OGH 4Ob121/17y

OGH4Ob121/17y24.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei L* GmbH, *, vertreten durch Deschka Klein Daum Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die Gegner der gefährdeten Partei 1. T* GmbH, *, 2. H* GmbH, *, 3. U* GmbH, *, 4. T* GmbH, *, 5. k* GmbH, *, 6. L* GesmbH, *, 7. S* AG *, Erst-, Dritt- sowie Fünft- bis Siebentgegner vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, Zweit- und Viertgegner vertreten durch Salomonowitz Horak Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 65.000 EUR), über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2016, GZ 4 R 7/16b‑11, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 20. November 2015, GZ 11 Cg 91/15t‑6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119754

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

1. Das mit Beschluss vom 3. Mai 2017 zu 4 Ob 175/16p unterbrochene Revisionsrekursverfahren wird über Antrag der Klägerin fortgesetzt.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

3. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

4. Die gefährdete Partei hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die Gegnerinnen der gefährdeten Partei haben ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Kernfrage des Sicherungsverfahrens ist es, ob Urheberrechtsverletzungen im Internet mittels BitTorrent‑Plattformen, auf denen selbst zwar keine urheberrechtlich geschützten Werke zum Abruf gespeichert sind, deren Dateien (Torrents) aber als Wegweiser dienen und es Nutzern ermöglichen, urheberrechtlich geschützte Werke auszutauschen und abzurufen, mit Sperrverfügungen gegen Zugangsvermittler (Access-Provider) betreffend derartige Webseiten unterbunden werden können.

I. Technische Rahmenbedingungen

BitTorrent (von Bit [kleinste Daten-Einheit] und englisch torrent [reißender Strom oder Sturzbach], von lateinisch torrens) ist ein kollaboratives Filesharing‑Protokoll, das sich besonders für die schnelle Verteilung großer Datenmengen eignet. Im Gegensatz zu anderen Filesharing-Techniken setzt BitTorrent nicht auf ein übergreifendes Filesharing-Netzwerk, sondern baut für jede Datei ein separates Verteilnetz auf. Im Vergleich zum herkömmlichen Herunterladen einer Datei mittels HTTP oder FTP werden bei der BitTorrent-Technik die (ansonsten ungenutzten) Upload-Kapazitäten der Downloader mitgenutzt, auch wenn sie die Datei noch nicht vollständig heruntergeladen haben. Dateien werden also nicht nur von einem Server verteilt, sondern auch von Nutzer zu Nutzer (Peer-to-Peer oder P2P) weitergegeben. Das belastet den Server weniger und der Anbieter spart Kosten. Insgesamt ist die Downloadlast nicht geringer, sie wird lediglich auf die einzelnen Nutzer verlagert. Bei populären Dateien verhindert diese Technik das Zusammenbrechen des Netzes infolge des Überschreitens der Kapazitätsgrenzen des Anbieters (https://de.wikipedia.org/wiki/BitTorrent , abgefragt am 2. 10. 2017).

BitTorrent-Plattformen stellen selbst keine urheberrechtlich geschützten Werke zur Verfügung, sondern lediglich eine „Torrent-Datei“. Diese Datei ist eine Art Wegweiser, der alle nötigen Informationen zu einem (urheberrechtlich geschützten) Werk enthält (Name, Größe, Qualität des Werkes, IP-Adresse des Nutzers, der die gewünschte Datei zum Download anbietet, etc). Die Torrents selbst werden dabei von Nutzern (Anbietern) auf die Webseite hochgeladen, um es wiederum anderen Nutzern (Nachfragern oder sog „Leechern“) zu ermöglichen, die Anbieter zu finden. Der Nutzer, der auf der Suche nach einem (urheberrechtlich geschützten) Werk ist, ruft somit zuerst die BitTorrent-Seite auf, dort sucht er nach dem entsprechenden von ihm gewünschten „Torrent“ und mittels diesem und einem zum Download benötigten Programm (einem sog BitTorrent-Client) kann er dann eine Verbindung zu dem Anbieter herstellen, der das von ihm gewünschte Werk zur Verfügung stellt. Der tatsächliche Datenaustausch erfolgt damit ohne Zwischenschaltung der BitTorrent-Seite. Die Daten werden nur zwischen Anbieter und Nachfrager direkt ausgetauscht (vgl EuGH C‑610/15 , Stichting Brein/Ziggo BV, Rz 9 f).

Die Aufgabe der BitTorrent-Plattform besteht darin, die „Torrents“ gesammelt unter einer Domain anzubieten und grafisch aufzubereiten, um es Nachfragern zu ermöglichen, die jeweiligen Anbieter zu finden, die das vom Nachfrager gewünschte Werk zur Verfügung stellen. BitTorrent-Seiten sind aus technischer Sicht betrachtet Server, die die „Torrents“ indizieren, um es Nachfragern zu ermöglichen Kontakt zum gewünschten Anbieter aufzunehmen. Analog betrachtet sind BitTorrent-Plattformen also eine Art Marktplatz mit Wegweisern, die es Nachfragern ermöglichen, Produkte zu finden, die andernorts (versteckt) angeboten werden, wobei der Marktplatz selbst keine Waren, sondern nur Informationen vertreibt.

