OGH 6Ob53/23x

OGH6Ob53/23x28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Firmenbuchsache der zu FN * eingetragenen „V*“ * AG mit dem Sitz in *, *, wegen Löschung nach § 40 FBG, über den Revisionsrekurs der Aktionäre 1. Dr. H**, 2. V**, beide vertreten durch Tschurtschenthaler Walder Fister Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 25. Jänner 2023, GZ 4 R 212/22m‑7, womit der Rekurs der Aktionäre gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. Oktober 2022, GZ 65 Fr 4417/22m‑3, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00053.23X.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Rechtsmittelwerber unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rechtsmittelwerber haben die Kosten des Verfahrens dritter Instanz selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Im Firmenbuch warzu FN * die „V*“ * AG mit dem Sitz in V* (Gesellschaft) eingetragen.

[2] Das Erstgericht gab bekannt, dass es die Löschung der Gesellschaft gemäß § 40 FBG wegen vermuteter Vermögenslosigkeit in Aussicht nehme, weil die Gesellschaft die Jahresabschlüsse von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren trotz Aufforderung nicht vorgelegt habe, und räumte unter anderem der Gesellschaft eine Äußerungsfrist zur beabsichtigten Löschung binnen vier Wochen ein. Eine Stellungnahme langte innerhalb der Äußerungsfrist nicht ein. Daraufhin ordnete das Erstgericht die Löschung der Gesellschaft gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit an.

[3] Den dagegen erhobenen Rekursder einschreitenden Aktionäre, in dem diese unter Vorlage von Bescheinigungsmitteln relevierten, die Gesellschaft verfüge über ein der Amtslöschung entgegenstehendes Vermögen, wies das Rekursgericht mangels Rekurslegitimation zurück. Nach bisheriger Rechtsprechung hätten Aktionäre im Firmenbuchverfahren mangels Eintragung im Firmenbuch grundsätzlich weder ein Recht auf Verständigung im Sinne des § 18 FBG noch Rechtsmittellegitimation nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG. Zwar werde Gesellschaftern einer GmbH das Rekursrecht gegen den Löschungsbeschluss im Amtslöschungsverfahren nach § 40 FBG eingeräumt, weil deren Rechte schon dadurch beeinträchtigt würden, dass im Fall des nachträglichen Hervortretens von Gesellschaftsvermögen die Abwicklung ohne Fortsetzungsmöglichkeit stattzufinden habe und der Gesellschafter damit keine Möglichkeit habe, die Gesellschaft nach Eintragung der amtswegigen Löschung fortzusetzen. Daher räume die zweitinstanzliche Rechtsprechung teilweise auch Aktionären das Rekursrecht gegen die amtswegige Löschung der Aktiengesellschaft ein. Dies auch mit dem Argument, dass es überdies unbillig erscheine, Gesellschaftern ein Rekursrecht zu verweigern, Gläubigern hingegen dieses Recht wegen der Erschwerung ihrer Rechtsverfolgung in einem anhängigem Passivprozess gegen die Gesellschaft einzuräumen. Trotz dieser gewichtigen Argumente schließe sich das Rekursgericht aber auch für den Fall der Amtslöschung der eingangs dargelegten Rechtsprechung an, weil im Gegensatz zum Gesellschafter einer GmbH die Löschung nicht zwangsläufig im Firmenbuch eingetragene Gesellschafterrechte eines Aktionärs berühre und diesem ein bloß wirtschaftliches Interesse an der Fortsetzung der Gesellschaft zukomme.

[4] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rekurslegitimation eines nicht im Firmenbuch eingetragenen Aktionärs gegen die amtswegige Löschung der Gesellschaft gemäß § 40 FBG fehle.

[5] Der Revisionsrekurs der einschreitenden Aktionäre ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Wem in Verfahren die Parteistellung oder die Rechtsmittellegitimation abgesprochen wird und dessen Rechtsmittel dementsprechend zurückgewiesen wurde, der ist grundsätzlich legitimiert, die Überprüfung dieser Rechtsansicht im Rechtsmittelweg zu verlangen (RS0006793 [T6]). Die Rekurswerber sind daher schon deshalb zur Einbringung des vorliegenden Revisionsrekurses berechtigt (vgl 6 Ob 144/22b [ErwGr 1.]).

