OGH 4Ob167/17p

OGH4Ob167/17p24.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** EAD, *****, vertreten durch Ing. DDr. Hermann Wenusch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Leon, Rechtsanwalt in Wien, wegen 41.456,73 EUR sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. Juni 2017, GZ 1 R 80/17t‑15, womit der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 19. April 2017, GZ 5 Cg 5/17h‑9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00167.17P.1024.000

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs wird in Ansehung der Klagsforderungen von 95 EUR, 2.378 EUR, 889,34 EUR, 109,51 EUR sowie 319 EUR zurückgewiesen.

2. Im Übrigen – in Ansehung der Klagsforderungen von 16.867,08 EUR, 5.072,30 EUR, 7.107 EUR sowie 8.619,50 EUR – wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus insgesamt neun Rechnungen für zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgte Warenlieferungen aufgrund zu verschiedenen Daten erfolgter Bestellungen 16.867,08 EUR, 5.072,30 EUR, 95 EUR, 2.378 EUR, 889,34 EUR, 7.107 EUR, 109, 51 EUR, 319 EUR und 8.619,50 EUR, insgesamt 41.456,73 EUR sA.

Die Beklagte wandte Unzulässigkeit des Rechtswegs und Unzuständigkeit des Erstgerichts ein, weil aufgrund einer Schiedsvereinbarung ein Schiedsgericht in Bulgarien zuständig sei.

Das Erstgericht führte über diese Einreden eine abgesonderte Verhandlung durch, erklärte in der Folge den Rechtsweg für unzulässig und wies die Klage zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nur im Kostenpunkt Folge, erkennbar nicht jedoch in der Hauptsache, und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig.

Die Klägerin erhebt eine „Zulassungsbeschwerde“ mit dem Antrag, den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig zu erklären, und verbindet dies mit der Ausführung des Revisionsrekurses, in dem sie die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses beantragt.

Das Erstgericht deutete dies in einen außerordentlichen Revisionsrekurs ohne Zulassungs-beschwerde um und legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise widerspricht der Rechtslage:

Rechtliche Beurteilung

1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, so bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen der Zusammenrechnung nach § 55 Abs 1 JN erfüllt sind. Diese Regelung gilt auch für Rechtsmittelverfahren (§ 55 Abs 4 JN) und damit für den Entscheidungsgegenstand (RIS‑Justiz RS0053096; RS0037838 [T38]).

2. Eine Zusammenrechnung hat nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zu erfolgen, wenn mehrere Ansprüche von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und die Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Fehlt es an einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang, so muss als Entscheidungsgegenstand jeder dieser Ansprüche einzeln betrachtet werden (RIS‑Justiz RS0042753, RS0053096).

Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über den anderen Anspruch ohne ergänzendes weiteres Sachvorbringen entscheiden zu können (RIS‑Justiz RS0042766; RS0037648 [T4]). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt etwa dann vor, wenn die Ansprüche aus derselben Rechtsnorm oder demselben Vertrag abgeleitet werden, zB aus einem einheitlichen Liefervertrag (RIS‑Justiz RS0037648). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RIS‑Justiz RS0037648 [T11, T18, T20]).

Kein Zusammenhang nach § 55 Abs 1 Z 1 JN liegt vor bei Forderungen aus verschiedenen, wenn auch gleichartigen Verträgen (RIS‑Justiz RS0037648 [T15], RS0037926 [T3, T7, T23, T26, T28]), oder bloß aufgrund ständiger Geschäftsverbindung (RIS‑Justiz RS0037926 [T14, T19, T22]), und zwar auch dann nicht, wenn im Rahmen der Geschäftsverbindung für alle Rechtsgeschäfte (kraft jeweiliger Unterwerfung) die allgemeinen Verkaufsbedingungen und Lieferbedingungen einer Partei gelten (RIS‑Justiz RS0037926 [T11]).

Bei der Beurteilung ist von den Klagsangaben auszugehen (RIS‑Justiz RS0106759); es kommt auch bei der Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit nicht auf nachträgliche Behauptungen oder Feststellungen in der erstgerichtlichen Entscheidung an (RIS‑Justiz RS0042741 [insb T7]; 3 Ob 261/07i; 7 Ob 57/04i). Wurde ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang der den einzelnen Rechnungsbeträgen jeweils zu Grunde liegenden Warenlieferungen nicht behauptet, ist von mehreren Entscheidungsgegenständen auszugehen, die im Hinblick auf die Revisions‑(rekurs‑)zulässigkeit einer unterschiedlichen Beurteilung unterliegen (RIS‑Justiz

RS0042741 [T11]).

3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keine Umstände behauptet, aus denen ein Zusammenhang im dargestellten Sinne ableitbar wäre. Es ist daher der Entscheidungsgegenstand jeder der geltend gemachten Ansprüche einzeln zu betrachten.

4. Nach § 528 Abs 2 Z 1 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt. Dieser Rekursausschluss gilt auch für die Anfechtung von überprüfenden Rekursentscheidungen zu erstinstanzlichen Formal-entscheidungen einschließlich der Klagszurückweisung (RIS‑Justiz RS0044496).

Dies betrifft die Klagsforderungen von 95 EUR, 2.378 EUR, 889,34 EUR, 109,51 EUR sowie 319 EUR; der Revisionsrekurs ist insofern als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen.

5. Nach § 528 Abs 1 Z 1a ZPO ist der Revisionsrekurs – vorbehaltlich des § 528 Abs 2a ZPO (wonach die Bestimmungen über einen Antrag auf Abänderung des Ausspruchs nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision [§ 508 ZPO] sinngemäß anzuwenden sind) – in Streitigkeiten jedenfalls unzulässig, in denen der Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt, wenn das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig ist. Nach § 508 Abs 1 ZPO kann eine Partei einen begründeten Antrag an das Rechtsmittelgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision (der ordentliche Revisionsrekurs) doch für zulässig erklärt werde; mit demselben Schriftsatz ist das ordentliche Rechtsmittel auszuführen. Erachtet das Rechtsmittelgericht den Antrag für stichhältig, so hat es seinen Ausspruch mit Beschluss abzuändern und auszusprechen, dass das ordentliche Rechtsmittel doch zulässig ist (§ 508 Abs 3 ZPO), anderenfalls hat es den Antrag samt dem ordentlichen Rechtsmittel mit – keiner Begründung bedürftigem und unanfechtbarem – Beschluss zurückzuweisen (§ 508 Abs 4 ZPO).

In Ansehung der Klagsforderungen von 16.867,08 EUR, 5.072,30 EUR, 7.107 EUR sowie 8.619,50 EUR übersteigt der jeweils maßgebliche Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR. Das Rechtsmittel war daher nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen; dieser darf über das Rechtsmittel nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS‑Justiz RS0109623).

Das Rechtsmittel wäre demnach dem Rekursgericht vorzulegen gewesen. Es ist die aus dem Spruch ersichtliche Rückleitungsanordnung zu treffen.

6. Das Rekursgericht wird in Ansehung der jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigenden Einzelforderungen über den von der Klägerin ausdrücklich gestellten Antrag auf Abänderung seines Ausspruchs über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses zu entscheiden haben.

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