Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.248,64 S (darin 541,44 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Miteigentümerin einer Liegenschaft in Innsbruck. Mit ihren Anteilen ist das Wohnungseigentum an der im 3. Stock des Hauses ***** gelegenen Wohnung top 21 verbunden. Der Beklagte ist seit 1. 4. 1993 Bestandnehmer dieser Wohnung. Die Klägerin konnte eine im Mietvertrag vorgesehene Befristung des Bestandverhältnisses auf zwei Jahre nicht durchsetzen, weil der Beklagte die schriftliche Vertragsurkunde nicht gefertigt hatte.
Am 1. 10. 1997 begann der Sohn der Klägerin - der bis dahin im Haushalt seiner Eltern in der Schweiz gelebt hatte - ein Medizinstudium in Innsbruck. Er hatte die Universität Innsbruck wegen ihres guten Rufes und weil sein Vater auch dort studiert hatte, ausgewählt. Überdies bestand insofern eine Nahebeziehung zu Österreich, als seine Mutter, die Klägerin, österreichische Staatsbürgerin ist. Ihr Sohn beabsichtigt, sein Studium zur Gänze in Innsbruck zu absolvieren. Er wohnt seit Studienbeginn im internationalen Studentenheim dieser Stadt. Die Studentenheimzimmer werden jeweils semesterweise zur Verfügung gestellt. Nach Ende des Wintersemesters 1997/98 suchte der Sohn der Klägerin um Verlängerung an, diese wurde zunächst bis 30. 6. 1998 bewilligt. Er war zunächst genötigt, das Zimmer mit einer Mitbewohner zu teilen. Nachdem es mit diesem Zimmergenossen Probleme wegen unterschiedlicher Lebensgewohnheiten gegeben hatte, wurde dem Sohn der Klägerin ab Februar 1998 ein Einzelzimmer zugewiesen. Er fühlt sich zeitweise durch von anderen Mitbewohnern verursachten Lärm beim Lernen gestört und verwendet dann Oropax. Nach den üblichen Gepflogenheiten dieses Studentenwohnheimes ist zu erwarten, daß das nun benützte Zimmer auch für weitere Semester, längstens aber bis 30. 6. 2000 zur Verfügung steht. Die Gesamtnutzungsdauer ist mit drei Jahren beschränkt.
Neben der an den Beklagten vermieteten Zweizimmer-Wohnung besitzt die Klägerin im selben Haus eine weitere Wohnungseigentumseinheit, nämlich eine Garconniere mit Kochgelegenheit und einem kleinen Badezimmer. Diese ist bis Anfang 2000 vermietet.
Mit Aufkündigung vom 22. 12. 1997 kündigte die Klägerin dem Beklagten die Eigentumswohnung zum 28. 2. 1998 wegen dringenden, nicht selbst verschuldeten Eigenbedarfs. Der Bestandgegenstand werde von ihrem Sohn dringend benötigt, da er in Innsbruck Medizin studiere. Sie brachte in der folgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 29. 1. 1998 ergänzend vor, ihr Sohn wohne derzeit, jedoch nur vorübergehend in einem Studentenheim. Diese Unterkunft sei unzumutbar, es komme immer wieder zu Störungen, die ein geordnetes Studium beeinträchtigten.
Der Beklagte erhob fristgerecht Einwendungen und beantragte Klageabweisung. Ein dringendes Wohnbedürfnis liege nicht vor.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Dringender Eigenbedarf im Sinn des § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG, zu dessen Beurteilung ein strenger Maßstab anzulegen sei, setze einen echten Notstand voraus. Ein solcher liege nicht vor. Dem Sohn der Klägerin stehe eine zumutbare Unterkunftsmöglichkeit in einem Studentenwohnheim zur Verfügung, gewisse Beeinträchtigungen durch Lärm vermögen einen dringenden Bedarf nicht zu rechtfertigen. Überdies könne erwartet werden, daß ihm das Einzelzimmer im Studentenheim bis 30. 6. 2000 zur Verfügung stehen werde, so daß auch für die nahe Zukunft kein dringender Wohnbedarf bestehe. Ab dem Jahr 2000 könnte die Klägerin überdies über die im selben Haus gelegene Garconniere verfügen, sodaß ein dringender Eigenbedarf an den aufgekündigten Räumlichkeiten auch dann nicht bestehen werde.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es die Aufkündigung für wirksam erkannte und dem Beklagten auftrug, das Bestandobjekt geräumt zu übergeben. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine aufgrund der Lebensumstände erzwungene Wohnungnahme in einem Heim, um einem Studium nachgehen zu können, bereits als ausreichende Wohnmöglichkeit anzusehen und der Vermieter einer Eigentumswohnung gezwungen sei, zur Durchsetzung der Eigenbedarfskündigung bis zur Erledigung des Kündigungsprozesses von jeder anderweitigen Wohnungnahme in einem ihm nicht gehörigen Objekt Abstand zu nehmen.
