OGH 6Ob205/03w

OGH6Ob205/03w25.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN *****eingetragenen "J***** Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in W*****, wegen Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 HGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer Veit S***** und Wolfgang W*****, und des ehemaligen Geschäftsführers Dr. Helmut S*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 23. Juni 2003, GZ 28 R 205/03b-8, womit über den Rekurs der Gesellschaft und ihrer (teils ehemaligen) Geschäftsführer der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Mai 2003, GZ 1 Fr 2094/03t-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Antrag der Revisionsrekursweber auf "Unterbrechung bzw. Aussetzung" des Verfahrens wird abgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs des ehemaligen Geschäftsführers Dr. Helmut S***** wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit damit über Dr. Helmut S***** eine Zwangsstrafe von 730 EUR verhängt wurde, ersatzlos aufgehoben.

3. Der Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer Veit S***** und Wolfgang W***** wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Zu dem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Unterbrechungsantrag:

Rechtliche Beurteilung

Ansuchen anderer Gerichte um Vorabentscheidung des EuGH entfalten keine Bindungswirkung. § 90a GOG bindet nur das anfragende Gericht (Schragel in Fasching, Zivilprozessgesetze2 Rz 5 zu § 190 ZPO; RIS-Justiz RS0114648).

2. Dr. Helmut S***** wurde mit Beschluss der Alleingesellschafterin vom 30. 4. 2003 mit Wirkung ab diesem Tag als Geschäftsführer abberufen. Er zählte daher bereits im Zeitpunkt des Beschlusses des Erstgerichtes, mit dem (auch) über ihn eine Zwangsstrafe verhängt wurde, nicht mehr zu den gemäß § 277 Abs 1 erster Satz HGB offenlegungspflichtigen und gemäß § 283 HGB mit Zwangsstrafen zur Offenlegung zu zwingenden Personen.

Dem entgegen dem Unzulässigkeitsausspruch des Rekursgerichtes zulässigen und auch berechtigten Revisionsrekurs des Dr. Helmut S***** ist daher im Sinn einer ersatzlosen Aufhebung der insoweit verfehlten Zwangsstrafenbeschlüsse der Vorinstanzen stattzugeben.

3. Zum Revisionsrekurs der übrigen Rechtsmittelwerber ist hingegen mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig und zurückzuweisen:

Der Oberste Gerichtshof beurteilt in ständiger Rechtsprechung die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungsrechtlich unbedenklich und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend und erblickt in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (insbesondere der Publizitätsrichtlinie und der Bilanzrichtlinie) nach mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - (insbesondere vom 4. 12. 1997, Slg 1997 I-6843-Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte nach der EMRK oder in Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft (RIS-Justiz RS0113282; RS0113089). Die Revisionsrekurswerber bekämpfen diese Auffassung überwiegend mit Argumenten, die der Oberste Gerichtshof in Vorentscheidungen schon behandelt und abgelehnt hat. Insoweit sie sich zur Stützung ihrer Ansicht, die Offenlegung verletze Grundrechte (insbesondere Datenschutz und die Rechte aus Art 6,8 und10 EMRK) und es läge kein acte clair-Fall vor, sodass der Oberste Gerichtshof eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen hätte, auf mehrere Erkenntnisse des EuGH und des EGMR berufen und daraus "neue Grundrechtsbedenken" ableiten, ist ihnen - wie schon in den Vorentscheidungen, etwa zur Auskunftspflicht nach dem Bezügebegrenzungsgesetz - die Verschiedenheit der von den Gerichtshöfen behandelten Rechtsmaterien entgegenzuhalten, insbesondere der wesentliche Unterschied, dass im hier zu entscheidenden Fall eine die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des EuGH vorliegt, die keinen Zweifel darüber offen lässt, dass die Offenlegung mit den von den Rekurswerbern relevierten Grundrechten im Einklang steht.

Diese Ansicht wird durch die (neue) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (1. Richtlinie - Publizitätsrichtlinie), ABl. L 221 vom 4. 9. 2003 S. 13, mit welcher der Gesetzgeber der Gemeinschaft an der obligatorischen Offenlegung von Kapitalgesellschaften festhielt, bestätigt. Weder diesem Gesetzgeber noch dem EuGH kann unterstellt werden, sie hätten verkannt, dass es sich bei den offenzulegenden Bilanzangaben um grundrechtlich geschützte Geschäftsgeheimnisse handle. Mit der zitierten Richtlinie vom 15. Juli 2003 ist auch der Einwand der Revisionsrekurswerber, die angeblich "aus grauer Vorzeit" stammenden Richtlinien seien längst als materiellrechtlich derogiert anzusehen, wohl endgültig widerlegt.

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die Europäische Charta der Grundrechte der Europäischen Union geht, wie auch der Verfassungsgerichtshof unlängst in seinem Erkenntnis vom 12. 12. 2003, GZ A 2/01 ua (Abweisung der Staatshaftungsklagen) zutreffend bemerkt hat, allein deshalb fehl, weil diese Charta (noch) nicht für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich ist. Der von den Revisionsrekurswerbern behauptete umfassende Datenschutz des Gemeinschaftsrechts ergibt sich, wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls (in dem eben zitierten Erkenntnis) klar gestellt hat, vielmehr aus sekundärrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Datenschutz-Richtlinie. Diese Vorschriften stehen auf einer Stufe mit den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und können schon deshalb kein Maßstab dafür sein, ob andere Richtlinien mit dem Primärrecht vereinbar sind. Die zum Art 8 EMRK (Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens) ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffen jeweils die Privatsphäre natürlicher Personen und sind auf Offenlegungspflichten von Gesellschaften nicht übertragbar.

Mit der hilfsweisen Bekämpfung der Höhe der verhängten Zwangsstrafen wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG geltend gemacht. Die Strafen bewegen sich durchaus im gesetzlichen Rahmen und sind schon im Hinblick auf die beharrliche Weigerung der Revisionsrekurswerber, die klare Rechtslage im Sinne der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen, unbedenklich.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 16 Abs 4 AußStrG und § 15 Abs 1 FBG).

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