II. Parteien und Vorbringen

Die gefährdete Partei (in der Folge „Antragstellerin“) ist eine Verwertungsgesellschaft. Sie nimmt die Rechte der von ihr vertretenen Tonträgerhersteller an ihren weltweit produzierten Musikaufnahmen sowie die Rechte der ausübenden Künstler an ihren Darbietungen treuhändig wahr, insbesondere auch deren Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte sowie das Recht der öffentlichen Zurverfügungstellung. In Österreich vertritt die Antragstellerin ein umfassendes nationales und internationales Repertoire. Sie wurde von über 3.000 Tonträgerproduzenten – darunter alle namhaften inländischen und internationalen Labels – mit der treuhändigen Wahrnehmung der ihnen zustehenden originären oder abgeleiteten Leistungsschutzrechte an Musikaufnahmen betraut. Der Antragstellerin stehen dabei neben den Rechten des Tonträgerherstellers auch die von den ausübenden Künstlern abgeleiteten Verwertungsrechte an deren Darbietungen als Interpreten zu. Zum Wahrnehmungsrepertoire der Antragstellerin zählen insbesondere auch die Repertoires der österreichischen Tochterfirmen von internationalen Musik- und Unterhaltungskonzernen sowie die Repertoires weiterer großer Rechteinhaber. Diese umfassen unter anderem deren Aufnahmen mit weltbekannten Interpreten wie Abba, Avicii, The Beatles, Justin Bieber, James Blunt, Eric Clapton, Cream, Coldplay, Deep Purple, Enigma, Falco, Helene Fischer, Andreas Gabalier, David Guetta, Iggy Azalea, Michael Jackson, Norah Jones, Korn, Kraftwerk, Lady Gaga, Linkin Park, Metallica, George Michael, Nockalm Quintett, One Direction, One Republic, Pink Floyd, Katy Perry, Queen, Lana del Rey, Rihanna, The Rolling Stones, Ed Sheeran, Bruce Springsteen, Robin Thicke, U2, Van Halen, Pharrell Williams, Neil Young, ZZ Top uva.

Die Gegnerinnen der gefährdeten Partei (in der Folge „Antragsgegnerinnen“) sind Anbieter von mobilen Internetanschlüssen in Österreich und ermöglichen ihren Kunden mit Endgeräten (wie zB Smartphones und Tablets) den Zugang zum World Wide Web. Die Antragsgegnerinnen sind daher Zugangsvermittler (Access-Provider) im Sinn des ECG und sorgen für die technische Verbindung ihrer Kunden ins Internet, darunter auch zu den unter folgenden URLs erreichbaren Webseiten: http://thepiratebay.se, http://thepiratebay.gd, http://thepiratebay.la, http://thepiratebay.mn, http://thepiratebay.mu, http://thepiratebay.sh, http://thepiratebay.tw, http://thepiratebay.fm, http://thepiratebay.ms, http://thepiratebay.vg, http://isohunt.to, http://1337x.to und http://h33t.to.

Die Antragsgegnerinnen ermöglichen ihren Kunden somit auch den Abruf der auf diesen Webseiten angebotenen Inhalte und die Kommunikation bzw Datenübertragung zwischen ihren Kunden und Dritten im Internet über diese Webseiten. Bei den genannten Webseiten handelt es sich um BitTorrent-Plattformen im eingangs beschriebenen Sinn. Die Antragsgegnerinnen wurden vor Einbringung des Sicherungsantrags außergerichtlich aufgefordert, eine Unterlassungserklärung im Sinne des Sicherungsantrags abzugeben, haben dies jedoch abgelehnt.

Die Antragstellerin begehrt, gestützt auf § 81 Abs 1a UrhG, den Antragsgegnerinnen ab sofort zu verbieten, ihren Kunden Zugang zu den zuvor genannten Webseiten zu vermitteln, wenn über diese Seiten Schallträgeraufnahmen aus dem Repertoire der Antragstellerin ohne Zustimmung der Berechtigten öffentlich, sohin auch den Kunden der Antragsgegnerinnen, zur Verfügung gestellt werden, wobei sich das begehrte Verbot insbesondere auf die Mitwirkung der Antragsgegnerinnen als Zugangsvermittlerinnen an der öffentlichen Zugänglichmachung von Schallträgeraufnahmen einzeln genannter Produzenten mit einzeln genannten Interpreten erstreckt, wie sie zu näher genannten Zeiten über diese BitTorrent-Plattformen zum Download abrufbar waren.

Die Antragsgegnerinnen beantragen die Abweisung des Sicherungsantrags. Bis auf den Download der BitTorrent-Dateien fänden alle anderen Schritte bis zum Abspielen des Musikstücks unabhängig von den hier gegenständlichen Webseiten und unabhängig von den Antragsgegnerinnen statt. Die Webseiten dienten nur als Index-Seiten, auf denen Internetnutzer nach Musiktiteln suchen könnten, enthielten selbst keine geschützten Inhalte und ermöglichten auch keine Verlinkung auf geschützte Inhalte. Werde ein dort indizierter Titel angeklickt, führe dies nicht zur Wiedergabe einer geschützten Datei, sondern nur zu einer BitTorrent-Datei, die keinem Urheberrechtsschutz unterliege. Trotz Sperre der verfahrensgegenständlichen Webseiten blieben die BitTorrent-Dateien weiterhin für jedermann zugänglich, weil sie auch auf einer Vielzahl anderer Webseiten und über andere Quellen verfügbar seien. Anders als bei Streaming-Webseiten liege kein strukturell rechtsverletzendes Angebot vor. Bei Stattgabe des Sicherungsantrags käme es in signifikantem Ausmaß zu einem in die Informationsfreiheit eingreifenden „Overblocking“ legaler Inhalte. Die angestrebte Sperre sei ineffizient und führe zu einem unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand.

