European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119775
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 28. 5. 2015 (ON 25), dem Betroffenen am 8. 6. 2015 zugestellt, wurde für den Betroffenen gemäß § 268 ABGB ein Sachwalter bestellt, wobei dieser mit der Einkommens‑ und Vermögensverwaltung (eingeschränkt auf zwei anhängige Exekutionsverfahren und die Schuldenregulierung) und mit der Vertretung vor Behörden, Gerichten und Ämtern (eingeschränkt auf zwei anhängige Exekutionsverfahren und die Schuldenregulierung) betraut wurde.
Gegen diesen Sachwalterbestellungsbeschluss vom 28. 5. 2015 (ON 25) erhob der Betroffene am 18. 6. 2015, somit rechtzeitig, Rekurs (ON 28).
Das Rekursgericht gab diesem Rekurs des Betroffenen vom 18. 6. 2015 gegen die Sachwalterbestellung keine Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu (ON 30). Ein weiteres Rechtsmittel gegen die Sachwalterbestellung erhob der Betroffene nicht.
Das Erstgericht genehmigte mit Beschluss vom 20. 10. 2016 (ON 60) einen Kaufvertrag vom 11. 10. 2016, welcher zwischen dem Betroffenen als Verkäufer und der B* GmbH als Käuferin mit einem vereinbarten Kaufpreis von 300.000 EUR abgeschlossen worden war, pflegschaftsgerichtlich.
Mit Eingabe vom 2. 11. 2016 (ON 62), somit jedenfalls rechtzeitig, erhob der Betroffene persönlich Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 20. 10. 2016 (ON 60) über die Genehmigung des neuen Kaufvertrags.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen vom 2. 11. 2016 (ON 62) gegen die Genehmigung des neuen Kaufvertrags (Beschluss ON 60) keine Folge, sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteigt und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu (ON 69). Dieser Beschluss des Rekursgerichts vom 17. 11. 2016 wurde dem Betroffenen am 29. 11. 2016 zugestellt.
Mit Eingabe vom 12. 12. 2016 (ON 71), sohin innerhalb der ihm zustehenden Rechtsmittelfrist, beantragte der Betroffene die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 17. 11. 2016 (ON 69) über die Genehmigung des neuen Kaufvertrags.
Mit Beschluss vom 21. 12. 2016 (ON 72), dem Betroffenen am 4. 1. 2017 zugestellt, wies das Erstgericht den Antrag des Betroffenen (ON 71) auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang ab.
Gegen diesen Beschluss des Erstgerichts vom 21. 12. 2016 (ON 72) über die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags erhob der Betroffene persönlich am 17. 1. 2017, somit rechtzeitig, Rekurs (ON 75).
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen vom 17. 1. 2017 gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts vom 21. 12. 2016 (ON 72) dahingehend ab, dass die Verfahrenshilfe im vollen Umfang bewilligt wird (Punkt I. in ON 81). Dieser Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81) wurde dem Betroffenen am 31. 5. 2017 zugestellt.
Mit Bescheid vom 29. 5. 2017 (ON 85) bestellte die Salzburger Rechtsanwaltskammer Dr. Josef Dengg zum Verfahrenshelfer des Betroffenen.
Mit Beschluss vom 21. 12. 2016 (ON 73), dem Betroffenen am 4. 1. 2017 zugestellt, wies das Erstgericht überdies den Antrag des Betroffenen auf Beendigung der Sachwalterschaft ab.
Mit Eingabe vom 18. 1. 2017 (ON 77), somit rechtzeitig, erhob der Betroffene persönlich Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 21. 12. 2016 (ON 73) über die Abweisung seines Antrags auf Beendigung der Sachwalterschaft.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 21. 12. 2016 (ON 73) über die Abweisung seines Antrags auf Beendigung der Sachwalterschaft keine Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu (Punkt II. in ON 81). Dieser Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81) wurde dem Betroffenen am 31. 5. 2017 zugestellt.
Mit Eingabe vom 13. 6. 2017 (ON 87), sohin innerhalb der ihm zustehenden Rechtsmittelfrist, beantragte der Betroffene die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81, Punkt II.).
Mit Beschluss vom 20. 6. 2017 (ON 89) bewilligte das Erstgericht (erneut) die Verfahrenshilfe im vollen Umfang des § 64 Abs 1 ZPO.
Mit Bescheid vom 14. 7. 2017 (ON 91) bestellte die Salzburger Rechtsanwaltskammer MMag. Dr. Johann Schilchegger zum Verfahrenshelfer des Betroffenen. MMag. Dr. Johann Schilchegger erhielt – nach entsprechender Verfügung durch das Erstgericht – am 19. 7. 2017 den Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81).
Mit Schriftsatz vom 21. 6. 2017 (ON 90), sohin rechtzeitig, erhob der Betroffene, vertreten durch den ersten bestellten Verfahrenshelfer Dr. Dengg, außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81) betreffend die Beendigung der Sachwalterschaft. Inhaltlich beschäftigt sich der durch Dr. Dengg verfasste außerordentliche Revisionsrekurs jedoch ausschließlich mit der Genehmigung des neuen Kaufvertrags (Beschlüsse ON 60 und ON 69).
