Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Bekanntgabe des Schätzwerts (§§ 144, 145 EO) aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Gegenstand des Exekutionsverfahrens ist die Zwangsversteigerung einer Liegenschaft des Verpflichteten; auf das Verfahren sind die Bestimmungen der EO idFd EO-Nov 2000 anzuwenden.
In einem früheren, gem § 151 Abs 3 EO mangels Erscheinens von Bietern beim Versteigerungstermin eingestellten Zwangsversteigerungsverfahren war diese Liegenschaft mit 12 Mio S (= 872.074,01 EUR) bewertet worden.
Nunmehr wurde den Parteien nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Beschluss vom 6. Februar 2002 der Schätzwert gemäß § 144 EO mit 9 Mio S = 654.055,51 EUR bekannt gegeben.
Nach Erhebung von Einwendungen ua des Verpflichteten und Einholung eines weiteren, von einem anderen Sachverständigen erstellten Gutachtens, in dem ein Schätzwert von 425.000 EUR ermittelt worden war, gab das Erstgericht den Parteien bekannt, dass im weiteren Verfahren (wie bisher) von einem Schätzwert von 654.055,51 EUR ausgegangen werde, weil der Verpflichtete durch seine Einwendungen nicht schlechter gestellt werden könne.
Die betreibende Partei beantragte hierauf, dem Verfahren das zuletzt erstattete Gutachten zugrunde zu legen und diesbezüglich beschlussmäßig abzusprechen.
Das Erstgericht wies den Antrag auf beschlussmäßige Festsetzung des Schätzwerts ab, weil dieser Beschluss im Gesetz nicht vorgesehen sei, und erließ das Versteigerungsedikt, in dem der Schätzwert mit 425.000 EUR, das geringste Gebot mit 212.500 EUR und das Vadium mit 42.500 EUR angegeben wurden.
Erst nach Erlassung des Versteigerungsedikts trat der Verpflichtete mit Schriftsatz vom 20. März 2003 dem Antrag der betreibenden Partei entgegen.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Verpflichteten gegen das Versteigerungsedikt in Ansehung des Schätzwertes und der davon abhängenden Höhe des geringsten Gebots und des Vadiums zurück und vertrat die Rechtsansicht, bestehe gegen die iSd §§ 144, 145 EO vorgenommene Zugrundelegung des Schätzwerts kein Rechtsmittel, dann sei nach formaler Durchführung eines im Gesetz nicht näher geregelten Verfahrens nach § 145 EO eine Überprüfung des Schätzwerts im Rechtsmittelverfahren nicht zulässig.
Das Rekursgericht sprach aus, der Entscheidungsgegenstand betreffend die Divergenz betreffend den Schätzwert übersteige 20.000 EUR und der Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch die Meinung vertreten werden könnte, dass für den Fall, als das Gericht aufgrund der gepflogenen Erhebungen zu einem anderen Schätzwert komme, dieser neuerlich unter Setzung einer Einwendungsfrist bekanntzugeben sei, und der vorliegende Fall von der offensichtlich im Gesetz nicht bedachten Besonderheit gekennzeichnet sei, dass der auf Erhöhung des zunächst bekannt gegebenen Schätzwerts abzielende Antrag des Verpflichteten zunächst mit einer unveränderten Bewertung, im Versteigerungsedikt aber in überraschender Abkehr von dieser eigenen Bewertung und ohne Begründung mit einer enormen Herabsetzung beschieden worden sei, demnach in diesem Sonderfall die Anfechtbarkeit des im Versteigerungsedikt überraschenderweise extrem niedrig veranschlagten Schätzwerts bejaht werden könnte.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Verpflichteten ist zulässig und berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 3 Ob 236/02f = EvBl 2003/30 = immolex 2003/96 = NZ 2003/56 = ZIK 2003/52, 3 Ob 214/02w = JBl 2003, 321 = RdW 2003/126 = RZ 2003/4, 3 Ob 14/03k und 3 Ob 8/03b (RIS-Justiz RS0116953) die nunmehr nach der EO-Nov 2000 für die Ermittlung des Schätzwerts geltende Rechtslage im Wesentlichen folgendermaßen dargelegt:
