European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00082.23D.0817.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Mutter der Klägerin wurde in der Schwangerschaft zu M*, dem Bruder der Klägerin, vom Beklagten gynäkologisch betreut. M* wurde am 7. 6. 2017 mit einem Herzfehler (hypoplastisches Linksherzsyndrom) geboren.
[2] Die Klägerin begehrte vom Beklagten Schmerzengeld in Höhe von 25.000 EUR sA und die Feststellung, dass der Beklagte ihr für sämtliche zukünftige Schäden aus der Geburt des M* hafte.
[3] Die Klägerin stützte ihre Klagebegehren (primär) auf den ärztlichen Behandlungsvertrag zwischen ihrer Mutter und dem Beklagten. Die Klägerin behauptet, sie habe eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert erlitten, die – zusammengefasst – auf den erhöhten, zu Lasten ihrer eigenen Betreuung gehenden Betreuungsaufwand ihres herzkranken Bruders durch ihre Mutter und die von ihr im Hinblick auf die Vermeidung einer gesundheitlichen Gefährdung des Bruders notwendige soziale Isolation zurückzuführen sei.
[4] Der Beklagte habe ihre Mutter in der Schwangerschaft zu M* nicht darüber aufgeklärt, dass ein Organscreening die Entdeckung eines Herzfehlers (im Vergleich zu den beim Beklagten durchgeführten Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen) wesentlich erhöht hätte. Ihre Mutter hätte dieses Organscreening im Fall der ordnungsgemäßen Aufklärung durchführen lassen, der Herzfehler wäre entdeckt worden und ihre Mutter hätte sich für eine Abtreibung entschieden, sodass auch die psychische Beeinträchtigung der Klägerin nicht eingetreten wäre.
[5] Die Mutter der Klägerin macht in einem gesonderten Verfahren eigene Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend, die aus der Geburt des M* resultieren. In diesem Verfahren steht aufgrund eines rechtskräftigen Teil- und Zwischenurteils fest, dass das Geldleistungsbegehren der Mutter dem Grunde nach zu Recht besteht und der Beklagten ihr für sämtliche zukünftige Schäden aus der Geburt des M* haftet. Die Haftung des Beklagten wurde dort damit begründet, dass der Beklagte die Klägerin über die Zweckmäßigkeit eines Organscreenings nicht ordnungsgemäß aufgeklärt habe.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[8] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
Rechtliche Beurteilung
[9] 1. Grundsätzlich macht eine Vertragsverletzung nur dem Vertragspartner gegenüber ersatzpflichtig. Nach der Rechtsprechung bestehen Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis aber nicht nur zwischen den unmittelbaren Vertragsparteien, sondern auch gegenüber dritten Personen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maß gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Begünstigt sind daher Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner des Hauptleistungspflichtigen erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte, an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (4 Ob 176/19i; RIS‑Justiz RS0020769, RS0034594, RS0037785).
[10] Soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Delikts‑und Vertragsrecht nicht aufgehoben werden, so muss der Kreis der vertraglich geschützten Personen eng gezogen werden (RS0022814). Von einer Sorgfalts‑ und Schutzpflicht zugunsten dritter, am Vertrag nicht beteiligter Personen ist daher nur dann auszugehen, wenn bei objektiver Auslegung des Vertrags anzunehmen ist, dass eine Sorgfaltspflicht auch in Bezug auf die dritte Person übernommen wurde (RS0017195). Zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin zu dem durch den Behandlungsvertrag geschützten Personenkreis gehört, ist demnach eine generalisierende objektive Betrachtung erforderlich, die gewährleistet, dass für den Vertragspartner das Naheverhältnis des Dritten zur Vertragsleistung vorhersehbar und offensichtlich ist. Für diese Beurteilung ist maßgebend, dass bei objektivem Verständnis typischerweise, bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zu erwarten ist, sodass der aus dem Vertrag Hauptleistungspflichtige mit der Einbeziehung der fraglichen Personengruppe in den geschützten Personenkreis rechnen muss (4 Ob 176/19i).
[11] Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen die Klägerin grundsätzlich zum Kreis der aus dem Behandlungsvertrag ihrer Mutter mit dem beklagten Arzt geschützten Dritten gezählt. Dies wohl zu Recht, weil im Verhältnis der Mutter zu ihrem (unmündigen) Kind von einer typischen für Dritten erkennbaren objektiven, typisierten Nahebeziehung ausgegangen werden kann, die trotz des gebotenen engen Verständnisses die Einbeziehung in den Schutzbereich des fremden Behandlungsvertrags rechtfertigen kann (vgl 9 Ob 83/09k [Ehepartner]).
