OGH 4Ob160/23t

OGH4Ob160/23t27.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, den Hofrat Dr. Kikinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 26.561,51 EUR sA, über die Rekurse der klagenden und der beklagten Partei jeweils gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Juni 2023, GZ 4 R 79/23z‑29, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 2. Februar 2023, GZ 38 Cg 34/20t‑19, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00160.23T.0827.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Beide Rekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei deren mit 2.055,13 EUR (darin 328,13 EUR an 19%iger USt) bestimmten Kosten und die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 2.072,40 EUR (darin 345,40 EUR USt) bestimmten Kosten der jeweiligen Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 12. 2. 2014 bei einem Händler einen Seat als Neuwagen samt dem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor Typ EA189 mit Abgasmanipulationssoftware um 39.400 EUR. Am 20. 1. 2017 ließ der Kläger das Software‑Update aufspielen, samt „Thermofenster“, wobei ab einer Außentemperatur von weniger als 10 Grad Celsius eine graduelle Reduzierung der Abgasrückführungsrate stattfindet. Der Kläger erlangte erst 2020 Kenntnis von der Funktionsweise der ursprünglichen Software und jener des Thermofensters, sowie davon, dass diese als unzulässige Abschalteinrichtungen gesehen werden können.

[2] Der Kläger begehrt Schadenersatz in Höhe des bezahlten Kaufpreises (unter Anrechnung eines Benützungsentgelts) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Er stützte sich auf Schutzgesetzverletzung (Art 5 VO 715/2007/EG iZm § 1311 ABGB), § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB.

[3] Das Erstgericht gab der Klage teilweise statt, wobei es von einem höheren Benützungsentgelt ausging als vom Kläger veranschlagt.

[4] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zu. Ein auf Schutzgesetzverletzung nach § 1311 ABGB gestützter Ersatzanspruch des Fahrzeugkäufers könne nur gegen den Fahrzeughersteller, nicht aber gegen den bloßen Hersteller des im Fahrzeug verbauten Motors geltend gemacht werden. Es bleibe daher zu prüfen, ob die Herbeiführung des behaupteten Schadens durch ein der Beklagten qua Organ- oder Repräsentantenhaftung zurechenbares vorsätzliches Fehlverhalten erfolgte, das den Haftungstatbestand des § 874 bzw des § 1295 Abs 2 ABGB erfülle. Ein Anspruch nach diesen Gesetzesstellen könne aber wegen Versäumung der kurzen Verjährungsfrist nur unter der Voraussetzung des § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB (lange Verjährungsfrist wegen Straftat) in Betracht kommen. Dazu und zu den sonstigen Voraussetzungen der §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB fehlten ausreichende Feststellungen, sowie zur Abgasgrenzwertüberschreitung und schließlich zu der erwarteten Gesamtlaufleistung zwecks Ermittlung des Benützungsentgelts.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen von beiden Parteien (mit unterschiedlichen Rechtsmittelanträgen) erhobenen Rekurse sind jeweils in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Der Oberste Gerichtshof hat nach Einholung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , zu 10 Ob 2/23a klargestellt, dass eine wie auch im Fahrzeug des Klägers eingebaute „Umschaltlogik“ eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung ist und der damit verbundene Sachmangel auch durch ein Software‑Update nicht behoben wird, wenn diese Software ein „Thermofenster“ beinhaltet, aufgrund dessen die Abgasrückführung bei den in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnissen nur in vier oder fünf Monaten im Jahr uneingeschränkt funktioniert (8 Ob 92/23x ebenfalls betreffend einen Seat Alhambra).

[7] 2. Ebenso ist bereits geklärt, dass die deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausschließlich den Fahrzeughersteller, nicht aber den (bloßen) Hersteller des Motors trifft (RS0134616; 2 Ob 139/23i, Rz 13; 8 Ob 92/23x, Rz 17 ua). Dies auch dann, wenn (wie hier) die Beklagte Alleingesellschafterin des Fahrzeugherstellers ist (vgl 6 Ob 154/23z, Rz 11; 6 Ob 114/23t, Rz 15).

[8] 3.1. Die in beiden Rekursen aufgeworfene Rechtsfrage zur Anwendung der 30‑jährigen Verjährungsfrist ist für die Entscheidung nicht präjudiziell, zumal auf Basis der im Folgenden zitierten Rechtsprechung die Klage noch innerhalb der 3‑jährigen Verjährungsfrist eingebracht wurde (vgl dazu 3.2. und 3.3.). Das Ergebnis hängt somit nicht davon ab, ob ein qualifiziert strafbares Verhalten von Organen der Beklagten vorlag. Dieser Rechtsfrage käme nur theoretische Bedeutung zu. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist aber nach § 502 Abs 1 ZPO nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (RS0088931). Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus.

[9] 3.2. Bei Inanspruchnahme der Beklagten als Fahrzeug- oder Motorenherstellerin (auch) aufgrund deliktischen Schadenersatzes nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB hat der Oberste Gerichtshof zu den Fällen der vorgeblichen Schadensbehebung durch das Software‑Update jüngst und wiederholt dargelegt, dass dann, wenn der Geschädigte annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden (durch das von der Beklagten entwickelte Software‑Update) behoben ist, für ihn nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen besteht, und zwar auch nicht in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat. Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden – wie die Beklagte unter Verweis auf ihr Software‑Update auch bis zuletzt noch im Verfahren meint – zur Gänze behoben ist. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt in solchen Fällen erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (6 Ob 181/23w, Rz 14; 6 Ob 122/23v, Rz 35 f; 9 Ob 33/23b, Rz 23 f; 10 Ob 31/23s, Rz 63 f).

[10] 3.3. Im vorliegenden Fall erlangte der Kläger erst 2020 Kenntnis von der Funktionsweise der ursprünglichen Software und jener des Thermofensters, sowie davon, dass diese als unzulässige Abschalteinrichtungen gesehen werden können. Die im Oktober 2020 erhobene Klage wurde daher noch innerhalb der 3‑jährigen Verjährungsfrist eingebracht.

[11] 4.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298). Ob diese durch die Beklagte erfolgte, kann den Feststellungen des Erstgerichts nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnommen werden. Insbesondere fehlen auch Feststellungen zur Kausalität einer allfälligen arglistigen Irreführung durch die Beklagte, nämlich ob der Kläger bei Kenntnis der Unsicherheit in Bezug auf die Zulassung das Fahrzeug (nicht) gekauft hätte bzw ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprach (vgl 4 Ob 204/23p, Rz 45 mwN).

[12] 4.2. Die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht wirft im Ergebnis daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[13] 4.3. Das Erstgericht wird neben den aufgezeigten Tatbestandselementen zur Anwendung des § 874 ABGB bzw § 1295 Abs 2 ABGB auch noch Feststellungen zu den Parametern zwecks Ermittlung des Benützungsentgelts zu treffen haben. Abweichend vom Erstgericht ist nämlich der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (RS0134263).

[14] 5. Die Entscheidung über die jeweiligen Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Parteien haben jeweils auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rekurses hingewiesen.

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