OGH 4Ob83/06v

OGH4Ob83/06v12.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bozkurt T*****, vertreten durch Dr. Andrea Göll, Rechtsanwältin in Wien als bestellte Verfahrenshelferin, gegen die beklagte Partei Gisela Z*****, vertreten durch Dr. Manfred Ainedter und Dr. Friedrich Trappel, Rechtsanwälte in Wien, wegen 6.200 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2005, GZ 35 R 584/05z-19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 3. Juni 2005, GZ 27 C 807/04k-15, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht in Ansehung eines Zuspruchs von 1.192,31 EUR in Rechtskraft erwachsen sind, aufgehoben und die Rechtssache insoweit - hinsichtlich eines Begehrens von 5.007,69 EUR - an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger kaufte am 2. März 2004 von der Beklagten einen gebrauchten PKW und übergab den vereinbarten Kaufpreis von 6.200 EUR. Die Beklagte hatte ihr Fahrzeug zuvor mit „1 A-Zustand" und „garagengepflegt" beschrieben. Der Kläger besichtigte das Fahrzeug vor Kaufvertragsabschluss und unternahm eine kurze Probefahrt. Die Beklagte sicherte ihm keine besonderen Eigenschaften zu, der Kläger verlangte eine solche Zusicherung auch nicht und fragte nicht nach besonderen Eigenschaften des Fahrzeugs. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde die Gewährleistung ausgeschlossen.

Am 16. März 2004 ließ der Kläger eine Überprüfung durchführen, wobei einige schwere (sofort zu behebende) und leichte Mängel (Abnutzung, Lackkratzer) festgestellt wurden, weiters, dass das Fahrzeug nicht in verkehrs- und betriebssicherem Zustand ist. Bei Abschluss des Kaufvertrags hatte das Fahrzeug einen waagrechten Kratzer an der Beifahrertür und an der rechten hinteren Tür sowie folgende schwere mechanische Mängel: Das Differenzial war undicht, die Teleskopantenne war abgebrochen, die Kontrolllampe der Nebelschlussleuchte funktionierte nicht, die Bremsflüssigkeit hatte einen Siedepunkt von 170 ° (statt 184 °), das Lenkgetriebe hatte ein abnormal großes Spiel, die Silentlager der beiden Querlenker waren stark ausgeschlagen und im Leerlauf sowie beim Gaswechsel war ein klopfendes Geräusch im Antriebsriemenbereich vorhanden. Die Mängel verhinderten die Erlangung einer Überprüfungsplakette nach § 57a KFG. Um das Fahrzeug in verkehrs- und betriebssicheren Zustand zu versetzen und die Zulassungsfähigkeit zu erreichen, ist die Behebung der schweren mechanischen Mängel nötig, was Mindestreparaturkosten von 1.192,31 EUR (inklusive USt) erfordert. Das Fahrzeug hatte unter Berücksichtigung der zur Behebung der schweren Mängel erforderlichen Reparaturkosten sowie weiterer Reparaturkosten für die Behebung der Lackschäden von etwa 500 EUR zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses einen angemessenen Wert von 4.000 EUR (inklusive USt).

Der Kläger begehrte 6.200 EUR Zug-um-Zug gegen Rückstellung des PKW. Die Beklagte habe ihm vor Kaufabschluss zugesichert, es handle sich um einen Erstbesitz, das Fahrzeug sei unfallfrei und Reparaturarbeiten seien nicht notwendig. Diese Zusagen seien für den Kaufabschluss wesentlich gewesen. Wären die gravierenden Mängel zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses bekannt gewesen, hätte der Kläger den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er sei insbesondere in den Glauben versetzt worden, es handle sich um ein verkehrstüchtiges Fahrzeug im Sinn von § 57a KFG zu einem angemessenen Preis. Er habe sich in einem wesentlichen Irrtum über die Beschaffenheit der Kaufsache befunden, der von der Beklagten veranlasst worden sei und ihn zur Vertragsanfechtung berechtige.

