OGH 4Ob204/13y

OGH4Ob204/13y17.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach H***** R*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator R***** R*****, vertreten durch Mag. Paul Wolf, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L. HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 240.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.633,34 EUR), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 120.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Juli 2013, GZ 3 R 106/13f‑280, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. März 2013, GZ 29 Cg 280/01x‑261, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens obliegt dem Erstgericht.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Verlassenschaft nach der am ***** verstorbenen H***** R***** begehrt von der beklagten Krankenhausbetriebsgesellschaft Schmerzengeld wegen eines ärztlichen Kunstfehlers. Kern des Rechtsstreits ist die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte für jene schwerwiegenden Folgen dieses Kunstfehlers haftet, die sich daraus ergaben, dass die ‑ in der Folge als „Klägerin“ bezeichnete ‑ Erblasserin jene Therapie nicht vertrug, die aufgrund der Folgen des Kunstfehlers indiziert gewesen wäre.

Die Klägerin war vor ihrem Aufenthalt bei der Beklagten im Jahr 1993 voll berufstätig gewesen. Sie spielte vier bis fünf Stunden pro Woche Tennis, fuhr Rad, schwamm und war insgesamt sportlich sehr aktiv. Auf Anregung eines Arztes, mit dem sie Tennis spielte und der sie als „hypernervös“ ansah, ließ sie ihre Schilddrüse untersuchen. Im Krankenhaus der Beklagten wurde eine Schilddrüsenvergrößerung festgestellt, worauf in einer ersten Operation die Schilddrüse teilweise entfernt wurde. Diese Operation war medizinisch indiziert und erfolgte nach den Regeln der ärztlichen Kunst.

Bei der histologischen Untersuchung des entnommenen Gewebes wurden zwei bösartige Karzinome festgestellt. Unter diesen Umständen war aus medizinischer Sicht eine vollständige Entfernung der Schilddrüse erforderlich, was die Ärzte der Klägerin eindringlich darlegten. Sie entschloss sich daraufhin zu einer weiteren Operation, die am 17. August 1993 durchgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Wundschwellung nach der ersten Operation auf ihrem Höhepunkt, was das Operationsrisiko erhöhte. Aus medizinischer Sicht hätte man mit der zweiten Operation bis zum Rückgang der Wundschwellung zuwarten müssen, weil wegen des Differenzierungsgrads der Karzinome im konkreten Fall keine vitale Bedrohung vorlag.

Die zweite Operation verlief in der Hauptsache erfolgreich. Allerdings kam es zu einem totalen Funktionsverlust der Nebenschilddrüsen, die das das den Kalziumspiegel des Blutes regelnde Parathormon produzieren. Ein sorgfältiger Operateur hätte diese Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) chirurgisch „dargestellt“ oder ‑ wenn erforderlich ‑ eine Autotransplantation in der angrenzenden Halsmuskulatur vorgenommen. Entgegen diesen Gepflogenheiten strebten die Ärzte bei der Klägerin eine Entfernung der Nebenschilddrüsen an und opferten diese bewusst. Aus medizinischer Sicht hätten die Nebenschilddrüsen bei der zweiten Operation erhalten werden können und müssen.

Wäre dies erfolgt, hätte die Klägerin aufgrund der Grunderkrankung 2 Tage schwere, 8 Tage mittelschwere und 28 Tage leichte Schmerzen gehabt. Durch die Entfernung der Nebenschilddrüsen kam es zu einer gravierenden Störung des Kalziumhaushalts, die gewöhnlich mit einer oralen Kalziumtherapie behandelt wird. Bei einem typischen Verlauf dieser Therapie hätte die Klägerin 36 Tage mittelschwere und 240 Tage leichte Schmerzen gehabt.

