Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Unstrittig ist, dass zwischen den Klägern und dem Erstbeklagten kein Vertragsverhältnis besteht. Der Erstbeklagte war Vorstandsvorsitzender der Emissionsbank; die Zweitbeklagte ist Rechtsnachfolgerin der Emittentin der von den Klägern in jeweils unterschiedlichem Ausmaß und zu verschiedenen Zeitpunkten erworbenen (die Aktien der Zweitbeklagten vertretenden) Zertifikate.
Die Kläger begehren von beiden Beklagten Schadenersatz, teilweise die Rückerstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Wertpapiere, teilweise die Wertdifferenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis. Beide Beklagten hätten in irreführender Weise geworben und für den Schaden der Kläger ursächlich den Markt manipuliert, wofür sie unter anderem nach § 2 UWG und nach § 874 ABGB einzustehen hätten. Seit Dezember 2002 seien die die Aktien der Rechtsvorgängerin der Zweitbeklagten vertretenden Zertifikate an der Wiener Börse gehandelt worden. Im Sommer 2007 sei ein umfangreicher Aktienrückkauf bekannt geworden, bei dem schon seit Februar 2007 Zertifikate um 1,8 Mrd EUR zurückgekauft worden seien. Dadurch sei der Kurs der Zertifikate drastisch gesunken. Der Erstbeklagte hafte aufgrund von Verfehlungen und Rechtsverstößen der Emissionsbank, deren Vorstandsvorsitzender und „alleiniger Machthaber“ er gewesen sei. Er habe in seiner Funktion dem Anlegerschutz dienende Schutzgesetze verletzt, etwa gegen § 255 Abs 1 AktG verstoßen und hafte für unrichtig wiedergegebene, verschleierte oder verschwiegene Information in der Werbung. So habe er die unrichtige Behauptung aufgestellt, die Zweitbeklagte verfüge über ein Liegenschaftsvermögen von 4,5 Mrd EUR. Der Erstbeklagte habe auch persönlich falsche Informationen/Werbung verbreitet. Darüber hinaus hafte er für die von der Emissionsbank falsch verbreitete Information/Werbung als nach außen vertretungsbefugtes Organ für Verletzungen von Schutzgesetzen zugunsten der Kläger als Anleger. Durch die von dem Beklagten zu verantwortende Werbung sei den Klägern suggeriert worden, direkt in Immobilien zu investieren, weshalb die Veranlagung nicht so riskant wäre wie jene in „gewöhnliche Aktien“. Den Klägern sei vorgespiegelt worden, der Kauf der beworbenen Papiere sei so sicher wie ein Sparbuch, jedoch ertragreicher. Hätten die Kläger gewusst, dass sie nicht direkt in Immobilien investierten, hätten sie die Zertifikate nicht gekauft. Die Werbung habe die Kläger auch im Unklaren darüber gelassen, dass die Gesellschaft ihren Sitz außerhalb der EU habe, was Unsicherheiten mit sich bringe. Die Werbebehauptungen über das vorhandene Immobilienvermögen, das sich noch erhöhen werde sowie über die zu erzielenden Mieteinnahmen seien unrichtig gewesen. Nur ein Drittel des angekündigten Vermögens sei vorhanden gewesen, der Großteil der Mieteinnahmen habe zur Tilgung langfristiger Verbindlichkeiten verwendet werden müssen. Bei Darstellung der Rendite seien die „laufenden Kosten“ nicht berücksichtigt worden, welche unter anderem Provisionen und Gebühren umfasst hätten, die die Zweitbeklagte an die Emissionsbank oder deren Tochtergesellschaft zahlen habe müssen. Die lang- und kurzfristigen Schulden der Zweitbeklagten seien verschwiegen worden. Hätten die Kläger die dubiose Gebarung gekannt, hätten sie die Zertifikate nicht gekauft. Aufgrund einer Anordnung des Erstbeklagten habe die Zweitbeklagte „partly paid shares“ zu einem Kurs von 0,01 EUR pro Zertifikat ausgegeben, also um weniger als 1 ‰ des damaligen Börsenwerts. Von den hiefür erlösten 1,5 Mio EUR sei 1 Mio EUR bei der Emissionsbank verblieben, die diese als Provision für den Verkauf der Zertifikate verrechnet habe. Hätten die Kläger das gewusst, hätten sie keine Zertifikate gekauft und bereits gekaufte wieder verkauft, weil sie nicht in eine Gesellschaft investieren hätten wollen, deren Anteile zu einem Drittel eine Briefkastenfirma auf Aruba halte (Erwerber der „partly paid shares“). Die Beklagten hätten Informationspflichten nach § 48a Abs 1 Z 1 bzw § 48 Abs 1 Z 3 BörseG verletzt. Der Erstbeklagte hafte nach § 255 AktG, einerseits als Vorstand der Emissionsbank und andererseits als Beauftragter der Zweitbeklagten.
