OGH 4Ob141/24z

OGH4Ob141/24z22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Alfred Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, sowie deren Nebenintervenienten *, dieser vertreten durch MMag. DDr. Klaus H. Kindel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch die Denk & Fuhrmann Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 18.120 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Mai 2024, GZ 34 R 72/24a‑32, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 29. Februar 2024, GZ 25 C 2194/22x‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00141.24Z.1022.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.505,40 EUR (darin 250,90 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile schlossen am 9. 11. 2021 im Rahmen ihrer einvernehmlichen Scheidung vor einemBezirksgericht einen umfassenden Vergleich über die Scheidungsfolgen (Beilage ./1, formuliert vom Nebenintervenienten als Rechtsvertreter der Klägerin; zur Verwertbarkeit unstrittigen Urkundeninhalts im Rechtsmittelverfahren s RS0121557, RS0040083 [T1]).

[2] Darin verzichteten die Streitteile unter anderem wechselseitig auf Ehegattenunterhalt, dies ausdrücklich auch für den Fall geänderter Verhältnisse (Punkt II.).

[3] Hinsichtlich der beiden Kinder (geboren 2007 und 2009) ist im Vergleicheine gemeinsame Obsorge mit einem Doppelresidenzmodell und einem bloß formellen hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter vorgesehen. Weiters ist festgehalten, dass sich im Hinblick auf die Einkünfte der Eltern kein Differenz‑Geldunterhalt ergibt und nur Naturalunterhalt geleistet wird. Alle die Kinder betreffenden Einnahmen und Ausgaben sollten über ein gemeinsames „Kinderkonto“ abgewickelt werden (alles Punkt I.). In Punkt VIII. verpflichteten sich die Streitteile schließlich wechselseitig, den jeweils anderen hinsichtlich sämtlicher Unterhaltsansprüche der gemeinsamen Kinder bis zu Erreichung der Volljährigkeit „vollkommen schad- und klaglos zu halten“.

[4] Betreffend den Kindesunterhalt enthält der schriftliche Vergleich weder eine ausdrückliche Umstandsklausel, noch wird diese explizit ausgeschlossen. Zu mündlichen Vereinbarungen oder Gesprächen über die Schad- und Klagloshaltung, insbesondere bei einer allfällig anderen Betreuungssituation, konnten nur Negativfeststellungen getroffen werden.

[5] Die Familie wohnte damals noch gemeinsam in der Ehewohnung, sodass die Streitteile nicht mit Sicherheit wussten, ob die gleichteilige Betreuung im Rahmen eines Doppelresidenz-Modells nach der Scheidung wirklich funktionieren würde. Die Kinder zogen tatsächlich bereits zwei Tage nach Abschluss des Scheidungsfolgenvergleichs zum Beklagten und blieben fortan ständig dort. In der Folge beantragte der Beklagte eine Neuregelung der Obsorge und forderte auch Geldunterhalt für die Kinder. Schließlich schlossen die Streitteile am 4. 7. 2022 im Pflegschaftsverfahren eine neue Vereinbarung, laut der der hauptsächliche Aufenthalt beim Beklagtenist und der Klägerin nur ein Kontaktrecht zusteht. Weiters wurde das „Kinderkonto“ aufgelöst und vereinbart, dass dem Beklagten die Familienbeihilfe und der Familienbonus zukommen solle und die Klägerin monatlich Geldunterhalt leisten werde. Mit Beschluss vom 17. 3. 2023 wurde die Klägerin schließlich im Unterhaltsverfahren zu einem höheren Geldunterhalt verpflichtet.

[6] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten unter Berufung auf die im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarte Schad- und Klagsloshaltung Ersatz für die von ihr geleisteten Unterhaltszahlungen.

[7] Der Beklagte hält dem im Wesentlich entgegen, dass die Zusage im Hinblick auf das beabsichtigte Doppelresidenzmodell abgegeben und durch die geänderte Betreuungssituation hinfällig geworden sei.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab, und das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

[9] Beide Vorinstanzen erachteten die Schad- und Klagsloshaltung zwar grundsätzlich für wirksam, weil sie im Rahmen einer umfassenden Regelung der Folgen einer Scheidung vor Gericht geschlossen worden sei und damit die Voraussetzungen des § 231 Abs 4 ABGB (idF KindNamRÄG 2013, BGBl I Nr 15/2013) erfülle. Derartige Entlastungsvereinbarungen würden aber der Umstandsklausel unterliegen, die bewirke, dass bei einer wesentlichen und dauernden Änderung der maßgeblichen Umstände wieder davon abgegangen werden könne. Darauf sei hier auch weder ausdrücklich, noch schlüssig verzichtet worden. Der Beklagte, der – anders als dem Scheidungsfolgenvergleich zugrunde gelegt – die Kinder nun nicht bloß zur Hälfte, sondern zur Gänze allein betreue, müsse der Klägerin demnach nicht auch noch deren Geldunterhaltsleistungen ersetzen. Ob die Vereinbarung im Pflegschaftsverfahren als (schlüssige) Änderung des Scheidungsfolgenvergleichs verstanden werden könne, könne daher dahinstehen.