[7] 2. Die Rekurslegitimation ist im FBG nicht ausdrücklich geregelt; sie richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen des Außerstreitverfahrens (vgl § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG). Rekurslegitimiert sind damit im Firmenbuchverfahren zunächst die Parteien des Verfahrens (G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 167 f) und jedenfalls auch der nach § 18 FBG zu verständigende Betroffene. Das ist derjenige, der nach dem jeweiligen konkreten Verfahrensstand durch die beabsichtigte Maßnahme in seiner auf einer Firmenbucheintragung beruhenden Rechtsstellung unmittelbar beschränkt werden soll oder zwingend beschränkt wird (6 Ob 73/22m; 6 Ob 19/97f uva; Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 168). Die Parteistellung ist jedoch nicht auf diesen in § 18 FBG umschriebenen Kreis der Betroffenen beschränkt. Es ist nach dem materiellen Parteibegriff nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG jede Person umfasst, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (6 Ob 73/22m; 6 Ob 195/10k). Insgesamt ist damit darauf abzustellen, ob der Rechtsmittelwerber ein rechtliches Interesse hat, das entweder auf einem eingetragenen Recht beruht oder das in einem anderen Verfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0059158 [T11]; zuletzt 6 Ob 73/22m).

[8] 3.1. Während gemäß § 5 Z 6 FBG bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung alleGesellschafter im Firmenbuch einzutragen sind, sind bei Aktiengesellschaften Aktionäre in der Regel nicht im Firmenbuch eingetragen (mit Ausnahme der hier nicht relevanten, in § 5 Z 6 FBG genannten Fälle).

[9] Vor diesem Hintergrund wird bei Eintragungsbeschlüssen grundsätzlichsowohl die Beteiligtenstellung der Aktionäre nach § 18 FBG als auch eine Rekurslegitimation nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG nach herrschender Ansicht verneint (Szöky in Straube/Ratka/Rauter, UGB4 § 18 FBG [Stand 1. 4. 2020, rdb.at] Rz 9; Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 18 FBG Rz 21; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 2 Rz 236; RS0006911; 6 Ob 14/93 [Verschmelzung]; 6 Ob 301/98b [Umwandlung nach dem UmwG]; 6 Ob 36/06x [Spaltung]; 6 Ob 80/07v [Satzungsänderungen]).

[10] 3.2. Dies gründet vor allem darauf, dass die Befugnisse der Aktionäre genau umschrieben sind (vgl § 102 AktG) und – wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt – in der Hauptversammlung ausgeübt werden; zu diesen Befugnissen gehören aber Rechte im Zusammenhang mit Firmenbucheintragungen nicht (6 Ob 80/07v). Die Aktionäre können allenfalls mit speziellen aktienrechtlichen Instrumenten gegen Hauptversammlungsbeschlüsse vorgehen. Ihr rechtliches Interesse ist durch das Aktienrecht oder andere Materiengesetze (zB UmwG; SpaltG) speziell geregelt und kanalisiert (Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 18 FBG Rz 21; vgl 6 Ob 301/98b; RS0006911; RS0006914). Aktionären kommt daher auch dann keine Beteiligtenstellung im Firmenbuchverfahren und damit auch kein Rekursrecht zu, wenn diese – wie im Fall des § 230 Abs 2 AktG und des § 14 Abs 3 SpaltG – die Möglichkeit zur Erhebung der Nichtigkeitsklage im eigentlichen Sinn verlieren und stattdessen auf Geldansprüche verwiesen werden (6 Ob 36/06x; 6 Ob 80/07v).

[11] 4. Gemäß § 40 Abs 1 FBG gilt eine Kapitalgesellschaft – sofern das Vorhandensein von Vermögen nicht offenkundig ist – bis zum Beweis des Gegenteils auch dann als vermögenslos, wenn sie die Jahresabschlüsse und gegebenenfalls die Lageberichte (§§ 277 ff UGB) von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht vollzählig zum Firmenbuch eingereicht hat und seit dem Zeitpunkt, zu dem der Jahresabschluss für das zweite Geschäftsjahr einzureichen gewesen wäre, mindestens sechs Monate vergangen sind. Diesfalls kann die Gesellschaft amtswegig und ohne Liquidation gelöscht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann nach der Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch eine Fortsetzung („Reaktivierung“) der Gesellschaft auch nicht mehr im Zuge einer Nachtragsliquidation (§ 40 Abs 4 FBG) erfolgen (RS0120497).

[12] 5. Die Gesellschafter haben im Aufforderungsverfahren zur Löschung der vermögenslosen Gesellschaft nach § 40 FBG kein Recht auf Verständigung gemäß § 18 FBG von der beabsichtigten Löschung und kein Recht auf Zustellung der Löschungsverfügung (RS0115560; Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 40 FBG Rz 30, § 18 FBG Rz 19; G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 40 Rz 53).

