OGH 6Ob215/18p

OGH6Ob215/18p23.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 27.430 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2018, GZ 5 R 108/18s‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00215.18P.0523.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Geht das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung ab, so begründet dies eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RS0043461; RS0043057; E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 503 ZPO Rz 11; Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 128). Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz führt jedoch nur dann zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht (vgl RS0043461 [T1]), wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (vgl RS0043027; RS0043461 [T9]).

Dass dem Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Feststellung des optischen Erscheinungsbilds einer sogenannten „Einkaufswagenremise“, über deren seitliches Begrenzungsrohr die Klägerin stolperte, ein relevanter Verfahrensmangel unterlaufen wäre, vermag die außerordentliche Revision aber nicht darzustellen.

2. Den Inhaber eines Geschäfts treffen bei Anbahnung eines geschäftlichen Kontakts gegenüber seinen Kunden nicht nur allgemeine Verkehrssicherungspflichten (vgl RS0023355; RS0022778), sondern auch vorvertragliche Schutzpflichten (RS0016402). Dies schließt die Verpflichtung ein, die Zugangswege zu einem Geschäftslokal derart zu gestalten, dass deren gefahrlose Benutzung gewährleistet ist (RS0023768). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0110202; RS0111380; RS0029874).

Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen aber nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]; 3 Ob 18/09g). Eine Verkehrssicherungspflicht entfällt, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahrenquelle bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fällt (RS0114360, insb [T11]). Letztlich kommt es auf die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung an (RS0023487 [T7]; RS0022778 [T24]). Ob eine Situation geschaffen wurde, die eine Schädigung naheliegend erscheinen lässt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0110202 [T1, T12, T13, T17]).

3. Nach den Feststellungen kaufte die Klägerin regelmäßig in jenem Drogeriemarkt ein, vor dem sich ihr Sturz ereignete; sie kannte auch die Einkaufswagenremise.

Dass das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund die Gesamtkonstruktion der Remise – bestehend aus einem erhöhten Kopfteil, dem seitlich verlaufenden Metallrohr und den in mehreren Reihen dahinter aufgereihten Einkaufswägen – als so auffällig beurteilte, dass es eine zusätzliche Kennzeichnung oder bauliche Absicherung des seitlichen Metallrohrs für eine gefahrlose Gestaltung der Anlage als entbehrlich ansah, ist vertretbar.

Ergänzender Feststellungen isoliert zur farblichen Anmutung des Metallrohrs bedurfte es in diesem Fall nicht. Dass das Berufungsgericht die Personalbeweise (auf die das Erstgericht seine Feststellungen zur Einkaufswagenremise ohnehin nicht stützte) nicht neuerlich aufnahm, verwirklicht daher keinen wesentlichen Verfahrensmangel.

Mit der darauf gegründeten Rüge zeigt die außerordentliche Revision daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

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