III. Bisheriger Verfahrensgang

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und trug der Antragstellerin gemäß § 391 Abs 2 EO auf, die Rechtfertigungsklage binnen sechs Wochen ab Zustellung des verfahrensbeendenden Beschlusses der letzten Instanz im vorliegenden Sicherungsverfahren einzubringen.

Das Erstgericht hielt für bescheinigt, dass es auf den gesperrten Webseiten „in großem Umfang“ zur „massenweisen Vermittlung illegaler Musikvervielfältigungen kommt“, wobei es im Sicherungsverfahren ohne Sachverständigengutachten nicht möglich sei, das exakte Verhältnis zwischen legalen und illegalen Angeboten zu bestimmen. Die Betreiber der verfahrensgegenständlichen Webseiten ermöglichten, erleichterten, förderten und organisierten das ungenehmigte öffentliche Zugänglichmachen des Repertoires der Antragstellerin und griffen in deren Recht auf öffentliche Zurverfügungstellung und Vervielfältigung ein. Dabei sei es unerheblich, ob die Betreiber selbst solche Handlungen setzten oder bloß Links zur Verfügung stellten. Die Beklagten leisteten als Access‑Provider einen zwingenden und technisch unverzichtbaren Beitrag zu den Urheberrechtsverletzungen und wirkten daran mit, weshalb sie gemäß § 81 Abs 1a UrhG verpflichtet seien, über Aufforderung die Vermittlung des Zugangs zu diesen Webseiten einzustellen. Sie könnten sich auch nicht auf ein „Overblocking“ berufen, weil die Webseiten strukturell rechtsverletzend seien, was sich schon daraus ergäbe, dass dort ein massenweises illegales Downloadangebot aufbereitet werde. Schon durch den Auftritt dieser Seiten („piratebay“) werde offensichtlich, dass deren Betreiber Wert darauf legten, von ihren Kunden als mögliche Plattformen für Rechtsverletzungen wahrgenommen zu werden. Ein Eingriff in das Grundrecht der Informationsfreiheit läge erst dann vor, wenn die Rechtsverletzungen gegenüber legalen Informationsinhalten in den Hintergrund träten, was nicht bescheinigt sei.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs wegen der Erheblichkeit der Frage der Zumutbarkeit von Prüf- und Sperrpflichten zulässig sei. Im Anschluss an jüngere Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (I ZR 174/14 und I ZR 3/14) führte das Rekursgericht aus, dass eine Verpflichtung von Zugangsvermittlern zur Sperre von Webseiten als ultima ratio nach europarechtlichen Grundsätzen nur dann in Betracht komme, wenn Rechteinhaber zuvor zumutbare Anstrengungen unternommen hätten, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die die Rechteverletzung selbst begangen oder dazu beigetragen haben. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten habe der Rechteinhaber in zumutbarem Umfang Nachforschungen – etwa durch Beauftragung einer Detektei oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden im Wege der Strafanzeige – vorzunehmen. Im Lichte dieser auch im Anlassfall geltenden Grundsätze müsse der Sicherungsantrag schon deshalb erfolglos bleiben, weil kein ausreichendes Vorbringen zur Inanspruchnahme der vorrangig zu belangenden unmittelbaren Rechtsverletzer erstattet worden sei. Die Antragstellerin habe zwar vorgebracht, dass jene Teilnehmer an den Plattformen, die über diese Portale Inhalte speichern oder anbieten, nur mit Nick-Namen aufträten und ihre IP‑Adressen im Inland vom Provider nicht beauskunftet werden dürften, weshalb sie nicht zu identifizieren seien, doch handle es sich dabei nur um eine allgemeine Behauptung juristischer Nichtgreifbarkeit, was bei Abwägung der Grundrechte zu berücksichtigen sei.

IV. Revisionsrekurs

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Begehren, die erstgerichtliche einstweilige Verfügung wiederherzustellen; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegnerinnen beantragen in ihren Revisionsrekursbeantwortungen, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben. Gleichzeitig regen sie an, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren wegen Gleichheitswidrigkeit des § 81 Abs 1a UrhG einzuleiten und ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des Unionsrechts an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu richten.

Der Senat hat das Revisionsrekursverfahren mit Beschluss vom 3. 5. 2017 zu 4 Ob 175/16p bis zur Entscheidung des EuGH über das vom Hoge Raad der Nederlanden am 18. 11. 2015 gestellte Vorabentscheidungsersuchen (Rs C‑610/15 ) unterbrochen. Nachdem diese Entscheidung am 14. 6. 2017 ergangen ist und die Antragstellerin am 16. 6. 2017 einen Fortsetzungsantrag gestellt hat, ist das Verfahren hiermit fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Zwar ist nach der Entscheidung 8 Ob 590/78 (= SZ 51/153 = RIS-Justiz RS0002455) der gefährdeten Partei das Rechtsschutzinteresse an der Wiederherstellung einer einstweiligen Verfügung zu versagen, wenn die für die Rechtfertigungsklage gesetzte Frist fruchtlos verstrichen ist. Hier hat das Erstgericht allerdings der Antragstellerin gemäß § 391 Abs 2 EO aufgetragen, die Rechtfertigungsklage erst binnen sechs Wochen ab Zustellung des verfahrensbeendenden Beschlusses der letzten Instanz im vorliegenden Sicherungsverfahren einzubringen. Diese Frist hat noch nicht zu laufen begonnen, weshalb dem Rechtsmittel trotz bisher nicht eingebrachter Rechtfertigungsklage die Beschwer nicht fehlt.

