OGH 5Ob14/02y

OGH5Ob14/02y29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Eva L*****, Australien, vertreten durch Dr. Franz Hufnagl, Rechtsanwalt in Gmunden, gegen die Beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei DI Patricia M*****, USA, vertreten durch Dr. Georg Pammesberger, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen S 621.144,83 = EUR 45.140,36 sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs und die ordentliche Revision der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungs- und Rekursgericht vom 6. November 2001, GZ 4 R 204/01z, 4 R 205/01x, 4 R 206/01v-47, womit die Beschlüsse des Landesgerichtes Wels vom 21. September 2001, GZ 28 Cg 84/00x-39, und vom 24. September 2001, GZ 28 Cg 84/00x-40, sowie das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 19. Juli 2001, GZ 28 Cg 84/00x-24, bestätigt wurden, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der außerordentliche Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§§ 402, 78 EO iVm § 510 Abs 3 Satz 3, § 528a ZPO).

2.) Der ordentlichen Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.778,58 (darin EUR 296,43 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe zu 2.):

Franziska L***** ist am 23. 2. 1999, ihr Sohn (und einziges Kind) Ing. Friedrich L***** am 13. 7. 2000 gestorben. Die Klägerin ist die Witwe und testamentarische Alleinerbin des Letztgenannten, die Beklagte die Enkeltochter und testamentarische Alleinerbin der Franziska L*****.

Die Erblasserin hatte in ihrem Testament vom 11. 3. 1996 ihren Sohn auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt und angeordnet, dass er sich auf seinen Pflichtteil allfällige Vorempfänge anrechnen lassen müsse. In Anrechnung auf seinen gesetzlichen Pflichtteil vermachte sie ihm das alleinige, unentgeltliche und lebenslange Wohnungsrecht an bestimmten Räumlichkeiten in Gmunden. Die mit der Ausübung des Wohnungsrechtes verbundenen aliquoten Betriebskosten habe er selbst zu bezahlen. Weiters wurde im Testament festgehalten, dass die Erblasserein die von ihr bewohnten Räume auf Grund einer mündlichen Benützungsvereinbarung benutze.

Die Klägerin verlangte als Alleinerbin des erblasserischen Sohnes die Auszahlung des Pflichtteils in Höhe von S 627.659,52 sA. Wegen schwerer Erkrankung und mangels der Absicht, jemals wieder nach Gmunden zu kommen, habe der erblasserische Sohn das Vermächtnis des Wohnungsrechtes nicht angenommen und die Berichtigung in Geld verlangt.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, nach australischem Erbrecht erfolge kein Rechtsübergang von bisher nicht geltend gemachten Ansprüchen auf den Erben. Der Wert des vermachten Wohnungsrechtes sei deshalb abzurechnen, weil es dem Erblasser überlassen sei, wie er den Pflichtteil hinterlasse.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 621.144,83 sA und wies das Mehrbegehren von S 6.514,69 sA ab. Der dem Grunde nach unbestrittene Pflichtteilsanspruch gehe als Forderung nach australischem Recht auf den Erben über; die Klägerin sei als Erbin und Testamentsvollstreckerin zur Verfolgung des Pflichtteilsanspruchs berechtigt. Der Pflichtteil betrage gemäß § 765 ABGB die Hälfte. Prinzipiell könne der Erblasser den Pflichtteil auch durch ein Vermächtnis zuweisen, dürfe dadurch aber nicht die Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten verschlechtern. Da ein reines Wohnungsrecht nicht einen den Pflichtteil entsprechenden Vermögenswert verschaffe, sei eine Pflichtteilsdeckung durch ein Wohnrecht auszuschließen. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde, und gab ihr im Übrigen nicht Folge; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei und führte im Wesentlichen folgendes aus:

Dass ein in einer australischen Jurisdiktion ernannter Testamentsvollstrecker ("personal representative") grundsätzlich nur eine territorial beschränkte Verfügungsmacht habe, bedeute nur, dass seine hoheitlichen Befugnisse territorial beschränkt seien und dass grundsätzlich keine Pflicht des Testamentsvollstreckers bestehe, zu versuchen, auch außerhalb seiner Jurisdiktion gelegenen Nachlass an sich zu ziehen (Ferid-Firsching, Internationales Erbrecht, Länderteil Australien Rz 47). Dass der Testamentsvollstrecker hiezu nicht verpflichtet sei, bedeute noch nicht, dass er hiezu auch nicht berechtigt wäre. Mit der Einbringung einer Zivilklage übe der Testamentsvollstrecker keine hoheitlichen Befugnisse und insbesondere keine Jurisdiktion aus. Da die Klägerin zudem Erbin und Testamentsvollstreckerin in Personalunion sei, sei nicht ersichtlich, wer außer ihr sonst aktiv klagslegitimiert sein könnte. Dass Schuldner außerhalb eines bestimmten australischen Jurisdiktionsbereiches weder vom Testamentsvollstrecker noch vom Erben belangt werden könnten und somit gewissermaßen infolge Todes des Erblassers immun wären, sei der zitierten Darstellung des australischen Erbrechtes nicht zu entnehmen und wäre zudem wohl auch ein sonderbares Ergebnis. Das Erstgericht habe daher die Aktivlegitimation zu Recht bejaht.

