Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Erblasserin war Eigentümerin eines land‑ und forstwirtschaftlichen Betriebs mit einem Gesamtausmaß von 23 ha. Die Erblasserin wohnte nicht am Erbhof, sondern auf einem nahe gelegenen Anwesen.
Die Erblasserin hinterlässt zwei Kinder, Mag. B***** W*****, geboren am 18. 7. 1972, und T***** P*****, geboren am 2. 10. 1973. Im Verlassenschaftsverfahren streben beide erblasserischen Kinder die Anerbenstellung an.
Das Erstgericht bestimmte den Sohn zum Anerben. Dabei ging es im Wesentlichen vom folgenden Sachverhalt aus:
Die Erbhofliegenschaft ist seit 1. 1. 1990 verpachtet. Die Erblasserin übernahm seit dem Tod ihres Vaters im Jahr 2000 die Führung des Erbhofs bzw die mit der Verpachtung in Zusammenhang stehenden Agenden. Im Jahr 2006 übergab ihre Mutter die Liegenschaften an die Erblasserin mittels Übergabsvertrags.
Der erblasserische Sohn verbrachte seine Schulzeit in einem Halbinternat und wohnte sonst bis zu seinem 22./23. Lebensjahr im mütterlichen Haushalt, welcher sich in räumlicher Nähe zum Erbhof befand. In jugendlichem Alter erwarb er den Traktorführerschein, beteiligte sich an Waldarbeiten, am Abriss zweier Stallgebäude und an der Versorgung zweier Pferde. Er studierte Betriebswirtschaft und gründete nach dem Studium ein eigenes Unternehmen im Bereich der Finanzberatung.
Die Tochter wohnte ebenfalls im mütterlichen Haushalt in der Nähe des Erbhofs. Sie beteiligte sich an der Haus‑ und Gartenarbeit und besuchte ebenfalls ein Halbinternat in Graz. Die Schulausbildung brach sie zunächst wegen einer Krankheit ab. Sie arbeitete dann als kaufmännische Hilfskraft, später im Bereich des Tourismus und holte 1994 die Matura im Abendgymnasium nach. Anschließend begann sie ein Medizinstudium. Dieses brach sie später ab und begann ein Psychologiestudium. Auch dieses schloss sie nicht ab. Seit Februar 2006 half sie mit ihrem Lebensgefährten gelegentlich im Obstgarten, bei Neupflanzungen im Wald sowie bei der Obsternte. Seit 2009 studiert sie Ernährungspädagogik an der Pädagogischen Akademie Graz. Im Zeitraum vom 8. 11. bis 26. 11. 2010 sowie vom 6. 12. bis 17. 12. 2010 absolvierte sie den Facharbeiterkurs in der Sparte Landwirtschaft im Ausmaß von 200 Stunden und schloss diese Ausbildung erfolgreich ab.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass sich schon aus der Wortinterpretation des Tatbestandsmerkmals „Erziehung zur Land‑ und Forstwirtschaft“ ergebe, dass diese eine Ausbildung, Bewährung, Formung und Prägung bedeute und jedenfalls ein Dauerelement enthalte. Der Besuch eines 200‑stündigen Fachkurses im Alter von 38 Jahren stelle keine „Erziehung“ zur Land‑ und Forstwirtschaft dar.
Da keiner der Streitteile zu Lebzeiten der Erblasserin eine landwirtschaftliche Fachausbildung besucht habe, komme das Ältestenrecht zu Gunsten des Sohnes zum Tragen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Entscheidend seien die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erbanfalls. Zum Zeitpunkt des Erbanfalls habe die Tochter ihre landwirtschaftliche Ausbildung aber noch nicht einmal begonnen. Zudem fehle es bei dem von ihr absolvierten Fachkurs am erforderlichen Dauerelement.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zu einer ähnlichen Konstellation fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Die Auswahlkriterien des § 3 Abs 1 Z 1 ‑ 5 AnerbG sind in ihrem Zusammenhalt zu lesen und auszulegen. Dabei ist vor allem auch der Gesamtzweck des Höferechts zu beachten (RIS‑Justiz RS0120373).
2.1. Im Außerstreitverfahren, in dem eine mündliche Verhandlung in der Regel nicht zwingend vorgeschrieben ist (vgl § 18 AußStrG), ist der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Gericht. Dabei ist auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem das Gericht an seinen Beschluss gebunden ist (RIS‑Justiz RS0007032 [T7]).