Mit Schriftsatz vom 28. 7. 2017 (ON 92) erhob der Betroffene, vertreten durch den zweiten bestellten Verfahrenshelfer MMag. Dr. Schilchegger, außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (Punkt II. in ON 81) betreffend die Beendigung der Sachwalterschaft. Dieser außerordentliche Revisionsrekurs beschäftigt sich inhaltlich mit der Beendigung der Sachwalterschaft.
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse sind nicht zulässig.
1.1. Gemäß § 7 Abs 1 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über die Verfahrenshilfe sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 64 Abs 1 ZPO kann die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit und ein nach Abschluss des Rechtsstreits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren die in § 64 Abs 1 Z 1 bis Z 5 ZPO näher beschriebenen Begünstigungen umfassen. Gemäß § 64 Abs 2 Satz 1 ZPO ist überdies bei Bewilligung der Verfahrenshilfe auszusprechen, welche der im Abs 1 aufgezählten Begünstigungen und welche zur Gänze oder zum Teil gewährt werden. Die Begünstigung nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO (unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts) darf jedoch gemäß § 64 Abs 2 Satz 2 ZPO nur in vollem Ausmaß gewährt werden.
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Bewilligung einer Teil‑Verfahrenshilfe im Gesetz nur insoweit vorgesehen, als der Umfang der gesetzlich normierten Begünstigungen beschränkt werden kann; ansonsten wirkt die Verfahrenshilfe für das ganze Verfahren, für das sie beantragt wurde (RIS‑Justiz RS0036177). Die Bewilligung der Verfahrenshilfe kann daher nicht auf bestimmte Prozesshandlungen oder Prozessabschnitte beschränkt werden (RIS‑Justiz RS0036177 [T2]). Wird im Rahmen der Verfahrenshilfe die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt und ein solcher auch bestellt, so kann dies gemäß § 64 Abs 2 Satz 2 ZPO nur für alle im Zuge des weiteren Verfahrens zu setzenden Prozesshandlungen gelten, also auch für die Erhebung von Rechtsmitteln gegen alle noch anfechtbaren Entscheidungen (RIS‑Justiz RS0036177 [T4]). Die Vertretung des Verfahrenshelfers erstreckt sich – auch bei unklarer oder missverständlicher Formulierung – stets auf das gesamte (weitere) Verfahren; eine Beschränkung auf einzelne Verfahrensabschnitte ist gesetzlich nicht zulässig (RIS‑Justiz RS0036177 [T5]). Diese Rechtsprechung ist auch auf Außerstreitverfahren anzuwenden (vgl 3 Ob 49/09s; 9 Ob 57/12s; 8 Ob 86/15b; 6 Ob 6/16z).
1.3. Nach ständiger Rechtsprechung tritt bei einem unzulässigen – anders als bei einem unberechtigten – Verfahrenshilfeantrag keine Fristunterbrechung gemäß § 73 Abs 2 ZPO bzw § 464 Abs 3 ZPO ein. Dass die Frist wegen der Unzulässigkeit des Verfahrenshilfeantrags nicht unterbrochen wurde, ist überdies im Rechtsmittelverfahren ohne Rücksicht darauf aufzugreifen, dass der Antrag (zu Unrecht) als zulässig behandelt wurde (RIS‑Justiz RS0123515; 6 Ob 158/16b). Diese Rechtsprechung lässt sich in Anbetracht der mit dem Streitverfahren übereinstimmenden Regelung der Fristunterbrechung in § 7 Abs 2 AußStrG grundsätzlich auch auf das Außerstreitverfahren übertragen.
1.4. Die zitierte Judikaturlinie wird jedoch den Besonderheiten des Sachwalterschaftsverfahrens nicht gerecht. Anders als im Streitverfahren und in zahlreichen Außerstreitverfahren kann es im Sachwalterschaftsverfahren nicht nur einen einzigen Verfahrensgegenstand geben, sondern es kann vorkommen, dass das Gericht im Laufe eines unter Umständen viele Jahre dauernden Verfahrens zahlreiche völlig verschiedene Fragen zu behandeln hat. Genau eine solche Konstellation liegt im vorliegenden Fall vor: Zwischen dem Antrag auf Beendigung des Sachwalterschaftsverfahrens und der Genehmigung des Kaufverfahrens besteht kein Zusammenhang. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, dass das Erstgericht für alle in Zukunft vielleicht noch auftretenden Fragen die Verfahrenshilfe bewilligen wollte, zumal die sich hier stellenden Schwierigkeiten von ganz unterschiedlicher Art und Intensität sein können. Die in Punkt 1.2. zitierte Rechtsprechung bezieht sich in einer solchen Konstellation nur auf die Entscheidung über den jeweiligen Verfahrensgegenstand; nur insoweit handelt es sich im Sinne der Verfahrenshilfe um ein „Verfahren“, auf das sich die Bewilligung der Verfahrenshilfe unteilbar erstreckt.
