European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00037.23M.0531.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Erstklägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Revisionsrekursverfahren betrifft (nur) das Prozessrechtsverhältnis zwischen der Erstklägerin und der Beklagten. Die Erstklägerin ist Miteigentümerin und Wohnungseigentumsbewerberin in Bezug auf eine Liegenschaft. Die Beklagte ist ebenfalls Miteigentümerin dieser Liegenschaft und die Wohnungseigentumsorganisatorin.
[2] Die Erstklägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, eine Kaufvertragsurkunde über ein – im Klagebegehren näher bezeichnetes – Lager mit den diesem gemäß dem Nutzwertgutachten vorläufig zugeordneten Liegenschaftsanteilen zu unterfertigen, in eventu festzustellen, dass die Erstklägerin Wohnungseigentums‑(zubehör‑)bewerberin hinsichtlich dieses Lagers sei.
[3] Auf deren Antrag erließ das Erstgericht (auch) zugunsten der Erstklägerineine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten bis zur rechtskräftigen Beendigung des Hauptverfahrens verboten wurde, in Ansehung der – im Spruch näher bezeichneten – Lagerräume im Erdgeschoß des Hauses zu verfügen, insbesondere diese zu veräußern, zu belasten oder zu verpfänden.
[4] Im Hauptverfahren schlossen die Erstklägerin und die Beklagte schließlich einen Vergleich, mit dem „sämtliche verfahrensgegenständlichen Ansprüche bereinigt und verglichen“ sein sollten (Punkt 6.). Der Punkt 2. des Vergleichs lautet wörtlich:
„2. Die beklagte Partei verpflichtet sich binnen 3 Monaten, der 1. Klägerin eine Benützungsvereinbarung an dem in Punkt 1. genannten WC zu verschaffen und wird sodann die 1. Klägerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung binnen einer Woche beantragen.“
[5] Die Beklagte beantragte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Diese sei bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens befristet gewesen. Das Verfahren habe mit einem unbedingten Vergleich geendet. Die Beklagte habe ihre Verpflichtungen aus den Punkten 1. und 2. des Vergleichs erfüllt. Dennoch weigere sich die Erstklägerin, der Aufhebung der einstweiligen Verfügung zuzustimmen.
[6] Die Klägerin sprach sich gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung aus, weil die Beklagte ihrer Verpflichtung gemäß Punkt 2. des Vergleichs nicht ausreichend nachgekommen sei.
[7] Das Erstgericht hob die einstweilige Verfügung auf.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstklägerin nicht Folge.
[9] Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Einräumung von Wohnungseigentum an dem Abstellraum sei durch Abschluss des eine Generalklausel beinhaltenden Vergleichs über die Zuweisung einer anderen Räumlichkeit (eines ehemaligen Gang‑WC) erloschen. Es sei damit sowohl eine Änderung der Verhältnisse eingetreten als auch die Verfügungsfrist abgelaufen. Der zu sichernde Anspruch sei durch den Vergleichsabschluss weggefallen, das Verfahren durch den Vergleich endgültig beendet. Die zur Sicherung eines nicht weiter verfolgten Klageanspruchs erlassene einstweilige Verfügung könne nicht zur Durchsetzung der aus dem Vergleich resultierenden anders gearteten Ansprüche herangezogen werden. Somit lägen die Voraussetzungen für die Aufhebung der einstweiligen Verfügung iSd § 399 Abs 1 Z 2 EO vor.
[10] Gegen diesen Beschluss richtet sich der vom Rekursgericht nachträglich zugelassene Revisionsrekurs der Erstklägerin mit dem Antrag, die Entscheidung des Rekursgerichts abzuändern und den Aufhebungsantragabzuweisen.
[11] Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Erstklägerin zeigt in ihrem Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf.
[13] 1. Gemäß § 399 Abs 1 EO kann das Gericht auf Antrag eine angeordnete Verfügung insbesondere dann aufheben oder einschränken, wenn sich inzwischen die Verhältnisse, in Anbetracht deren die einstweilige Verfügung bewilligt wurde, derart geändert haben, dass es des Fortbestands dieser Verfügung zur Sicherung der Partei, auf deren Antrag sie bewilligt wurde, nicht mehr bedarf (Z 2), der Anspruch der gefährdeten Partei, für welchen die einstweilige Verfügung bewilligt wurde, berichtigt oder rechtskräftig aberkannt oder dessen Erlöschen rechtskräftig festgestellt wurde (Z 4) oder ein Fall des § 39 Abs 1 oder des § 391 EO vorliegt (Z 5).
