European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00139.22K.0927.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Wird dem Schuldner eine Lösungsbefugnis (Ersetzungsbefugnis, facultas alternativa) eingeräumt, schuldet er – im Gegensatz zur Wahlschuld – zwar (nur) eine bestimmte Leistung, ihm steht aber das Recht zu, anstelle der geschuldeten eine andere Leistung mit schuldbefreiender Wirkung zu erbringen. Die Lösungsbefugnis gewährt dem Schuldner also ein Gestaltungsrecht (3 Ob 85/21b mwN; RIS‑Justiz RS0017669).
[2] Dieses Gestaltungsrecht wird durch eine empfangsbedürftige Erklärung ausgeübt. Diese Erklärung kann auch schlüssig durch die Erbringung der Ersatzleistung abgegeben werden. Mit Ausübung dieses Gestaltungsrechts wird die andere Leistung neuer Schuldinhalt. Dem Gläubiger steht nur mehr die Ersatzleistung zu (3 Ob 86/95; statt vieler P. Bydlinski in KBB6 § 906 ABGB Rz 4; Aichberger-Beig in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB³ (Klang) ErgB § 906 ABGB Rz 33 ff; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 906 ABGB Rz 52, 55; Kolmasch in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar Band 55 § 906 ABGB Rz 11).
[3] Die Möglichkeit einer schlüssigen Willenserklärung durch Erbringen der alternativ zulässigen Leistung sagt freilich nichts darüber aus, obeine ausdrückliche Erklärung immer ausreicht, um das Schuldverhältnis zu gestalten und den Schuldinhalt zu ändern. Das hängt bei einer vertraglich vereinbarten Ersetzungsbefugnis vielmehr vom Inhalt dieser Vereinbarung ab. Es steht den Vertragsparteien frei, zusätzliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Gestaltungsrechts festzulegen; insbesondere können sie vereinbaren, dass die Wirkung der Gestaltungserklärung unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Erbringung der Ersatzleistung steht (3 Ob 86/95; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 906 ABGB Rz 56; Kolmasch in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar Band 55 § 906 ABGB Rz 11).
[4] Ob dies vereinbart wurde, ist eine Frage der Auslegung. Im Zweifel ist eine vertraglich vereinbarte Ersetzungsbefugnis nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs so auszulegen, dass die geschuldete Leistung nach dem Willen der Parteien erst dann getilgt ist, wenn die Ersatzleistung zur Gänze erbracht ist (3 Ob 86/95 = RS0074921; vgl auch 3 Ob 85/21b). Danach genügt die Erklärung des Schuldners also im Zweifel nicht; erst die Erklärung und die Erfüllung erzeugen die rechtsgestaltende Wirkung (vgl Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 906 ABGB Rz 56 f).
[5] Eine vertragliche Vereinbarung ist stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auszulegen. Dies könnte nur dann eine erhebliche Rechtsfrage begründen, wenn der zweiten Instanz eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RS0042936; RS0042776); das gilt auch für die Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis. Eine solche aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts liegt aber nicht vor.
[6] Das Berufungsgericht vertrat – zusammengefasst – die Rechtsansicht, nach der getroffenen Vereinbarung solle die Rechtsgestaltung nicht schon mit der bloßen Willenserklärung, sondern erst dann wirksam werden und der Beklagte solle von seiner Pflicht zur Erbringung der Ausgleichszahlung für die Übertragung eines Grundstücks erst dann befreit sein, wenn er alle angeführten Ersatzleistungen (Übertragung einer Teilfläche des Grundstücks in das Alleineigentum des Klägers nach bereits erfolgter rechtskräftiger Widmung dieser Teilfläche als Bauland sowie Einräumung und Einverleibung diverser Dienstbarkeiten) tatsächlich erbracht hat. Diese Beurteilung ist – losgelöst von der vom Revisionswerber aufgeworfenen Frage, ob die dargestellte Zweifelsregel hier Anwendung finden kann, obwohl sich die vorliegende Fallkonstellation von der der Entscheidung 3 Ob 86/95 zugrunde liegenden erheblich unterscheidet – nicht korrekturbedürftig. Der Wortlaut der Vereinbarung spricht hier nicht dafür, dass der Beklagte von der Zahlungsverpflichtung schon befreit sein sollte, wenn er bloß eine Erklärung abgibt, von der ihm eingeräumten Lösungsbefugnis Gebrauch zu machen. Eine von diesem Wortlaut abweichende übereinstimmende Parteienabsicht wurde weder festgestellt noch behauptet.
[7] Die außerordentliche Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Dass das vom Berufungsgericht gebrachte Zusatzargument der Notariatsaktspflicht einer Schenkung ohne wirkliche Übergabe diese Entscheidung schon mangels Unentgeltlichkeit bei Ausübung einer Ersetzungsbefugnis (vgl etwa RS0017193) nicht trägt, begründet die Zulässigkeit der Revision nicht.
[8] Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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