OGH 7Ob110/24p

OGH7Ob110/24p23.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M* M*, vertreten durch Dr. Mario Petutschnig, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei A* Versicherungs AG, *, vertreten durch die Dr. Alexander Klaus Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 201.555,97 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 23. Mai 2024, GZ 3 R 47/24t-17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00110.24P.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Bündelversicherungsvertrag, der unter anderem eine Sturmschadenversicherung für das Grundstück des Klägers beinhaltet und dem die Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 1998) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

„Artikel 1

Versicherte Gefahren und Schäden

1.  Versicherte Gefahren :

[…]

1.2  Hagel : Hagel ist ein wetterbedingter Niederschlag in Form von Eiskörnern.

[...]

2.  Versicherte Schäden :

Versichert sind Schäden, die

2.1 durch die unmittelbare Einwirkung einer versicherten Gefahr (Schadenereignis) eintreten; [...]

2.2 als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses eintreten;

[...]

Artikel 2

Nicht versicherte Schäden

Nicht versichert sind, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses:

[...]

4. Schäden durch Wasser.

Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser sind aber versichert, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadenereignis beschädigt oder zerstört wurden. […]“

[2] Am 2. Juni 2022 fand im Bereich der versicherten Liegenschaft des Klägers ein Gewitter mit Starkregen und Hagel statt. Durch die damit einhergehenden Wassermengen kam es zu einem Wassereintritt in das Kellergeschoß des auf der Liegenschaft befindlichen Gebäudes.

[3] Der Kläger begehrt Zahlung von 201.555,97 EUR sA. Nach dem Hagelunwetter hätten die Hagelkörner den Acker des Klägers mit einer Schicht von rund 10 cm Höhe bedeckt. Durch den warmen Regen seien die Hagelkörner schnell abgeschmolzen. Als unvermeidliche Folge des Hagelschlags habe sich die Erdkruste des Ackers, welche durch die Hagelschloßen an der Oberfläche durchschlagen worden sei, gelöst. Die dadurch entstandenen Wassermassen mit Ackerschlamm hätten im hinteren Außenbereich des nahe gelegenen Gebäudes derart stark angedrückt, dass dort eine Ausschwemmung erfolgt und das Wasser in weiterer Folge in den Kellerraum des Gebäudes eingedrungen sei. Dadurch sei es im Keller zu Schäden gekommen. Die Versicherung habe den Schaden gemäß Art 1.2.2 AStB 1998 zu decken.

[4] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Der Schaden auf der Liegenschaft des Klägers sei durch das in das Gebäude eingedrungene Wasser verursacht worden und nicht durch Hageloder als dessen unvermeidliche Folge eingetreten. Im Übrigen seien die Risikoausschlüsse gemäß Art 2 AStB 1998, welche Schäden durch Wasser ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausschließen, anzuwenden.

[5] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Aus dessen Vorbringen lasse sich der Anspruch auf Versicherungsdeckung nicht schlüssig ableiten; außerdem greife der Risikoausschluss gemäß Art 2.4. AStB 1998.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

[8] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[9] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; vgl RS0080068).

[10] 2.1. Gemäß Art 1.2.1 AStB 1998 sind Schäden versichert, die durch die unmittelbare Einwirkung einer versicherten Gefahr (hier: Hagel) eintreten. Unmittelbares Einwirken ist gegeben, wenn die Naturgewalt einzige oder letzte Ursache für den Schaden ist (7 Ob 110/11v mwN; vgl RS0109771; RS0127591).

[11] 2.2. Dass der Hagel die Gebäudehülle beschädigt hätte und aufgrund dieser Beschädigung das Wasser in das Gebäude eingedrungen wäre, behauptet der Kläger nicht. Vielmehr waren die zeitlich letzte Ursache des Schadeneintritts nach dem Vorbringen des Klägers die Wassermassen mit Ackerschlamm, die in das Gebäude eindrangen. Damit liegt auch keiner der nach Art 1.2.1 zweiter Halbsatz der unmittelbaren Einwirkung gleichgehaltenen Fälle vor. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe den Versicherungsfall gemäß Art 1.2.1 AStB 1998 nicht schlüssig dargetan, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[12] 3. Darüber hinaus sind nach Art 1.2.2 AStB 1998 Schäden versichert, die als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses eintreten. Nach der Rechtsprechung zu inhaltsähnlichen Bestimmungenist als „unvermeidlich“ jede weitere (durch Vermittlung von Zwischentatsachen herbeigeführte) adäquate Folge zu verstehen und zwar unabhängig davon, ob sie abzuwenden gewesen wäre oder nicht (vgl RS0080644; 7 Ob 142/19m; 7 Ob 187/23k). Ob die vom Kläger behaupteten Schäden unvermeidliche Folge des Hagelereignisses waren, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der von der Beklagten eingewendete Risikoausschluss greift:

[13] 4.1. Gemäß Art 2.4. AStB 1998 sind Schäden durch Wasser nicht versichert, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses. Hingegen sind Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser versichert, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadenereignis beschädigt oder zerstört wurden (sekundärer Risikoeinschluss: allgemein dazu Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 147 f; Perner, Privatversicherungsrecht2 Rz 1.33).

[14] 4.2. Der Kläger bestreitet nicht, dass im vorliegenden Fall die Schäden durch „Wasser“ entstanden sind und weder feste Baubestandteile noch ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch den Hagel selbst beschädigt oder zerstört wurden. Er meint jedoch, der sekundäre Risikoeinschluss würde greifen, weil mit dem Begriff „Schadenereignis“ in Art 2.4. AStB 1998 nicht das versicherte Ereignis gemeint sei, sondern ein „Schadenereignis schlechthin“. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Begriff „Schadenereignis“ in Art 1.2.1 AStB 1998 eindeutig im Sinn von „versicherte Gefahr“ definiert ist und diese Definition unzweifelhaft auch für Art 2.4. AStB 1998 gilt.

[15] 4.3. Die vom Kläger geltend gemachten Schäden sind daher nach dem eindeutigen, keinen Auslegungsspielraum zulassenden Wortlaut von Art 2.4. AStB 1998 nicht gedeckt (vgl RS0121516 [T6]), sodass die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig sind.

[16] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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