2. Daraus ergibt sich, dass der durch MMag. Dr. Schilchegger eingebrachte außerordentliche Revisionsrekurs vom 28. 7. 2017 nicht verspätet ist, weil die zu RIS‑Justiz RS0123515 ergangene Rechtsprechung sich nicht auf den Fall bezieht, dass im Zuge eines Sachwalter- oder Pflegschaftsverfahrens die Entscheidung über völlig verschiedene Verfahrensgegenstände erfolgt. Daher stand dem zweiten Verfahrenshilfeantrag des Betroffenen am 13. 6. 2017 zur Bekämpfung der Abweisung seines Antrags auf Beendigung der Sachwalterschaft nicht entgegen, dass dem Betroffenen die Verfahrenshilfe bereits rechtskräftig durch die Entscheidung des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 für die Bekämpfung der Genehmigung des Kaufvertrags bewilligt worden war.
3.1. Der durch Dr. Dengg eingebrachte außerordentliche Revisionsrekurs bezeichnet zwar den Beschluss des Rekursgerichts vom 10. 5. 2017 (ON 81) als angefochtene Entscheidung und zitiert auch aus diesem Beschluss. Aus dem übrigen Inhalt dieses außerordentlichen Revisionsrekurses ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass Dr. Dengg eigentlich den Beschluss des Rekursgerichts vom 17. 11. 2016 (ON 69), welcher die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des neuen Kaufvertrags behandelt, bekämpft. Dieser außerordentliche Revisionsrekurs ist daher als ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 17. 11. 2016 (ON 69) zu behandeln (vgl RIS‑Justiz RS0041680 und RS0041686).
3.2. Inhaltlich führt der Revisionsrekurs aus, dass das Rekursgericht den Willen und die Bedürfnisse des Betroffenen, welche es gemäß § 281 Abs 1 ABGB zu berücksichtigen gehabt hätte, außer Acht gelassen habe.
3.3. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Veräußerung von Grundbesitz setzt den offenbaren Vorteil des Betroffenen voraus. Diese Frage muss das Gericht nach seinem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Bedachtnahme auf die wohlverstandenen Interessen des Betroffenen (vgl 3 Ob 50/11s), beurteilen. Dem Willen des Gesetzgebers entsprechend muss dabei ein äußerst strenger Maßstab angelegt werden, um das unbewegliche Vermögen des Betroffenen zu erhalten (1 Ob 127/05s; 2 Ob 196/05w; 3 Ob 50/11s).
3.4. Die Entscheidung über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Veräußerung von Grundbesitz ist daher regelmäßig eine Einzelfallentscheidung. Eine an den besonderen Umständen des Einzelfalls orientierte, letztlich dem billigen Ermessen des Gerichts anheimgestellte Entscheidung ist jedoch, wenn sich keine eklatante Fehlbeurteilung erkennen lässt, nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0044088 [T10]). Die Entscheidung, ob die Veräußerung einer Liegenschaft dem Wohl des Betroffenen dient, ist daher nur dann einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof zugänglich, wenn den Vorinstanzen ein grober Fehler unterlaufen wäre (1 Ob 127/05s; 2 Ob 196/05w; 3 Ob 50/11s).
3.5. Wenn das Rekursgericht in Anbetracht des Umstands, dass durch die Veräußerung der unbebauten Liegenschaft des Betroffenen ein Kaufpreis in Höhe des im Exekutionsverfahren ermittelten Schätzwerts erzielt werde, zu dem Ergebnis gelangte, dass die Veräußerung zum offenbaren Vorteil des Betroffenen ist, ist darin jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken, zumal dadurch– anders als im Exekutionsverfahren – die sichere Erzielung des Schätzwerts gewährleistet ist und der Betroffene zudem in die Lage versetzt wird, zumindest vorläufig sein Wohnhaus zu behalten.
4.1. Der Revisionsrekurs des MMag. Dr. Schilchegger bekämpft die Abweisung des Antrags des Betroffenen auf Beendigung der Sachwalterschaft.
4.2. Die Beurteilung der Frage, ob genügend und welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines (einstweiligen) Sachwalters vorliegen, ist immer eine solche des Einzelfalls, aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0106166). Diese Rechtsprechung gilt auch für die Frage, ob die Sachwalterschaft zu beenden ist.
4.3. Wenn die Vorinstanzen im Hinblick auf die vorliegenden Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen und die von ihm in den Jahren 2015 und 2016 aufgenommenen Befunde zu der Auffassung gelangten, die Gründe für die Bestellung eines Sachwalters seien nicht weggefallen (§ 278 Abs 2 ABGB); vielmehr bestünden nach wie vor psychopathologische Phänomene, die dazu führten, dass der Betroffene gewonnene bzw von Dritten vermittelte Erkenntnisse nicht umsetzen könne, ist dies nicht zu beanstanden. Bei dieser Sachlage bestand auch kein Anlass für die Durchführung einer nach § 128 Abs 2 AußStrG ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellten mündlichen Verhandlung. Der bloße Umstand, dass der Betroffene ein Gutachten für unzutreffend hält, führt auch nicht zur Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens.
5. Zusammenfassend bringen beide Revisionsrekurse sohin keine Rechtsfrage der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen waren.
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