Gemäß § 144 EO ist dem Verpflichteten, dem betreibenden Gläubiger sowie allen Personen, für die nach dem Inhalt der dem Gericht darüber vorliegenden Urkunden auf der Liegenschaft dingliche Rechte und Lasten begründet sind, der Schätzwert bekanntzugeben. Sie sind gleichzeitig aufzufordern, ihre Einwendungen binnen einer festzusetzenden Frist geltend zu machen. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 144 EO idF EO-Nov 2000 (RV, 93 BlgNR 21. GP) wird zur Beschleunigung des Verfahrens vorgesehen, dass - wie im Fahrnisexekutionsverfahren - der Schätzwert nicht mehr beschlussmäßig festgesetzt wird; er ist nach allfälliger Ergänzung, Richtigstellung und Verbesserung (vgl § 145 EO) dem Zwangsversteigerungsverfahren zugrunde zu legen. Nach wie vor ist aber dem Verpflichteten, dem betreibenden Gläubiger sowie den dinglich Berechtigten der Schätzwert bekanntzugeben. Diese können binnen der zu setzenden Frist Einwendungen gegen das Gutachten erheben, aufgrund derer allenfalls nach § 145 EO vorzugehen ist. Diese Bekanntgabe des Schätzwerts erfolgt zwar gemäß § 62 letzter Halbsatz EO in Form eines Beschlusses (so zutreffend Angst in Angst, EO, § 144 Rz 1), die Parteien des Exekutionsverfahrens und die in § 144 EO genannten Buchberechtigten haben jedoch kein Rekursrecht gegen diesen Beschluss, sondern nur die Möglichkeit, gegen den ihnen bekanntgegebenen Schätzwert Einwendungen zu erheben (Angst aaO § 144 Rz 2; Neumayr in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 144 Rz 2 f). Gemäß § 145 EO hat das Exekutionsgericht spätestens nach Ablauf der Frist zur Erstattung von Einwendungen gegen den Schätzwert alle nötigen Ergänzungen, Richtigstellungen und Verbesserungen des Schätzungsgutachtens von Amts wegen zu veranlassen. Selbst wenn also Einwendungen gemäß § 144 EO erhoben werden, ist die beschlussmäßige Festsetzung des Schätzwerts nicht (mehr) vorgesehen; es ist über die Einwendungen auch dann nicht beschlussmäßig zu entscheiden, wenn sie der Richter als unzulässig oder unberechtigt ansieht. Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz solche Beschlüsse nicht erwähnt und dass dies offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers entspricht, weil sonst die von ihm angestrebte Beschleunigung des Verfahrens gefährdet wäre. Hält der Richter Einwendungen für unzulässig oder unberechtigt, hat er daher hierüber nicht zu entscheiden. Aber auch wenn der Richter Einwendungen als berechtigt ansieht, führt dies nicht zur Erlassung eines Beschlusses, sondern erforderlichenfalls zur Einvernahme des Sachverständigen. Dem Verfahren ist dann ohne weiteres der letzte vom Sachverständigen allenfalls nach Ergänzung, Richtigstellung oder Verbesserung seines Gutachtens ermittelte Schätzwert zugrunde zu legen (Angst aaO § 145 Rz 1). Die Betroffenen haben daher mangels einer anfechtbaren Entscheidung keine Möglichkeit, sich mit einem Rechtsmittel gegen die entsprechende Annahme des Exekutionsgerichts zur Wehr zu setzen; es ist Sache der Bietinteressenten, die wahre Sach- und Rechtslage abzuschätzen. Diese Verminderung des Rechtsschutzes gegenüber der Rechtslage vor der EO-Nov 2000 hat der Gesetzgeber im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens und der darauf gegründeten Beseitigung des Beschlusses über die Festsetzung des Schätzwerts ganz offensichtlich in Kauf genommen (Angst aaO § 145 Rz 2). Die Sachverständigenhaftung nach § 1299 ABGB soll für den Entfall der Rekursmöglichkeit Ersatz bieten (vgl Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht3 Rz 275 f).
