OGH 6Ob204/97m

OGH6Ob204/97m29.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika K*****, vertreten durch Dr.Norbert Lehner und Dr.Alfred Steinbuch, Rechtsanwälte in Neunkirchen, wider die beklagte Partei Johann Z*****, vertreten durch Dr.Martin Schober und Dr.Georg Schober, Rechtsanwälte in Wr.Neustadt, wegen 137.166,67 S infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtes vom 2.April 1997, GZ 13 R 19/97b-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wr.Neustadt vom 12.Oktober 1996, GZ 24 Cg 113/96z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 7.605 S (darin 1.267,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Eltern der 1957 geborenen Klägerin setzten sich im gemeinsamen Testament vom 18.Juli 1988 wechselseitig zu Universalerben ein, beschränkten ihren Sohn (und Bruder der Klägerin) auf den gesetzlichen Pflichtteil, enterbten die Klägerin ausdrücklich, weil diese beharrlich gegen "den Willen der Eltern" eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart führe und wiesen dazu noch darauf hin, die Klägerin habe bereits zur Begleichung ihrer Schulden namhafte Beträge von ihnen erhalten. Die Mutter der Klägerin verstarb am 10.April 1994, ihre Verlassenschaft wurde am 11.November 1996 ihrem Gatten, dem Vater der Klägerin, zufolge seiner unbedingten Erbserklärung auf Grund des Testaments vom 18.Juli 1988 eingeantwortet.

Die Vorinstanzen wiesen die Pflichtteilsklage der Klägerin gegen ihren Vater als Erben nach ihrer Mutter auf Zahlung des ihr nach § 765 ABGB gebührenden Pflichtteils von 137.166,67 S sA zufolge rechtmäßiger Enterbung der Klägerin nach § 768 Z 4 ABGB ab und stellten dazu folgende gerichtliche Verurteilungen der Klägerin fest:

1) Urteil eines szt. Kreisgerichtes vom 5.Dezember 1977 (Schuldspruch wegen der Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch [vier Fakten in der Zeit vom 4.April bis 30.Juni 1977] und des teils vollbrachten, teils versuchten schweren Betrugs [zehn Fakten in der Zeit vom 13.Juni bis 7.Juli 1977 im Zusammenhang mit der Fälschung und Einlösung von Schecks mit der nachgemachten Unterschrift des Kontoinhabers]); Freiheitsstrafe von neun Monaten, bedingt auf drei Jahre; mildernd waren ua das Geständnis, der ordentliche Lebenswandel, das Alter unter 21 Jahren und die zur Gänze erfolgte Schadensgutmachung;

2) Urteil eines Bezirksgerichtes vom 25.Jänner 1978 (Schuldspruch wegen Bargeld-Diebstahls von 3.100 S und 1.500 S); Freiheitsstrafe von einem Monat, bedingt auf drei Jahre; mildernd waren ua das Geständnis und eine an Unzurechnungsfähigkeit grenzende seelische Störung (nach dem Inhalt des neuropsychatrischen Gutachtens infolge einer Krisensituation mit Verlust des Elternhauses, der Arbeitsstelle, bei gleichzeitiger beschwerlicher Schwangerschaft, Mittellosigkeit, Schulden und einer ungesicherten Zukunft);

3) Urteil eines szt. Kreisgerichtes vom 3.September 1979 (Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls [sieben Schmuckdiebstähle in Juweliergeschäften in der Zeit vom 14.Februar bis 17.April 1979], des Vergehens der Untreue (Ausstellen von Schecks auf ein ungedecktes Konto) und des Vergehens der Körperverletzung);

Freiheitsstrafe von 14 Monaten;

4) Strafverfügung eines Bezirksgerichtes vom 5.September 1979 (Vergehen des versuchten Diebstahls von Bargeld von 1.100 S);

Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 40 S;

5) Urteil eines Bezirksgerichtes vom 25.Februar 1983 (Schuldspruch wegen des Vergehens der Beleidigung); Freiheitsstrafe von drei Tagen, bedingt auf zwei Jahre; mildernd waren das Geständnis und die Zwangslage der Klägerin;

6) Urteil eines szt. Kreisgerichtes vom 17.Oktober 1984 (Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Betrugs [Herauslockung von Krediten und Waren in sieben Fakten sowie die Überziehung eines Kontos ohne Möglichkeit, dieses wieder abzudecken, in der Zeit vom 14. Juli 1983 bis 2.Juli 1984]); Freiheitsstrafe von drei Jahren; mildernd waren das Geständnis und die teilweise durch Rückgabe der gekauften Waren bzw der im Kreditweg finanzierten Pkw eingetretene Schadensgutmachung.

Die strafbaren Handlungen der Klägerin richteten sich in keinem Fall gegen ihre Eltern. Die über die Klägerin verhängten Freiheitsstrafen wurden, zum Teil nach Widerruf der bedingten Strafnachsicht, vollzogen; zuletzt wurde sie am 6.Juli 1987 aus der Haft entlassen.