Die Beklagte wendete ein, sie habe weder Erstbesitz, Unfallfreiheit noch Mangelfreiheit zugesichert. Im Kaufvertrag sei jegliche Gewährleistung ausgeschlossen worden. Falls die Klage berechtigt sein sollte, schulde der Kläger Benützungsentgelt für das Fahrzeug zwischen Übergabe und Rückstellung, welches sich allein für die Zeit vom März bis Juni 2004 auf 4.500 EUR belaufe. Für Reparaturen, die der Kläger verursacht habe, werde überdies aufrechnungsweise eine Gegenforderung von 4.000 EUR eingewendet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Beklagte habe durch ihr Verkaufsanbot ohne gegenteiligen Hinweis die berechtigte Vorstellung des Klägers erweckt, der PKW sei verkehrstauglich. Die Unterlassung der gebotenen Aufklärung über die gegenteilige Sachlage sei als Veranlassung des Irrtums nach § 871 ABGB zu werten. Der von der Beklagten veranlasste Irrtum des Klägers habe eine für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Fahrzeugs wesentliche Eigenschaft betroffen. Wäre der Beklagten der mangelhafte Zustand nicht bekannt gewesen, hätte es sich um einen gemeinsamen Irrtum der Vertragspartner gehandelt, welcher den Kläger ebenfalls zur Vertragsauflösung berechtigt hätte. Das von der Beklagten eingewendete Benützungsentgelt stehe mangels vertraglicher Grundlage oder Bereicherung des Klägers, dem bloß ein nicht benützbares Fahrzeug zur Verfügung gestanden sei, nicht zu.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren lediglich im Ausmaß von 1.192,91 EUR statt und wies das Mehrbegehren von 5.007,69 EUR ab. Es sprach - auf Grund eines Abänderungsantrags des Klägers - aus, dass die ordentliche Revision wegen uneinheitlicher Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig sei. Der Kläger sei bei Vertragsabschluss lediglich einem unwesentlichen Irrtum unterlegen. Da es sich bei den festgestellten Mängeln durchwegs um solche gehandelt habe, die mit einem relativ geringen Aufwand behoben hätten werden können, sei davon auszugehen, dass der Kläger das Fahrzeug auch bei Kenntnis dieser Mängel gekauft und die Reparatur in Kauf genommen hätte. Der Umstand, dass vorerst ein Preis von 5.500 EUR vereinbart worden, der Kläger aber 6.200 EUR zu zahlen bereit gewesen sei, um das Fahrzeug möglichst schnell zu erwerben, lasse auf diesen Umstand schließen. Dem hypothetischen Parteiwillen der Streitteile folgend komme das Berufungsgericht zur Ansicht, dass der Vertrag auch bei Kenntnis der Mängel abgeschlossen worden wäre. Es sei daher eine Vertragsanspassung nach § 872 ABGB vorzunehmen und dem Kläger nur jener Betrag zuzusprechen, mit dem er zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die notwendigen Reparaturen hätte vornehmen lassen können, um das Fahrzeug in einen verkehrs- und betriebssicheren Zustand zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist infolge Widerspruchs des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Auszugehen ist im vorliegenden Fall davon, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs einem Irrtum über die Eigenschaften der Kaufsache unterlag, ging er doch nach dem Inhalt des Anbots sowie einer kurzen Probefahrt, anlässlich der keine Erörterung der Fahrzeugeigenschaften stattfand, vom Erwerb eines betriebs- und fahrtauglichen Fahrzeugs aus, was allerdings nicht zutraf. Dass die Fehlvorstellung des Klägers von der Beklagten im Sinn des § 871 erster Fall ABGB veranlasst war, kann mangels gebotener Aufklärung nicht zweifelhaft sein. Veranlassen im Sinn des § 871 ABGB bedeutet adäquate Verursachung (RIS-Justiz RS0016195; Bollenberger in KBB § 871 Rz 14 mwN). Es setzt weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung voraus; es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Vertragspartner nach der Verkehrsauffassung auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser den Geschäftsinhalt betreffende Umstände vertrauen, solange ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird, so begründet schon die Unterlassung dieser Mitteilung eine Veranlassung des Irrtums (RIS-Justiz RS0016188; Bollenberger aaO mwN). Ob der vom Vertragspartner veranlasste Irrtum den Irrenden zur Vertragsanfechtung sowie Rückabwicklung berechtigt oder ihm lediglich die Vertragsanpassung, also nach Leistung des gesamten Kaufpreises die Rückforderung des nach Vertragsanpassung zu viel geleisteten Entgelts zusteht, hängt davon ab, ob der Irrtum als wesentlich zu qualifizieren ist.

Wesentlich ist ein Irrtum, wenn der Erklärende ohne ihn das Geschäft nicht abgeschlossen hätte, wogegen ein unwesentlicher Irrtum vorliegt, wenn das Geschäft mit anderem Inhalt abgeschlossen worden wäre (RIS-Justiz RS0082957; zuletzt 9 Ob 247/02t = SZ 2003/70 mwN). Die Beurteilung der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit des Irrtums muss zunächst durch Feststellung des hypothetischen Willens der Parteien versucht werden. Erst wenn dies unmöglich ist, ist zu fragen, wie normale Personen redlicherweise gehandelt hätten (RIS-Justiz RS0016201; zuletzt 9 Ob 247/02t mwN; Bollenberger aaO Rz 18 mwN).

Der Kläger hat vorgebracht, er hätte den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, wären ihm die gravierenden Mängel zum Abschlusszeitpunkt bekannt gewesen. Zu dieser Behauptung haben die Vorinstanzen aber keine Feststellungen getroffen; das Berufungsgericht hat lediglich aus dem erforderlichen und als relativ gering beurteilten Reparaturaufwand sowie dem - weder in erster Instanz noch im Berufungsverfahren etwa auf Grund einer Beweisergänzung oder -wiederholung festgestellten - Umstand, dass vorerst ein niedrigerer Preis vereinbart worden sei, der Kläger aber mehr zu zahlen bereit gewesen sei, um das Fahrzeug möglichst schnell zu erwerben, auf den Willen der Parteien geschlossen, den Vertrag auch bei Kenntnis der Mängel - wenn auch zu einem geringeren Preis - abzuschließen.

Da eine (positive oder negative) Feststellung zur behaupteten Verursachung des Vertragsabschlusses durch den beim Kläger von der Beklagten veranlassten Irrtum fehlt, kann nicht gesagt werden, dass der hypothetische Wille des Klägers nicht feststellbar wäre. Die abschließende Beurteilung des Falls erfordert daher zunächst eine Feststellung über den vom Kläger behaupteten konkreten Nichtabschlusswillen bei Kenntnis der wahren Sachlage. Nur für den Fall, dass diese Feststellung unmöglich sein sollte, wäre zu fragen, wie normale Personen redlicherweise gehandelt hätten. Danach ist die Entscheidung zu treffen, ob der Irrtum als wesentlich zu qualifizieren ist.

Sollte sich das Anfechtungsbegehren des Klägers infolge Beurteilung seines Irrtums als für den Vertragsabschluss wesentlich berechtigt erweisen, wären darüber hinaus auch noch Feststellungen zur eingewendeten Gegenforderung wegen vom Kläger am Fahrzeug verursachter Schäden (behauptete Reparaturkosten von 4.000 EUR) zu treffen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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