Mini (Die neue Zwangsversteigerung von Liegenschaften [2000] 80 ff) übt an dieser Regelung Kritik und meint, dass eine Richtigstellung des Schätzwerts dem Inhalt nach ein Beschluss sei. Dieser Ansicht kann, was die in § 145 EO geregelte Ergänzung der Schätzung betrifft, nicht gefolgt werden. In diesem Fall ist gerade keine Beschlussfassung im Gesetz vorgesehen; der vom Gericht als richtig angesehene Schätzwert ist vielmehr dem Verfahren zugrunde zu legen.
Die vom Erstgericht hier eingehaltene Vorgangsweise entspricht insofern nicht dem in § 145 EO vorgesehenen Normalfall der Ergänzung der Schätzung, als das Erstgericht über die danach vorgesehenen und von Amts wegen zu veranlassenden nötigen Ergänzungen, Richtigstellungen und Verbesserungen des Schätzungsgutachtens überhaupt ein weiteres Schätzungsgutachten eines anderen Sachverständigen eingeholt hat. In einem solchen, nach der EO nicht ausgeschlossenen Fall steht es dem Richter jedoch nicht frei, ohne vorherige Bekanntgabe des Schätzwerts, gegen den die in § 144 EO genannten Personen binnen einer festzusetzenden Frist Einwendungen erheben können, den Versteigerungstermin festzusetzen und das Versteigerungsedikt zu erlassen.
Hier hat das Erstgericht darüber hinaus den Parteien mitgeteilt, es werde dieses weitere von ihm eingeholte Gutachten nicht berücksichtigen und den - bereits früher den Parteien gemäß § 144 EO bekanntgegebenen - Schätzwert, der im ersten von ihm eingeholten Gutachten des zuerst bestellten Sachverständigen ermittelt wurde, dem Verfahren zugrunde legen. Jedenfalls aufgrund dieser Mitteilung bestand für den Verpflichteten keinerlei Veranlassung, gegen den im Gutachten des zweiten Sachverständigen ermittelten Schätzwert Einwendungen zu erheben; der Verpflichtete wurde hiezu auch vom Erstgericht nicht gemäß § 144 EO aufgefordert. Die Vorgangsweise des Erstgerichts, sodann ohne vorherige Mitteilung im Versteigerungsedikt doch entgegen dieser Ankündigung den im zweiten Gutachten ermittelten Schätzwert anzuführen, stellt eine Verletzung des auch im Exekutionsverfahren anerkannten Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Jakusch in Angst, EO, § 55 Rz 1; Angst aaO § 114 Rz 3, jeweils mwN der Rsp) dar, dessen Wahrung hier durch § 144 EO ausdrücklich vorgesehen ist.
Der Geltendmachung dieser Nichtigkeit des Verfahrens mit Rekurs gegen das Versteigerungsedikt, in dem die Angabe des Wertes der Liegenschaft gemäß § 170 Z 3 EO vorgesehen ist, steht auch § 239 Abs 1 Z 4 EO nicht entgegen, wonach ein Rekurs gegen Beschlüsse, durch welche der Versteigerungstermin bestimmt wird, nicht stattfindet. Wenn auch das Versteigerungsedikt an sich als bloß öffentliche Bekanntmachung von Umständen, die sich aus anderen Grundlagen ergeben, nicht anfechtbar ist, sind in ihm aber auch Teile enthalten, in denen das Exekutionsgericht erstmals etwas festlegt und die daher zwar nicht die Form, aber den Inhalt eines Beschlusses haben. Gegen diese als Beschluss zu wertenden Teile des Versteigerungsedikts ist gemäß § 65 Abs 1 EO der Rekurs zulässig (vgl Angst aaO § 170 Rz 11).
Wenn auch die Höhe des Schätzwerts mit einem Rekurs gegen das Versteigerungsedikt grundsätzlich nicht bekämpft werden kann (Angst aaO § 170 Rz 12), so kann doch mit einen solchen Rekurs insb die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Unterlassung der Aufforderung zur Geltendmachung von Einwendungen gegen den Schätzwert gemäß § 144 EO geltend gemacht werden.
Es ist daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des Verpflichteten das Versteigerungsedikt aufzuheben. Das Erstgericht wird nunmehr das Verfahren gemäß §§ 144, 145 EO durchzuführen haben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO, § 52 ZPO.
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