Der Schwerpunkt der Rechtsrüge liege in der (unstrittig nach österreichischem Recht zu beurteilenden [vgl § 28 Abs 1 IPRG]) Streitfrage, ob der Noterbe das Legat des Wohnungsrechts als teilweise Befriedigung seines Pflichtteilsanspruchs gelten lassen müsse oder ob er sich des Legats entschlagen und den gesamten Pflichtteil in Geld verlangen könne. Einige Schriftsteller gestünden dem Noterben diese Möglichkeit generell zu, herrschend sei diese Lehre aber nicht.

In der Judikatur sei diese Frage selten aufgetaucht. Zu 6 Ob 666/95 habe der Oberste Gerichtshof einen Fall zu beurteilen gehabt, in dem eine Noterbin das ihr zugedachte, mit einem Fruchtgenussrecht belastete Legat ausgeschlagen und den gesamten ihr zustehenden Pflichtteil unter Berufung auf § 808 letzter Satz ABGB in Geld verlangt habe. Der Oberste Gerichtshof habe den Fall in dem Sinn entschieden, dass das der Klägerin zugedachte Legat bei der Bemessung ihres Pflichtteilsanspruchs grundsätzlich zu berücksichtigen sei. Diese Rechtsansicht habe der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 2364/96w grundsätzlich aufrecht erhalten, eine unreflektierte Ausdehnung auf das gesetzliche Vorausvermächtnis von Ehegatten jedoch abgelehnt und ausgesprochen, dass der alters- oder krankheitsbedingt pflegebedürftige überlebende Ehegatte den nutzlosen Voraus unter Vorbehalt des ungekürzten Pflichtteils ausschlagen könne. Zu 6 Ob 189/98g habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Noterbe nicht durch einfache Ausschlagung des Erbrechtes einen Geldanspruch auslösen könne, weil es dem Erblasser überlassen sei, wie er den Pflichtteile hinterlasse. In jenem Vergleichsfall habe der Erblasser die Noterben mit einer lästigen Unterbeteiligung an einem OHG-Anteil bedacht.

Keiner dieser vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fälle habe das Vermächtnis eines Wohnungsrechtes in einem Haus betroffen, das tausende Kilometer vom Wohnort des Pflichtteilsberechtigten entfernt stehe. Ein solches Vermächtnis sei für den Noterben nicht bloß unbequem oder lästig, sondern ein Unding. Die von der Berufungswerberin angestrebte unreflektierte Ausdehnung der oben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur 6 Ob 666/95 und 6 Ob 189/98g auf den hier zu beurteilenden Fall würde diesem nicht gerecht.

Prinzipiell seien zwei Lösungsmöglichkeiten denkbar: Eine streng am Wortlaut des § 774 ABGB orientierte Rechtsansicht müsste lauten, dass der Noterbe das Legat des Wohnungsrechtes als Pflichtteil hinnehmen müsse, selbst wenn es wegen der Entfernung von seinem Wohnort praktisch nicht ausübbar und für ihn wertlos sei. Hätte er seinen Wohnsitz nicht in Australien, sondern in Oberösterreich genommen, so hätte er ja prinzipiell (außer etwa bei schwerer Pflegebedürftigkeit) das Wohnungsrecht in Gmunden problemlos und sinnvoll zu seinem Nutzen ausüben können.

Sehe man jedoch den Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts darin, dass der Noterbe materiell nicht leer ausgehen solle, so müsse man zur Ansicht gelangen, dass ein höchstpersönliches und somit nicht veräußerbares und nicht verwertbares Wohnungsrecht keinen gemeinen Wert im Sinne des § 305 ABGB habe und dem Pflichtteilsberechtigten damit bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausübung des Wohnungsrechtes kein verwertbares Vermögen zukomme. In Übereinstimmung mit dem Erstgericht sei der letztgenannten, teleologischen Auslegung der Vorzug zu geben; sie habe überdies den Wortlaut des § 808 letzter Satz ABGB und wohl auch - trotz gewisser Unterschiede im Sachverhalt - die Entscheidung 1 Ob 2364/96w für sich. Die mangelnde Verwertbarkeit eines höchstpersönlichen Wohnungsrechtes, das auszuüben dem in Austrialien lebenden Noterben (von dessen australischer Staatsangehörigkeit offenbar beide Streitparteien ausgingen) praktisch unzumutbar sei, stelle nur eine Hinterlassung des Pflichtteils "auf dem Papier", aber keine vom Gesetzgeber mit § 774 ABGB angestrebte wirkliche Zuwendung des Pflichtteils dar.

