European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00082.22K.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Revisionsrekurs und Revisionsrekursbeantwortung werdenzurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs zugelassen, weil die Eltern der unterhaltsberechtigten Minderjährigen noch verheiratet seien, aber bei anhängigem Scheidungsverfahren getrennt lebten, der Vater ein stark überdurchschnittliches Einkommen habe, während die Mutter nie berufstätig gewesen sei und auch derzeit keiner Berufstätigkeit nachgehe, die Kinder ohne Anspannung der Mutter auf eine Berufstätigkeit nur einen stark unter dem Regelbedarf liegenden Geldunterhalt bezögen und die Mutter im Alter von 47 Jahren und ohne Berufsausbildung nach einer „Hausfrauenehe“ nur auf sehr eingeschränkte Tätigkeiten wie als „Reinigungskraft“ verwiesen werden könne. Damit stelle sich aber die erhebliche Rechtsfrage, ob nicht doch im vorliegenden Fall die subsidiäre Unterhaltspflicht des die Kinder betreuenden Vaters gemäß § 231 Abs 2 ABGB einer Anspannung der an sich geldunterhaltspflichtigen Mutter vorgehe.
[2] Ob der Anspannungsgrundsatz anwendbar ist, richtet sich jedoch nach ständiger Rechtsprechung jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls (stRsp, s bloß 8 Ob 59/21s) und begründet damit, von einer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG. Auch die vom Rekursgericht aufgezeigten Besonderheiten des vorliegenden Falls sind ausschließlichsolche des Einzelfalls. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung wird – wie im Folgenden dargestellt wird – im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt. Im Übrigen ist die Mutter nach den Feststellungen nicht nur in der Lage, als „Reinigungskraft“ zu arbeiten; es sind ihr vielmehr jegliche Tätigkeiten als ausgelernte Hilfskraft möglich.
[3] 1.2. Die im Rechtsmittel gerügten Verfahrensmängel betreffen das erstinstanzliche Verfahren und wurden vom Rekursgericht verneint, weshalb ihre Wahrnehmung im Revisionsrekursverfahren nicht mehr möglich ist (RS0043919).
[4] 1.3. Soweit das Rechtsmittel argumentiert, die Mutter treffe an ihrer Arbeitslosigkeit kein Verschulden bzw sei ihr diese nicht vorwerfbar, geht es nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und greift die in dritter Instanz nicht bekämpfbare Tatsachengrundlage der Vorinstanzen an. Daher geht auch der Verweis auf 4 Ob 2068/96p (vgl RS0047575) ins Leere.
[5] Der Hinweis auf die behauptete seinerzeitige einvernehmliche Gestaltung zwischen den Eltern dahin, dass der Vater verdiene und die Mutter sich ausschließlich um den Haushalt und die gemeinsamen Kinder kümmere, kann die Mutter für den hier gegenständlichen Unterhaltszeitraum, in dem die Eltern schon getrennt waren und dieses angebliche Einvernehmen eben nicht mehr bestand, nicht entlasten.
[6] 1.4. Ein Berufsschutz wie im Sozialrecht besteht im Unterhaltsrecht nicht (LG Salzburg EFSlg 95.757, 110.379; LGZ Wien EFSlg 145.621; LG Linz EFSlg 163.447; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Eu PR² [2022] § 94 ABGB Rz 115; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 S 80). Vielmehr muss der Unterhaltspflichtige nach ständiger Rechtsprechung etwa bei längerer Arbeitslosigkeit auch minderqualifizierte Arbeiten annehmen (9 Ob 168/98s; vgl auch 2 Ob 2376/96t; LG Salzburg EFSlg 110.378; LGZ Wien 138.141 ua; Neuhauser in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKomm5 § 231 Rz 155 mwN). Soweit sich die Mutter im Revisionsrekurs auf Schwimann (in Schwimann, ABGB‑Praxiskommentar § 94 Rz 39) beruft, wonach unter anderem eine Anspannung auf Beschäftigungen unzulässig sei, die nicht der „sozialen Implikation“ entsprechen, ist sie darauf hinzuweisen, dass dies jedenfalls bei Gefährdung des notwendigen Unterhalts nicht gelten kann (vgl bloß Ferarri in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 94 FN 300); dies trifft jedenfalls für den Kindesunterhalt zu. Es ist hier deshalb durchaus beachtlich, dass die Mutter lediglich zu Unterhaltsleistungen (deutlich) unter den Durchschnittsbedarfssätzen verpflichtet wurde.
