Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als der Rekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 29. Juni 2010, GZ 2 P 263/09s-81, zurückgewiesen wurde.
Dem Rekursgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
1. Zur Bestellung eines Sachwalters für die Pflegebefohlene:
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 3. September 2009 (ON 12) bestellte das Erstgericht für die Pflegebefohlene RA Dr. K***** zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter mit dem Wirkungskreis der Vertretung in finanziellen Angelegenheiten sowie gegenüber Ämtern, Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartnern.
Am 13. Jänner 2010 gab RA Dr. M***** S***** dem Gericht bekannt, dass die Pflegebefohlene ihr am 11. Jänner 2010 Vertretungsvollmacht erteilt habe (ON 26).
Mit Beschluss vom 29. Jänner 2010 (ON 34) wurde RA Dr. K***** vom Erstgericht zum Sachwalter für die Pflegebefohlene bestellt und mit der Besorgung folgender Angelegenheiten betraut:
- finanzielle Angelegenheiten, Einkommens- und Vermögensverwaltung
- Vertretung vor Gerichten, Ämtern und Behörden sowie privaten Vertragspartnern
- Einwilligung zu medizinischen Heilbehandlungen
- Bestimmung des Aufenthaltsorts.
Mit Beschluss vom 24. März 2010 (ON 40) wurde der Wirkungskreis des einstweiligen Sachwalters auf alle Angelegenheiten, insbesondere Einwilligungen in medizinische Heilbehandlungen und Bestimmung des Aufenthaltsorts erweitert.
Das Rekursgericht entschied am 27. April 2010 (ON 70) über die Rekurse der durch RA Dr. M***** S***** vertretenen Pflegebefohlenen: Dem Rekurs gegen den Beschluss vom 29. Jänner 2010, ON 34, wurde nicht Folge gegeben. Dem Rekurs der Pflegebefohlenen gegen den Beschluss vom 24. März 2010, ON 40, gab das Rekursgericht teilweise Folge, indem es in Bezug auf die Erweiterung des Wirkungsbereichs die Wortfolge „auf alle Angelegenheiten“ ersatzlos behob.
Der Oberste Gerichtshof wies mit Beschluss vom 4. August 2010, AZ 3 Ob 141/10x, den außerordentlichen Revisionsrekurs der Pflegebefohlenen gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 27. April 2010 mangels erheblicher Rechtsfrage zurück; damit ist die Bestellung von RA Dr. K***** zum Sachwalter rechtskräftig.
2. Entscheidung des Erstgerichts über die Erteilung einer Weisung an den Sachwalter:
Mit Eingaben vom 6. Mai 2010 (ON 71) und vom 17. Mai 2010 (ON 73) beantragte RA Dr. S***** - unter Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht - dem einstweiligen Sachwalter die Weisung zu erteilen, Wochenend- oder Tagesausflüge der Pflegebefohlenen mit I***** zuzulassen, und dem Seniorenheim die Zustimmung zur Abholung der Pflegebefohlenen durch I***** zu erteilen.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 29. Juni 2010 (ON 81) im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das Gericht nur wichtige Maßnahmen in Bezug auf die Pflegebefohlene genehmigen, nicht aber dem Sachwalter aktiv Maßnahmen vorschreiben könne. Bei Tatenlosigkeit komme nur eine Enthebung des Sachwalters in Betracht. Zu einer Enthebung des bestellten Sachwalters RA Dr. K***** bestehe allerdings kein Anlass.
Gegen diesen Beschluss erhob die Pflegebefohlene, vertreten durch RA Dr. M***** S*****, Rekurs (ON 89), in dem sie sich gegen die Abweisung ihres Antrags wandte, mit dem Ziel, die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zu erreichen. In eventu beantragte sie die Bestellung eines anderen Sachwalters.
3. Entscheidung des Rekursgerichts:
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 14. September 2010 (ON 101) wies das Rekursgericht den im Namen der Pflegebefohlenen von RA Dr. M***** S***** erhobenen Rekurs mangels ausreichender Bevollmächtigung der Rechtsvertreterin zurück. Eine wirksame Bevollmächtigung zur Vertretung setze die Fähigkeit voraus, die Tragweite der sich abzeichnenden, vom Vollmachtsnehmer zu erledigenden Angelegenheiten zu erkennen und dessen Tätigkeit überwachend zu kontrollieren. Damit wäre es notwendig gewesen, dass die Pflegebefohlene zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung sämtlicher, dem Sachwalterbestellungsverfahren folgenden und zu erledigenden Angelegenheiten zu überwachen. Unter Bedachtnahme auf den Akteninhalt erscheine es ausgeschlossen, dass die Pflegebefohlene zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung deren gesamte Tragweite zu überblicken vermocht habe. Am 11. Jänner 2010 sei im Übrigen bereits mit rechtskräftigem Beschluss vom 3. September 2009 ein Sachwalter bestellt gewesen, der seinerseits die Anwältin bevollmächtigen hätte müssen, weil die Pflegebefohlene dazu nicht mehr in der Lage gewesen sei; der Sachwalter habe aber der Bevollmächtigung seine Genehmigung versagt.