[14] Das Erlöschen des Anspruchs nach Erlassung einer einstweiligen Verfügung kann nach der jüngeren Rechtsprechung mit Aufhebungsantrag nach § 399 Abs 1 Z 2 EO geltend gemacht werden (17 Ob 11/08d; RIS‑Justiz RS0108498 [T1]; RS0005606 [T4]; RS0005615 [T2]; vgl auch RS0001131 [T8]).
[15] Der Ablauf der Geltungsdauer ist seit dessen Novellierung durch das GewaltschutzG 2019, BGBl 2019/105, in § 399 Abs 1 Z 5 EO durch einen Verweis auf § 391 EO ausdrücklich als eigener Aufhebungsgrund normiert. Das Gericht hat gemäß § 391 Abs 1 Satz 1 EO die Zeit, für welche es die einstweilige Verfügung bewilligt, von Amts wegen zu bestimmen (RS0005363). Mit Ablauf der Frist, für die sie bewilligt wurde, erlischt die einstweilige Verfügung aber nicht von selbst, vielmehr bedarf es einer ausdrücklichen Aufhebung durch das Gericht (RS0005543 [T1]).
[16] Die einstweilige Verfügung wird auch dann nicht von selbst und sofort unwirksam, wenn das Verfahren über den Hauptanspruch beendet wird. Schließen die Parteien – wie hier – einen Vergleich oder vereinbaren sie außergerichtlich ewiges Ruhen, ist gleichfalls ein Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen Zeitablaufs erforderlich (3 Ob 34/87; E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO3 § 399 EO Rz 13).
[17] 2. Der gerichtliche Vergleich ist eine doppelfunktionale Prozesshandlung: Er hat zugleich den Charakter eines zivilrechtlichen Vertrags und einer Prozesshandlung (RS0032587 [T1]; vgl auch RS0123225).
[18] Der gerichtliche Vergleich ist, abgesehen vom Fall des Vergleichs über einzelne Streitpunkte, auf Beendigung des Prozessverhältnisses zwischen den Parteien gerichtet. Der durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs beendete Rechtsstreit kann nicht mehr fortgesetzt werden (RS0037210). Ob ein Vergleich einen Prozess beendet, ist ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen; ob ein verpflichtender Vertrag zustande gekommen ist, ausschließlich nach materiellem Recht. Ein Vergleich kann als Prozesshandlung unwirksam, als Rechtsgeschäft aber wirksam sein oder umgekehrt (RS0032464; RS0032546 [T1]; RS0000093).
[19] Der Vergleich im materiell‑rechtlichen Sinn ist die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung strittiger oder zweifelhafter Rechte (RS0032681; vgl auch RS0032654). Ein Vergleich ist dabei (nur) dann ein Neuerungsvertrag, wenn der Rechtsgrund oder der Hauptgegenstand des Anspruchs geändert wird (RS0032600; RS0032310; vgl auch RS0032458). Dem Vergleich kommt also jedenfalls dann Novationswirkung zu, wenn er die ursprüngliche Obligation – als Ergebnis der Auslegung des Parteiwillens – durch eine Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands des Anspruchs ersetzen sollte, sodass ein Rückgriff auf das seinerzeitige Schuldverhältnis nicht mehr möglich ist (RS0032310 [T2]; RS0108086 [T1]; RS0032462).
[20] 3. Im vorliegenden Fall schlossen die Parteien im Hauptverfahren einen prozessbeendenden Vergleich. Das Rekursgericht kam zum Ergebnis, dass durch den Abschluss dieses auch eine Generalklausel beinhaltenden Vergleichs sowohl der mit der Klage geltend gemachte und durch die einstweilige Verfügung gesicherte Anspruch erloschen als auch die Verfügungsfrist abgelaufen sei. Somit lägen die Voraussetzungen für die Aufhebung der einstweiligen Verfügung vor.