Das Erstgericht wies alle Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Organe einer Kapitalgesellschaft - wie der Erstbeklagte - hafteten nur dann persönlich, wenn sie in Ausübung ihrer Funktion strafrechtlich relevante Tatbestände erfüllt hätten oder wenn sie aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung durch Ausüben ihrer Organfunktion persönlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Es sei aber nicht schlüssig dargelegt worden, durch welche konkreten Handlungen oder durch welche Umstände der Erstbeklagte die Zweitbeklagte „faktisch geleitet“ habe. Behauptete unrichtige oder unvollständige Angaben des Erstbeklagten als Vorstandsvorsitzender der Emissionsbank fielen nicht unter die Strafbestimmung des § 255 AktG. Nach dem Vorbringen der Kläger habe der Erstbeklagte auch nichts mit den behaupteten Verstößen gegen das Börsegesetz zu tun.
Das Berufungsgericht hob das klageabweisende Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zum Schutzgesetzcharakter des Lauterkeitsrechts, etwa § 2 UWG, fehle. Die Kläger hätten vorgebracht, beide Beklagten seien gemeinsam für die irreführende Werbung und die Marktmanipulation verantwortlich und hätten dabei vorsätzlich gehandelt. Daraus lasse sich der Vorwurf einer vorsätzlichen Schädigung der Kläger durch die Beklagten im Zusammenwirken ableiten. Für den Fall eines Verstoßes gegen Strafgesetze, Verletzung absoluter Rechtsgüter oder einer sittenwidrigen Schädigung, wobei die letzte Variante begrifflich Vorsatz erfordere, werde die Durchgriffshaftung auf Organe einer juristischen Person bejaht. Sollte das Vorbringen der Kläger in Bezug auf die Werbung - auch nur teilweise - zutreffen und der Erstbeklagte diese Werbung vorsätzlich veranlasst haben, könnte er sich nicht mehr darauf berufen, dass einzelne Kläger allenfalls nicht nachweisen könnten, durch welches bestimmte Werbemedium sie zum Kauf veranlasst worden seien. Zum Zweck jener Lauterkeitsbestimmungen, die irreführende Werbung verbieten, gehöre auch der Schutz der Anleger, die mit dieser Werbung gewonnen worden seien. Darüber hinaus sei eine Schadenersatzpflicht des Erstbeklagten zu bejahen, wenn er einerseits die Rückkäufe eigener Aktien der Gesellschaft veranlasst habe und gleichzeitig das Verschweigen dieser Rückkäufe und damit den Irreführungscharakter der Werbung für die Zertifikate der Gesellschaft zu verantworten habe, täte er dies auch nur als Mitglied oder als Vorsitzender des Vorstands der Emissionsbank.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Erstbeklagten erhobene Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (zuletzt etwa 1 Ob 51/12z mwN; RIS-Justiz RS0037516). Für die Schlüssigkeit des Klagebegehrens verlangt das Gesetz nicht, dass der gesamte Tatbestand vorgetragen wird. Es genügt, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp angeführt sind (RIS-Justiz RS0036973 [T2]). Ob eine Klage schlüssig ist, begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung (RIS-Justiz RS0116144, RS0037780).
Die Kläger stützen ihr Begehren auf irreführende Werbung und Marktmanipulationen. Es ist anerkannt, dass ein durch irreführende Werbebroschüren verursachter Irrtum über die Risikogeneigtheit und Wertstabilität eines Wertpapiers als Haftungsgrund für Schadenersatzansprüche herangezogen werden kann. Nach der Rechtsprechung ist die Risikogeneigtheit einer Anlageform als Produkteigenschaft anzusehen (RIS-Justiz RS0126232 [T1]). Auch ist anerkannt, dass § 874 ABGB als Schadenersatzgrundlage nicht nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen dem listig Irregeführten und dem Irreführenden ein Vertragsverhältnis besteht. § 874 ABGB verpflichtet auch den selbst nicht vertragsbeteiligten Dritten zum Schadenersatz, wenn er den Vertrag durch List bewirkt hat (1 Ob 51/12z mwN).
Soweit die Kläger auf die Funktion des Erstbeklagten als Vorstandsvorsitzender der Emissionsbank abstellen, machen sie die Außenhaftung eines Organmitglieds nach Deliktsrecht geltend. Eine solche Haftung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn das Organmitglied nicht nur seine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft, sondern durch sein Handeln gleichzeitig Normen zum Schutz der Gläubiger verletzt. Das Organmitglied kann die haftungsbegründende Schutzgesetzverletzung dabei entweder selbst begehen oder sich als Mittäter daran beteiligen. Wird ein strafrechtlich relevanter Tatbestand verwirklicht, ist jedenfalls auch eine Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes begründet. Ein Organ, das eine gegen Gläubiger gerichtete strafbare Handlung begeht, haftet für den dadurch verursachten Schaden persönlich (vgl RIS-Justiz RS0023677). Auf die Beitragsform kommt es dabei nicht an. Im Verhältnis zur Zweitbeklagten ist der Erstbeklagte „ein Dritter“. Für die Handlungen, die der Zweitbeklagten zurechenbar sind, kann „ein Dritter“ als Beteiligter im Sinn des § 12 StGB mitverantwortlich sein (5 Ob 146/11y [betreffend dieselben Beklagten]; 1 Ob 51/12z mwN).
