European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00063.17V.0503.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der hier Beklagte machte gegen die Klägerin im Verfahren AZ 11 Cg 5/07h vor dem Handelsgericht Wien aus einer für ihn registrierten Gemeinschaftsmarke Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Zahlung geltend.
Mit ihrer auf Art 100 GMV gestützten Widerklage begehrte die Klägerin vor dem Erstgericht das Urteil, die zu Gunsten des Beklagten registrierte Gemeinschaftsmarke sei nichtig und der Beklagte sei schuldig, in die Löschung dieser Gemeinschaftsmarke einzuwilligen, hilfsweise die Gemeinschaftsmarke für nichtig zu erklären. Sie erhob dabei den Einwand der böswilligen Markenrechtsanmeldung nach Art 52 Abs 1 lit b VO [EG] 207/2009 idF VO [EU] 2015/2424 (im Folgenden: UMV).
Das Erstgericht unterbrach mit Beschluss vom 18. 2. 2010 das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens AZ 11 Cg 5/07h. Mit weiterem Beschluss vom 16. 7. 2015 wies es die am 14. 7. 2015 von der Klägerin beantragte Fortsetzung des Verfahrens ab.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin mit Beschluss vom 26. 8. 2015 Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Mit dem Beschluss vom 6. 10. 2015 wies das Rekursgericht das dagegen vom Beklagten erhobene Rechtsmittel vom 23. 9. 2015 wegen § 192 Abs 2 ZPO als unzulässig zurück.
Der Senat gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Beklagten mit Beschluss vom 25. 11. 2015 zu 4 Ob 212/15b nicht Folge.
Im Verletzungsprozess zu 11 Cg 5/07h wiesen die Vorinstanzen das Begehren des hier Beklagten ab. Der Senat setzte das zu 4 Ob 223/15w anhängige Revisionsverfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. Darf eine Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung abgewiesen werden, wenn der Beklagte zwar eine damit begründete Widerklage auf Nichtigerklärung der Unionsmarke erhoben, das Gericht über diese Widerklage aber noch nicht entschieden hat?
2. Wenn nein: Darf das Gericht die Verletzungsklage aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung abweisen, wenn es zumindest zugleich der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgibt, oder hat es mit der Entscheidung über die Verletzungsklage jedenfalls bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten?
Das hier anhängige Verfahren über die Widerklage setzte das Erstgericht – nach Durchführung eines Beweisverfahrens über den Einwand der Bösgläubigkeit – gemäß Art 100 Abs 7 UMV aus und trug der Klägerin auf, binnen drei Monaten ab Rechtskraft dieses Beschlusses beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum einen Antrag auf Löschung der von ihr angegriffenen Marke des Beklagten zu stellen. Es bejahte die Voraussetzungen des Art 100 Abs 7 UMV und wies darauf hin, dass die UMV für einen Antrag beim Amt keine Fristen vorsehe.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Anders als im Fall des Art 104 Abs 1 UMV stelle es Art 100 Abs 7 UMV in das Ermessen des mit der Widerklage befassten Gemeinschaftsmarkengerichts, das Verfahren auszusetzen oder nicht. Angesichts der bisherigen Verfahrensdauer, der bereits aufgelaufenen Kosten und noch zu erwartender Kosten, der zu lösenden Rechtsfrage, die die besondere Entscheidungskompetenz des Amts nicht erfordere, und aus weiteren (näher ausgeführten) verfahrensökonomischen Gründen sei von einer Aussetzung abzusehen.
Der dagegen erhobene „außerordentliche Revisionsrekurs“ des Beklagten ist absolut unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 192 Abs 2 ZPO können die nach §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Dieser Rechtsmittelausschluss gilt auch für zweitinstanzliche Entscheidungen (RIS-Justiz RS0037074) und ist nur in jenem Fall unanwendbar, in dem das Gesetz eine Unterbrechung zwingend vorschreibt (RIS-Justiz RS0037058; RS0037110; RS0037034).
2. Eine solche zwingende Unterbrechung ist aus Art 100 Abs 7 UMV nicht abzuleiten. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
Das mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit befasste Gemeinschaftsmarkengericht kann auf Antrag des Inhabers der Gemeinschaftsmarke nach Anhörung der anderen Parteien das Verfahren aussetzen und den Beklagten auffordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist beim Amt die Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit zu beantragen. Wird der Antrag nicht innerhalb der Frist gestellt, wird das Verfahren fortgesetzt; die Widerklage gilt als zurückgenommen. Die Vorschriften des Artikels 104 Absatz 3 sind anzuwenden.
3. Das Rekursgericht hat auch unter Hinweis auf die verschiedenen Sprachfassungen des Art 100 Abs 7 UMV eine zwingende Unterbrechung zutreffend verneint. „Kann … aussetzen“ korrespondiert dabei mit engl. „may stay the proceeding“ bzw franz. „peut surseoir“.
4. Auch nach der einhelligen Ansicht im Schrifttum liegt keine Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens vor. Nach Müller (in Büscher/Kochendörfer, Beck'scher Online-Kommentar UMV4 Art 100 Rz 21) steht die Ausübung der Befugnisse vielmehr im Ermessen des Gerichts. Grüger (in Kur/v. Bomhard/Albrecht, Beck'scher Online-Kommentar Markenrecht9 Art 100 Rz 51) hebt hervor, dass das Unionsmarkengericht das Verfahren aussetzen „kann“. V. Mühlendahl/Ohlgart/Bomhard (Die Gemeinschaftsmarke § 27 Rz 12) verneinen einen Anspruch des Markeninhabers, dass seinem Antrag Rechnung getragen wird; die Verweisung an das Amt sei als Sonderregel ausgestaltet. Auch nach Knaak (in Bastian/Knaak/Schricker,Gemeinschaftsmarke 89 f) besteht keine gesetzliche Verpflichtung zu einer Aussetzung, dem Gericht sei dazu nur die Möglichkeit eingeräumt.
5. Diese Ansicht deckt sich nicht nur mit dem deutlichen Wortlaut, sondern auch mit dem Normzweck. Es erschiene aus verfahrensökonomischen Gründen wenig vorteilhaft, dass das Gericht stets – und damit auch ohne Rücksicht auf den Verfahrensstand – sein Verfahren über die Widerklage auf Antrag des Beklagten aussetzen müsste, wobei ein weiteres Verfahren erst eingeleitet werden müsste. Die von Art 100 Abs 7 UMV umfassten Konstellationen unterscheiden sich damit auch von jenen Situationen, bei denen bereits ein Parallelverfahren anhängig ist, worauf Art 104 Abs 1 UMV mit seiner grundsätzlich obligatorischen (vgl 4 Ob 140/02w) Unterbrechung Bezug nimmt. Im Gegensatz zur hier anzuwendenden Bestimmung des Art 100 Abs 7 UMV („kann … das Verfahren aussetzen“), ergibt sich die nach Art 104 Abs 1 UMV zwingende Unterbrechung deutlich aus dem entsprechenden Wortlaut („… so setzt es das Verfahren … aus“).
6. Der erkennende Senat schließt sich daher der vom Rekursgericht und von der einhelligen Lehre vertretenen Auffassung an. Die richtige Auslegung des Art 100 Abs 7 GMV ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, weshalb die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH entbehrlich ist (vgl RIS-Justiz RS0082949).
7. Das unzulässige Rechtsmittel war daher wegen der hier anzuwendenden Bestimmung des § 192 Abs 2 ZPO zurückzuweisen.
8. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS‑Justiz RS0124565).
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