OGH 6Ob149/21m

OGH6Ob149/21m22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* GmbH, *, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2021, GZ 2 R 39/21a‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00149.21M.1222.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin

[1] 1.1. Im Unterlassungsbegehren kann das unzulässige Verhalten verallgemeinernd umschrieben und durch „insbesondere“ aufgezählte Einzelverbote verdeutlicht werden (4 Ob 104/20b MR 2020, 379 [Korn] = ecolex 2021, 240 [Hornyk]). Durch die „insbesondere“ angeführten Beispielsfälle wird das Unterlassungsgebot aber nur verdeutlicht, nicht eingeschränkt (RS0037634 [T5]). Auch bei einer solchen allgemeinen Fassung des Urteilsbegehrens muss der Spruch den Kern der Verletzungshandlung erfassen (4 Ob 104/20b MR 2020, 379 [Korn] = ecolex 2021, 240 [Hornyk]); andernfalls kann das Verbot auf den „insbesondere“ Zusatz eingeschränkt und der überschießende Teil abgewiesen werden (4 Ob 104/20b MR 2020, 379 [Korn] = ecolex 2021, 240 [Hornyk]). Bei der Fassung des Unterlassungsgebots ist immer auf die Umstände des einzelnen Falls abzustellen, sodass der konkreten Formulierung – bei Beachtung der von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätze – keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (RS0037671 [T1]).

[2] 1.2. Das Berufungsgericht erachtete das begehrte Verbot der Behauptung, die klagende Reiseveranstalterin versuche Kunden rechtswidrig und wider besseres Wissen zum kostenpflichtigen Vertragsrücktritt zu bewegen, als zu weit gefasst. Der Kern der Verletzungshandlung liege in der wahrheitswidrigen Behauptung, die Klägerin versuche Kunden zum kostenpflichtigen Vertragsrücktritt zu bewegen, obwohl sie selbst die Reise bereits storniert habe. Das überschießende Begehren sei daher abzuweisen. Diese Rechtsansicht wendet die dargestellten Grundsätze in vertretbarer Weise auf den vorliegenden Einzelfall an. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

2. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten

[3] 2.1. Die vom Beklagten behaupteten Verfahrensmängel wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 2.2. Bei der Beurteilung, ob eine nicht namentlich genannte Person von einer beleidigenden, kreditschädigenden Äußerung betroffen ist, handelt es sich um eine Frage der Auslegung, die so sehr von den Umständen des Einzelfalls abhängt, dass ihr regelmäßig keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0031757 [T3]). Das Berufungsgericht bejahte die Betroffenheit der Klägerin mit der Begründung, dass es (im maßgeblichen Zeitpunkt am österreichischen Markt nur zwei Anbieter von Event-Maturareisen gab, von denen einer im vom Beklagten ausgewählten Beitrag zu Wort gekommen und nicht mit der berichteten unseriösen Praktik konfrontiert worden sei, was nahelege, dass der andere Anbieter – die Klägerin – betroffen gewesen sei; weiters mit der zeitlichen Abfolge des Stornoangebots der Klägerin an ihre Kunden und dem Bericht des Beklagten; schließlich damit, dass die eingeblendeten Informationen über die Reisedestination und das Reisedatum mit der von der Klägerin angebotenen Reise übereinstimmten. Soweit die außerordentliche Revision des Beklagten hervorhebt, dass darüber hinaus keine weiteren Anhaltspunkte für die Identifizierbarkeit der Klägerin gesprochen hätten, wird dadurch keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dargetan.

[5] 2.3. Unwahr ist eine Äußerung nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn ihr sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (RS0031798 [T15]). Wie weit der Tatsachenkern, der wahr sein muss, im Einzelfall zu ziehen ist, ist – abgesehen von einer groben Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0113640). Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts betraf der relevante Tatsachenkern die Frage, ob die Klägerin ihren Kunden zu einem Zeitpunkt, zu dem der Entfall der Reise bereits feststand, eine kostenpflichtige Stornomöglichkeit anbot, nicht aber die Frage, welche rechtlichen Folgen allfällige Einschränkungen des Leistungsangebots aufgrund der COVID-Pandemie nach sich gezogen hätten. Diese Auslegung ist vertretbar und begründet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[6] 2.4. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Behauptung, die in der wahrheitsgetreuen Wiedergabe der Äußerung eines Dritten besteht (Zitat), nach der gebotenen Interessenabwägung gerechtfertigt sein, wenn keine Identifikation des Verbreiters mit der veröffentlichten Meinung des Zitierten stattfand (vgl RS0111733). Die Vorinstanzen verstanden das Klagebegehren allerdings dahin, dass sich die Klägerin gegen den im Beitrag berichteten Sachverhalt als unwahr wandte, nicht gegen die Wiedergabe der hypothetischen Beurteilung dieses Sachverhalts durch eine Verbraucherschutzjuristin. Der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042828 [T3, T16]). Eine grobe Fehlbeurteilung wird vom Beklagten auch in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt.

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