Die Rechtsansicht des Erstgerichtes sei daher nach Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechtes zu billigen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich die Lösung der Streitfrage, ob der Noterbe das Vermächtnis eines Wohnungsrechtes, dessen Ausübung ihm aus dem Grunde der weiten Entfernung von seinem Wohnort unzumutbar sei, als (teilweise) Erfüllung des Pflichtteils gelten lassen müsse, nicht unmittelbar aus der oberstgerichtlichen Judikatur ergebe. Diese Rechtsfrage gehe über den als ausjudiziert anzusehenden "Antinomiestreit" betreffend die §§ 774 und 808 ABGB hinaus. Auch zu den Befugnissen eines nach australischem Recht bestellten Testamentvollstreckers ("personal representative") in Österreich, der zugleich Erbe sei, sei keine höchstgerichtliche Judikatur bekannt.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Eine in zweiter Instanz verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz kann in dritter Instanz auch nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht werden. Was die Rechtsrüge anlangt, so erachtet der Oberste Gerichtshof die Begründung der Berufungsentscheidung für zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Den Rechtsmittelausführungen ist kurz nur noch folgendes entgegenzuhalten:

Die Ausführungen zur Aktivlegitimation der Klägerin als Erbin und Testamentsvollstreckerin nach australischem Recht sind nicht geeignet, die Argumentation des Berufungsgerichtes zu widerlegen. Insbesondere vermag die Beklagte nicht aufzuzeigen, wer sonst aktiv legitimiert sein sollte, wenn nicht die Klägerin entweder als Testamentsvollstreckerin oder als Erbin.

Zur Frage der Anrechnung des Wohnungsrechtslegates auf den

Pflichtteilsanspruch hält auch der erkennende Senat grundsätzlich an

der herrschenden Ansicht fest, der zufolge der Noterbe im Hinblick

auf § 774 und § 784 Abs 1 ABGB die Pflichtteilsdeckung durch Legat

hinnehmen muss und nicht an deren Stelle den Pflichtteil in Geld

verlangen kann (vgl die bereits vom Berufungsgericht zitierten

Entscheidungen 6 Ob 666/95 = SZ 69/155; 1 Ob 2364/96w = SZ 70/47; 6

Ob 189/98g = SZ 71/166; RIS-Justiz RS0105265; Welser in Rummel, ABGB

I3 § 774 Rz 1, 3 f, § 787 Rz 1 f, § 808 Rz 3; Eccher in Schwimann,

ABGB III2 § 774 Rz 1, § 787 Rz 1, § 808 Rz 7, 8). Allerdings gelten

diese Grundsätze nicht ausnahmslos. So wurde es in 1 Ob 2364/96w dem

hinterbliebenen Ehegatten, dem aus nicht von ihm zu vertretenden

Gründen, vor allem wegen alters- und kranheitsbedingter

Pflegebedürftigkeit, das Verbleiben in der Ehewohnung nicht zumutbar

oder gar unmöglich ist, zugebilligt, das für ihn nutzlose

Vorausvermächtnis, in der Ehewohnung (samt Hausrat) weiter zu wohnen

(§ 758 ABGB) unter Vorbehalt seines ungekürzten

Pflichtteilsanspruches auszuschlagen.

Auch im vorliegenden Fall war das - hier testamentarisch vermachte - Wohnungsrecht (bei Überlassung einer einzelnen Wohnung im Zweifel Wohnungs-Gebrauchsrecht) für den Legatar völlig nutzlos (und belastete ihn nur mit Betriebskosten):

Eine Verwertung etwa durch Vermietung war ihm nicht gestattet, eine Eigennutzung kam wegen der enormen Entfernung von seinem Wohnort in Australien und seiner Krankheit nicht in Frage. Auch die von der Rechtsmittelwerberin vorgeschlagenen Nutzung als Alterssitz oder als Urlaubsdomizil ist unter diesen Umständen unrealistisch. Zwar ist der Pflichtteilsberechtigte an die letztwillige oder gesetzliche Abdeckung des Pflichtteils in Form eines Vermächtnisses im Allgemeinen gebunden; hier würde eine uneingeschränkte Bindung das Pflichtteilsrecht aber zur Farce machen. Die Klägerin muss sich daher nicht auf die für den Pflichtteilsberechtigten nutzlose Zuwendung, deren Vorteile er nicht wirklich erhalten konnte (vgl Welser aaO § 787 Rz 2), verweisen lassen.

Der Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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