Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Kläger kauften über Vermittlung eines Konzessionsnehmers (in der Folge „Beraters“) der Beklagten am 11. 5. 2006 318 Stück Aktien vertretende Zertifikate der (nunmehrigen A***** und damaligen) M***** Ltd (im Folgenden kurz: M*****-Zertifikate) zum Kurs von 16,195 EUR je Zertifikat, somit um 5.150 EUR, und am 9. 5. 2007 noch weitere 1.938 M*****-Zertifikate zum Kurs von je 20,43 EUR, somit um 39.593,34 EUR zuzüglich 1 % Ausgabeaufschlag (395,93 EUR). Der Kurswert der M*****-Zertifikate sank in den Jahren 2007 und 2008 dramatisch und erreichte im Frühjahr 2009 1,64 EUR pro Stück. Die Kläger hatten bislang in Sparbücher, Bausparverträge und Lebensversicherungen mit fixer Verzinsung angelegt. Der Berater der Beklagten erklärte ihnen, dass er das Richtige für sie habe, nämlich ein Produkt, das mehr Prozente, und zwar 10 bis 20 % bringe und das er selbst auch habe. Man könne dieses jederzeit ohne Nachteile verkaufen. Es werde in Immobilien angelegt. Er zeigte den Prospekt bezüglich M***** und den darin dargestellten Kursverlauf, der stetige Steigerungen aufwies. Dass es sich dabei um Aktien handle und welche Risken bei derartigen Papieren bestehen, erwähnte der Berater nicht, insbesondere informierte er die Kläger nicht darüber, dass bei Anlage in dieses Produkt das Kapital teilweise oder auch ganz verloren gehen könne. Den „Konto und Depoteröffnungsantrag für Aktien der M***** Ltd“, der Risikohinweise enthielt, unterfertigten die Kläger ungelesen. Der Berater der Beklagten wies sie auch nicht auf den Inhalt hin. Die Kläger unterschrieben auch ein Anlegerprofil, in dem vom Berater „mittelfristiger Anlagehorizont“ und „mittlere Risikobereitschaft“ sowie der Punkt „der Anleger ist nicht bereit, Vermögensauskünfte zu geben, eine auf die spezifischen Verhältnisse angepasste Beratung ist daher nicht möglich und gewünscht“ angekreuzt worden war. Die Kläger hinterfragten das nicht. Wäre den Klägern bewusst gewesen, dass sie mit den M*****-Zertifikaten das Kapital zu einem nicht unerheblichen Teil oder ganz verlieren könnten, hätten sie trotz der hohen Ertragschancen gar nicht in dieses Papier investiert, sondern ein Produkt gewählt, bei dem der Kapitalerhalt sicher war.
Die Kläger begehrten - gestützt auf Schadenersatz wegen Verletzung vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten - zuletzt die Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der 2.256 Stück M*****-Zertifikate (Naturalrestitution).
Die Beklagte wandte ein, ein allfälliger Beratungsfehler stehe mit dem Kursverfall von M***** nicht im kausalen Zusammenhang. Der Kursverfall sei auf Malversationen und auf den Umstand zurückzuführen, dass die Anlagegelder zur Kursstützung durch Ankauf eigener Aktien verwendet worden seien. Im Übrigen sei die Haftung der Beklagten vertraglich auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, den Klägern 23.427,96 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung von 1.811 Stück M*****-Zertifikaten zu zahlen. Das Mehrbegehren von 21.711,31 EUR wies es ab. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen werde bereits bei leichter Fahrlässigkeit schadenersatzpflichtig (§ 15 WAG 1996). Die Haftungsbeschränkung sei einschränkend auf die M***** Bank auszulegen. Die Beklagte hätte die unerfahrenen und konservativen Sparer vollständig aufklären müssen. Dazu gehörten die wesentlichen Eigenschaften einer Aktie und auch, dass jeder Einzeltitel grundsätzlich mit dem Risiko eines Teil- oder auch Totalverlusts des Kapitals verbunden sei. Diese Aufklärung habe die Beklagte unterlassen, was für den durch den Kursverlust der M*****-Zertifikate entstandenen Schaden auch kausal sei, weil die Kläger andernfalls in ein Produkt mit garantiertem Kapitalerhalt veranlagt hätten. Den Klägern sei allerdings ein Mitverschulden zuzurechnen, weil sie weder die Risikohinweise gelesen, noch das „mittlere Risiko“ hinterfragt hätten. Auch der versprochene Ertrag deute auf ein gewisses Risiko hin. Das Erstgericht setzte das Mitverschulden beim