zu Bett.

Am Morgen des 27. Dezember 1976 wurde der Kläger vom Inhaber der Kraftfahrzeug-Werkstätte T, dessen Kunde er ist, angerufen und gefragt, ob er das beschädigte Fahrzeug, das er zufällig (neben der Straße) gesehen hatte, abschleppen solle. Der Kläger stimmte zu und ersuchte T, sich vorher mit der Gendarmerie, die er noch nicht verständigt hatte, ins Einvernehmen zu setzen. Gegen 9 Uhr erschienen zwei Gendarmeriebeamte in der Wohnung des Klägers, der bis zu diesem Zeitpunkt die nächste Gendarmeriedienststelle noch nicht verständigt hatte, und begaben sich mit dem Kläger zur Unfallstelle. Dort erkannte der Kläger erstmals, daß im Verlauf des Unfalls leichter Sachschaden an einem Leitpflock und an einem Gartenzaun entstanden war. Die Behebung des ersteren Schadens erforderte einen Aufwand von 200 S, die Reparatur des Gartenzaunes einen solchen von etwa 500 S. Gleichzeitig mit dem Kläger und den Gendarmeriebeamten traf der Abschleppdienst der Firma T ein. Nachdem das beschädigte Fahrzeug in seiner Endstellung besichtigt worden war, wurde es mit Zustimmung der Gendarmeriebeamten abgeschleppt. Anschließend wurde der Kläger im Gendarmeriepostenkommando K vernommen. Die Gendarmerie war bereits am 26. Dezember 1976 um 22.20 Uhr von dem Unfall durch eine dritte Person verständigt worden und hatte den Kläger an Hand der Kennzeichennummer ausgeforscht. Im Verwaltungsstrafverfahren wurde er mit Straferkenntnis vom 30. Jänner 1977 u. a. wegen Unterlassung der sofortigen Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle in eine Geldstrafe von insgesamt 2000 S rechtskräftig verurteilt.

In rechtlicher Hinsicht nahm das Erstgericht eine Obliegenheitsverletzung des Klägers an, weil dieser seiner Aufklärungspflicht infolge Unterlassung der ihm möglichen sofortigen Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle, wozu er nach § 4 Abs. 5 StVO verpflichtet gewesen sei, nicht entsprochen und dadurch die Prüfung "aller möglichen Unfallsursachen an Ort und Stelle" zumindest beeinträchtigt habe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung, die nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft worden war, im Sinne des Klagebegehrens ab. Das nach dem Art. 16 Abs. 1 AKIB nur für den Fall von Meinungsverschiedenheiten über die Schadenshöhe oder über den Umfang der erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten vorgesehene Schiedsverfahren sei im vorliegenden Fall deshalb nicht einzuleiten gewesen, weil der Klagsbetrag und damit die Schadenshöhe außer Streit stehe. Die Frage, ob der Kläger den eingetretenen Fremdschaden unmittelbar nach dem Unfall bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen können, müsse hier nicht beantwortet werden, weil angesichts der Geringfügigkeit des Fremdschadens der Kläger nicht verpflichtet gewesen sei, mitten in der Nacht die nächste Gendarmeriedienststelle zu verständigen. Die von ihm für den nächsten Tag in Aussicht genommene Meldung wäre vielmehr noch rechtzeitig erfolgt. Aber selbst wenn man eine Verletzung der Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO annehmen könnte, wäre für die beklagte Partei nichts gewonnen, weil durch die Unterlassung der sofortigen Verständigung nichts verabsäumt worden sei, was zur Aufklärung des Sachverhaltes dienlich gewesen wäre. Entsprechende Prozeßbehauptungen seien von der beklagten Partei nicht aufgestellt worden und das Verfahren hätte auch keine Anhaltspunkte für solche Folgen erbracht. In der Einhaltung der für die örtlichen Witterungsverhältnisse überhöhten Fahrgeschwindigkeit von 90 km/h sei eine grobe Fahrlässigkeit nicht zu erblicken.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Auffassung der beklagten Partei, eine Obliegenheitsverletzung des Klägers liege schon deshalb vor, weil er gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 5 StVO verstoßen und damit seine Aufklärungspflicht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKIB vorsätzlich verletzt habe, so daß es nicht noch darauf ankomme, ob dadurch etwas zur Aufklärung des Tatbestandes Dienliches verabsäumt worden sei, kann nicht beigestimmt werden. Wie der OGH bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht dann, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Gendarmeriedienststelle verspätet (oder gar nicht) meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach dem § 4 StVO verpflichtet ist, und im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhaltes dienlich gewesen wäre (VersR 1977, 1019; ZVR 1976/54; VersR 1967, 791; 7 Ob 12/78; 7 Ob 107/75 u. v. a.). Die Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die erwähnte Unbenützbarkeit des Beweismittels infolge Unterlassung (Verspätung) der Anzeige muß vom Versicherer behauptet und bewiesen werden. Entscheidend ist daher der Umstand, daß der Versicherungsnehmer durch die Nichtanzeige die Aufklärung in einer bestimmten konkreten Richtung dadurch vereitelt hat, daß ein Beweismittel aus diesem Gründe nicht mehr benützt werden kann (vgl. ZVR 1971/12).