[7] 1.5. Das Vorbringen der Mutter im Revisionsrekurs zur Einkommenshöhe des Vaters und zu dessen Bezug der Familienbeihilfe sowie des Familienbonus verstößt zum einen gegen das Neuerungsverbot gemäß § 66 Abs 2 AußStrG. Eine Durchbrechung desselben aus Gründen des Kindeswohls könnte (im Regelfall) nur in Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren erwogen werden; in Unterhaltsverfahren müssten aber schon ganz besondere Umstände gegeben sein, die es rechtfertigen könnten, das Neuerungsverbot zu unterlaufen (RS0119918 [T1]). Dass im vorliegenden Verfahren solche Umstände gegeben wären, ist nicht ersichtlich, zumal die Durchbrechung des Neuerungsverbots auch nur aus den Gründen des Kindeswohls stattfinden könnte.
[8] Zum anderen ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach auch eine erhöhte Leistungsfähigkeit des betreuenden Elternteils grundsätzlich nicht zu einer Verminderung des zu leistenden Geldunterhalts (oder gar zum völligen Entfall einer Unterhaltsverpflichtung des an sich geldunterhaltspflichtigen Elternteils) führt (2 Ob 508/79; 3 Ob 548/93; 6 Ob 211/00y). Der Oberste Gerichtshof hat zwar in einigen älteren Entscheidungen ausgeführt, dass es zu einer gänzlichen Befreiung von der Alimentationspflicht führen können soll, wenn der die Kinder betreuende Elternteil über ein im Vergleich zum anderen Ehegatten beträchtlich höheres Einkommen verfügt, aus dem der Unterhalt derselben zur Gänze oder zum Großteil geleistet wird oder geleistet werden könnte, sodass die dem anderen Teil zumutbare Alimentierung im Vergleich dazu bei lebensnaher Betrachtung aller Umstände nicht mehr ins Gewicht falle (8 Ob 651/90; 7 Ob 1644/93). In jüngeren Entscheidungen wurde jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Billigkeitsargument des erheblichen Einkommensunterschieds der Eltern im Ergebnis zu einer Ausweitung der in § 140 (aF) bzw nunmehr § 231 Abs 2 ABGB ausdrücklich angeführten Fälle einer subsidiären Beitragspflicht des betreuenden Elternteils, obwohl dieser nur zu einem ergänzenden Beitrag verpflichtet ist, wenn der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müsste, als es seinen eigenen Lebensbedürfnissen angemessen wäre, führe; die genannte Auffassung schaffe im Ergebnis den ersten Satz des § 140 (aF) bzw nunmehr § 231 Abs 2 ABGB und die daraus abgeleitete subsidiäre Unterhaltspflicht des betreuenden Elternteils ab und verwandle dessen nur subsidiäre Unterhaltspflicht (Ergänzungspflicht) in eine primäre (6 Ob 211/00y; 9 Ob 80/01g; 1 Ob 16/02p). Die Anwendbarkeit der in 8 Ob 651/90 angestellten Überlegungen sei daher auf Fälle beschränkt, in denen das Einkommen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils so gering ist, dass der betreuende Elternteil nahezu 100 % der Bedürfnisse des Kindes in Erfüllung seiner subsidiären Unterhaltspflicht decken müsse und beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil nur ein ganz geringfügiger Geldbetrag abschöpfbar wäre (9 Ob 80/01g). Das Vorliegen eines solchen (Ausnahme‑)Falls wurde in weiterer Folge jedoch etwa bei Unterhaltsbeiträgen in Höhe des halben, an sich für das Kind geltenden Regelbedarfs (1 Ob 229/04i) oder bei Unterhaltsbeiträgen in Höhe zwischen 77 und 155 EUR (3 Ob 54/05w) verneint; es könne nicht gesagt werden, dass solche Beträge nicht ins Gewicht fielen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung, mit der sich der Revisionsrekurs der Mutter nicht näher auseinandersetzt, an.
[9] 2. Der Beschluss des Rekursgerichts, womit der Revisionsrekurs nachträglich zugelassen und dem Vater die Revisionsrekursbeantwortung freigestellt wurde, wurde dessen Vertreter am 1. 4. 2022 zugestellt. Damit begann die vierzehntägige Frist für die Erstattung der Revisionsrekursbeantwortung zu laufen (§ 68 Abs 3 Z 2 AußStrG). Die am 25. 4. 2022 elektronisch eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung ist daher verspätet und somit zurückzuweisen.
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