Allerdings vertrug die Klägerin die orale Kalziumtherapie nicht. Daher wurde das Kalzium zunächst intravenös gegeben. Dies führte über neun Jahre zu immer größeren Problemen (Zerstörung aller brauchbaren Venen; operativer Einbau von insgesamt fünf unter der Haut gelegenen Punktionskammern, aus denen Kalzium in die großen Hohlvenen abgegeben wurde; dadurch verursachte Infektionen mit Schüttelfrost und Fieber; lebensbedrohliche Thrombose). Ab 2002 kam es durch den Einsatz eines neu entwickelten synthetischen Hormons zu einer Besserung, wobei die Klägerin aber auch in der Folge wegen Schwierigkeiten bei der Dosierung unter Herzrasen, Kopf- und Knochenschmerzen, Übelkeit und Muskelkrämpfen litt. Im Jahr 2007 starb sie. Bis dahin hatte sie ‑ komprimiert auf den 24‑Stunden‑Tag ‑ 200 Tage starke, 400 Tage mittelstarke und 400 Tage leichte Schmerzen gehabt. Sie war nach einem eineinhalbjährigen Krankenstand von ihrem Dienstgeber gekündigt worden und in der Folge arbeitsunfähig gewesen.

Die postoperative Therapie erfolgte nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Der Krankheitsverlauf war auf die ‑ atypische ‑ Unverträglichkeit der oralen Kalziumtherapie zurückzuführen. Er war aufgrund der Schwere, der Dauer und der unzähligen Komplikationen außergewöhnlich und zuvor in einer solchen Form nicht beschrieben worden. Er war im Zeitpunkt der Operation nicht erkennbar und lag außerhalb allgemein-ärztlicher Erwartung.

Dass ein Münchhausen-Syndrom, der „Lifestyle“ der Klägerin oder eine mangelnde Mitwirkung an der Therapie für die Schäden (mit-)ursächlich gewesen wäre, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen.

Die klagende Verlassenschaft begehrt zuletzt 240.000 EUR Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der Klägerin für zukünftige Schäden aufgrund der beiden Operationen. Der Kunstfehler habe die dramatischen Folgen verursacht, weswegen die Beklagte ein angemessenes Schmerzengeld leisten müsse. Die Kalzium-Unverträglichkeit mindere diesen Anspruch nicht; ein Mitverschulden liege nicht vor.

Die Beklagte wendet ein, dass es sich um einen ganz außergewöhnlichen Verlauf gehandelt habe, weswegen mangels Adäquanz kein Schadenersatzanspruch bestehe. Jedenfalls müsse der Schaden aber zwischen Klägerin und Beklagter geteilt werden, weil sich die gravierenden Folgen erst durch das Zusammenwirken von Kunstfehler und Unverträglichkeit der oralen Kalziumtherapie ergeben hätten. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, das begehrte Schmerzengeld sei überhöht.

Weiteres umfangreiches Vorbringen beider Parteien (Aufklärungspflichtverletzung, weitere Kunstfehler; andere Ursachen für den Krankheitsverlauf, Verjährung) ist im Revisionsverfahren nicht mehr relevant.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 132.500 EUR; das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 107.500 EUR sowie auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden wies es ab. Die Beklagte habe für den Kunstfehler einzustehen. Allerdings lägen „summierte Einwirkungen“ im Sinn von 4 Ob 75/08w vor, weil der Schaden nur durch ein Zusammenwirken des Behandlungsfehlers und der Kalzium-Unverträglichkeit entstanden sei. Letztere falle als Zufall in die Sphäre der Klägerin. Daher hafte die Beklagte nur für jene Schmerzen zur Gänze, die auch bei einem typischen Therapieverlauf eingetreten wären; dies führe unter Berücksichtigung der „Sowieso-Schmerzen“ der zweiten Operation zu einem Schmerzengeld von 35.000 EUR. Die darüber hinaus erduldeten Schmerzen rechtfertigten ein weiteres Schmerzengeld von 195.000 EUR. Davon müsse die Beklagte aber nur die Hälfte ersetzen, weil diese weiteren Schmerzen nicht nur auf den Kunstfehler, sondern auch auf die Disposition der Klägerin zurückzuführen seien. Das Feststellungsbegehren sei abzuweisen, weil zukünftige Schäden nach dem Tod der Klägerin nicht mehr zu erwarten seien.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte nur zur Zahlung von 120.000 EUR, wies das Mehrbegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Kostenentscheidung behielt es bis zur Rechtskraft vor.