Die im Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen, ob das Bereitstellen und Betreiben einer BitTorrent-Plattform mit dem Zweck des Online‑Filesharing eine den Urhebern vorbehaltene „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (InfoRL) ist und ein Access-Provider unter den gegebenen Umständen mittels Sperrverfügung dazu verhalten werden darf, den Zugang zu solchen Webseiten zu sperren, sind erheblich iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO.

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

V. Rechtliche Beurteilung

1. Das Bereitstellen und Betreiben einer BitTorrent-Plattform mit dem Zweck des Online‑Filesharing unter den Nutzern dieser Plattform ist eine den Urhebern vorbehaltene „öffentliche Wiedergabe“.

1.1. § 18a UrhG, der Art 3 InfoRL innerstaatlich umsetzt, gibt dem Urheber das ausschließliche Recht, das Werk der Öffentlichkeit drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise zur Verfügung zu stellen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Wegen des europarechtlichen Charakters der InfoRL sind § 18a UrhG und dessen Begriffe richtlinienkonform, das heißt als Begriffe des Unionsrechts autonom und einheitlich auszulegen (EuGH C-306/05 , SGAE/Rafael, Rz 82, 91 ff).

1.2. Wer unbefugt Sprachwerke, Lichtbilder oder Filmwerke in einen Internetauftritt zum interaktiven Abruf eingliedert, verstößt gegen das Verwertungsrecht des § 18a UrhG (RIS‑Justiz RS0121495). Der Öffentlichkeitsbegriff stellt dabei nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 393/86) nicht nur auf gleichzeitige Öffentlichkeit ab, sondern auch auf eine sukzessive Öffentlichkeit, bei der die Betrachtung der Anzahl der Nutzer über einen längeren Zeitraum erfolgt (vgl Gaderer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 18a UrhG Rz 14). Ebenso wird in der Rechtsprechung des EuGH ein Eingriff in Urheberrechte durch Zugänglichmachen im Internet auch dann bejaht, wenn dieser Zugang derart ausgestaltet ist, dass Nutzer an Orten und zu Zeiten ihrer Wahl auf die geschützten Werke zugreifen können (C-527/15 , Stichting Brein/Wullems, Rz 36 mwN).

1.3. In seiner jüngst ergangenen Entscheidung C‑610/15 , Stichting Brein/Ziggo BV (die auch Anlass der Unterbrechung des Revisionsrekursverfahrens war) hat sich der EuGH ausführlich mit dem Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Zusammenhang mit dem Betrieb einer BitTorrent-Plattform beschäftigt. Der Gerichtshof führt aus, dass Art 3 der InfoRL den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ selbst nicht erläutert, weshalb er nach seinem Sinn und seiner Tragweite mit Blick auf die Ziele auszulegen ist. Schon die Erwägungsgründe 9 und 10 der InfoRL schreiben explizit vor, dass ein hohes Schutzniveau angestrebt wird, um Künstlern für ihre Wertschöpfung eine angemessene Vergütung zukommen zu lassen. Erwägungsgrund 23 stellt klar, dass die „öffentliche Wiedergabe“ weit zu verstehen ist und jegliche Formen der drahtlosen und drahtgebundenen Wiedergaben erfasst werden sollen. Für die Auslegung des Begriffs bedarf es einer individuellen Beurteilung mehrerer Kriterien, die unselbstständig und miteinander verflochten sind. Einerseits muss eine „Handlung“ des Nutzers vorliegen, die eine öffentliche Wiedergabe darstellen könnte. Es handelt sich dann um eine „Wiedergabe“, wenn der Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das ausgestrahlte Werk nicht oder nur schwer empfangen könnten (Rz 26). Letzlich gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ auch die Bereitstellung und das Betreiben einer Filesharing-Plattform im Internet erfasst, die durch die Indexierung von Metadaten zu geschützten Werken und durch das Anbieten einer Suchmaschine den Nutzern dieser Plattform ermöglicht, diese Werke aufzufinden und sie im Rahmen eines Peer-to-peer-Netzes zu teilen (Rz 39).

1.4. In diesem Sinne wird auch im Schrifttum das unberechtigte Zurverfügungstellen von geschützten Werken auf BitTorrent-Plattformen als Eingriff in § 18a UrhG beurteilt (Gaderer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 18a UrhG Rz 34 mwN auch zur vergleichbaren Rechtsprechung des BGH).

1.5. Mit einer ähnlichen Frage befasste sich der EuGH zuletzt auch in der Rechtssache C‑160/15 , GS Media. Dort hatte der Gerichtshof die Frage, ob eine Linksetzung, bei der Nutzer, die auf den Link klickten, zu einer weiteren Seite verbunden wurden, auf der urheberrechtlich geschützte Nacktfotos der Zeitschrift Playboy zum Download zur Verfügung standen, eine „öffentliche Wiedergabe“ iSd Art 3 der RL 2001/29/EG ist, bejaht. Die Ähnlichkeit der technischen Vorgehensweise in diesem Fall zu BitTorrent‑Plattformen liegt darin, dass die Betreiber der Webseite in beiden Fällen selbst keine urheberrechtlich geschützten Werke zur Verfügung stellten, sondern nur weiterführende Hinweise zu Seiten vermittelten, auf denen die geschützten Werke zur Verfügung standen.