Aus der Einschränkung der Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit könne nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter zur Befriedigung seines Wohnbedarfes grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnung verwiesen werden dürfe. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedarfes heranziehen wolle und dürfe, eine Absicht, die der Gesetzgeber privilegiere, indem er in solchen Fällen von einer Interessenabwägung absehe. Es sei darauf abzustellen, ob der Eigentümer über eine ausreichende Wohnmöglichkeit verfüge, wobei zu deren Beurteilung jede Art der Benötigung des Bestandgegenstandes berücksichtigt werden müsse, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergebe, das nur durch die Benutzung der gekündigten Wohnung befriedigt werden könne. Daß die Klägerin die Wohnung für ihren Sohn dringend benötige, müsse im Hinblick auf den gesellschaftlich anerkannten Zweck der Absolvierung eines Studiums bejaht werden, ein schutzwürdiges Interesse liege damit vor. Eine ausreichende Wohnmöglichkeit sei aber nicht schon darin zu sehen, daß ihr Sohn überhaupt eine Unterkunft in Innsbruck gefunden habe. Schon aufgrund der Hausordnung im Studentenheim sei die Wohnmöglichkeit dort mit der in einer eigenen Wohnung nicht vergleichbar. Wolle man die Unterbringung in einem Studentenheim als ausreichende Wohnmöglichkeit ansehen, verbliebe dem Sohn der Klägerin zur Durchsetzung einer Eigenbedarfskündigung nur die Möglichkeit, sein Studium erst nach Prozeßende aufzunehmen, Quartier in einem Hotel zu beziehen oder sich der Obdachlosigkeit preiszugeben, da eine tägliche Anreise aus der Schweiz nicht möglich sei. Allein die Tatsache, daß aufgrund der gegebenen Umstände eine Zwischenlösung im Studentenheim gewählt wurde, vermöge eine ausreichende Wohnmöglichkeit nicht zu begründen.
Die bloße Aussicht auf eine Wohnmöglichkeit in einer anderen, der Klägerin gehörenden Garconniere im Jahr 2000 ändere nichts daran, daß die hier gekündigte Wohnung zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz dringend benötigt werde. Im übrigen könne die Aussicht auf eine andere Wohnmöglichkeit - mangels hier durchzuführender Interessenabwägung - nicht berücksichtigt werden.
Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil zur Frage, ob die Wohnungnahme in einem Studentenheim als ausreichende, einen dringenden Bedarf im Sinn des § 30 Abs 2 Z 8b MRG ausschließende Wohnmöglichkeit anzusehen ist, noch keine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin hat in ihrer auf § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG gestützten Kündigung zunächst vorgebracht, der Bestandgegenstand werde für ihren Sohn dringend benötigt, weil dieser in Innsbruck Medizin studiere. Sie hat damit den geltend gemachten Kündigungsgrund ausreichend individualisiert. Ihre späteren - nach Erhebung der Einwendungen - erstatteten Ausführungen dienten der Darlegung der diesen Kündigungsgrund betreffenden Tatbestandsmerkmale (vgl Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 23 zu § 33) und unterliegen damit entgegen der Auffassung des Beklagten nicht der Eventualmaxime.
Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG ist es als wichtiger - den Vermieter zur Kündigung des Wohnungsmietvertrages berechtigender - Grund anzusehen, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt, wobei bei einer vom Wohnungseigentümer nach Wohnungseigentumsbegründung vermieteten Eigentumswohnung - wie hier - die sonst vorzunehmende Interessenabwägung entfällt. Die bisherige Rechtsprechung versteht unter dringendem Eigenbedarf eine zumindest notstandsähnliche Situation, die nur dann zu bejahen sei, wenn der Wohnbedarf des Vermieters oder seiner begünstigten Verwandten jedenfalls so unzulänglich gedeckt ist, daß eine unabweisliche Notwendigkeit vorliege, diesen Mangel so bald als möglich zu beseitigen (WoBl 1994/29; WoBl 1991/17; MietSlg 41.355/19; vgl dazu die von der Lehre erhobenen erheblichen Bedenken: Gimpel-Hinteregger "Notstand" und "Existenzgefährdung" - die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfs nach § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG, JBl 1988/16 ff; Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 47 zu § 30; Wilhelm, Eigenbedarf, nicht Notstand ecolex 1993, 293).