Aufgrund des von ihm nach Erledigung der Verfahrens- und Beweisrügen übernommenen Sachverhalts bejahte das Berufungsgericht den (äquivalenten) Kausalzusammenhang zwischen Kunstfehler und Schaden. In weiterer Folge führte es zum Grund der Haftung, soweit für das Revisionsverfahren relevant, Folgendes aus:

„Die für die Beurteilung der natürlichen Kausalität gültige Bedingungstheorie (Äquivalenztheorie) zieht die äußerste Grenze der Ursächlichkeit. Fehlt der natürliche Bedingungszusammenhang, kommt keine Ersatzpflicht in Betracht. Lehre und Rechtsprechung schränken aber die 'juristische Kausalität' weiter ein. Der Schädiger soll nur für Schäden haften, die er adäquat herbeigeführt hat (Adäquanztheorie). Adäquanz liegt vor, wenn die Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines Erfolges wie des eingetretenen noch geeignet erscheint und der Erfolg nicht nur wegen einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen eingetreten ist. Auch dies dient der Haftungsbegrenzung ( Koziol/Welser II 13 311 mwN). Bei der Beurteilung der adäquaten Kausalität ist eine wertende Betrachtung aller Gesamtumstände im konkreten Einzelfall geboten (RIS-Justiz RS0081105). Nach hA ist das Zurechnungserfordernis des Adäquanzzusammenhangs (= objektive Vorhersehbarkeit) dann zu bejahen, wenn der konkrete Kausalverlauf (samt dem eingetretenen Erfolg) nicht völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, wobei der Ablauf des Geschehens nicht in allen Einzelheiten vorhersehbar zu sein braucht. Die (generelle) objektive Vorhersehbarkeit entfällt daher lediglich bei Fallkonstellationen mit einem gänzlich außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegenden ‑ atypischen ‑ Kausalverlauf, der sich geradezu als eine schicksalhafte Verkettung unglücklicher Umstände darstellt (RIS‑Justiz RS0088955; RS0022906). Die Adäquanztheorie verfolgt den Zweck, neben der Prüfung des tatsächlichen Zusammenhanges noch Wertungen objektiver Art über die Zurechnung eines bestimmten Schadenserfolges vorzunehmen, um auf diese Weise die Verantwortung des Haftenden, die sich ansonsten auf sämtliche Folgen erstrecken müsste, für die die von ihm gesetzte Handlung eine Bedingung war, sinnvoll einzuschränken (RIS‑Justiz RS0022952). Führt ein Verhalten des Arztes zu einer Erhöhung der Gesundheitsgefährdung des Patienten, liegt darin eine adäquate Schadensverursachung (RIS‑Justiz RS0022659). Krankheitserscheinungen, die durch den Unfall nur deswegen ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit beim Verletzten bereits vorhanden war, sind iSd Adäquanz im vollen Umfang Unfallfolge, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung in absehbarer Zeit den gleichen Schaden herbeigeführt hätte (RIS‑Justiz RS0022746 [T8]).

Wendet man diese Grundsätze hier an, ist nach Auffassung des Berufungssenates die Adäquanz auch hinsichtlich der (dramatischen) Schäden zu bejahen, die (auch) auf die Unverträglichkeit der oralen Kalzium-Therapie bei der Klägerin zurückzuführen sind. Zwar war der konkrete Krankheitsverlauf der Klägerin völlig ungewöhnlich und bislang nicht beschrieben. Er war ex-ante nicht erkennbar und außerhalb allgemein-ärztlicher Erfahrung. Dies ändert aber nichts am Vorliegen der Adäquanz. Denn dass der Mensch selbst auf relativ geringfügige Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes manchmal mit dramatischen Folgen (bis zum Tod) zu kämpfen hat, ist allgemein bekannt. Ebenso bekannt ist, dass medizinische Erkenntnisse ständig erweitert werden; neues Wissen ist in diesem Bereich geradezu auf der Tagesordnung, sodass bisher medizinisch unbekannte Schadensfolgen für sich noch nicht als inadäquat anzusehen sind.