1.6. Zusammenfassend steht es somit der Beurteilung eines Internet-Sachverhalts als „öffentliche Wiedergabe“ nicht entgegen, dass vom Handelnden selbst kein urheberrechtlich geschütztes Material abrufbar gehalten oder übertragen wird. Es genügt vielmehr das technische Erleichtern oder Fördern der Urheberrechtsverletzung, wenn– wie hier – die sonstigen entsprechenden Tatbestandselemente vorliegen und sich der Betroffene bewusst war (oder es ihm zumindest bewusst hätte sein müssen), dass er einen Beitrag zur Urheberrechtsverletzung leistet. Das Erfordernis eines Wissenselements beim Handelnden wurde vom EuGH in der Rechtssache GS Media1 deswegen zutreffend ins Spiel gebracht, weil es bei einer Linksetzung zu einer anderen Webseite ja jederzeit technisch leicht möglich ist, den Inhalt der verlinkten Webseite zu verändern, wodurch aus ursprünglich „legalen“ Links „illegale“ Links werden können. Eine öffentliche Wiedergabe iSd Art 3 der RL 2001/29/EG liegt nach der im Einzelfall anzustellenden Beurteilung deshalb nur dann vor, wenn der Linksetzer auch von der Unerlaubtheit des Inhalts, den er verlinkt hat, gewusst hat oder wissen hätte müssen. Am Vorliegen dieser Voraussetzung kann auch im Anlassfall kein Zweifel sein, haben doch die Betreiber der entsprechenden Plattformen die dort aufrufbaren „Torrents“ mit dem entsprechenden Inhalt indiziert und damit bewusst angepriesen, welches Verhalten voraussetzt, dass sie die hinter den Torrents stehenden (geschützten) Inhalte kannten.

2. Ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch besteht auch gegen Vermittler, die einen Beitrag zu einer Rechtsverletzung im Internet leisten.

2.1. Nach § 81 Abs 1a UrhG, der Art 8 Abs 3 InfoRL in das nationale Recht umsetzt, können auch Vermittler (wozu auch Access-Provider zählen: vgl 4 Ob 71/14s; 4 Ob 22/15m) auf Unterlassung der Verletzung von Ausschließungsrechten geklagt werden, wenn sich derjenige, der eine solche Verletzung begangen hat, der Dienste eines solchen bedient; falls die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Verantwortlichkeit nach den §§ 1317 ECG vorliegen, bedarf die Klagsführung der vorherigen Abmahnung. Auf eine eigene Verletzungshandlung des Vermittlers kommt es dabei nicht an (Dillenz/Gutman, Praxiskommentar Urheberrecht² § 81 Rz 20).

2.2. Nach Schrifttum (Ofner in Kucsko/Handig, urheber.recht² § 81 UrhG Rz 34 ff mwN; Beimrohr, Internetsperren zur Durchsetzung des Urheberrechts – Die Entscheidung des EuGH zum Fall UPC Telekabel Wien/kino.to, jusIT 2014, 83, 84) und Rechtsprechung (4 Ob 41/09x; 4 Ob 6/12d) handelt es sich bei Vermittlern um Dienstleister, die im Rahmen der Informationsgesellschaft einen Zugang zu einem Netz vermitteln, um Daten zwischen Dritten zu übertragen. Davon erfasst sind jedenfalls Access‑Provider, also Anbieter, die Nutzern den Zugang zum Internet verschaffen (und zwar sowohl der Anbieter, der dem Rechtsverletzer einen Zugang zum Internet ermöglicht, als auch derjenige, der dem Nutzer des geschützten Werks einen Internetzugang ermöglicht). Die Antragsgegnerinnen sind daher Vermittler iSd § 81 Abs 1a UrhG und können grundsätzlich zur Unterlassung verpflichtet werden.

2.3. § 81 Abs 1a UrhG anerkennt zwar das Haftungsprivileg der §§ 13 ff ECG, doch kann auch für den privilegierten Fall eine Inanspruchnahme auf Unterlassung erfolgen, wenn der Klagsführung eine Abmahnung vorausging (vgl auch 4 Ob 140/14p). Aus § 19 ECG folgt, dass Ansprüche zur Beseitigung von Rechtsverletzungen (darunter fällt auch der Unterlassungsanspruch nach § 81 UrhG: Zankl, Kommentar zum E-Commerce-Gesetz² § 19 Rz 369) vom Haftungsprivileg unberührt bleiben. Sobald ein Vermittler aufgrund einer Abmahnung Kenntnis von einer Verletzungshandlung hat, stehen ihm die Haftungsausschlüsse des ECG nicht mehr zu (Ofner in Kucsko/Handig, urheber.recht² § 81 UrhG 34 ff; Dillenz/Gutman, Praxiskommentar Urheberrecht² § 81 Rz 24; RIS-Justiz RS0129808). Im Anlassfall steht das Haftungsprivileg nach ECG einer Sperranordnung nicht entgegen, weil die Antragsgegnerinnen in einem vorprozessualen Aufforderungsschreiben über die Sachlage und deren Rechtswidrigkeit informiert worden sind.

