OGH 4Ob254/03m

OGH4Ob254/03m20.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Daniela K*****, und des mj Matthias K*****, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Vaters Kurt K*****, vertreten durch Dr. Michael Kinberger und Dr. Alexander Schuberth, Rechtsanwälte in Zell am See, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 7. Oktober 2003, GZ 20 R 34/03w-60, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Stockerau vom 19. Februar 2003, GZ 1 P 25/02m-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die Mutter der beiden Kinder als deren gesetzliche Vertreterin beantragte am 19. 2. 2002 (ON 35) wegen gestiegener Bedürfnisse der Kinder die Erhöhung der mit (pflegschaftsgerichtlich genehmigtem) Scheidungsfolgenvergleich vom 22. 2. 1995 festgelegten und danach zwei Mal herabgesetzten Geldunterhaltspflichten des Vaters. Sie präzisierte ihren Antrag am 17. 1. 2003 (ON 52) und begehrte ab 1. 5. 2002 für Daniela 511 EUR monatlich, für Matthias 430 EUR monatlich, ab 1. 10. 2002 je 484 EUR monatlich für jedes Kind.

Der Vater sprach sich in seinen Äußerungen (ON 41, ON 50) unter Hinweis auf Kreditverbindlichkeiten und seine Einkommensverhältnisse gegen eine Unterhaltserhöhung aus. Berücksichtige man die Kinderbeihilfe, ermöglichten die Zahlungen des Vaters den Kindern einen angemessenen Lebensstandard (ON 50).

Aus der Beantwortung der Anfrage an den Dienstgeber über die Höhe der Bezüge des Vaters (ON 46) sind sowohl die Bruttobezüge als auch die davon vorgenommenen Abzüge ersichtlich.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit Entscheidung vom 19. 2. 2003 in Stattgebung des Erhöhungsantrags ab 1. 5. 2002 zu monatlichen Zahlungen von 511 EUR für Daniela und von 430 EUR für Matthias, ab 1. 10. 2002 von je 484 EUR für jedes Kind. Der Vater habe ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 3.054 EUR; unter Berücksichtigung seiner Kreditrückzahlungen verblieben ihm monatlich 2.688,86 EUR, woraus sich die entsprechenden Unterhaltsbeträge errechneten.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zur amtswegigen Anrechnung von Familienbeihilfe bei einem vergleichbaren Zeitablauf zulässig sei. Der Vater habe erstmals im Rekurs unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu § 12a FLAG die Anrechnung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen auf seine Unterhaltsverpflichtung begehrt. Die Änderung der Rechtslage sei am 13. 9. 2002 durch Kundmachung der Aufhebung einer Wortfolge des § 12a FLAG eingetreten; der Vater habe demnach vor der Entscheidung erster Instanz über den Erhöhungsantrag ausreichend Gelegenheit zu einer entsprechenden Äußerung gehabt, aber keine Tatsachenbehauptungen in diese Richtung erstattet. Das erstmalige Vorbringen dazu im Rekurs unterliege dem Neuerungsverbot.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; das Rechtsmittel ist berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags.

Rechtliche Beurteilung

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass im außerstreitigen Verfahren Neuerungen (das sind neue Tatsachen oder neue Beweismittel) im Rekurs nur so weit zulässig sind, als das Tatsachenvorbringen oder die Vorlage der Beweismittel in erster Instanz nicht möglich war (RIS-Justiz RS0110773; EFSlg 94.986 = ÖA 2001, 277 mwN; 7 Ob 92/03k; zuletzt 4 Ob 185/03i; in diesem Sinne auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht, Rz 481 und Schwimann, Unterhaltsrecht², 102 f). Das Neuerungsrecht des § 10 AußStrG geht nämlich nicht so weit, dass im Rekursverfahren auch noch neue Sachanträge gestellt werden könnten (RIS-Justiz RS0006796). Auch im Außerstreitverfahren müssen vielmehr Tatsachen, auf die ein Antrag gestützt werden soll, bereits in erster Instanz vorgebracht werden (RIS-Justiz RS0006790; RS0006796 [T4]; RS0006831 [T1]; 7 Ob 92/03k).

Wie der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, gilt dies grundsätzlich auch dann, wenn im Unterhaltsverfahren die steuerliche Entlastung im Sinne einer Anrechnung von dem Obsorgeberechtigten zufließenden Transferleistungen auf die Unterhaltsleistung entsprechend der neuen Rechtslage nach Aufhebung des § 12a FLAG durch den Verfassungsgerichtshof angestrebt wird. Ein zwingender Charakter der steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners ist nämlich nicht ersichtlich. Die Entlastung hängt von der Disposition des Unterhaltspflichtigen ab. Der Untersuchungsgrundsatz im außerstreitigen Verfahren geht nicht so weit, dass von Amts wegen eine vom Unterhaltsschuldner gar nicht begehrte Steuerentlastung vorgenommen werden müsste, der Partei also ein verzichtbarer Rechtsanspruch (Rechtsgrund) geradezu aufgedrängt werden müsste (6 Ob 159/02d; 4 Ob 134/03i; 4 Ob 185/03i; 7 Ob 92/03k; 2 Ob 77/03t; in diesem Sinne Gitschthaler, Familienbeihilfe und deren Anrechnung auf Kindesunterhaltsansprüche, JBl 2003, 9ff, 14). Anderes gilt dann, wenn dem Unterhaltspflichtigen ein Vorbringen in diese Richtung in erster Instanz mangels Zumutbarkeit der Kenntnis der Änderung der Rechtslage infolge der Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof nicht möglich war (4 Ob 185/03i).