Im vorliegenden Fall hat aber die beklagte Partei ein für eine derartige Behauptung ausreichendes Vorbringen nicht erstattet. Der bloß allgemeine Hinweis der beklagten Partei, der Kläger habe sich durch sein Verhalten die Möglichkeit verschafft, andere Ausschließungsgrunde, wie etwa eine Alkoholisierung, zu verschleiern, vermag eine Prozeßbehauptung über einen in einer bestimmten Richtung bestehenden konkreten Verdacht nicht zu ersetzen. Die beklagte Partei hat insbesondere weder eine Alkoholisierung des Klägers noch einen Nachtrunk behauptet und hat nicht einmal einen Sachverhalt vorgebracht, der den Verdacht einer Alkoholisierung oder einer aus einem anderen Grund bestehenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit entstehen ließe. Sie hat nicht einmal Fragen in dieser Richtung an er bei dessen Vernehmung als Partei gestellt. Da somit nicht feststeht, daß durch die Unterlassung der Anzeige etwas zur Aufklärung des Sachverhaltes Dienliches verabsäumt worden ist, liegt eine Obliegenheitsverletzung des Klägers nicht vor.

Die beklagte Partei kann die von ihr in Anspruch genommene Leistungsfreiheit aber auch nicht aus dem § 61 VersVG ableiten. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt eine solche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt voraus, die sich aus der Menge der auch für den Sorgfältigsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit hervorhebt. Die Sorgfaltsverletzung muß sich daher erheblich und ungewöhnlich vom Regelfall abheben, so daß dich der Schaden als wahrscheinlich voraussehen läßt und der Sorgfaltsverstoß bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auch als subjektiv besonders schwer vorzuwerfen ist (ZVR 1976/330; EvBl. 1973/265; 7 Ob 58/77; 7 Ob 140/74 u. a.). Grobe Fahrlässigkeit setzt ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wußte oder wissen mußte, daß es geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern (Prölss - Martin, VersVG[21], 94 f., 334; ZVR 1976/330; ZVR 1972/182; VersR 1966, 1196; 7 Ob 100/75 u. v. a.).

Diese Voraussetzungen darf der groben Fahrlässigkeit sind jedoch entgegen der Auffassung der beklagten Partei, die nur auf die Schneeglätte und auf die festgestellte Geschwindigkeit verweist, hier nicht gegeben. Der Kläger hat zwar eine für die witterungsbedingten Fahrbahnverhältnisse, wie sie an der Unfallstelle geherrscht haben, zu hohe Geschwindigkeit eingehalten; es darf aber nicht übersehen werden, daß die Schneeglätte nach den Feststellungen erst an der - höher gelegenen - Unfallstelle aufgetreten ist, wogegen die Fahrbahn vor dieser Stelle trocken war. Daß dem Kläger die örtliche Schneeglätte aus besonderen Gründen bekannt gewesen wäre oder daß der Kläger mit ihrem wenngleich plötzlichen Auftreten hätte rechnen müssen, wurde weder behauptet noch festgestellt. Die Annahme eines groben Sorgfaltsverstoßes im oben dargelegten Sinn ist daher nicht gerechtfertigt.

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