OGH 5Ob80/20f

OGH5Ob80/20f3.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Paul Bauer, Dr. Anton Triendl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Mag. Ulrich Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2020, GZ 4 R 222/19d‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128734

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen bejahten übereinstimmend den von der Klägerin geltend gemachten Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Ob der Eigenbedarf des Vermieters durch eine iSd § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG ausreichende Dringlichkeit charakterisiert ist, um die Kündigung eines Bestandverhältnisses zu ermöglichen, lässt sich nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen (RIS‑Justiz RS0107878) und wirft – abgesehen von einer hier nicht vorliegenden, vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0107878 [T3]). Dies gilt naturgemäß auch für die in der Revision angesprochene „räumliche Komponente des dringenden Wohnbedürfnisses des Vermieters oder seiner Deszendenten“.

2. Die mittlerweile gefestigte jüngere Rechtsprechung hält unter Hinweis auf den in § 354 ABGB normierten Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum und unter Zugrundelegung eines gemäßigteren Verständnisses der Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ eine Erleichterung der Eigenbedarfskündigung gegenüber der früheren strengen Rechtsprechung für geboten (RS0068227 [T18]; RS0070619 [T4]; 5 Ob 119/05v). Demgemäß bejahte der Oberste Gerichtshof bereits den dringenden Eigenbedarf eines Studenten, dem nur ein Zimmer in der Wohnung seiner Schwester oder im Haus seiner Mutter zur Verfügung steht (RS0070687) oder der von einem Studentenheim in eine eigene Wohnung übersiedeln möchte (6 Ob 282/98h). Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Wohnmöglichkeit der mittlerweile 29jährigen Enkelin der Klägerin, die sich mit ihren Eltern und zwei erwachsenen Geschwistern eine 100 m2 große Vierzimmerwohnung teilen muss und derzeit nicht einmal ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung hat, sei nicht ausreichend für eine erwachsene Studentin, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung und ist daher nicht korrekturbedürftig.

3. Warum dieses dringende Bedürfnis der Enkelin der Klägerin durch die Nutzung der aufgekündigten Wohnung nicht befriedigt werden kann, wie die Revisionswerberin meint, ist nicht nachvollziehbar. Derzeit lebt sie in der Wohnung ihrer Eltern in H*, die aufgekündigte Wohnung befindet sich in der Nachbargemeinde. Zwar studiert sie in I* und übt auch ihre Teilzeitbeschäftigung in einem I* Hotel aus. Nach der Beurteilung der Vorinstanzen ist A* aber verkehrstechnisch gut an die Landeshauptstadt angebunden und sowohl Universität als auch Arbeitsplatz sind leicht für die Enkelin der Klägerin erreichbar; die 33 m2 große aufgekündigte Wohnung ist für einen Singlehaushalt geeignet. Eine eigene Wohnung in I* kann sich die Enkelin der Klägerin nicht leisten, weshalb sie beabsichtigt, das Angebot der Klägerin anzunehmen und in deren Wohnung nach A* zu übersiedeln. Dies reicht für die rechtliche Beurteilung aus, einer näheren Erörterung der Frage des (derzeitigen) Lebensmittelpunkts der Enkelin der Klägerin bedarf es nicht.

4. Zu der angeblich in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Frage der „räumlichen Komponente des dringenden Wohnbedürfnisses“ liegt bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung vor. In der ausführlich begründeten Entscheidung 4 Ob 105/98i, die einen ganz vergleichbaren Sachverhalt betraf, ging es um den Eigenbedarf des Klägers, der in Wien studierte und dort ein ca 12 m2 großes Zimmer in einem Studentenheim bewohnte; diese beengten Verhältnisse und der Umstand, dass er sich– wie hier auch die Enkelin der Klägerin – mit anderen Mitbewohnern Küche und WC teilen musste, was mit gravierenden Einschränkungen seiner Lebensführung verbunden war, konnte dort nicht einmal der Vorteil aufwiegen, dass sich das Zimmer am Studienort, die aufgekündigte Eigentumswohnung hingegen im Sprengel des Bezirksgerichts Krems befand, also in deutlich größerer Entfernung zum Studienort als hier. Die Grundsätze dieser Entscheidung auch hier anzuwenden, begegnet keinen Bedenken im Einzelfall. Wenn die Enkelin der Klägerin es nach den Feststellungen auf sich nimmt, anstelle von H* von A* nach I* zu fahren, um dafür in einer eigenen Wohnung ein selbstbestimmtes erwachsenes Leben führen zu können, reicht das für die rechtliche Beurteilung aus; näherer Feststellungen zu ihrem (besonderen) Interesse, gerade in der aufgekündigten Wohnung zu leben, bedurfte es nicht.

5. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

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