[13] 6. Die jüngere Rechtsprechung räumt Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hingegen das Rekursrecht gegen den Löschungsbeschluss nach § 40 FBG ein, weil die Löschung der Gesellschaft zwangsläufig auch zum Verlust ihrer im Firmenbuch eingetragenen Gesellschafterrechte führt (6 Ob 168/02b). Die Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung wird auch damit begründet, dass im Fall des nachträglichen Hervortretens von Gesellschaftsvermögen die Abwicklung ohne Fortsetzungsmöglichkeit stattzufinden und der Gesellschafter damit keine Möglichkeit hat, die Gesellschaft nach Eintragung der amtswegigen Löschung fortzusetzen (6 Ob 168/02b; vgl auch 6 Ob 183/01g; Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 15 FBG Rz 91 ff; Zib in Zib/Dellinger UGB § 15 FBG Rz 31; G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 40 Rz 83; aA G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 2 Rz 226 ff). Davon abgesehen erschiene es nach dieser Rechtsprechung unbillig, Gesellschaftern ein Rekursrecht zu verweigern, Gläubigern (vgl RS0006888) hingegen dieses Recht wegen der Erschwerung ihrer Rechtsverfolgung in einem anhängigem Passivprozess gegen die Gesellschaft einzuräumen (6 Ob 168/02b).

[14] 7.1. Anders als bei Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung berührt der Löschungsbeschluss zwar bei Aktionären (im Regelfall, vgl § 5 Z 6 FBG) nicht eine im Firmenbuch eingetragene rechtliche Stellung. Allerdings ist ein Rekursrecht auch dann anzuerkennen, wenn durch die Firmenbucheintragung ein rechtliches Interesse beeinträchtigt wird, das in einem anderen Verfahren nicht mehr (effizient) geltend gemacht werden kann (siehe Punkt 2.). Diese Voraussetzungen sind im Amtslöschungsverfahren (auch) für die Aktionäre gegeben.

[15] 7.2. Im Unterschied zu jenen Fallkonstellationen, in denen die Auflösung und Löschung der Gesellschaft auf einen Hauptversammlungsbeschluss zurückgeht (etwa bei Umwandlungen, Verschmelzungen, Auflösungsbeschlüssen etc), wird hier die Auflösung und Löschung der Gesellschaft unmittelbar durch den Gerichtsbeschluss bewirkt. Der Aktionär kann hier also nicht darauf verwiesen werden, er könne sich ohnehin gegen den zugrunde liegenden Gesellschafterbeschluss mit Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage im streitigen Rechtsweg wehren und in der Folge die Rückgängigmachung der Firmenbucheintragungen erwirken (siehe Punkt 3.2.). Er ist vielmehr auf die Rekurserhebung gegen den Löschungsbeschluss angewiesen, um die irreversible Rechtsfolge der Löschung abzuwehren (ausführlich Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 15 FBG Rz 91 ff, Rz 100). Denn auch der Aktionär hat keine Möglichkeit mehr, die Gesellschaft nach Eintragung der amtswegigen Löschung fortzusetzen. Das Amtslöschungsverfahren ist überdies weder durch eine Beschränkung der Aktionärsrechte gekennzeichnet, die gegebenenfalls für eine restriktive Auslegung der Rechtsmittelbefugnis nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG spräche, noch können die Interessen der Aktionäre an einer allfälligen Fortsetzung der Gesellschaft bei amtswegiger Löschung wirksam in der Hauptversammlung ausgeübt werden.

[16] 7.3. Wie dem Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch dem Aktionär im Fall der Amtslöschung nach § 40 FBG ein Interesse am Fortbestand der in Wahrheit nicht vermögenslosen Gesellschaft zuzubilligen (in diesem Sinne auch G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 40 Rz 12). Dieses Interesse stellt aufgrund der dargelegten Beeinträchtigung deren Rechtsstellung ein rechtliches und nicht nur ein wirtschaftliches Interesse dar (Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 15 FBG Rz 91 ff Rz 100; vgl Klicka/Rechberger in Rechberger/Klicka AußStrG³, § 2 Rz 12; aA G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 2 Rz 226 ff).

[17] 7.4. Daher kommt auch Aktionären das Rekursrecht gegen die amtswegige Löschung der Aktiengesellschaft zu (Pilgerstorfer in Artmann, UGB³ § 15 FBG Rz 100).

[18] 8. Hat das Rekursgericht einen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, anlässlich der Entscheidung über diesen – seiner Ansicht nach verfehlten – Zurückweisungsbeschluss gleich in der Sache selbst zu erkennen (vgl RS0007037). Dies gilt auch im Außerstreitverfahren (2 Ob 203/19w; RS0007037 [T1, T11]; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 70 Rz 3). Der Ausnahmefall, dass das Rekursgericht (auch) eine Sachprüfung vorgenommen hätte und diesfalls eine überprüfbare Sachentscheidung vorläge (RS0044232), liegt hier nicht vor.

[19] Die Entscheidung des Rekursgerichts ist daher aufzuheben. Das Rekursgericht wird den Rekurs der Aktionäre in der Sache zu behandeln haben.

[20] 9. Die Kostenentscheidung gründet auf § 78 Abs 3 letzter Satz AußStrG. Den Rechtsmittelwerbern stand keine Partei mit gegenläufigen Interessen gegenüber.

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