[10] Das Berufungsgericht ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Entlastungsvereinbarungen iSd § 231 Abs 4 ABGB idF des KindNamRÄG 2013 der Umstandsklausel unterliegen.

[11] Die Klägerin beantragt in ihrer – vom Beklagten beantworteten – Revision, die Entscheidungen in eine Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[13] 1. Die Auslegung eines Vergleichs oder einer Unterhaltsvereinbarung stellt keine Rechtsfrage dar, deren Entscheidung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommen würde, und wäre nur revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RS0113785 [T4, T10], RS0042776 [T47]). Das gilt auch für die Frage, ob die Umstandsklausel Anwendung findet oder vertraglich ausgeschlossen wurde (vgl RS0018900 [T13]), was jeweils nur anhand der konkreten Vereinbarungen im Einzelfall beurteilt werden kann.

[14] 2. Gemäß ständiger Rechtsprechung wohnt Unterhaltsverträgen die clausula rebus sic stantibus regelmäßig stillschweigend inne (vgl RS0018984, RS0018900, RS0057146). Der Oberste Gerichtshof sprach zudem bereits mehrfach aus, dass auch Unterhaltsvereinbarungen, nach denen sich ein Elternteil allein zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse der Kinder verpflichtet, und ein sich daraus ergebender Regressanspruch des anderen Elternteils der Umstandsklausel unterliegen (vgl RS0047374; zuletzt 6 Ob 134/12t).

[15] Der Verzicht auf die Umstandsklausel ist zwar im Allgemeinen zulässig und wirksam (vgl RS0016554, RS0047202), die Parteien müssen dafür aber in der Regel ausdrücklich und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf eine Änderung der Unterhaltsvereinbarung auch für den Fall einer wesentlichen Änderung in den beiderseitigen Verhältnissen verzichtet haben (vgl RS0018900, RS0015890).

[16] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die von den Streitteilen vereinbarte Schad- und Klagsloshaltung als Teil der Unterhaltsvereinbarung der Umstandsklausel unterliegt und diese hinsichtlich des Kindesunterhalts auch nicht ausgeschlossen wurde, bewegt sich somit im Rahmen der bisherigen ständigen Rechtsprechung.

[17] 3. Die Revisionswerberin vermag mit ihrem Hinweis auf die Neuregelung des § 231 Abs 4 ABGB durch das KindNamRÄG 2013 (BGBl I Nr 15/2013) keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[18] Demnach ist eine Vereinbarung, mit der sich ein Elternteil dem anderen gegenüber verpflichtet, für den Unterhalt des Kindes allein oder überwiegend aufzukommen und den anderen für den Fall der Inanspruchnahme mit der Unterhaltspflicht schad- und klaglos zu halten, unwirksam, sofern sie nicht im Rahmen einer umfassenden Regelung der Folgen einer Scheidung vor Gericht geschlossen wird.

[19] Die Revision vertritt die Ansicht, dass die Geltung der Umstandsklausel für derartige Schad- und Klagsloshaltungen nunmehr ausdrücklich vereinbart werden müsse, kann dafür aber weder den Wortlaut des Gesetzes, noch die Materialien ins Treffen führen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (RV 2004 BlgNR 24. GP , 33 f) soll diese Regelung zur sauberen Trennung von Ansprüchen der Kinder von jenen der Eltern beitragen sowie unausgewogene und übereilte „Belastungsverträge“ verhindern. Zur hier interessierenden Problematik lässt sich der Regierungsvorlage lediglich entnehmen, dass von der Geltung der Umstandsklausel ausgegangen wurde, ohne dass insoweit eine Absicht zur (Neu-)Regelung erkennbar wäre, wenn es zur alten Rechtslage heißt: „Derartige Vereinbarungen, die unter der Umstandsklausel stehen, können aber nur scheinbar Rechtssicherheit schaffen und zudem einen Elternteil über Gebühr und in sittenwidriger Weise belasten.“

[20] Dass die Neuregelung des § 231 Abs 4 ABGB einer Anwendung der ständigen Rechtsprechung zur Umstandsklausel auf den konkreten Fall entgegenstehen würde, kann die Revision daher nicht aufzeigen. Daraus kann nur geschlossen werden, dass eine Schad- und Klagsloshaltung hinsichtlich des Kindesunterhalts sowie der Ausschluss der Umstandsklausel in einem derartigen Vergleich vereinbart werden kann, aber nicht, dass damit – anders als bisher – die Umstandsklausel ausdrücklich vereinbart werden müsste.