ersten Ankauf mit 1/3, beim zweiten dagegen mit der Hälfte an. Beim zweiten Ankauf hätte den Klägern bewusst sein müssen, dass sich die M*****-Zertifikate von dem zugleich vermittelten Produkt mit 100 % Kapitalgarantie unterscheide, und zwar gerade dadurch, dass es weniger sicher sei. Es sei ihnen daher hinsichtlich des ersten Kaufs zwei Drittel des Kaufpreises, hinsichtlich des zweiten die Hälfte, jeweils Zug um Zug gegen Rückgabe der entsprechenden Wertpapiere im Zuge der Naturalrestitution zu ersetzen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass richtig 1.181 statt 1.811 Stück Zertifikate zurückzustellen seien, und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil den Rechtsfragen zum Eintritt bzw zur Zurechnung des Schadens im Zusammenhang mit den behaupteten strafbaren Handlungen aufgrund der Vielzahl der anhängigen Gerichtsverfahren zur Wahrung der Rechtseinheit erhebliche Bedeutung zukomme. Die Beklagte habe gegen die Wohlverhaltensregeln des WAG 1996 verstoßen. Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung ergebe sich dabei jeweils im Einzelfall in Abhängigkeit vom Kunden, insbesondere von dessen Professionalität sowie vom ins Auge gefassten Anlageobjekt. Dem (der Beklagten zuzurechnenden) Berater sei bewusst gewesen, dass die Kläger kein Kapital aufs Spiel setzen wollten. In der Vermittlung der Wertanlage, die diesem Wunsch nach Risikolosigkeit nicht entspreche, liege ein Verstoß gegen die Pflichten aus dem Vermittlungsvertrag und im Erhalt der vertragswidrigen Papiere ein Schaden des Kunden. Da der Schaden in der Abweichung der vom Kunden gewünschten Eigenschaft liege, bestehe er unabhängig davon, ob die Anlage im Wert steige oder falle bzw ob der Kursverlust (auch) durch allfällige strafbare Handlungen bewirkt worden sei. Das Verhalten des Beraters sei als grob fahrlässig zu qualifizieren. Bei richtiger Beratung hätten die Kläger die M*****-Zertifikate nicht gekauft. Sie hätten daher einen Anspruch auf Naturalrestitution, in dessen Rahmen ihnen - Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate - der Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreise zustehe.
Die Revision der Beklagten ist - ungeachtet des (den Obersten Gerichtshof nicht bindenden) Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts - nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die Beklagte macht geltend, dass auch im Fall der Naturalrestitution nur Schäden ersatzfähig seien, die auf ein adäquat kausales Verhalten des Schädigers zurückzuführen seien. Es müsse sich jenes Risiko verwirklichen, das durch die Unterlassung der Aufklärung hintangehalten werden solle. Der Vermögensberater habe über wahrscheinliche Marktrisiken aufzuklären. Es treffe ihn daher nicht das Risiko späterer Geldveruntreuung oder ähnlicher Umstände, die sich außerhalb der Sphäre vorhersehbarer Marktschäden am Kapitalmarkt ereigneten und letztlich auf die rechtswidrige Verwendung der Anlegergelder durch Dritte hinausliefen. Allgemein sei bei Immobilienaktien ein Vermögensverlust (im hier relevanten Zeitraum) von (nur) 40 % eingetreten. Auch eine „sichere“ Anlage könne einen Kapitalverlust erleiden. Die Naturalrestitution würde daher den Anlageberater zu Unrecht für die zukünftige Entwicklung des Kapitalmarkts verantwortlich machen, auch wenn diese nicht vorhersehbar sei und auf strafrechtlich relevanten Kursmanipulationen beruhe. Ganz allgemein hafte der Schädiger nicht für einen atypischen Erfolg aufgrund einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen. Im vorliegenden Fall ergebe sich unter Berücksichtigung einer Schadensverursachung von 40 % und des Mitverschuldens der Kläger eine Haftung der Beklagten von höchstens einem Drittel des Gesamtschadens. Das angefochtene Urteil sei daher aufzuheben und die Rechtssache an die erste Instanz zur Erhebung zurückzuverweisen, welche Schäden durch Marktrisiken und welche durch andere Ereignisse in Bezug auf den Kursverlust der M*****-Zertifikate entstanden seien; in eventu sei die Klage zumindest zu zwei Drittel abzuweisen.
