European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:E65946
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit EUR 1.067,94 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 177,99 Umsatzsteuer) sowie die mit EUR 1.816,57 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 125,93 Umsatzsteuer und EUR 1.061 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die Beklagte sowie deren Kinder sind Angehörige der Volksgruppe der Roma. Entsprechend der Roma‑Tradition vereinbarten die Streitteile eine Zahlung des Klägers, des Vaters des Bräutigams, an die Beklagten, die Eltern der Braut für deren Zustimmung zur "Verehelichung" ihrer Tochter. Anlässlich der Verlobung der "Brautleute" wurde diese Vereinbarung getroffen. Die Beklagten hätten ohne eine solche Zahlung der "Hochzeit" nicht zugestimmt. Die Freigabe einer Tochter ohne entsprechende Zahlung der Eltern des "Bräutigams" wäre nämlich nach Roma‑Tradition eine Schande für die ganze Familie. Diese vereinbarte Zahlung steht in keinem Zusammenhang mit der Ausstattung oder den Kosten des "Hochzeitsfestes". Entsprechend den Roma‑Gebräuchen hat die "Braut" nach der "Hochzeit" im Haushalt der "Schwiegereltern" zu arbeiten und selbst verdientes Geld an das Familienoberhaupt abzuliefern. Der "Bräutigam" kann die "Braut" nach der Tradition zu den Eltern zurückschicken, wenn sie bei der Eheschließung nicht mehr Jungfrau war, dann ist auch der Freigabebetrag von den Eltern der Braut zurückzuerstatten. War die "Braut" aber Jungfrau und verlässt sie ihren "Ehemann" bevor sie den Freigabepreis abgearbeitet hat, muss unter Umständen ein Teil des Geldes zurückerstattet werden, je nach dem, wer an der Trennung die Schuld trägt. Diese Streitigkeiten werden üblicherweise vor dem Roma‑Kris ausgetragen, einer Art Schiedsgericht. Diese Traditionen sind allen Roma, insbesondere auch den Streitteilen bekannt.
S 30.000 wurden vor der "Hochzeit" bezahlt, der Restbetrag von S 110.000 wurde vom Kläger nach der Hochzeit und erfolgter Zusicherung des Zweitbeklagten bezahlt, sollte sich herausstellen, dass seine Tochter nicht mehr Jungfrau gewesen sei, würde er selbstverständlich das Geld zurückzahlen.
Es steht nicht fest, dass die Beklagten sich auch verpflichtet hätten, den Freigabepreis zurückzuzahlen, sollte ihre Tochter den Sohn des Klägers wieder verlassen.
Der zweitägigen "Hochzeit" folgte eine zweiwöchige Reise, dann lebten die Kinder der Streitteile gemeinsam im Haushalt des Klägers, wo sich aber die Tochter der Beklagten nicht eingewöhnen konnte und Ende Oktober 1998 wieder zu ihren Eltern zurückkehrte. Zwar nahm sie in der Folge mit dem Sohn des Klägers ohne Wissen der Eltern wiederum eine Beziehung auf, die beiden zogen in eine kurzfristig angemietete eigene Wohnung, doch im Mai 1999 verließ die Tochter der Beklagten den Sohn des Klägers endgültig und kehrte zu ihren Eltern zurück.
Die sogenannte "serbische Hochzeit" zwischen der Tochter der Beklagten und dem Sohn des Klägers hatte am 28. 6. 1998 stattgefunden, zu einer standesamtlichen Eheschließung war es nicht gekommen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung des von ihm geleisteten "Freigabebetrages" mit der Begründung, dass der Grund für die Zahlung ausschließlich die Zustimmung der Beklagten zur ehelichen Verbindung ihrer Tochter mit dem Sohn des Klägers nach Roma‑Tradition gewesen sei. Die Beklagten hätten sich ausdrücklich verpflichtet, dem Kläger dieses Geld zurückzuzahlen, wenn ihre Tochter den Sohn des Klägers verlassen sollte. Tatsächlich sei dies etwa drei Monate nach der Hochzeit geschehen. Seither sei die "eheliche Verbindung" aufgelöst. Die Beklagten hätten kein wie immer geartetes Recht, den vom Kläger geleisteten Geldbetrag zu behalten. Dies einerseits wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, aber auch weil sie sich zur Rückzahlung verpflichtet hätten, darüber hinaus aber auch aus dem Titel der Bereicherung.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und wendeten die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein, weil sämtliche Vereinbarungen entsprechend der Roma‑Tradition geschlossen worden seien. Nach dieser Tradition sei es auch üblich, bei Streitigkeiten das sogenannte Roma‑Kris, das Schiedsgericht, entscheiden zu lassen und nicht ein ordentliches Gericht. Den Betrag von S 140.000, den der Kläger bezahlt habe, hätten die Beklagten für Kleidung, Schmuck und Einrichtungsgegenstände des "Brautpaares" verwendet. Eine Bereicherung liege nicht vor, auch sei die Geschäftsgrundlage nicht weggefallen, weil sich die Vereinbarungen bloß auf die "Hochzeit" bezogen hätten. Eine Vereinbarung über ein bestimmtes Verhalten der Tochter der Beklagten nach der Eheschließung gebe es nicht, eine solche Vereinbarung sei auch unwirksam. Im Übrigen habe sich das Zusammenleben der "Brautleute" als unmöglich erwiesen, woran die Ehefrau des Klägers Schuld trage.
Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen verpflichtete das Erstgericht die Beklagten, dem Kläger den Betrag von S 140.000 zu bezahlen. Ein Teil des - nicht mehr verfahrensgegenständlichen - Klagebegehrens auf Zahlung der Kosten der Hochzeitsfeierlichkeiten wurde abgewiesen.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht die Vereinbarung zwischen den Eltern der "Braut" für deren Zustimmung zur "Eheschließung" und dem Vater des "Bräutigams" als durch § 879 Abs 2 Z 1 ABGB verpönte Leistung für die Unterhandlung eines Ehevertrags. Da das Verbot dem Schutz von allgemeinen Interessen und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit diene, verlange der Normzweck eine absolute Nichtigkeit des dagegen verstoßenden Geschäfts, die auch von Amts wegen wahrzunehmen sei, ohne dass es darauf ankomme, ob sich eine der Parteien auf die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung berufen habe. (Die Parteien hatten nämlich ausdrücklich in der mündlichen Streitverhandlung vom 15. 12. 2000, S 24 in ON 33 = AS 155 erklärt, sich nicht auf die Sittenwidrigkeit des Vertrags zu stützen.) Das Verbot des Brautkaufs solle vor allem Minderjährige davor schützen, dass die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter zu einer Eheschließung von anderen Motiven geleitet werden könne als dem Wohl des Kindes. Der Schutzzweck der Norm erfordere daher schon deshalb die absolute Nichtigkeit der Vereinbarung, weil der Betroffene regelmäßig gar nicht Partei eines darüber geführten Rechtsstreits sei. Leistungen aufgrund einer nichtigen Vereinbarungen seien grundsätzlich bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln, es sei denn, der Verbotszweck der Norm würde Gegenteiliges erfordern. Weil die Zustimmung zu einer Eheschließung nicht verboten sei, stehe § 1174 ABGB einer Rückforderung nicht entgegen. Der Verbotszweck der Norm erfordere aber gerade, dass der Zustimmende das dafür zu Unrecht Erlangte herauszugeben habe.
Einer dagegen von den Beklagten erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht warf zunächst die Frage auf, ob die zu beurteilende Vereinbarung im Wortlaut des § 879 Abs 2 Z 1 ABGB Deckung finde, weil sich diese Bestimmung auf "Eheschließungen" beschränke, womit selbstverständlich nur staatliche oder allenfalls religiöse Eheschließungen gemeint seien, nicht aber darüber hinausgehende Bräuche. Auch die Frage der Absolutheit einer allenfalls bewirkten Nichtigkeit könne letztlich dahingestellt bleiben, weil jedenfalls eine Rückforderung ausgeschlossen sei. Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts für sich allein begründe nämlich dann noch keinen Rückforderungsanspruch, wenn der Normzweck des Verbots nur die Entstehung durchsetzbarer Verpflichtungen verhindern wolle, ohne tatsächlich vorgenommene Vermögensverschiebungen zu missbilligen. Mitunter könne der Zweck der verletzten Norm ein Rückgabeverbot nahelegen. Dies sei dann der Fall, wenn die Rückzahlung gerade zu jenem Nachteil führe, den die verletzte Norm durch das Nichtigkeitsverdikt verhindern wolle. Berücksichtige man nun, dass die Zahlung eines Brautpreises nur insoweit verpönt werden könne, als dadurch finanzielle Vor- bzw Nachteile gegenüber dem Wohl der Braut den Vorrang erhielten, also die Brauteltern versucht sein könnten, ihre finanziellen Interessen über das Wohl des Kindes hinaus zu verfolgen, so würde durch die Zuerkennung eines Rückforderungsanspruchs die Motivation, die Beziehung nicht in Brüche gehen zu lassen, gleichermaßen verstärkt. Ebenso wie die Eltern der "Freigabe" nicht wegen der "Verlockung durch ein Entgelt" zustimmen sollten, hätte ein Rückforderungsanspruch den Effekt, dass die Eltern, um einer Rückforderung nicht ausgesetzt zu sein, der Tochter jeden Rückhalt versagen würden, wenn sie die Beziehung beenden wolle, die ihren Eltern einen "Brautpreis" eingebracht hätte. Gerade damit würde die verpönte Drucksituation entstehen. Diese Erwägungen stünden der Bejahung eines Rückforderungsanspruchs entgegen.
Das Berufungsgericht erklärte über Antrag des Klägers nachträglich die ordentliche Revision für zulässig, weil die entscheidende Frage der Sittenwidrigkeit einer solchen Brautpreisvereinbarung bisher noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung gewesen sei und nicht nur eine Frage des Einzelfalls betreffe.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteils des Gerichts zweiter Instanz im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragten die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abwich. Sie ist auch berechtigt.