[21] 4. Ob für die Änderung der Verhältnisse auf die Scheidungsfolgenvereinbarung als Gesamtes abzustellen ist, oder einzelne Regelungen gesondert zu beurteilen sind, kann ebenfalls nur im Einzelfall entschieden werden.

[22] Die Klägerin zeigt in concreto nicht auf, warum es von den Vorinstanzen unvertretbar gewesen wäre, alle (aber nur die) die Kinder betreffenden Regelungen als für die Umstandsänderung maßgeblich heranzuziehen, und argumentiert zwar mit einem „Ausgleich“ durch die übrigen Vereinbarungen, kann einen solchen aber nicht nachvollziehbar darstellen. Vielmehr legen auch die sonstigen Bestimmungen vergleichbare Einkommensverhältnisse und eine möglichst gleichmäßige Vermögensaufteilung nahe. Schließlich stehen gerade keine Nebenabreden zur Schad- und Klagsloshaltung odereine besondere „Zweckwidmung“ fest.

[23] 5. Im Übrigen ist der Revision zwar beizupflichten, dass die „Vorgeschichte“ zum Scheidungsfolgenvergleich bei dessen Auslegung nach § 914 ABGB zu berücksichtigen ist und daher auch der schriftliche Vergleichsvorschlag des Beklagten: „Um auch die Zukunft für beide Parteien abzusichern wird eine Schad- und Klagloserklärung von beiden Seiten abgegeben.“

[24] Insofern vermag die Klägerin aber keine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen aufzuzeigen, die dieser Formulierung des damals noch unvertretenen Beklagten keinen besonderen Erklärungswert zumaßen und sie überdies nur auf den Ehegattenunterhalt bezogen, weil sie dort unter Punkt 2.b angeführt war, während alle die Kinder betreffenden Themen vom Beklagten in Punkt 1. zusammengefasst wurden.

[25] Soweit die Revision damit argumentiert, dass die Schad- und Klagloshaltung bezüglich des Ehegattenunterhalts keinen Sinn mache, sie sich daher nur auf allfälligen Geldunterhalt für die Kinder beziehen könne, und solchen ausdrücklich „auch für die Zukunft“ ausschließen habe wollen, ist ihr entgegenzuhalten, dass im späteren Vergleich eine derartige Bestimmung sehr wohl auch bei der Zuweisung der kreditfinanzierten Ehewohnung und des Leasingfahrzeugs vereinbart wurde. Da beim Ehegattenunterhalt überdies ausdrücklich auf eine Anpassung bei geänderten Verhältnissen verzichtet wurde, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach (höchstens) die Ansprüche aus der Ehe auch für die Zukunft abschließend geregelt werden sollten, nicht hingegen jene aus dem Verhältnis zu den Kindern, keineswegs unvertretbar.

[26] 6. Schließlich bringt die Klägerin vor, dass die Umstandsänderung vorhersehbar gewesen sei und allein aus der Sphäre des Beklagten resultiere.

[27] Nach der Rechtsprechung ist die Berufung auf die Umstandsklausel zur Bekämpfung der Wirksamkeit eines Unterhaltsvergleichs zwar dann ausgeschlossen, wenn die Parteien bei Vergleichsabschluss von der Erwartung ausgegangen waren, dass die nun geltend gemachte Änderung eintreten würde, nicht aber dann, wenn sie nur mit dem allenfalls möglichen Eintritt der Änderung rechnen (vgl RS0018966), wie hier hinsichtlich der Unsicherheit, ob das von den Eltern beabsichtigte Doppelresidenzmodell tatsächlich mit den Wünschen der Kinder in Einklang gebracht werden kann.

[28] Die Wertung der Vorinstanzen, in der nunmehrigen Alleinbetreuung durch den Beklagten liege eine berücksichtigungswürdige Änderung der Umstände, die zu einem völligen Entfall der vereinbarten Schad- und Klagsloshaltung und damit einer Klagsabweisung führe, ist im Ergebnis sohin nicht korrekturbedürftig.

[29] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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