3. Die Voraussetzungen einer Sperrverfügung gegen Zugangsvermittler liegen vor.

3.1. Der EuGH hat in der Entscheidung C‑314/12 , UPC Telekabel, die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs des Rechteinhabers gegen den Access-Provider nach Art 8 Abs 3 InfoRL näher bestimmt und ua ausgesprochen, dass Sperranordnungen gemäß Art 8 Abs 3 InfoRL im Einklang mit den Grundrechten stehen und insbesondere die unternehmerische Freiheit von Anbietern von Internetzugangsdiensten wahren müssen. Im Fall der Kollision mehrerer Grundrechte ist auf ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen untereinander sowie gegenüber allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, wie etwa dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu achten (Rz 45 f). Insbesondere dann, wenn sich auf der von der Sperranordnung betroffenen Webseite nicht nur urheberrechtlich geschützte Inhalte befinden, sondern auch „legale Inhalte“ betroffen wären, ist eine Sperrverfügung dennoch zulässig, wenn eine ausgewogene Abwägung zwischen den entsprechenden Interessen, insbesondere den Grundrechten, stattfindet (EuGH C-314/12 , UPC Telekabel, Rz 64; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts zu EuGH C-314/12 Rz 93).

3.2. Auch im vorliegenden Fall ist das nach Art 17 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) als geistiges Eigentum geschützte Urheberrecht der von der Antragstellerin vertretenen Rechteinhaber sowie deren Recht auf wirksame Rechtsdurchsetzung (Art 47 GRC) dem Grundrecht der Internetnutzer und Webseitenbetreiber sowie der Antragsgegnerinnen auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit gemäß Art 11 GRC und auf unternehmerische Freiheit gemäß Art 16 GRC gegeneinander abzuwägen (vgl Nazari‑Khanachayi, Access-Provider als urheberrechtliche Schnittstelle im Internet, GRUR 2015, 115).

3.3. Die Frage des Eingriffs einer Sperrverfügung in die genannten Grundrechte von Access-Providern stellt sich in dieser Schärfe vor allem dann, wenn auf der zu sperrenden Webseite auch legale Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Werden hingegen auf einer Webseite nur oder nahezu ausschließlich urheberrechtlich geschützte Werke zur Verfügung gestellt (wie etwa in dem der Entscheidung 4 Ob 71/14s, kino.to zugrundeliegenden Fall), ist kaum eine Abwägung erforderlich, weil diesfalls eine Sperre nicht unverhältnismäßig in das Recht der Nutzer auf Zugang zu Informationen eingreifen würde. Ein Eingriff ist aber dann problematisch, wenn dadurch der Zugang zu rechtmäßigen Informationen beeinträchtigt wird (EuGH C-314/12 , UPC Telekabel, Rz 56).

3.4. In der Lehre sowie in der deutschen Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang auch auf das Mengenverhältnis zwischen rechtmäßigen und unrechtmäßigen Inhalten abgestellt (vgl Thiele, BGH: Haftung eines Access‑Providers für Urheberrechtsverletzungen Dritter, ZIIR 2016, 89 f; Leistner/Grisse, Sperrverfügungen gegen Access‑Provider im Rahmen der Störerhaftung [Teil 2], GRUR 2015, 109 f; BGH I ZR 174/14; BGH I ZR 3/14).

3.5. Dieser quantitative Ansatz allein greift allerdings zu kurz. Andernfalls könnten sich nach dem Charakter der Seite schon offensichtlich ganz schwerpunktmäßig auf Rechtsverletzungen zielende Angebote durch Manipulierung einer substanziellen Anzahl pro forma vorgehaltener rechtmäßiger Angebote der Inanspruchnahme entziehen (Leistner/Grisse, Sperrverfügungen gegen Access‑Provider im Rahmen der Störerhaftung [Teil 2], GRUR 2015, 109).

3.6. Zielführender ist es deshalb nach Auffassung des Senats vielmehr, bei der Grundrechtsabwägung in einer Gesamtschau neben quantitativen Elementen auch qualitative Kriterien zu berücksichtigen, indem auch der Wesensgehalt der auf der Webseite abrufbaren legalen Informationen in die Abwägung einbezogen wird. Legalen Informationen, die exklusiv über die betreffende Webseite zur Verfügung stehen, muss im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ein stärkeres Gewicht zukommen als solchen Inhalten, die auch auf anderen Seiten im Internet abrufbar sind und somit einen Informationsbedarf der Nutzer nicht exklusiv befriedigen können.

3.7. Einen derartigen qualitativen Ansatz verfolgt wohl auch der EGMR in Fragen des Eingriffs in Grundrechte und zur Informationsfreiheit, wenn er im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend The Pirate Bay (EGMR Nr 40397/12, GRUR Int 2013, 476) ausführt, dass bei der Beurteilung von Grundrechtseingriffen – wenn es um die Sperrung auch von legalen Inhalten geht – „the type of information“ von besonderer Bedeutung sei.