Das Erstgericht beurteilte den Fall nach den von der hR bei Vorliegen sogenannter summierter Einwirkungen herangezogenen Grundsätzen: Können mehrere Ursachen für sich genommen den Schaden nicht allein, sondern nur durch ihr Zusammenwirken herbeiführen, spricht man von summierten Einwirkungen (RIS‑Justiz RS0123611). Verursachen eine körperliche Vorschädigung des Patienten und ein ihr nachfolgender ärztlicher Behandlungsfehler einen bestimmten Gesamtschaden, der durch keine dieser Ursachen allein, sondern nur durch ihr Zusammenwirken herbeigeführt werden konnte, so haftet der Arzt nicht für die Folgen der vorbestehenden Grundschädigung, sondern nur für den weiteren Schaden, der durch sein Fehlverhalten verursacht wurde, soweit und insofern in ihren natürlichen Ursachen zusammenhängende abgrenzbare Teilschäden feststellbar sind; andernfalls haben den Gesamtschaden der Arzt und der Geschädigte analog § 1304 ABGB zu gleichen Teilen zu tragen (RIS‑Justiz RS0123610). Wenn zwei Umstände nur zusammen, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten, die Schwere des Verletzungserfolges bedingen, bleibt doch der Schädiger für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich. Anders läge die Sache nur im Fall der sog. überholenden Kausalität, wenn nämlich der Erfolg auch ohne die Verletzung ungefähr zur gleichen Zeit in gleicher Weise und im gleichen Umfang eingetreten wäre (RIS‑Justiz RS0022684).

Wendet man diese Grundsätze hier an, so liegt kein Fall summierter Einwirkungen vor, der eine Mittragung des Schadenserfolges durch die Klägerin rechtfertigt. Auf ihrer Seite lag keine Vorschädigung vor, vielmehr überhaupt keine gesundheitliche Beeinträchtigung. Ohne die Behandlungsfehler wäre weiterhin die hier relevante gesundheitliche Beeinträchtigung nicht aufgetreten. Der dem Geschädigten zuzurechnende Zufall allein kann kein die Haftung beschränkendes Kriterium sein, ließen sich doch zahlreiche derartige Zufälle in jedem Fall problemlos finden (plakativ: auch die bloße Geburt des Geschädigten ist [Mit-]Ursache seiner späteren Schädigung).

Nicht übersehen wird, dass auch bei Beurteilung von summierten Einwirkungen ein wertender Aspekt entscheidend ist, also zu prüfen ist, ob ein vom Geschädigten zu vertretender 'Zufall' eine Haftungsbeschränkung rechtfertigt. Dies ist bei der hier vorliegenden Konstellation zu verneinen.“

Aus diesen Gründen hafte die Beklagte für den gesamten Schaden. Allerdings habe das Erstgericht bei der Schmerzengeldbemessung mit 235.000 EUR einen wesentlich überhöhten Ausgangswert angenommen. Aufgrund der Folgen des Kunstfehlers und der insofern festgestellten Schmerzperioden sei ein Schmerzengeld von 120.000 EUR angemessen. Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil der Fall Anlass geben könne, die Rechtsprechung zur Adäquanz in Arzthaftungsfällen und zu summierten Einwirkungen fortzuentwickeln und zu vereinheitlichen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Dass der Kunstfehler kausal für die gravierenden Beeinträchtigungen der Klägerin war, steht fest: Wären die Nebenschilddrüsen bei der zweiten Operation nicht funktionsunfähig geworden, hätten sie weiterhin das für die Regulierung des Kalziumspiegels erforderliche Parathormon produziert. In diesem Fall wären weder eine orale Kalziumtherapie noch ‑ wegen deren Unverträglichkeit ‑ die komplizierten weiteren Behandlungsschritte erforderlich gewesen. Die schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Klägerin wären damit nicht eingetreten. Der Kunstfehler war daher notwendige Bedingung ( conditio sine qua non ) für den gesamten geltend gemachten Schaden (RIS-Justiz RS0022687, RS0128162).