Rechtliche Beurteilung

Die - von der zweiten Instanz nicht zugelassene - außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

a) Der Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB ist dann gegeben, wenn das Kind eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart beharrlich führt. Die etwa vergleichbare Bestimmung des § 2333 Z 5 BGB verlangt die Führung eines ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel des Abkömmlings wider den Willen des Erblassers. Bei der Beurteilung dieser Begriffe muß einerseits auf die Zeitanschauung, somit auf die - sich auch wandelnden - allgemeinen Wertevorstellungen einer Gesellschaft (1 Ob 95/97w; Welser in Rummel2, § 768 ABGB Rz 5), andererseits auf die Anschauungen und den gesellschaftlichen Lebenskreis des Erblassers (1 Ob 95/97w; vgl auch Münchener Kommentar zum BGB2 § 2333 Rz 14 mwN) - muß doch die Lebensart geeignet sein, das Ansehen der Familie in der Öffentlichkeit herabzusetzen (Kralik in Ehrenzweig, System, Erbrecht3 280) - und schließlich darauf Rücksicht genommen werden, was im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Sprachgebrauch der österr. Gesetze unter Verstößen gegen die öffentliche Sittlichkeit verstanden wird (6 Ob 182/64; NZ 1979, 194; 3 Ob 636/80; RIS-Justiz RS0012850). Der Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB liegt nach herrschender Auffassung auch vor, wenn der Erbe einen nach den herrschenden sittlichen Begriffen die öffentliche Sittlichkeit gröblich verletzenden, anders als hier nicht einmal strafrechtlich verpönten Lebenswandel führt (NZ 1979, 194 mwN; 3 Ob 636/80; Eccher in Schwimann2 § 768 ABGB Rz 10), ohne daß dies auf Verstöße gegen die Sexualmoral beschränkt wäre; in der Entscheidung SZ 38/194 = EF 4.572 wurde etwa bei zahlreichen, wenngleich auch geringfügigen Diebstählen des Noterben das Vorliegen dieses Enterbungsgrunds bejaht (vgl auch Welser aaO § 768 ABGB Rz 8 mwN). Erforderlich ist ferner, daß die unsittliche Lebensweise beharrlich fortgesetzt wird, somit mit Wissen und Willen des Noterben länger andauert bzw durch eine Vielzahl von Verstößen gekennzeichnet ist (SZ 38/194; RIS-Justiz RS0015375; Eccher aaO § 768 ABGB Rz 10; Koziol/Welser, Grundriß10 II 392; Kralik aaO 281) und gegen den Willen des Erblassers geführt wird (NZ 1979, 194 mwN; 3 Ob 636/80, zuletzt 1 Ob 95/97w; RIS-Justiz RS0012849; Eccher aaO § 768 ABGB Rz 10). Ausgehend von diesen allgemeinen Maßstäben ist die rechtliche Beurteilung der zweiten Instanz zu billigen, sind doch fortgesetzte strafbare, nicht unbedeutende Eigentumsdelikte wie hier, die zu verbüßten Haftstrafen führten, geeignet, in der Öffentlichkeit Anstoß zu erregen und das Ansehen der Erblasserin herabzusetzen (1 Ob 95/97w mwN; Kralik aaO 280). Die Enterbung der Klägerin gemäß § 768 Z 4 ABGB durch ihre Eltern, die an der Lebensweise ihres Kindes massive Kritik übten, erweist sich demnach doch als berechtigt.

§ 768 Z 3 ABGB ist auch bei einer einzigen strafbaren Handlung verwirklicht, sofern der Noterbe zu einer zumindest 20jährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, § 768 Z 4 ABGB hingegen erst bei einer länger andauernden vorwerfbaren und vom Erblasser nicht gebilligten Lebensweise, unabhängig davon, ob diese - anders als hier - auch zu strafbaren Handlungen führte.

b) Der Beweis des Wegfalls des Enterbungsgrundes obliegt dem Kläger, denn der Erbe muß nur das Vorliegen des von ihm behaupteten Enterbungsgrundes, also die Berechtigung der Enterbung des Pflichtteilsberechtigten, behaupten und beweisen (SZ 48/19 ua, zuletzt 1 Ob 95/97w). Der Enterbungsgrund muß unbestritten im Zeitpunkt der Errichtung des letzten Willens, in dem die Enterbung ausgesprochen wird, vorliegen; daß der Enterbungsgrund bis zum Tod des Erblassers andauern müßte, ist entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung nicht richtig, weil es sonst einer nur durch - hier nicht einmal behaupteten - Widerruf nach § 772 ABGB zulässigen Aufhebung der Enterbung nicht bedürfte. Die einmal ausgesprochene (rechtmäßige) Enterbung kann somit nur durch einen in der gesetzlichen Form erklärten Widerruf nach § 772 ABGB aufgehoben werden (GlUNF 2241; zuletzt 1 Ob 95/97w; Welser aaO § 772 ABGB Rz 1; Kralik aaO 285), die Änderung des Lebenswandels im Zeitpunkt des Erbanfalls allein nimmt einer rechtmäßigen Enterbung nicht ihre Wirkung (Welser aaO § 768 ABGB Rz 6 mwN). Im österr. Recht fehlt nämlich eine dem § 2336 Abs 4 BGB entsprechende Norm, wonach § 2333 Z 5 BGB dann nicht mehr Entziehungsgrund ist, "wenn sich der Abkömmling zur Zeit des Erbfalls von dem ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel dauernd abgewendet hat." Da nach übereinstimmender österr. Lehre und Rspr (10 Ob 2379/96t mwN; RIS-Justiz RS0014979) auch Verzeihung und Versöhnung allein keinen Widerruf der Enterbung iSd § 772 ABGB bedeuten, kann dem von der Klägerin hervorgehobenen Wohlverhalten und ihrem Naheverhältnis zu ihrer Mutter, der Erblasserin, im Zeitpunkt deren Todes keine rechtliche Bedeutung zukommen. Daß die Erblasserin zufolge Geschäfts- und/oder Handlungsunfähigkeit zu einem Testamentswiderruf nicht mehr in der Lage gewesen wäre, entspricht nicht dem festgestellten Sachverhalt.

Dem Rechtsmittel kann daher kein Erfolg beschieden sein. Auf die Frage, ob die Klägerin bereits namhafte Beträge zur Begleichung ihrer Schulden und Schadensgutmachung (in Ansehung ihrer Vermögensdelikte) von der Erblasserin erhalten hat, kommt es nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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