Die Rechtsprechung anerkennt aber auch das Interesse des Vermieters an der Nutzung des eigenen Objektes. So hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, daß im bürgerlichen Recht nach wie vor der in § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum gelte. Dieser komme nur dort nicht zum Tragen, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbestimmungen des MRG, eine Ausnahme verfügten. Auch wenn diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränkten, könne daraus doch nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden müsse. Vielmehr sei davon auszugehen, daß der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe (MietSlg 41/19; WoBl 1993/7 [Call]; WoBl 1997/9; WoBl 1997/111; ecolex 1994, 160 = MietSlg 45.430). Gerade § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG lasse erkennen, daß auch der Gesetzgeber die Absicht einer Person, den Wohnbedarf in einer Eigentumswohnung zu befriedigen, dadurch privilegiere, daß er in solchen Fällen von einer Interessenabwägung absehe. Daraus folge, daß der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfüge, im allgemeinen mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit einer anderweitigen Wohnungsnahme verwiesen werden dürfe, weil eine solche Wohnmöglichkeit an sich gegeben wäre (vgl Würth/Zingher aaO Rz 47 zu § 30 mwN; WoBl 1997/9).
Der erkennende Senat teilt diese Auffassung. Es ist zu prüfen, ob der Kläger über eine "ausreichende Wohnmöglichkeit" verfügt, die einen Wohnsitzwechsel - und damit verbunden die Kündigung - nicht als unabweislich notwendig erscheinen ließe. Bei dieser Beurteilung muß jede Art der Benötigung des Bestandgegenstandes berücksichtigt werden, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergibt, das nur durch Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann (WoBl 1988, 92 mwN; zuletzt 4 Ob 105/98i).
Der Oberste Gerichtshof hat in einem ähnlich gelagerten Fall (4 Ob 105/98i) die Wohnmöglichkeit des Vermieters in einem Studentenheimzimmer mit zeitlich befristetem Nutzungsrecht als eine im Sinn dieser Ausführungen nicht ausreichende Wohnmöglichkeit beurteilt und dringenden Eigenbedarf aus nachstehenden Erwägungen bejaht: Die äußerst beengten Verhältnisse ermöglichten weder die Aufstellung einer Waschmaschine noch die Unterbringung von Habseligkeiten des Klägers in größerem Umfang zur Schaffung eines persönlichen Bereichs, der einer Heimordnung unterworfene Kläger könne weder nach Belieben Gäste einladen noch eine Wohngemeinschaft mit einer anderen Person begründen; die Mitbenützung von Küche und WC bedinge Koordination mit Dritten. Eine längerfristige Lebensplanung sei angesichts der Befristung des Benützungsverhältnisses nicht möglich. Diese Umstände schränkten die Lebensführung des Klägers gravierend ein und könnten durchaus als notstandsähnliche Situation gewertet werden.
Im vorliegenden Fall ist der Revision wohl zuzugeben, daß die Vorinstanzen keine Feststellungen darüber getroffen haben, durch welche Regelungen der Heimordnung der Sohn der Klägerin im einzelnen im Vergleich zu einer eigenen Wohnung beschränkt ist. Festgestellt wurde, daß er derzeit ein Zimmer in einem Studentenheim in Innsbruck bewohnt und sein Nutzungsrecht halbjährlich mit Verlängerungsmöglichkeit bis längstens 30. 6. 2000 befristet ist. Notorisch ist jedoch, daß die Nutzung von Zimmern in Studentenwohnheimen durch Heimordnungen geregelt wird, und die Studenten erheblichen Einschränkungen in ihrer Lebensführung unterworfen sind; so zB in bezug auf die Möglichkeit, Gäste einzuladen und (mangels Vorhandenseins einer eigenen Küche) nach eigenem Gutdünken zu bewirten. Es steht ihnen auch nicht frei, Wohngemeinschaften zu begründen. Das befristete Nutzungsverhältnis hindert überdies längerfristige Planungen. Es kann daher auch unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen von einer ausreichenden Befriedigung des Bedürfnisses "Wohnen" für den Sohn der Klägerin keine Rede sein. Der Tatbestand des "dringenden Eigenbedarfs" ist damit erfüllt.
Daß die derzeitige Wohnungssituation des Sohnes der Klägerin jener vieler anderer Studenten entspricht, ist für die Frage der Befriedigungstauglichkeit des Studentenheimzimmers im hier anzustellenden Vergleich zu jener der vermieteten Eigentumswohnung ohne Bedeutung.
Die Aussicht, eine im Jahr 2000 allenfalls freiwerdende Garconniere in Innsbruck nutzen zu können, wäre nur bei einer - im vorliegenden Fall jedoch entfallenden - Interessenabwägung zu berücksichtigen (Immolex 1998/44).
Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Aufkündigung für wirksam erklärt und den Beklagten zur Räumung verpflichtet.
Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
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