[21] Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht bestreitetdie Erstklägerin in ihrem Revisionsrekurs nicht. Sie macht vielmehr geltend, dass der Aufhebungsantrag schon mangels Antragslegitimation der Beklagten abzuweisen sei. Die Beklagte habe den Aufhebungsantrag entgegen der ausdrücklichen Vereinbarung im abgeschlossenen Vergleich gestellt. Die Parteien hätten vereinbart, dass der Antrag von der Erstklägerin zu stellen sei und das auch nur dann, wenn der Erstklägerineine entsprechende Benützungsvereinbarung verschafft worden sei. Beide Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Allenfalls könnte zwar nur unter analoger Anwendung des § 367 EO argumentiert werden, dass es sich beim Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung um eine Willenserklärung der Erstklägerin handle, die nicht der Exekution unterliege und fingiert werden könne. Diese Betrachtungsweise scheitere aber daran, dass diese Willenserklärung von einer Gegenleistung der Beklagten iSd § 367 Abs 2 EO abhängig sei, nämlich der Verschaffung einer Benützungsvereinbarung. Diese Gegenleistung habe sie aber nicht erbracht.
[22] Diese Argumentation der Erstklägerin beruht auf der Prämisse, die Beklagte habe in dem abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich auf eine eigene Antragstellung nach § 399 EO verzichtet. Ein derartiger, das Gericht bindender Verzicht wäre – losgelöst von der Frage seiner Zulässigkeit –als Prozesshandlung anzusehen, bei deren Auslegung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (RS0037416 [T10]; RS0097531 [T1, T7]; RS0017881 [T4, T7]). Bei der Auslegung einer Prozesshandlung kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0037416; RS0017881). Nach dem objektiven Erklärungswert des gerichtlichen Vergleichs soll zwar grundsätzlich die Erstklägerin – unter bestimmten Voraussetzungen – den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung stellen. Der objektiv nachvollziehbare Zweck einer solchen Verpflichtungsind Praktikabilitätserwägungen und Kostengründe. Dass die Beklagte damit zugleich daran gehindert sein sollte, die Aufhebung der einstweiligen Verfügung aus einem der Gründe des § 399 EO selbst zu beantragen, geht aus dem Vergleichstext nicht, jedenfalls nicht in der dafür angesichts desdamit verbundenen Verzichts auf Rechtsschutz zu fordernden Eindeutigkeit hervor. An diesem Auslegungsergebnis würde sich im Übrigen auch nichts ändern, wenn auch in diesem Zusammenhang auf den Charakter des Vergleichs als zivilrechtlicher Vertrag abzustellen und die rechtsgeschäftlichen Auslegungsregeln der §§ 914 f ABGB heranzuziehen wären (vgl RS0017943; RS0023319). Anhaltspunkte für eine anderslautende Absicht der Parteien gibt es nicht.
[23] 4. Der behauptete Verzicht der Beklagten auf eine eigene Antragstellung nach § 399 EO liegt demnach nicht vor. Die von der Erstklägerin und dem Rekursgericht als erheblich iSd § 528 Abs 1 ZPO angesehenen Rechtsfragen, ob die Antragstellung nach § 399 EO überhaupt der Parteiendisposition unterliegt und bejahendenfalls, ob eine derartige von den Parteien getroffene Disposition in Bezug auf die Bedingung für die Antragstellung durch den nach der Vereinbarung ausschließlich Antragslegitimierten (Verschaffung einer Benützungsregelung) nach den Regeln des Prozessrechts oder nach den Regeln des materiellen Rechts auszulegen ist, stellen sich daher hier nicht. Für die Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen Ablaufs der Geltungsdauer und geänderter Verhältnisse ist insbesondere unerheblich, ob die Beklagte ihre im Vergleich übernommene materiell‑rechtliche Verpflichtung zur Verschaffung einer Benützungsregelung erfüllt hat, sodass es auf die Richtigkeit der Auslegung des Begriffs Benützungsvereinbarung durch die Vorinstanzen nicht ankommt. Auch die in der Lehre (vgl G. Kodek in Deixler‑Hübner, Exekutionsordnung, 36. Lfg, § 391 EO Rz 17 und § 399 EO Rz 60; König/Weber, Einstweilige Verfügungen6 Kap. 8.12) strittige Frage, ob nach Ablauf der vom Gericht festgesetzten Geltungsdauer nicht ohnedies auch eine amtswegige Aufhebung zulässig ist, kann dahingestellt bleiben. Von all diesen Fragen hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht ab; diesen kommt hier vielmehr nur theoretische Bedeutung zu. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]; RS0088931).
[24] 5. Der Revisionsrekurs war daher mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO zurückzuweisen.
[25] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.
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