2. Auch die Beklagte wendet sich in der Revision nicht mehr gegen diese Beurteilung. Sie vertritt aber weiterhin die Auffassung, dass der konkrete Schaden außerhalb jeder ärztlichen Erfahrung gelegen und daher nicht adäquat verursacht worden sei. Das schließe ihre Haftung zur Gänze aus. Jedenfalls führe aber die ebenfalls schadenverursachende Kalzium-Unverträglichkeit der Klägerin zu einer Schadensteilung.

3. Diese Einwände könnten von vornherein nur die Haftung für jenen Teil des Schadens erfassen, der (auch) auf die Kalzium-Unverträglichkeit der Klägerin zurückzuführen ist; jene Schmerzen, die die Klägerin auch bei einem typischen Therapieverlauf erlitten hätte, fielen der Beklagten jedenfalls zur Last. Aber auch in Bezug auf jene Folgen des Kunstfehlers, die (auch) auf die Kalzium-Unverträglichkeit der Klägerin zurückzuführen sind, dringt die Beklagte nicht durch.

3.1. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Bejahung der Adäquanz trifft uneingeschränkt zu, sodass es grundsätzlich genügt, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

(a) Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Auswirkungen einer Krankheitsanlage oder einer vor Beginn einer Behandlung vorhandenen schadensgeneigten Konstitutionsschwäche bei einem Kunstfehler grundsätzlich vom Schädiger zu tragen seien, weil es der weite Schutzbereich der Leben und Gesundheit von Personen betreffenden Normen vertretbar erscheinen lasse, das vom Geschädigten selbst zu tragende Risiko auf ein Minimum zu beschränken (2 Ob 590/92 = JBl 1994, 540 [ Bollenberger ]; 4 Ob 554/95 = SZ 68/207). Diese Auffassung beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, dass die Adäquanz aufgrund einer wertenden Betrachtung zu beurteilen ist (1 Ob 625/94 = SZ 68/145; RIS‑Justiz RS0081105; Koziol , Grundfragen des Schadenersatzrechts [2010] Rz 7/7 mwN). Dabei werden in Grenzfällen insbesondere die Gefährlichkeit des Verhaltens, das Gewicht des beeinträchtigten Rechtsguts und der Grad des Verschuldens maßgebend sein (vgl Koziol aaO Rz 7/13 f).

(b) Im konkreten Fall sind Störungen des Kalziumstoffwechsels nach den Feststellungen des Erstgerichts eine typische Folge des von der Beklagten zu verantwortenden Kunstfehlers. Zwar lassen sich diese Störungen im Regelfall durch die orale Gabe von Kalzium in einem gewissen Ausmaß beherrschen. Auch in diesem Fall wäre die Klägerin aber ‑ wie sich aus vom Erstgericht angenommenen „hypothetischen Schmerzperioden“ ergibt ‑ gravierend beeinträchtigt gewesen. Der Kunstfehler gefährdete daher die Gesundheit der Klägerin in hohem Maß; auch an der Schwere des Verschuldens besteht kein Zweifel. Zudem liegt es gerade nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass eine sonst geeignete Therapie in einem konkreten Fall aufgrund körperlicher Eigenheiten des Betroffenen nicht greift und dies zu noch gravierenderen Folgen führt; solches ist vielmehr wegen der Eigenheiten der menschlichen Natur nie auszuschließen. Unter diesen Umständen fällt auch die seltene Anlage der Klägerin in den Risikobereich des Arztes. Die Adäquanz ist daher zu bejahen.

3.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend auch eine Schadensteilung abgelehnt.