§ 879 ABGB stellt klar, dass die Rechtsordnung trotz der im Schuldrecht grundsätzlich geltenden Vertragsfreiheit der Parteien eine ihre Normen und Grundsätze missachtende privatautonome Rechtsgestaltung grundsätzlich nicht duldet und der Missbrauch der Privatautonomie durch die Anordnung der Nichtigkeit des unerwünschten Rechtsgeschäfts verhindert, ein dennoch geschlossenes eliminiert werden soll. Die verpönte Vereinbarung soll ex tunc beseitigt werden und damit der Rückforderungsanspruch des Klägers für das Geleistete gerechtfertigt werden. Rechtsgrundlage dafür bietet § 877 ABGB, der nach herrschender Meinung als eigener Kondiktionentyp im Sinn einer Bereicherungsrückabwicklung betrachtet wird (2 Ob 322/00t mwH). § 877 ABGB hat keinen eigenen Regelungsgehalt, sondern verweist auf das allgemeine Bereicherungsrecht (RdW 1984/9 mwN). Nach diesem entscheidet im Sinn der nun einhelligen neueren Lehre und Judikatur über die Rückforderungsmöglichkeit der Zweck der die Ungültigkeit begründenden Norm. Will das Verbotsgesetz nur die Entstehung durchsetzbarer Verpflichtungen verhindern, ohne eine tatsächlich vorgenommene Vermögensverschiebung zu missbilligen, so begründet die Nichtigkeit für sich allein keinen Rückforderungsanspruch (RdW 1984, 9; JBl 1989, 784; 7 Ob 546/90 jeweils mwN). Das gilt grundsätzlich ebenso für sittenwidrige Geschäfte (vgl Koziol in Koziol/Welser12 164 mit Rsphinweisen). § 1174 ABGB schließt eine Rückforderung nicht schon dann aus, wenn das Gegebene ein verbotenes Verhalten begünstigt, sondern nur, wenn das Gegebene ein Entgelt für eine unerlaubte Handlung war (10 Ob 2463/96w; SZ 23/159; RIS‑Justiz RS0022095).
Bei Beurteilung eines nahezu identen Sachverhalts, ebenfalls ohne Berufung des Klägers auf die Sittenwidrigkeit, hat der Oberste Gerichtshof in 4 Ob 199/00v erkannt, dass es den Grundwertungen des österreichischen Ehe- und Familienrechts widerspricht, wenn die Eltern eines (dort) Minderjährigen ihre Zustimmung zur Verlobung eines (dort) ebenfalls Minderjährigen von der Zahlung eines Geldbetrags durch dessen Vater abhängig machen. Entscheidungen über die Eheschließung haben ohne Einschränkung der Willensfreiheit und ohne Anknüpfung an Bedingungen zu erfolgen. Dementsprechend widerspricht auch die Abhängigmachung der Zustimmung gegen Entgelt diesen Grundwerten. Eine wie im vorliegenden Fall vereinbarte Zahlung ist überdies auch geeignet, einen ernsthaften Druck auf die Motivation zur Eheschließung auszuüben. Im Licht des § 879 Abs 1 ABGB kann daher eine Zahlungsvereinbarung wie die der Streitteile keinen Bestand haben. Bei Prüfung der Sittenwidrigkeit sind die Werteentscheidungen und Grundprinzipien der Rechtsordnung zugrundezulegen (SZ 67/202). Unter den guten Sitten ist der Inbegriff jener Rechtsnormen zu verstehen, die im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen sind, sich aber aus der richtigen Betrachtung der rechtlichen Interessen ergeben. Die getroffene Vereinbarung widerspricht sohin den guten Sitten und unterliegt der Nichtigkeitssanktion des § 879 Abs 1 ABGB. Diese ist eine absolute, weil nicht nur die Vereinbarung, sondern auch die tatsächlich vorgenommene Vermögensverschiebung zu missbilligen ist (4 Ob 199/00v).
Die vom Berufungsgericht herangezogene Argumentation übersieht, dass mit dem "Behaltendürfen" des Freigabepreises für die Braut der Verstoß gegen die guten Sitten honoriert würde, obwohl der "Normzweck" es erfordert, die Vermögensverschiebung und nicht nur den Zwang zur Erfüllung zu missbilligen (vgl 3 Ob 13/99d zu Schmiergeldern).
Dass bei einer absoluten Nichtigkeit die Rechtswirkungen von Amts wegen aufzugreifen sind (vgl Krejci in Rummel Rz 248 zu § 879 ABGB mwN; Apathy in Schwimann² Rz 34 zu § 879 ABGB mwN; Koziol in Koziol/Welser12, 163 f) und sich der Betreffende nicht ausdrücklich auf Sittenwidrigkeit berufen muss, ist in Lehre und Rechtsprechung unstrittig. In einem solchen Fall genügt es, wenn wie hier der anspruchsbegründende Sachverhalt aufgezeigt wird und unter Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs das Fehlen jeglichen Rechtsgrunds für das Behaltendürfen der Leistung das Klagebegehren begründet wird.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist daher der Kläger berechtigt, den von ihm den Eltern der "Braut" geleisteten "Freigabebetrag" zurückzufordern. In diesem Sinn war die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Revision war daher berechtigt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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