3.8. Dem in der Frage eines „Overblocking“ von Access-Providern gegen Sperrverfügungen vorgetragenen Argument, diese seien wirkungslos, weil auf anderen Seiten dieselben Inhalte ohne größeren Aufwand wieder hochgeladen werden könnten, lässt sich umgekehrt entgegenhalten, dass dies wohl ebenso für legale Inhalte gilt: Auch diese können problemlos auf einer nicht gesperrten Webseite wieder hochgeladen und den Nutzern somit uneingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

4.1. Der soeben aufgeworfenen Frage muss im Sicherungsverfahren allerdings nicht weiter nachgegangen werden. Hier hat es das Erstgericht auf Basis eines von der Antragstellerin vorgelegten Gutachtens als bescheinigt erachtet, dass es im Zusammenhang mit den klagsgegenständlichen Plattformen zur massenweisen Vermittlung illegaler Musikvervielfältigungen mittels indizierter BitTorrent-Dateien kommt und die Plattformen deshalb als strukturell rechtsverletzend zu beurteilen sind. Das Rekursgericht hat dieses Bescheinigungsergebnis übernommen und zutreffend ausgeführt, dass das exakte Verhältnis zwischen legalen und illegalen Anboten im Provisorialverfahren nicht möglich sei, sondern nur mit Sachverständigengutachten geklärt werden könne. Dieses Bescheinigungsergebnis ist unter dem Aspekt des Anscheinsbeweises unbedenklich.

4.2. Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrenszusammenhang steht (RIS-Justiz RS0040274). Er beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS‑Justiz RS0040266). Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS‑Justiz RS0040287). Er wird dadurch entkräftet, dass Tatsachen bewiesen werden, aus denen die konkrete Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs erschlossen werden kann. Das bloße Aufzählen anderer abstrakter Möglichkeiten reicht nicht aus (RIS‑Justiz RS0040272). Ob ein Anscheinsbeweis überhaupt zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der Beweislast und damit eine Frage der rechtlichen Beurteilung (vgl RIS‑Justiz RS0022624).

4.3. Die im Rahmen der Grundrechtsabwägung zu prüfende Tatfrage, ob die von der Sperrverfügung betroffenen Webseiten deshalb strukturell rechtsverletzend sind, weil sie zur massenweisen Vermittlung illegaler Musikvervielfältigungen beitragen, indem sie den Nutzern zur leichteren Auffindung gewünschter Musiktitel indizierte BitTorrent-Dateien zur Verfügung stellen, ist einem Anscheinsbeweis zugänglich. Der bescheinigte technische Sachverhalt ist typisch für Plattformen, die dazu beitragen, dem Nutzer eine Wiedergabe geschützter Musikwerke ohne Einwilligung der Berechtigten zu ermöglichen. Dazu kommen weiters die offensichtlich als Lockmittel eingesetzten Namen der Plattformen („thepiratebay“), die auf einen illegalen Zugang zu nicht gemeinfreien Werken hinweisen. Den Entlastungsbeweis der konkreten Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs (Vermittlung überwiegend legaler Inhalte und exklusiver Informationen) haben die Antragsgegner bisher nicht erbracht, weshalb die Sperrverfügung des Erstgerichts unter dem Aspekt der Grundrechtsabwägung zulässig ist.

5.1. Bisher gab es auf europäischer Ebene keine gesetzlichen Vorgaben für das Sperren von Webseiten; es war den Mitgliedstaaten bzw den jeweiligen Behörden vorbehalten, entsprechende Rahmenbedingungen oder Maßnahmen zu schaffen, um Rechtsverletzungen abzustellen oder zu verhindern (vgl Fötschl, Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage für Internetsperren aus rechtsvergleichender Sicht, MR-Int 2015, 99 [104 f]). Nunmehr hat der europäische Gesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der RL 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet einen unmittelbar anwendbaren Rechtsakt erlassen, der sich – wenn auch nicht ausdrücklich – mit Webseitensperren beschäftigt.

5.2. Die genannte Verordnung räumt dem Internet und seiner freien Zugänglichkeit generell einen hohen Stellenwert ein. Verkehrsmanagementmaßnahmen (dazu gehören auch das Blockieren oder Einschränken von Inhalten, Anwendungen oder Diensten) dürfen von Internetanbietern grundsätzlich nicht durchgeführt werden (Art 3 Abs 3). Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen solche Maßnahmen nur dann anwenden, wenn es erforderlich ist, „um Gesetzgebungsakten der Union oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften … zu entsprechen“ (Art 3 Abs 3 lit a). Zu diesen zählen auch urheberrechtliche Sperranordnungen, wie aus Erwägungsgrund 13 abzuleiten ist, der etwa gerichtliche Anordnungen, Entscheidungen von Behörden, strafrechtliche Vorschriften oder aber die Durchsetzung von Grundrechten und Grundfreiheiten aufzählt.

5.3. Regelungsgehalt der genannten Verordnung ist es somit, dass eine Sperre von Webseiten einer ausdrücklichen oder ausreichenden Rechtsgrundlage bedarf (vgl Fötschl, Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage für Internetsperren aus rechtsvergleichender Sicht, MR-Int 2015, 99 [105]). Dies ist hier mit § 81 Abs 1a UrhG der Fall. Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerinnen steht daher diese neue Verordnung der beantragten Sperrverfügung nicht entgegen.

