European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00204.15V.0120.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der Festsetzung der Enteignungsentschädigung mit insgesamt 42.700 EUR und der Entscheidung über die Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens unberührt bleiben, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass die beantragte Valorisierung der Enteignungsentschädigung abgewiesen wird und die Antragsgegnerin dem Antragsteller daher nur restliche 38.200 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen hat.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 1.639,44 EUR (darin enthalten 273,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung und die mit 1.966,68 EUR (darin enthalten 327,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Antragsteller ist Eigentümer einer in Wien gelegenen, mit einem viergeschoßigen Seitenflügelhaus bebauten Liegenschaft mit einer Gesamtfläche von 424 m². Mit Bescheid vom 6. 9. 2011, dessen Rechtskraft am 20. 10. 2011 bestätigt wurde, enteignete das Amt der Wiener Landesregierung zugunsten der Antragsgegnerin Flächen der Liegenschaft des Antragstellers zum Zweck des Ausbaus der U‑Bahn‑Linie U2. Die Enteignung erfolgte durch Einräumung einer Dienstbarkeit a) für einen Bereich von 23 m² auf Dauer zur Duldung sowohl der Errichtung als auch des Bestands und der Benützung einer U‑Bahn‑Tunnelröhre und b) für einen Bereich von 95 m² auf die Baudauer von 60 Monaten zur Duldung der Durchführung aller zum Ausbau des U‑Bahn‑Tunnels notwendigen Baumaßnahmen.
Die Behörde setzte eine von der Antragsgegnerin bezahlte Enteignungsentschädigung in Höhe von 4.500 EUR fest.
Die Bauarbeiten zur Verlängerung der U2 wurden bereits im September 2005 begonnen. Die Trasse der U‑Bahn‑Gleise verläuft nun unterhalb der Liegenschaft des Antragstellers, wodurch diese im Ausmaß von insgesamt 23 m² untertunnelt ist. Der Höhenabstand zwischen der Gelände- und der Tunneloberkante beträgt etwa 13,8 Meter.
Der im Vermögen des Antragstellers eingetretene Nachteil durch die Einräumung der Servitut beträgt zum Stichtag 20. 10. 2011 42.700 EUR.
Der Antragsteller begehrte die Festsetzung der Enteignungsentschädigung in angemessener Höhe, wobei die eingetretene Geldentwertung in Höhe von 19,9 % seit Beginn der U‑Bahn‑Bauarbeiten im August bzw September 2005, hilfsweise von 5,7 % seit November 2011, berücksichtigt werden möge.
Die Antragsgegnerin wendete ein, die Liegenschaft sei von der Dienstbarkeit nur in geringfügigem Ausmaß betroffen. Durch die U‑Bahn‑Röhre in einer Tiefe von rund 14 Metern werde die Nutzungsmöglichkeit überhaupt nicht eingeschränkt. Die Voraussetzungen für eine Aufwertung der Entschädigung lägen daher nicht vor.
Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung mit 42.700 EUR fest und verpflichtete die Antragsgegnerin zur Zahlung von 40.530,20 EUR, weil die restliche, dem Antragsteller nach Abzug der bereits geleisteten Zahlung von 4.500 EUR zustehende Entschädigung im Sinn der Entscheidung 1 Ob 138/13w um die zwischen Oktober 2011 (Rechtskraft des Enteignungsbescheids) und Dezember 2014 eingetretene Inflation von 6,1 % zu erhöhen sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge. Die Enteignungsentschädigung stehe dem Antragsteller für die Gesamtfläche der Liegenschaft zu. Bezüglich der vom Erstgericht zugesprochenen Wertsicherung komme in 1 Ob 138/13w (der jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Thema) folgender Grundsatz zum Ausdruck: Die Ausgleichsfunktion der Enteignungsentschädigung für das zwangsweise angeordnete Sonderopfer des gänzlichen oder teilweisen Entzugs von Eigentum werde ihrem Zweck dann nicht mehr gerecht, wenn sich der Geldwert seit dem maßgeblichen Zeitpunkt mehr als bloß unwesentlich verändert habe. Im Hinblick auf die dreijährige Dauer des Verfahrens erster Instanz und eine als nicht bloß unwesentlich zu beurteilende Geldentwertung von 6,1 % seit dem Stichtag stehe dem Antragsteller eine Inflationsabgeltung zu.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs begehrt die Antragsgegnerin die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Sachantrags; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist.