Aus dem Vorbringen der Kläger lässt sich der Vorwurf haftungsrelevanter Beteiligungshandlungen des Erstbeklagten ebenso wie die Behauptung eines bewussten Zusammenwirkens beider Beklagten bei der Schädigung der Kläger ableiten. Bereits in der Entscheidung 5 Ob 146/11y hat der Oberste Gerichtshof daher mit Bezug auf vergleichbare Parteienbehauptungen ausgesprochen, dass der Erstbeklagte danach gemäß § 1301 ABGB Mittäter oder Beitragstäter zu gemäß § 1295 Abs 2, § 1300 Satz 2 oder § 874 ABGB verpöntem Verhalten sein könne, wenn sein Handeln vom entsprechenden Vorsatz getragen gewesen sei. Die Verantwortlichkeit mehrerer Beklagter und strafrechtlich vorwerfbare oder kollusive Beteiligungshandlungen führen im Allgemeinen zu einer Solidarhaftung. Damit haben die Kläger aber insgesamt ein ausreichend konkretes Vorbringen dazu erstattet, dass beide Beklagten aufgrund bestimmter (vorsätzlicher) Irreführungs- und Täuschungshandlungen als Mit- bzw Beitragstäter für die geltend gemachten Veranlagungsschäden solidarisch verantwortlich seien (vgl 8 Ob 17/12a). Ausgehend davon stellt sich aber die vom Gericht zweiter Instanz für bedeutsam erachtete Rechtsfrage nicht (vgl 1 Ob 51/12z).
Für die Substanziierung eines Schadenersatzanspruchs ist es notwendig, dass - neben dem ziffernmäßig bestimmten Begehren - das rechtswidrige, schuldhafte und kausale Verhalten des Schädigers sowie die Art des eingetretenen Schadens behauptet wird (RIS-Justiz RS0037550). Dazu hat das Berufungsgericht zutreffend betont, dass der Vorwurf der Kläger dahin geht, die Beklagten hätten hinsichtlich der ihnen vorgeworfenen Täuschungshandlungen in Schädigungsabsicht zusammengewirkt. Erweist sich das Klagebegehren aber schon ausgehend von den dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zugrunde gelegten rechtserzeugenden Tatsachen (= Klagegrund) als ausreichend substanziiert, ist es im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung nicht erforderlich, weitere rechtliche Aspekte des klägerischen Vorbringens zu prüfen. Der Frage nach dem Schutzgesetzcharakter von Lauterkeitsregeln „im gegebenen speziellen Zusammenhang“ muss daher in diesem Verfahrensstadium nicht nachgegangen werden. Ihr kommt für die Schlüssigkeitsprüfung auch insoweit nur theoretische Bedeutung zu, als aus deren Beantwortung auf Basis der als schlüssig erachteten Behauptungen (vorsätzliches Handeln mit Schädigungsabsicht) der Kläger kein weitergehender Rechtsschutz für diese abgeleitet werden könnte. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO setzt aber voraus, dass die Entscheidung von der Lösung der angeführten Rechtsfrage abhängt (RIS-Justiz RS0088931). Die ohnedies nur hilfsweise formulierte Anregung eines Vorlageverfahrens nach Art 267 AEUV ist daher nicht aufzugreifen (vgl 1 Ob 51/12z).
Die Kläger haben in erster Instanz vorgebracht, aufgrund von Werbebroschüren, die von der Emissionsbank oder deren 100%iger Tochtergesellschaft und der Zweitbeklagten veröffentlicht worden seien, die Wertpapiere gekauft zu haben. Sie beriefen sich dabei auf drei konkret vorgelegte Werbungen, deren Unrichtigkeit bzw irreführenden Charakter sie behaupten. Dieses Vorbringen ist unabhängig von einer allfälligen „Anlagestimmung“ geeignet, den für den Schadenersatzanspruch vorauszusetzenden Kausalzusammen-hang zwischen der behaupteten irreführenden Werbung und der Schädigung der klagenden Anleger darzulegen. Inwieweit die konkret genannten Werbeprospekte Einfluss auf die in der Klage genannten zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattgefundenen Anlageentscheidungen der insgesamt sechs Kläger hatten, blieb im Einzelnen bislang unerörtert, weil das Erstgericht das Klagevorbringen schon aus anderen Gesichtspunkten als unschlüssig beurteilte. Solange nicht konkrete Feststellungen zu den Ursachen der teilweise über lange Zeiträume sich erstreckenden vielfachen Anlageentscheidungen der unterschiedlichen Kläger getroffen wurden, lässt sich die Frage der adäquaten Verursachung behaupteter Vermögensschäden aufgrund behauptetermaßen unrichtiger oder unvollständiger Werbung der Beklagten, die nach den Gesamtumständen im konkreten Einzelfall zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0081105), nicht beurteilen. Auch die allfällige Auswirkung einer von den Beklagten erzeugten „Anlagestimmung“ auf die Kausalitätsbeurteilung in Ansehung der erhobenen Schadenersatzbegehren ist daher nicht zu prüfen.
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