(a) Der Kunstfehler war kausal für den Schaden der Klägerin (oben 1.). Daher liegt kein Fall alternativer Kausalität zwischen dem Verhalten des Beklagten und einem in die Sphäre des Klägers fallenden Zufalls vor. Denn dies wäre nur dann anzunehmen, wenn nicht festgestellt werden könnte, ob der konkrete Schaden durch ein konkret gefährliches und bei Kausalität haftungsbegründendes Verhalten eines Dritten oder aber durch einen dem Geschädigten zuzurechnenden Umstand verursacht wurde. Für einen solchen Fall nimmt die Rechtsprechung analog §§ 1302, 1304 ABGB eine Teilhaftung des möglicherweise ursächlich handelnden Dritten an (4 Ob 554/95 = SZ 68/207; RIS-Justiz RS0026663 [insb T1, T2, T4], RS0027286, RS0090872; zuletzt etwa 1 Ob 63/11p = ZVR 2012, 57 [ Huber ] = EvBl 2012/45 [ Karner ] und 3 Ob 228/12v = bbl 2013/137, beide mwN; aus der tw kritischen Lehre zuletzt Kletečka , Alternative Verursachungskonkurrenz mit dem Zufall - Die Wahrscheinlichkeit als Haftungsgrund, JBl 2009, 137; Heinrich , Teilhaftung bei alternativer Kausalität mit Zufall, JBl 2011, 277; Harrer, Zufall und Wahrscheinlichkeit im Haftungsrecht, ZVR 2012, 440). Diese Teilhaftung beruht auf einer Weiterentwicklung der allgemeinen Rechtsprechung zur alternativen Kausalität des Handelns mehrerer Dritter: Kommen als Ursache für einen Schaden die schuldhaften oder sonst einen Haftungsgrund bildenden Handlungen mehrerer Personen in Frage, hat das Risiko der Unaufklärbarkeit nicht der Geschädigte zu tragen, vielmehr haften die möglicherweise kausal handelnden Personen solidarisch (1 Ob 26/80 = SZ 54/63;

RIS-Justiz

RS0022712; zuletzt etwa 1 Ob 63/11p und 2 Ob 237/12k = Zak 2013, 180). Auf dieser Grundlage ist es nur folgerichtig, in Analogie zu § 1304 ABGB eine Schadensteilung anzunehmen, wenn eine der potentiellen Schadensursachen nicht in die Sphäre eines Dritten, sondern jene des Geschädigten fällt.

(b) Ausgangspunkt dieser Erwägungen ist jedoch, dass die Haftung des in Anspruch genommenen Dritten in diesen Fallgestaltungen bei strenger Anwendung der Conditio-sine-qua-non-Regel überhaupt zu verneinen wäre, weil die Ursächlichkeit seines konkret gefährlichen Verhaltens eben nicht nachgewiesen ist. Die Rechtsprechung zur alternativen Kausalität dient daher - in ihren beiden Ausprägungen - der Begründung einer Haftung, die sonst wegen des Fehlens der (nachgewiesenen) Verursachung zur Gänze zu verneinen wäre. Im vorliegenden Fall steht demgegenüber fest, dass das der Beklagten zurechenbare Verhalten den Schaden verursacht hat: Denkt man dieses Verhalten weg, wäre der Schaden nicht eingetreten. Die von der Beklagten angestrebte Schadensteilung, die auch vom Erstgericht vorgenommen wurde, würde daher nicht etwa eine sonst nicht bestehende Haftung begründen, sondern vielmehr eine nach allgemeinen Grundsätzen bestehende Haftung beschränken.

(c) Ein Grund für eine solche Haftungsbeschränkung ist im geltenden Recht nicht erkennbar. Zwar ist richtig, dass die Anlage der Klägerin ebenfalls ursächlich für die konkreten Folgen des Kunstfehlers war. Nach der Wertung des § 1304 ABGB reicht aber die bloße (Mit-)Ursächlichkeit eigenen Verhaltens noch nicht für eine Minderung der Haftung eines schuldhaft und kausal handelnden Schädigers aus, vielmehr muss das eigene Verhalten dem Geschädigten auch vorwerfbar sein. Anders kann zwar ‑ wegen des geringeren Gewichts der Zurechnungsgründe auf beiden Seiten ‑ bei einem Ursachenzweifel entschieden werden (oben [a]). Ist die Haftung des Schädigers aber schon aus allgemeinen Gründen zu bejahen, kann ihn die bloße Mitursächlichkeit eines Verhaltens des Geschädigten oder eines anderen Umstands aus dessen Sphäre nicht entlasten (1 Ob 1/09t = ZVR 2010, 9 [ Karner ]). Das Risiko einer für den Schaden mitursächlichen Anlage des Geschädigten hat daher grundsätzlich - mit der Grenze der Adäquanz ‑ der schuldhaft und kausal handelnde Schädiger zu tragen (2 Ob 231/71 = SZ 45/28; RIS-Justiz RS0022684, RS0022746, zuletzt etwa 6 Ob 168/10i = RdM‑LS 2011/64 mwN).