Dazu ist wie folgt auszuführen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt der Schaden bei fehlerhafter Anlageberatung bereits im Erwerb nicht gewünschter Vermögenswerte, die der Kunde bei richtiger Beratung nicht gekauft hätte (7 Ob 253/97z; 8 Ob 123/05d; 8 Ob 25/10z; 4 Ob 65/10b). Auf die spätere Kursentwicklung des Finanzprodukts und die dafür maßgebenden Gründe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (5 Ob 246/10b). Der Kunde kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Aufklärung stünde. Er hat einen Anspruch auf Naturalrestitution (§ 1323 ABGB), in dessen Rahmen ihm - Zug um Zug gegen Übertragung der Finanzprodukte - der Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb der Finanzprodukte gezahlten Kaufpreise abzüglich der erhaltenen Zinsen (oder Dividenden) zusteht (3 Ob 40/07i; 10 Ob 11/07a; 9 Ob 85/09d; 5 Ob 246/10b; RIS-Justiz RS0120784; RS0108267).
2. Die hypothetische Entwicklung des Vermögens der Kläger, deren Berücksichtigung aus Kausalitätsgründen von der Lehre verlangt wird (P. Bydlinski, ÖBA 2008, 159 [160 und 162 ff]; Koziol, FS Picker [2010], 536 ff; Leupold/Ramharter, ÖBA 2010, 718 [720]; Ramharter, Aktuelle Fragen der Anlageberatungshaftung, Zak 2009, 403 [405]; vgl auch Wilhelm, Zu Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung beim Anlegerschaden, ecolex 2010, 232 [233]), ist hier ohne Bedeutung, weil die Kläger bei richtiger Beratung ein Produkt mit garantiertem Kapitalerhalt (zB Sparbuch) gewählt hätten (vgl auch 7 Ob 77/10i).
3. Nach dem Vorbringen der Beklagten ist ein Teil des Schadens auf Kursmanipulationen durch das Management der M***** zurückzuführen. Vor diesem Risiko habe der Berater die Kläger nicht warnen müssen, weil es keine Anzeichen für ein derartiges Verhalten gegeben habe. Insofern fehle daher der Rechtswidrigkeitszusammenhang.
Der Senat hat in seiner am heutigen Tag getroffenen Entscheidung 4 Ob 62/11p den Rechtswidrigkeitszusammenhang auch dann bejaht, wenn die Verletzung von Informationspflichten (hier: über das Wesen von Beteiligungspapieren und das Risiko eines Teil- oder auch Totalverlusts des Kapitals) dazu führte, dass sich die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des dann tatsächlich eingetretenen Risikos bei objektiver Betrachtung nicht bloß unerheblich erhöhte. In solchen Fällen ist nämlich anzunehmen, dass sich der Schutzzweck der verletzten Informationspflicht auch auf diese wahrscheinlicher gewordenen Folgerisiken bezieht (4 Ob 62/11p; im Ergebnis gleich 8 Ob 132/10k: ähnlich auch Wendehorst in ÖBA 2010, 562, die als Voraussetzung der vollen Haftung den Adäquanzzusammenhang zwischen dem verwirklichten Risiko und der Aufklärungspflichtverletzung fordert).
Im vorliegenden Fall führte die pflichtwidrige Unterlassung der Aufklärung, dass es sich bei M*****-Zertifikaten um kursriskante Beteiligungspapiere und damit um alles andere als eine kapitalsichere Anlage handle, zu einer nicht bloß unerheblichen Erhöhung des Risikos von Kursmanipulationen, die im Fall von Beteiligungspapieren wesentlich häufiger vorkommen als bei einer Anlageform mit Kapitalgarantie (bei einem Sparbuch hätte das Risiko überhaupt nicht bestanden). Es liegt auch nicht außerhalb aller Lebenserfahrung und stellt keine außergewöhnliche Verkettung von Umständen dar (RIS-Justiz RS0098939), wenn Emittenten „Kurspflege“ - sei es auch durch Wertpapierrückkauf - betreiben.
4. Bei richtiger Beratung hätten die Kläger ein kapitalsicher(er)es Finanzinstrument (zB Sparbuch) erworben. Bei einem solchen ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge davon auszugehen, dass das Kapital erhalten bleibt. Dass auch Wertpapiere mit „Kapitalgarantie“ im Einzelfall zum Totalverlust führen können, trifft zu, im vorliegenden Fall ist jedoch mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass dies bei der Alternativanlage der Kläger der Fall gewesen wäre.
Das Berufungsgericht hat daher den Anspruch der Kläger gegen das beklagte Anlageberater-Unternehmen auf Schadenersatz mittels Naturalrestitution vertretbar bejaht.
5. Die Anregung der Beklagten, einen verstärkten Senat einzuberufen, wird nicht aufgegriffen. Ein Wertungswiderspruch zur Entscheidung 3 Ob 79/10d besteht schon mangels Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Sachverhalte nicht.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Kläger in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, diente ihr Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.
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