OGH 7Ob145/07k

OGH7Ob145/07k29.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke und Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Bernhard G*****, vertreten durch Sauerkopf & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 7.740,-- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 16. März 2007, GZ 13 R 24/07p-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Neusiedl am See vom 12. Dezember 2006, GZ 5 C 820/06a-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Klägerin zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt mit der am 14. 7. 2006 eingebrachten Klage die Verurteilung des Beklagten als Gatte der Käuferin einer Liegenschaft zur Zahlung des Klagsbetrages aus dem Titel Maklerprovision sowie (hilfsweise) auch des Schadenersatzes. Beide Vorinstanzen haben das Klagebegehren abgewiesen.

Die Klägerin hat sich schon in ihrer Mahnklage unter anderem auf den Akt 8 C 1604/04m des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt - worin sie denselben Provisionsanspruch gegen die Liegenschaftsverkäuferin erfolglos geltend gemacht hatte (7 Ob 174/06y) - als Beweismittel berufen. Im Protokoll der Streitverhandlung vom 4. 12. 2006 ist festgehalten, dass dieser Akt „als einverständlich verlesen gilt". In der Folge hat sich das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch auf diesen Akt bezogen und mit Widersprüchlichkeiten einzelner Aussageergebnisse gegenüber dem vorliegenden Verfahren auseinandergesetzt.

Das Berufungsgericht, das der Berufung der Klägerin nicht Folge gab, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes teils als unbedenklich und teils unter ausdrücklicher Ausklammerung einer Beurteilung derselben auch im Lichte der Beweisergebnisse des genannten Vorverfahrens, weil die dortigen Aussagen, auf welche sich die Klägerin in ihrer Beweisrüge berufe, im gegenständlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Die Berufung auf einen gesamten Akt als Beweismittel sei nach der Rechtsprechung unzulässig; es gehe nicht an, dem erkennenden Gericht zuzumuten, sich aus einem fremden Akt den maßgeblichen Stand zu rekonstruieren; demgemäß handle es sich bei dem Beweismittel der Klägerin auf Beischaffung des genannten Aktes um ein unzulässiges Beweismittel. Ausgehend aber von den ausschließlich im gegenständlichen Verfahren abgelegten Aussagen der beteiligten Personen gebühre der Klägerin kein Provisionsanspruch, weil - in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Erstgerichtes - die Bemühungen der Klägerin das zwischen Verkäuferin und der Gattin des Beklagten abgeschlossene Geschäft weder veranlasst noch auch nur mitveranlasst hätten.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu und führte hiezu aus: Die Klägerin habe ihre Beweisrüge überwiegend mit Beweisergebnissen aus dem Verfahren 8 C 1604/00m des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt begründet und dabei im Wesentlichen mit Widersprüchlichkeiten zwischen den Aussagen der im genannten Verfahren und im gegenständlichen Verfahren vernommenen Personen argumentiert. Das Berufungsgericht habe die im Verfahren vor dem Bezirksgericht Wiener Neustadt gewonnenen Beweisergebnisse aus den dargelegten Gründen bei der Beweisrüge der Klägerin nicht berücksichtigt. Das Berufungsgericht habe sich dabei zum einen auf ältere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes berufen, wonach es keine Aktenbeischaffung als Beweismittel gebe (SZ 24/13), die Berufung auf einen Akt als Beweismittel unzulässig sei und nur einzelne bestimmte Aktenstücke aus dem Gesichtspunkt der Urkundenbeweise als Beweismittel angeboten und zugelassen werden könnten (RIS-Justiz RS0039953). Da es sich bei den genannten Entscheidungen um ältere Rechtsprechung handle und es in der jüngeren Judikatur Anzeichen dafür gebe, dass in diesem Zusammenhang eine eher „großzügigere" Betrachtungsweise angebracht sei (1 Ob 2269/96z), sei insofern eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO gegeben. Zum anderen sei vom Berufungsgericht aufbauend auf dieser älteren höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, dass auch trotz der Bestimmung des § 281a ZPO und trotz des Umstandes, dass die einverständliche Verlesung des Aktes des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt (zur Gänze) protokolliert worden sei, die in diesem Akt enthaltenen Beweisergebnisse im gegenständlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Es fehle eine (einheitliche) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser verfahrensrechtlichen Rechtsfrage, die auch über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinaus Bedeutung habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung primär die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage, in eventu, diesem keine Folge zu geben. Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat zwar in der vom Berufungsgericht in den Vordergrund seiner Argumentation gerückten Entscheidung 1 Ob 1/51 = SZ 24/13 die Unzulässigkeit einer indirekten Beweisführung durch Verlesung von Vorakten, in denen für das Prozessergebnis relevante Behauptungen aufgestellt und Beweise durchgeführt wurden, ausgesprochen; es gehe nicht an, dem erkennenden Gericht zuzumuten, sich aus einem fremden Akt den maßgebenden Tatbestand zu rekonstruieren, und müsse vielmehr konkret darüber der Beweis erbracht werden, welche Parteibehauptung oder Aussage mit einer Behauptung oder Aussage in einem anderen Rechtsstreit im Widerspruch stehe. Demgemäß wurde es als kein relevanter Verfahrensmangel erachtet, dass es das (dortige) Erstgericht unterlassen habe, dem beantragten Beweisantrag auf „Requisition" bestimmter Strafakten stattzugeben. Auch in mehreren Folgeentscheidungen (zusammenfassend wiedergegeben in RIS-Justiz RS0039953 und RS0039957) wurde ausgesprochen, dass die - pauschale - Berufung auf einen Akt unzulässig sei; es könnten vielmehr nur bestimmte Aktenstücke aus dem Gesichtspunkt der Urkundenbeweise als Beweismittel angeboten und zugelassen werden. Diese Auffassung vertreten auch etwa Pochmarski/Lichtenberg in „Die Berufung in der Zivilprozessordnung" (2003), 85 (samt FN 358): Beantrage ein Beweisführer die Beischaffung eines Aktes, so habe er spätestens in der Verhandlung, in welcher der Akt dargestellt werde, konkret die einzelnen Aktenbestandteile, auf welche er sich beziehe, unter Bekanntgabe des Beweisthemas zu bezeichnen (aaO 87).