Der erste Senat hat sich in einer erst jüngst ergangenen Entscheidung (1 Ob 208/03z) eingehend mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt und - zwischen einem antragstellenden Geldunterhaltspflichtigen und einem dem Erhöhungsantrag entgegentretenden Geldunterhaltspflichtigen unterscheidend - folgendes ergänzend ausgeführt:

"Im vorliegenden Fall ist der geldunterhaltspflichtige Vater dem Erhöhungsantrag der Kinder bereits im Verfahren erster Instanz entgegengetreten und hat sich gegen jede Erhöhung der bisher geleisteten Unterhaltsbeträge ausgesprochen; da allein dieser - auf Abweisung des Erhöhungsbegehrens gerichtete - Gegenantrag den Sachantrag des Vaters in diesem Verfahren darstellt, kann - entgegen der zu 6 Ob 91/03f vertretenen Auffassung - eine amtswegige Berücksichtigung bestimmter für die Unterhaltshöhe maßgeblicher Umstände nicht als Verletzung des 'Antragsprinzips' angesehen werden. Unter diesen Umständen besteht auch kein Grund zur Annahme, der Vater habe gerade auf die - nach der nunmehr ständigen Judikatur unmittelbar aus dem Gesetz ableitbare - Anrechnung von Teilen der dem anderen Elternteil zukommenden Transferleistungen auf seine Geldunterhaltspflicht verzichten wollen. Dass die Mutter derartige Transferleistungen bezieht - was ohnehin den (somit grundsätzlich zu unterstellenden) Regelfall darstellt -, war auch schon im Verfahren erster Instanz nicht strittig; die Mutter hat im Erhöhungsantrag ausdrücklich darauf hingewiesen, sie beziehe für den Sohn sogar die doppelte Familienbeihilfe. Die (unstrittige) Tatsache des Bezugs der Familienbeihilfe durch die Mutter hätten die Vorinstanzen - in Wahrnehmung des Grundsatzes der Amtswegigkeit - daher auch ohne ausdrücklichen 'Antrag' des Vaters ebenso berücksichtigen müssen wie den Kinderabsetzbetrag, der nach eindeutiger Gesetzeslage (§ 33 Abs 4 lit c EStG) gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausgezahlt wird. Insoweit kann weder von einer unzulässigen Neuerung noch von einem Behauptungs- oder Beweislastproblem gesprochen werden. Für die Ermittlung der Unterhaltshöhe maßgebliche Umstände, die unstrittig sind, oder sich im Verfahren eindeutig ergeben haben - was etwa auch für die Tatsache eines bestimmten Eigeneinkommens des Kindes gelten würde -, sind im Rahmen der rechtlichen Beurteilung innerhalb des durch die Sachanträge der Beteiligten abgesteckten Entscheidungsspielraums des Gerichts ohne Weiteres zu verwerten. Das gilt für alle Fälle, in denen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen erhoben wurde, es sei denn, es besteht ausnahmsweise keine Einkommensteuerpflicht im Inland."

Der erkennende Senat tritt diesen differenzierenden Erwägungen für den - auch hier vorliegenden - Fall bei, dass der geldunterhaltspflichtige Elternteil einem Erhöhungsantrag des Unterhaltspflichtigen mit dem Gegenantrag, das Erhöhungsbegehren abzuweisen, entgegentritt und die für eine Anrechnung maßgeblichen Umstände (Bezug der Familienbeihilfe durch den anderen Elternteil; Bruttoeinkommen) unstrittig oder aktenkundig sind. In diesem Fall bedarf die Berücksichtigung von Transferleistungen bei der Unterhaltsbemessung keines gesonderten Vorbringens des Geldunterhaltspflichtigen.

Das Erstgericht wird deshalb das Verfahren nach den Grundsätzen der neuen Rechtsprechung zur konkreten Berechnung des Geldunterhalts unter Berücksichtigung der gebotenen steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltsschuldners zu ergänzen haben. Es wird dabei das Bruttoeinkommen des Vaters festzustellen haben, weil vom Jahresbruttoeinkommen - ohne 13. und 14. Gehalt - abhängt, wie hoch der auf das Einkommen des Vaters angewandte Grenzsteuersatz ist. Da der Kindesunterhalt jeweils den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zuzuordnen ist, muss bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung darauf Bedacht genommen werden, ob der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist (zur Berechnungsformel siehe 4 Ob 52/02d = EvBl 2003/45 und RIS-Justiz RS0117015).

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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