2.2. Ein genereller Grundsatz, dass bei § 3 AnerbG ausschließlich auf die Umstände zum Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen sei, besteht nicht. Zwar kommt es für die Erbhofeigenschaft grundsätzlich auf die Verhältnisse zur Zeit des Todes des Erblassers an (NZ 1993, 106; Eccher in Schwimann, ABGB3 § 1 AnerbG Rz 18). Allerdings ist ein während des Verfahrens eintretender Verlust der Erbhofeigenschaft zu berücksichtigen (Eccher aaO § 10 AnerbG Rz 8). Ebenso ist anerkannt, dass der berufene Anerbe während des Verfahrens die Eigenschaft eines Anerben ‑ etwa nach § 5 AnerbG ‑ verlieren kann, wodurch allenfalls schon gefasste Beschlüsse nach den §§ 10 ‑ 17 AnerbG hinfällig werden (Eccher aaO § 10 AnerbG Rz 7 mwN).
2.3. § 3 Abs 1 Z 3 AnerbG stellt darauf ab, ob ein Miterbe für einen anderen Beruf als den der Land‑ oder Forstwirtschaft erzogen wurde oder im Zeitpunkt des Todes des Erblassers seit mindestens zwei Jahren erzogen wird oder anderweitig versorgt ist. Diese Bestimmung zeigt zunächst, dass die Voraussetzungen des § 3 AnerbG nicht generell auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers bezogen werden können, wäre doch andernfalls die Präzisierung im § 3 Abs 3 Z 2 AnerbG sinnlos. Andererseits zeigt diese Bestimmung, dass aus der Verwendung des Präsens („aufwachsen“, „erzogen werden“) nicht zwingend abgeleitet werden kann, dass sich die betreffenden Formulierungen auf den Entscheidungszeitpunkt beziehen, verwendet der Gesetzgeber doch in § 3 Abs 1 Z 3 AnerbG das Präsens „erzogen werden“ bezogen auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Andererseits kommt es für das Tatbestandsmerkmal der „anderweitigen Versorgung“ offenbar auf den Entscheidungszeitpunkt an.
3.1. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts scheitert die Berücksichtigung des von der erblasserischen Tochter absolvierten Kurses daher nicht schon daran, dass sie diesen erst im erwachsenen Alter und nach dem Tod des Erblassers absolvierte, sondern am Fehlen des für das Tatbestandsmerkmal der „Erziehung“ für die Land‑ und Forstwirtschaft erforderlichen Dauerelements. Dabei ist davon auszugehen, dass die Zurechnungskriterien des § 3 Abs 1 AnerbG wertungsmäßig annähernd gleiches Gewicht haben. Dass sich der Tatbestand des § 3 Abs 1 Z 1 AnerbG („aufwachsen“) auf einen längeren Zeitraum bezieht, bedarf keiner Ausführungen. Aus diesem Grund hat der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass ein Aufenthalt von 4 1/2 Jahren sowie gelegentliche Aufenthalte im Rahmen des Besuchsrechts und in den Sommerferien nicht als „aufwachsen auf dem Hof“ zu verstehen sind (NZ 1994, 85).
3.2. Gleiches gilt aber für den Tatbestand der „Erziehung zur Land‑ oder Forstwirtschaft“ nach § 3 Abs 1 Z 3 AnerbG. Insoweit billigt der Oberste Gerichtshof die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 71 Abs 3 AußStrG).
3.3. Unter der „Erziehung zur Land‑ und Forstwirtschaft“ ist jede Ausbildung zu verstehen, die die für die Führung eines solchen Betriebs erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt. Ob ein Miterbe die Ausbildung zu Land‑ und Forstwirtschaft auf dem Hof oder auswärts (zB in einer Fachschule oder auf einer Universität) erhält oder erhalten hat, ist unerheblich (SZ 49/27; RIS‑Justiz RS0063189 [T3, T8]; Eccher in Schwimann, ABGB3 § 3 AnerbG Rz 5 mwN). Auf einen Schulabschluss kommt es nicht unbedingt an (6 Ob 10/01s; Eccher aaO).
3.4. Schon der Wortlaut „Erziehung“ spricht dafür, dass der Gesetzgeber dabei vor allem an den Erwerb von Kenntnissen in jüngeren Jahren dachte. Die Absolvierung eines 200‑stündigen Fachkurses im 38. Lebensjahr nach Abbruch mehrerer verschiedener Ausbildungs‑ und Berufstätigkeitsversuchen kann nicht mehr unter „Erziehung“ subsumiert werden.
3.5. Vor allem aber kommt einem bloß 200 Stunden umfassenden Kurs ‑ wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten ‑ nicht ausreichendes Gewicht zu, das es rechtfertigen würde, Absolventen dieser Form von Ausbildung zwingend gegenüber anderen Miterben bei der Bestimmung zum Anerben zu bevorzugen. Dadurch wird auch Manipulationsmöglichkeiten vorgebeugt. Die Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin würde demgegenüber dazu führen, dass der Erbhof unter Umständen demjenigen Erben zuzuweisen wäre, der erst während des Verlassenschaftsverfahrens einschlägige Kurse besucht.
4. Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG). Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RIS‑Justiz RS0043347). Die Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen erfüllt demgegenüber den Tatbestand der Aktenwidrigkeit nicht.
5. Damit erweist sich der angefochtene Beschluss als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
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