(d) Anderes gilt zwar dann, wenn die Anlage denselben Schaden zu einem späteren Zeitpunkt herbeigeführt hätte; dann beschränkt sich die Ersatzpflicht auf jene Nachteile, die durch die zeitliche Vorverlagerung des Schadens entstanden sind (10 Ob 2350/96t = SZ 69/199; RIS‑Justiz RS0106534; zuletzt etwa 6 Ob 168/10i mwN). Dafür muss aber feststehen, dass der gleiche Erfolg auch ohne das (reale) schädigende Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten wäre; es genügt nicht, dass der Erfolg „irgendwann“ eingetreten wäre. Die Behauptungs- und Beweislast dafür trägt der Schädiger (10 Ob 2350/96t; 6 Ob 168/10i). Eine solcher Fall liegt hier nicht vor: Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Kalzium-Unverträglichkeit der Klägerin bei weiterhin funktionsfähigen Nebenschilddrüsen zu irgendwelchen Beschwerden geführt hätte.

(e) Auch aus der vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung 4 Ob 75/08w (= SZ 2008/80 = Zak 2008, 314 [ Kletečka ]) lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Denn dort stand fest, dass die beiden in Betracht kommenden Ursachen jeweils allein einen Teil des Schadens verursacht hatten; problematisch war nur die (möglicherweise) fehlende Abgrenzbarkeit dieser beiden Schadensteile. Da eine der beiden Ursachen der Sphäre des Klägers zuzurechnen war, hielt der Senat für diesen Fall eine Teilung des Gesamtschadens für angebracht. Er stützte sich dafür auf eine analoge Anwendung von § 1304 ABGB; Kletečka zeigt in seiner Glosse (aaO) wohl zutreffend auf, dass dasselbe Ergebnis auch durch Anwendung von § 273 ZPO zu erzielen gewesen wäre. Grundlage für die Entscheidung war aber jedenfalls ein Ursachenzweifel zumindest bei einem Teil des Schadens, während im vorliegenden Fall die Kausalität des Kunstfehlers für den gesamten Schaden feststeht. Die Erwägungen von 4 Ob 75/08w können daher nicht darauf übertragen werden. [Soweit einzelne Formulierungen dieser Entscheidung anders verstanden werden könnten, hält sie der Senat nicht aufrecht.]

3. In Bezug auf ein angebliches Mitverschulden der Klägerin ist die Revision angesichts der diesbezüglichen Negativfeststellung der Vorinstanzen nicht gesetzmäßig ausgeführt.

4. Die Höhe des vom Berufungsgericht zugesprochenen Schmerzengeldes ist nicht zu beanstanden. Die vom Erstgericht festgestellten Schmerzperioden hätten nach der Gerichtspraxis einen deutlich höheren Betrag gerechtfertigt; das Berufungsgericht hat ohnehin (zutreffend) eine Relation zum bisher höchsten Schmerzengeldzuspruch hergestellt. Dieser betrug ‑ nach Schluss der Verhandlung erster Instanz Ende 2000 (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts RIS‑Justiz RS0031402 [T2, T4]) ‑ rund 218.000 EUR (2 Ob 237/01v = SZ 2002/50). Da die Geldentwertung zu berücksichtigen ist (3 Ob 128/11m = ZVR 2012, 254 [ Huber ]), entspräche das im hier maßgebenden Zeitpunkt (Schluss der Verhandlung November 2012) etwa 278.000 EUR. Angesichts der schweren Folgen des Kunstfehlers, die die Lebensqualität der Klägerin bis zu ihrem Tod in dramatischer Weise beeinträchtigten, ist der deutlich unter der Hälfte dieses Betrags liegende Zuspruch jedenfalls gerechtfertigt.

5. Aus diesen Gründen ist die angefochtene Entscheidung zu bestätigen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

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