OGH 5Ob98/11i

OGH5Ob98/11i25.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin Gisela M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger, Dr. Dieter Perz, Dr. Georg Wallner und Dr. Markus Warga, Rechtsanwälte in Hallein, gegen die Antragsgegner 1. Dr. Fritz S*****, 2. Hans‑Ernst B*****, 3. Dkfm. Helmuth B*****, 4. Bernd G*****, 5. Pauline G*****, 6. Dipl.‑Ing. Alfred S*****, 7. Editha V*****, 8. Dr. Klaus J*****, 9. Beatrix K*****, 10. Karl M***** und 11. Gerda M*****, beide *****, 12. Oskar T*****, 13. Brigitte H*****, 14. Dr. Brigitta G*****, 15. Christina H*****, 16. Dr. Richard H***** und 17. Dr. Romy H*****, beide *****, 18. Mag. Ingrid N***** und 19. Dr. Franz N*****, beide *****, 20. Dr. Christian P*****, 21. Dr. Sigurd H*****, 22. Dr. Karin S*****, 23. Mag. Martin N*****, 24. Gabriele H*****, und 25. Interessengemeinschaft „P*****“ *****, 5., 8., 10., 11., 21., 22., 23. und 25. Antragsgegner vertreten durch Dr. Markus Kroner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen §§ 16 Abs 2, 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 26. Jänner 2011, GZ 22 R 341/10v‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00098.11I.0825.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG, § 52 Abs 2 WEG 2002 iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Die Antragstellerin begehrt die Genehmigung einer über ihrer Wohnung durchgeführten Öffnung des Daches zum Zweck der Errichtung einer Dachterrasse im Ausmaß von 9,15 m². Die Vorinstanzen verneinten übereinstimmend das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002. Die Antragstellerin macht dazu in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage geltend:

Rechtliche Beurteilung

1.  Zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts im Sinn des § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002 (§ 13 Abs 2 Z 2 WEG 1975) liegt bereits eine umfangreiche Judikatur des erkennenden Senats vor (vgl RIS-Justiz RS0083240; RS0083378; RS0083341; RS0083345; RS0083356; RS0083233; RS0106050; RS0106560; RS0108579; RS0110977), in der auch schon zu Dachterrassen Stellung genommen wurde (vgl RIS-Justiz RS0110976; RS0083345) und nach der insbesondere bloße Zweckmäßigkeitserwägungen (5 Ob 269/98i wobl 2000/39, 87 [ Hausmann ] = MietSlg 50.576 = bbl 1999/133, 121 = immolex 1999/100, 145 = NZ 1999, 391) und eine Steigerung des Wohn- und Verkehrswerts der Wohnung (vgl RIS-Justiz RS0083341; 5 Ob 92/94 wobl 1995/63, 143 [ Markl ] = MietSlg 46.522/29) für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht genügen (5 Ob 63/08p wobl 2008/93, 272).

2. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002 kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (jüngst etwa 5 Ob 70/11x; RIS-Justiz RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Diese Beurteilung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind (vgl RIS-Justiz RS0109643; 5 Ob 275/05k immolex 2006/101, 220 = EvBl 2006/131, 689; 5 Ob 63/08p wobl 2008/93, 272); dabei ist dem Rechtsanwender ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (jüngst etwa 5 Ob 70/11x; 5 Ob 73/10m mwN; ferner 5 Ob 109/06z; 5 Ob 47/06g mwN = wobl 2006/96, 221 [Call] = MietSlg 58.408). Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor. Nur in Fällen einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hat der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 63/08p wobl 2008/93, 272). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor:

3. Die Antragstellerin hält die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, ob es ein wichtiges Interesse begründe, wenn zusätzliche Belichtungsflächen in Wohnräumen deshalb hergestellt werden, weil die zur Zeit ihrer Errichtung vorgesehenen Belichtungsflächen geringer dimensioniert waren, als dies die Baubehörde gemäß § 11 Oö BauTV bei Neuerrichtung fordern würde, damit beim Bewohner keine depressive Stimmung bzw keine Gesundheitsschädigung entstehe. Dazu hat bereits das Rekursgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass § 11 Oö BauTV (LGBl 1994/106), der für die Gesamtfläche der Belichtungsöffnungen von Wohnräumen und natürlich belichteten Aufenthaltsräumen mindestens 10 %, bei einer Raumtiefe von mehr als 5 m mindestens 12 % der Fußbodenfläche verlangt, erst am 1. 1. 1995 in Kraft getreten ist (§ 65 leg cit) und ‑ wie die Antragstellerin selbst einräumt ‑ für die Neuerrichtung von Wohnräumen seither gilt. Bei dieser Sachlage kann angesichts des vorhandenen Wohnungsaltbestandes weder angenommen werden, dass inzwischen derartige Anforderungen an die Belichtungsverhältnisse generell den heute üblichen Standard darstellen, noch dass ein Unterschreiten dieser Anforderungen zwangsläufig zu einer depressiven Stimmung bzw Gesundheitsschädigung des Bewohners führe.

4. Weiters ist nach Meinung der Antragstellerin die Frage zu beantworten, ob es ein wichtiges Interesse begründe, wenn Dachflächenfenster durch horizontale Fensterflächen, wie bei einer Dachterrasse, ersetzt werden, damit auch während des Winters bei Schneelage für Belichtung gesorgt sei, um eine depressive Stimmung bzw Gesundheitsschädigung des Bewohners zu verhindern. Derartige allgemeine Überlegungen sind allerdings nicht geeignet, ein ‑ konkretes ‑ wichtiges Interesse gerade der Antragstellerin zu erweisen. Es fehlen nämlich jegliche konkrete Behauptungen, Beweisergebnisse und Feststellungen dazu, dass gerade das Wohnungseigentumsobjekt der Antragstellerin von winterlich schlechten Belichtungsverhältnissen so stark betroffen wäre, dass die Antragstellerin dadurch beachtliche physische oder psychische Beeinträchtigungen erleide oder das Wohnungseigentumsobjekt deshalb nicht in heute üblicher Weise benützbar wäre.

Wenn daher hier das Rekursgericht die dargestellten Rechtsfragen der Antragstellerin und damit ein wichtiges Interesse im Sinn des § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002 verneinte, dann stellt dies keine vom Obersten Gerichtshof als unvertretbar aufzugreifende Einzelfallbeurteilung dar.

5. Schließlich behauptet die Antragstellerin die Verkehrsüblichkeit ihres Änderungswunsches, weil eine Dachterrasse im sozialen Wohnbau üblich sei und im Haus bereits bei drei Wohnungen Dachterrassen errichtet worden seien. Für die Verkehrsüblichkeit der betreffenden Maßnahme kommt es aber nicht auf eine ganz allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierenden Baupraxis an. Maßgeblich ist vielmehr die konkrete Änderung unter Berücksichtigung einerseits der bestimmten Beschaffenheit des betreffenden Hauses und andererseits seines Umfelds (vgl 5 Ob 70/11x; 5 Ob 157/10i). Wenn das Rekursgericht ‑ inhaltlich diesen Kriterien folgend ‑ die Verkehrsüblichkeit der von der Antragstellerin gewünschten Dachterrasse, nicht allein schon deshalb bejahte, weil an der gesamten Anlage bereits drei Dachterrassen bestehen, dann ist auch darin kein aufzugreifendes Überschreiten des bei dieser Beurteilung einzuräumenden Ermessensspielraums zu erkennen.

Eine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG wird damit insgesamt nicht aufgezeigt; der Revisionsrekurs ist daher unzulässig und zurückzuweisen.

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