OGH 5Ob118/24z

OGH5Ob118/24z30.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch LIKAR Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch Strasser Haindl Meyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.100 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. April 2024, GZ 1 R 57/24i-23, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. Februar 2024, GZ 14 C 327/23z-19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00118.24Z.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin veranlagte im Februar 2018 8.100 EUR im Weg eines qualifizierten Nachrangdarlehens bei einer GmbH, dies auch mit Blick auf ein gleichartiges früheres und erfolgreiches Investment bei dieser Gesellschaft. Die emittierende Gesellschaft ließ im November 2015 den Kapitalmarktprospekt über das öffentliche Angebot von qualifizierten Nachrangdarlehen erstellen. Die beklagte Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erteilte im gleichen Monat den Kontrollvermerk als Prospektkontrollor nach § 8 Abs 2 KMG BGBl 1991/625 in der damals geltenden Fassung (im Folgenden: KMG 1991). Über das Vermögen der emittierenden Gesellschaft wurde am 8. 7. 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet.

[2] Der Anlageberater der Klägerin, die wusste, was ein Nachrangdarlehen ist, wies sie auf das Totalverlustrisiko hin. Die Klägerin las weder den Kapitalmarktprospekt, den der Berater mit hatte, noch den Kontrollvermerk durch. Dieser war ihr nicht wichtig. Weder der Kapitalmarktprospekt noch der Kontrollvermerk waren für die Klägerin anlageentscheidend. Sie hätte alternativ ihr Geld weder auf ein Sparbuch gelegt noch zumindest kapitalerhaltend investiert. Die Klägerin entschied sich ungeachtet des hohen Risikos für die neuerliche Veranlagung, weil bereits die erste Veranlagung gut funktioniert hatte.

[3] Die Klägerin begehrt 8.100 EUR und hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den der Klägerin entstandenen Schaden. Ungereimtheiten im Kapitalmarktprospekt hätten der Beklagten als Prospektkontrollorin auffallen müssen. Sie hätte keinen Kontrollvermerk erteilen dürfen und hafte daher nach § 11 KMG 1991 für die unvollständige Kontrolle. Die Klägerin habe im Vertrauen auf die Prospektangaben investiert und sich auf die Angaben im Prospekt bzw die Angaben ihres Beraters verlassen.

[4] Die Beklagte wandte ein, dass sie den Kapitalmarktprospekt gesetzeskonform und sorgfältig kontrolliert habe. Sie hafte nicht für die Spekulationsverluste der voll risikobewussten Klägerin. Diese habe das Nachrangdarlehen nicht aufgrund der Prospektangaben gezeichnet, sodass kein Kausalzusammenhang zwischen den Angaben im Kapitalmarktprospekt und dem Anlageentschluss vorliege.

[5] Das Erstgericht wies die Klage mangels Kausalität des der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens ab, weil allfällig unrichtige, unvollständige oder irreführende Prospektangaben nicht Grundlage der Disposition der Klägerin gewesen seien.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nachträglich zur Frage zu, ob auf die Tätigkeit der Beklagten die Regeln betreffend Schadenszufügung durch Unterlassung heranzuziehen seien und der Klägerin daher eine Beweiserleichterung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO)

1. In dritter Instanz ist unstrittig, dass sich eine allfällige Haftung der Beklagten wegen des im November 2015 erstellten Kontrollvermerks bzw des im Februar 2018 erfolgten Investments der Klägerin noch nach dem KMG 1991 richtet (RS0008715 [T5]; vgl auch § 30 KMG 2019).

[8] 2.1 § 11 KMG 1991 enthält eine besondere Prospekthaftungsregelung, die eine gesetzgeberische besondere Ausprägung der allgemeinen Grundsätze über die schadenersatzrechtliche Haftung für Vertrauensschäden wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung bildet (6 Ob 190/12b Pkt 3.1.). Alle Personen haben für eine sachlich richtige und vollständige Information einzustehen, die durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken einen besonderen Vertrauenstatbestand schaffen (RS0107352).

[9] 2.2 Das gilt auch für einen Prospektkontrollor (RS0107352 [T5, T15, T23]). Ein Prospektkontrollor haftet dabei nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern nur für dessen unrichtige oder unvollständige Kontrolle (§ 11 Abs 1 Z 2 und Z 2a KMG 2019; 10 Ob 23/23i mwN; RS0107352 [T5, T15]).

[10] 3.1 Die für eine solche Haftung erforderliche Ursächlichkeit ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt samt Kontrollvermerk zum Kauf entschlossen hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses bei der konkreten Anlageentscheidung (RS0108626). Diesen Kausalzusammenhang hat nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zu beweisen (RS0108626 [T4]).

[11] 3.2 Die Prüfung der Kausalität ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen (6 Ob 177/15w) und unterliegt damit nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der ausschließlich Rechtsinstanz ist (RS0123663). Ausgehend von den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen, wonach die Klägerin vom Inhalt des Prospekts keine Kenntnis hatte, diesen ihrer Entscheidung nicht zugrundelegte und eine zumindest kapitalerhaltende Veranlagung auch ohne Prospekt (samt Kontrollvermerk) alternativ nicht durchgeführt hätte, ist eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts, das die Kausalität verneint hat, nicht zu erkennen (vgl 1 Ob 35/18f).