6.1. Tragende Begründung der Abweisung des Sicherungsantrags durch das Rekursgericht war das Argument der Subsidiarität: Der Rechteinhaber müsse zuerst alles unternehmen, um auf das Verhalten des unmittelbaren Rechtsverletzers Einfluss zu nehmen, und könne erst dann, wenn dies erfolglos oder offenbar aussichtslos sei, Ansprüche gegen Vermittler geltend machen. Das Rekursgericht stützt sich mit dieser Auffassung auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (I ZR 174/14; I ZR 3/14). Die dortigen Klägerinnen versuchten in diesen Verfahren zwar zuerst gegen die unmittelbaren Rechtsverletzer vorzugehen, doch erwiesen sich die auf den Webseiten angegebenen Daten und Adressen als gefälscht, weshalb die einstweiligen Verfügungen gegen die Betreiber der Seiten nicht zustellbar waren. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs reichten diese Bemühungen nicht aus, es wären weitere Nachforschungen (etwa die Beauftragung eines Detektivs oder Nachforschungen im Rahmen eines durch Strafanzeige einzuleitenden Strafverfahrens) zumutbar gewesen. Die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Zugangsvermittler komme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht, wenn der Inanspruchnahme des Betreibers der Webseite jede Erfolgsaussicht fehle und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde. Dieser Auffassung des Bundesgerichtshofs schlossen sich die Antragsgegnerinnen und das Rekursgericht an.

6.2. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat im Vorabentscheidungsverfahren des EuGH zu C-314/12 , kino.to, auch der Generalanwalt (Schlussanträge Rz 107) und führte aus, der in seinen Rechten verletzte Urheber müsse vorrangig, „insoweit dies möglich ist, unmittelbar die Betreiber der rechtswidrigen Website … in Anspruch nehmen“. Der EuGH ist diesem Ansatz jedoch nicht gefolgt und hat ein direktes Vorgehen gegen den Access-Provider nicht davon abhängig gemacht, dass zuvor erfolglos versucht wurde, den unmittelbaren Täter auszuforschen und gegen ihn vorzugehen. Er hat damit keine „Subsidiarität“ des Anspruchs gegen den Access-Provider postuliert. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl 4 Ob 22/15m; 4 Ob 71/14s; 4 Ob 140/14p). Daran ist festzuhalten:

6.3. Auszugehen ist vom klaren Wortlaut des Gesetzes. § 81 Abs 1a UrhG bietet keine Grundlage für eine Subsidiarität des Anspruchs gegen einen Vermittler gegenüber dem Anspruch gegen den unmittelbaren Rechtsverletzer. Die genannte Bestimmung („... kann … auch geklagt werden“) gewährt dem Verletzten vielmehr einen direkten Anspruch, der unabhängig von einer Rechtsverfolgung des unmittelbaren Verletzers zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die österreichische Rechtsordnung in diesem Punkt entscheidend von jener in Deutschland, wo keine vergleichbare Norm besteht.

6.4. Im Übrigen besagen schon die europäischen Rechtsakte (vgl Erwägungsgrund 59 InfoRL), dass der Access-Provider derjenige ist, der am effektivsten einer Urheberrechtsverletzung ein Ende setzen kann, da er den Zugriff zum Internet bereitstellt. Dazu kommt, dass es Betreiber strukturell rechtsverletzender Webseiten gerade darauf anlegen, nicht ausgeforscht zu werden, oder ihre Leistungen aus Ländern anbieten, in denen die Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sind (im vorliegenden Fall ua Taiwan, Mikronesien, Laos und Tonga). So enthalten etwa die gegenständlichen Webseiten den ausdrücklichen Hinweis, dass eine Kontaktaufnahme aussichtslos ist, weil „Inhalte niemals entfernt werden“ (Gutachten Beil ./G 6). Der vom Erstgericht erlassenen Sperrverfügung kann daher auch nicht unter dem Aspekt der Subsidiarität entgegengetreten werden.

7.1. Die Anregung, einen Antrag zur Normenprüfung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu stellen, ist nicht aufzugreifen, weil die von den Beklagten im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz gehegten Bedenken vom Senat nicht geteilt werden. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber Internet-Sperrverfügungen zwar bei Urheberrechtsverletzungen ermöglicht, in anderen Fällen (gravierenderer) Rechtsverletzungen jedoch nicht (die Antragsgegnerinnen verweisen hier etwa auf Kinderpornografie und Terrorismus), macht § 81 Abs 1a UrhG noch nicht gleichheitswidrig, weil diese Norm alle Betroffenen gleich behandelt. Auch hat der VfGH schon wiederholt ausgesprochen, dass der Gleichheitssatz den Gesetzgeber nicht zu einem positiven Tun verpflichte und die Untätigkeit des Gesetzgebers gestützt auf dieses Grundrecht nicht bekämpft werden könne (VfSlg 3810/1960, 4150, 4277/1962). Auch darf der Gesetzgeber unterschiedliche Ordnungssysteme schaffen und ist nicht verpflichtet, verschiedene an sich ähnliche Rechtsinstitute oder Regelungsmaterien gleich zu behandeln (VfSlg 10.367/1985: grundsätzlich keine Vergleichbarkeit zwischen der ZPO und dem VwGH-Verfahrensrecht); dies muss auch für das Verhältnis von Zwangsmaßnahmen zur Abstellung von zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Rechtsverletzungen gelten.

7.2. Auch eine neuerliche Befassung des EuGH kann unterbleiben, da dieser mit den zuvor zitierten Entscheidungen ausreichende Klarheit geschaffen hat, um die hier anstehenden Rechtsfragen des Unionsrechts zu lösen.

7.3. Dem Revisionsrekurs ist somit Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist dahin abzuändern, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO.

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