[12] 2. Wer eine Vertragspflicht verletzt, haftet seinem Vertragspartner gegenüber allerdings nur insoweit für daraus entstehende Schäden, als gerade jene Interessen verletzt werden, deren Schutz die verletzte Vertragspflicht bezweckte (8 Ob 54/14w; RS0017850, RS0022933, RS0023150). Bei Vertragsverletzungen ergibt sich der zu fordernde Rechtswidrigkeitszusammenhang somit aus den Interessen, die der Vertrag bzw die verletzte Vertragsnorm schützen sollte. Welche das sind, ist von Fall zu Fall aus dem Sinn und Zweck des Vertrags im Weg der Auslegung zu ermitteln (RS0017850 [T8], RS0022933 [T3], RS0023150 [T1]). Dabei ist insbesondere zu beachten, mit welchen Schäden allein aufgrund der Verletzung bestimmter Vertragspflichten zu rechnen ist (RS0017850 [T13]).
[13] Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (RS0123136 [T1]). Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Aufklärungspflichten und Belehrungspflichten bestehen dabei nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung oder eine diagnostische Abklärung durch eine weitere Untersuchung unterlassen kann (RS0026578 [T3, T4]). Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen oder weitere Untersuchungen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen (RS0026413 [T5]).
[14] Der Zweck eines Behandlungsvertrags über die pränatale Diagnostik besteht nicht zuletzt in der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und in der Schaffung der Grundlage für eine sachgerechte Entscheidung über die weitere Vorgangsweise (8 Ob 54/14w; RS0123136 [T7], RS0026578 [T7], RS0026413 [T8]). Die Schutzpflicht endet dabei jedenfalls an der Grenze objektiver Voraussehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Vertragspartners des Arztes. Dass im Fall, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind (5 Ob 148/07m = RS0026578 [T7], RS0026413 [T8]; RS0123136).
[15] Für den hier behaupteten immateriellen Schaden der Klägerin in Gestalt psychischer Belastungen mit Krankheitswert gilt dies hingegen nicht. Mit solchen potentiellen Folgen allein aufgrund der Verletzung der Aufklärungspflicht über zur Verfügung stehende Methoden der Pränataldiagnostik war objektiv nicht zu rechnen. Die von der Klägerin behauptete Gefährdung ihrer Interessen resultiert nicht aus dem Umstand, dass der Mutter (den Eltern) mangels ordnungsgemäßer Aufklärung die Grundlage für eine sachgerechte Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch fehlte; sie wäre vielmehr Konsequenz der Existenz des (behinderten) Kindes. Das Kind selbst – gleichgültig, ob gesund oder behindert – wird nicht als Schaden, sondern im Gegenteil als eine ideelle Bereicherung gesehen (vgl 5 Ob 148/07m). Der nach der Rechtsprechung in den „wrongful birth“ Fällen zu ersetzende Schaden ist der vermögensrechtliche Nachteil durch die dadurch entstehende Unterhaltspflicht, nicht die Existenz des (behinderten) Kindes.
[16] Der hier geltend gemachte, dem Geldleistungsbegehren und dem Feststellungsbegehren zugrunde gelegte immaterielle Schaden der Klägerin ist daher vom Schutzzweck der gegenüber der Mutter aufgrund des Behandlungsvertrags bestehenden Aufklärungspflicht nicht erfasst, weil diese Vertragspflicht nicht gerade auch diesen Schaden verhindern sollte.
[17] 3. Bereits die Vorinstanzen haben (auch) die Grundsätze der Rechtsprechung zum Rechtswidrigkeits-zusammenhang bei Vertragsverletzungen auf den hier zu beurteilenden Einzelfall zutreffend angewandt. Analoges gilt für dievon der Klägerin – in der Revision wie schon im gesamten Verfahren – ohnedies nur am Rande und ohne nähere Begründung behauptete deliktische Haftung.
[18] Allein der Umstand, dass ein gleichgelagerter (oder ähnlicher) Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sein mag, bedeutet noch nicht, dass eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Bedeutung vorliegt (RS0110702; RS0107773; RS0102181). Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – der Streitfall bereits mit Hilfe vorhandener Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und vom Berufungsgericht auch so gelöst wurde (RS0107773 [T3]; RS0042742 [T13]; RS0042656 [T48]).
[19] 4. Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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