[12] 3.3 Es bedarf nicht des Rückgriffs auf Beweislastregeln, wenn die zu beweisende Tatsache (oder das Gegenteil dieser Tatsache) ohnehin feststeht, weil es dann keine Rolle mehr spielt, wen die Beweislast trifft (RS0039875 [T1 bis T4]; RS0039872 [T1 und T2]). Die Vorinstanzen haben die relevanten Feststellungen zum Zusammenhang zwischen dem geprüften Prospekt und dem Anlageentschluss mit der für den Zivilprozess erforderlichen Sicherheit (hohe Wahrscheinlichkeit, vgl RS0110701) getroffen (und einen Zusammenhang verneint). Es liegen zu diesen Fragen damit entsprechende (positive) Sachverhaltsfeststellungen vor. Damit kann aber dahinstehen, ob im Anlassfall dieser Zusammenhang bei Anwendung eines reduzierten Beweismaßes – vergleichbar dem Fall der (behaupteten) Schädigung durch Unterlassung (vgl RS0110701 [T11 und T12]; RS0022700 [T5 und T7]) – festgestellt hätte werden können.

[13] 3.4 Der Vorwurf im Rechtsmittel, die Vorinstanzen hätten verkannt, dass aufgrund des Vorliegens eines Anscheinsbeweises die non-liquet-Situation zu Lasten der Beklagten ginge, geht ins Leere, weil die (positiven) Feststellungen eine solche non-liquet-Situation ausschließen.

[14] 3.5 Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof zum KMG 1991 bereits die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises für Fragen des Kausalitätszusammenhangs zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss des Anlegers verneint (RS0108627) und in diesem Zusammenhang auch Beweiserleichterungen für geschädigte Anleger abgelehnt (RS0022862 [T9]), was umso mehr für die unrichtige oder unvollständige Kontrolle des Prospekts gelten muss.

[15] 3.6 Damit stellt sich auch nicht die Frage, ob die Bestimmungen des KMG 1991 als Schutzgesetz zu qualifizieren sind, woraus die Klägerin ebenfalls Beweiserleichterungen ableiten möchte.

[16] 3.7 Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung und werfen daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[17] 4. Auch die Hinweise der Klägerin auf die zur Haftung des Abschlussprüfers einer Gesellschaft entwickelten Beweiserleichterungen können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.

[18] 4.1 Wie der Prospektkontrollor kann auch der sorgfaltswidrige Abschlussprüfer einem Dritten gegenüber haften, wenn dieser im Vertrauen auf die Verlässlichkeit des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers disponiert und dadurch einen Schaden erleidet (RS0116077).

[19] 4.2 Auch in diesem Bereich hat der geschädigte Anleger grundsätzlich zu behaupten und zu beweisen, dass er seine Anlageentscheidung im Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk getroffen und diesen zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat (RS0129123).

[20] 4.3 Der Oberste Gerichtshof hat aber wiederholt die Möglichkeit einer Haftung eines Abschlussprüfers gegenüber Anlegern für den Fall von Sorgfaltspflichtverletzungen schon dann bejaht, wenn mit den Anlegern in den Beratungsgesprächen über Bestätigungsvermerke des Abschlussprüfers überhaupt nicht gesprochen worden war, dies vorausgesetzt, dass die Information über eine pflichtgemäße, aber tatsächlich nicht erfolgte Einschränkung des Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer den Anlegern (etwa über eine hypothetische „Anlagestimmung“) zugekommen wäre und die Anleger aufgrund dieser Information das Investment unterlassen oder sofort verkauft hätten (RS0108627 [T2]; 8 Ob 93/14f).

[21] 4.4 Ob diese Rechtsprechung zum Bestätigungsvermerk auch im Anlassfall – ungeachtet der zum Prospektkontrollor bereits ergangenen Judikatur – nutzbar gemacht werden könnte, kann dahinstehen, zumal weder behauptet (zu diesem Erfordernis vgl 2 Ob 41/14i) noch festgestellt wurde, dass von einer hypothetischen „Anlagestimmung“ auszugehen sei. Entsprechendes trifft auf den Umstand zu, ob die Klägerin bei ihrer Anlageentscheidung überhaupt darauf Wert legte, dass für ihre Veranlagung ein gesetzeskonform geprüfter Prospekt vorlag (was nach den Beweisergebnissen zu verneinen ist). Die Klägerin behauptete zwar, dass sie im Vertrauen auf die Prospektangaben investiert hätte; das Erstgericht stellte dazu aber das Gegenteil fest. Insoweit die Klägerin auch damit argumentiert, das Kausalitätserfordernis sei erfüllt, wenn die Information über die Erteilung des Prüfvermerks vom Berater an den Kunden weitergegeben wird, entfernt sie sich von den getroffenen Feststellungen.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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