4. Revisionsrekurs (ON 108):
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Pflegebefohlenen, vertreten durch RA Dr. S*****, in dem sie sich gegen die Ansicht des Rekursgerichts wendet, die Bevollmächtigung Dris. S***** sei nicht wirksam. Da vom Gesetz nicht vorgesehen sei, dass das Gericht Weisungen an den Sachwalter erteilte, wäre mit einer Sachwalterumbestellung vorzugehen, was beim Obersten Gerichtshof beantragt werde.
Rechtliche Beurteilung
5. Der Revisionsrekurs ist - entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts - im Hinblick darauf zulässig, dass das Rekursgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer Vollmachtserteilung der Pflegebefohlenen abgewichen ist; er ist auch im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung berechtigt.
5.1. Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist jeder im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene Beschluss des Rekursgerichts bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage an den Obersten Gerichtshof anfechtbar. Im AußStrG gibt es keine dem § 519 Abs 1 Z 1 ZPO vergleichbare Regelung, sodass auch Beschlüsse, die einen Antrag ohne Sachentscheidung aus rein formalen Gründen zurückweisen, nur bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage anfechtbar sind (RIS-Justiz RS0120974, RS0120565 [T10], [T11] und [T12]).
5.2. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Wirksamkeit der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts voraus, dass die pflegebefohlene Person bei der Vollmachtserteilung fähig war, den Zweck der dem Rechtsvertreter erteilten Vollmacht zu erkennen. Nur bei offenkundiger Unfähigkeit zu dieser Erkenntnis ist die Bevollmächtigung unwirksam (7 Ob 607/86; 4 Ob 100/09y; RIS-Justiz RS0008539).
5.3. Zwar bildet die Frage, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 133/00b; 1 Ob 90/06a = RIS-Justiz RS0008539 [T7]). Im konkreten Fall bestehen allerdings gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, zumal die von der Rechtsprechung geforderte Offenkundigkeit der fehlenden Einsichtsfähigkeit in Bezug auf die Bevollmächtigung der Rechtsanwältin durch die Pflegebefohlene am 11. Jänner 2010 nach der Aktenlage nicht vorliegt.
5.4. So hat der einstweilige Sachwalter RA Dr. K***** in seinem Antrittsbericht vom 14. Jänner 2010 (ON 28) ausgeführt, dass sich die Pflegebefohlene verbal gut äußern und ihren Willen kundtun kann, wenn auch mit der Einschränkung, dass sich das täglich ändern könne. RA Dr. S***** ihrerseits hat mit Eingabe vom 12. Jänner 2010 angezeigt, dass die Pflegebefohlene ihr am 11. Jänner 2010, also drei Tage vor dem Antrittsbericht des einstweiligen Sachwalters, Vertretungsvollmacht erteilt habe. Im außerordentlichen Revisionsrekurs (ON 108) schildert RA Dr. S*****, dass ihr die Pflegebefohlene am 11. Jänner 2010 anlässlich deren Besuchs in der Kanzlei nach einem langen Gespräch den klaren Auftrag zur Übernahme des Mandats erteilt habe. Die Betreuerin der Pflegebefohlenen hat am 24. März 2010 angegeben, dass die Pflegebefohlene nicht dement sei und noch genau wisse, was sie wolle (ON 39). Das Erstgericht hat darüber hinaus im Namen der Pflegebefohlenen eingebrachte Eingaben Dris. S***** inhaltlich behandelt (siehe ON 33, 61, 66, 71 und 78) und hatte offensichtlich keine Bedenken bezüglich einer offenkundigen Unfähigkeit einer Mandatserteilung.
6. Da es im konkreten Fall an ausreichenden Anhaltspunkten dafür fehlt, dass die Pflegebefohlene offenkundig unfähig wäre, den Zweck einer Vollmachtserteilung zu erfassen, ist von ihrer Wirksamkeit auszugehen.
Das Rekursgericht wäre daher gehalten gewesen, sich mit dem Rekurs der Pflegebefohlenen inhaltlich auseinanderzusetzen, was im fortgesetzten Verfahren nachzuholen ist.
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