Im vorliegenden Verfahren wurde allerdings nicht die Beweisaufnahme hinsichtlich eines von einer Prozesspartei angebotenen Aktes vom Prozessgericht abgelehnt und diese Vorgangsweise sodann vom Berufungsgericht bestätigt - in welchem Fall ein daraus ableitbarer Verfahrensmangel nicht mehr mit Erfolg vor dem Obersten Gerichtshof geltend gemacht werden könnte (RIS-Justiz RS0042963) -, sondern dieser Akt vom Erstgericht vielmehr antragsgemäß beigeschafft und sodann „einverständlich verlesen". Er wurde damit zum Inhalt des erstinstanzlichen Beweisverfahrens und ist demgemäß auch (wie bereits ausgeführt) in die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, welches ihn auch im Rahmen der aufgenommenen Beweismittel ausdrücklich aufzählte (S 3 des Ersturteiles = AS 69), eingeflossen.

Bereits in der Entscheidung 6 Ob 147/68 (RIS-Justiz RS0040224; dort unrichtig als „6 Ob 147/88" bezeichnet) hat der Oberste Gerichtshof zwar unter Berufung auf die zitierte Entscheidung SZ 24/13 eine indirekte Beweisführung durch Verlesung von Vorakten, in denen für das Prozessergebnis relevante Behauptungen aufgestellt und Beweise durchgeführt wurden, als nicht zulässig bestätigt, jedoch weiters ausgeführt, dass „eine Aktenbeischaffung zum Nachweise dafür, dass Aussagen, Behauptungen und Beweisergebnisse in dem vorliegenden Rechtsstreit mit denjenigen des Voraktes in Widerspruch stehen, durchaus zulässig ist. Es konnte daher das [dortige] Berufungsgericht bei Erledigung der Beweisrüge des Beklagten auch diesen bereits dem Erstgericht vorgelegten Akt, der inhaltlich des gemäß § 215 Abs 2 ZPO vollen Beweis machenden Protokolles in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom ..... verlesen worden war, verwerten." In diesem Sinne führt auch Rechberger in Fasching/Konecny, ZPO2 Rz 106

Vor § 266 aus, dass die Einsicht in gerichtliche Vorakten zulässig sei und einen Urkundenbeweis darstelle; solle die Verwendung eines solchen Aktes einen unmittelbaren Beweis (durch Zeugen oder Vernehmung der Parteien) ersparen, müssten freilich die Voraussetzungen des § 281a ZPO gewahrt sein. Davon ist im vorliegenden Fall - abgesehen davon, dass mehrere Personen im vorliegenden Verfahren ohnehin nochmals vernommen wurden - jedoch schon deshalb auszugehen, weil nach dem auch hier gemäß § 215 ZPO vollen Beweis liefernden Protokoll beide Parteien einer Beweisaufnahme unter Zugrundelegung dieses (Vor-)Aktes gemäß § 281a Z 2 ZPO ausdrücklich ihre Zustimmung erteilten. Damit konnten aber unter anderem die Protokolle der relevanten vernommenen Personen verwendet und verwertet werden (Rechberger, aaO Rz 5 zu § 281a; ders in Rechberger, ZPO3 Rz 5 zu § 281a). Dies korrespondiert schließlich auch mit der in 1 Ob 2269/96z (ÖBA 1997, 738/650) vom Obersten Gerichtshof gebilligten Vorgangsweise, dass die Berufung auf einen (dort: Konkurseröffnungs-)Akt entgegen der dortigen Ansicht der zweiten Instanz zu einem bestimmten Beweisthema (Zahlungsunfähigkeit) „einen tauglichen Beweisantrag" darstellte, was gleichermaßen auch zu 3 Ob 208/88 (RZ 1989/68) gebilligt wurde. Schließlich wurde zu 4 Ob 213/03g (SZ 2003/170; RIS-Justiz RS0118373) betont, dass es einem Gericht - freilich vorrangig im Lichte des durch die Zivilverfahrens-Novelle 2002 BGBl I 2002/76 neu formulierten § 297 ZPO - nicht verwehrt sei, sich „mit dem gesamten Inhalt eines Beweismittels beschäftigen zu dürfen", wenn ein solches verfahrensmäßig korrekt zum Gegenstand des Beweis-(dort Bescheinigungs-)verfahrens gemacht worden sei.

Das Berufungsgericht hat daher zu Unrecht eine Miteinbeziehung der (nach den Behauptungen der Klägerin im Rahmen ihrer Beweisrüge widersprüchlichen) Protokollinhalte aus dem Vorverfahren 8 C 1604/04m des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt abgelehnt und damit diesen Berufungsgrund nur unvollständig erledigt, wodurch das Berufungsverfahren mangelhaft blieb. Es wird daher die Beweisrüge unter vollständiger Berücksichtigung auch dieses nach dem protokollierten Willen beider Prozessparteien (§ 281a ZPO) ordnungsgemäß zum Gegenstand des Beweisverfahrens gemachten Akteninhaltes zu erledigen haben, weshalb seine Entscheidung zur Nachholung dieser Unvollständigkeit aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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