Dem Antragsteller wurde daher die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt, mit der er beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.
1. Gemäß § 6 EisbEG ist im Fall teilweiser Enteignung bei der Ermittlung des Entschädigungsbetrags auch auf die Wertminderung der dem Enteigneten verbleibenden Teile seines Grundbesitzes Bedacht zu nehmen. Dies gilt nach gefestigter Rechtsprechung auch dann, wenn ‑ wie hier ‑ nicht eine Liegenschaft enteignet, sondern nur im Enteignungswege über einen Teil derselben eine Dienstbarkeit begründet wird (RIS‑Justiz RS0057972; zuletzt 7 Ob 145/11s). Von dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen, indem sie ‑ den Ausführungen des Sachverständigen folgend ‑ bei Bemessung der Enteignungsentschädigung berücksichtigten, dass auch die zwischen den U-Bahn-Tunnelröhren liegende Fläche der Liegenschaft des Antragstellers indirekt durch die Servitut beeinträchtigt ist.
2. Der behauptete Mangel des Rekursverfahrens liegt nicht vor, weil sich das Rekursgericht ‑ ungeachtet seiner Ansicht, die Beweisrüge sei nicht gesetzmäßig ausgeführt ‑ ohnehin ausführlich mit den Einwänden der Antragsgegnerin gegen das Sachverständigengutachten auseinandergesetzt hat (vgl RIS‑Justiz RS0043150).
3. Gemäß § 33 EisbEG beginnt die 14‑tägige Leistungsfrist für die vom Eisenbahnunternehmen zu leistende Entschädigung, soweit hier relevant, mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Entschädigung. Kommt das Eisenbahnunternehmen seiner Verpflichtung nicht innerhalb der Leistungsfrist nach, hat es die gesetzlichen Verzugszinsen (erst) vom Beginn der Leistungsfrist an zu vergüten. Da der Antragsteller keine (über § 33 letzter Satz EisbEG hinausgehenden) Verzugszinsen begehrt hat, können allfällige verfassungsrechtliche Bedenken (vgl dazu die ‑ diese verneinende ‑ Entscheidung 1 Ob 138/13w) gegen diese Bestimmung hier von vornherein außer Betracht bleiben.
4.1. Gemäß § 4 Abs 1 EisbEG ist das Eisenbahnunternehmen verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile schadlos zu halten. Maßgeblicher Zweck der Entschädigung ist der Ausgleich der Vermögensdifferenz, die der Enteignete durch das ihm abverlangte Sonderopfer erleidet. Ihm soll nicht weniger, aber auch nicht mehr als der Unterschied zwischen seiner Vermögenslage vor und nach der Enteignung ausgeglichen werden (RIS‑Justiz
RS0010844). Dies gilt auch dann, wenn die Enteignung durch Einräumung einer Zwangsservitut verwirklicht wird (8 Ob 84/13f = RIS‑Justiz RS0010844 [T10]).
4.2. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigungssumme ist jener der Aufhebung des Rechts, also ‑ nach jüngerer Rechtsprechung ‑ die Rechtskraft des Enteignungsbescheids (RIS‑Justiz RS0053526 [T6];
RS0085888 [T10, T15]; jüngst: 3 Ob 219/14y).
4.3. Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis der Verzugszinsenregelung des § 33 EisbEG zum Gebot der vollen Entschädigung (das umso größer wird, je weiter der Zeitpunkt des Vollzugs der Enteignung und jener der gerichtlichen Festsetzung des Entschädigungsbetrags auseinanderfallen, weil dann der Enteignete über geraume Zeit weder über die Sache noch über deren [vollen] Gegenwert verfügt) hat
die jüngere Rechtsprechung die Möglichkeit einer Aufwertung des Entschädigungsbetrags in Ausnahmesituationen ‑ nämlich in Fällen eines krassen Missverhältnisses zwischen dem Wert der enteigneten Liegenschaft im Zeitpunkt der Enteignung und im Zeitpunkt der Festsetzung der Entschädigung sowie starker Geldwertveränderungen (1 Ob 138/13w mwN; RIS‑Justiz RS0109742) ‑ anerkannt: So beispielsweise im Fall einer Verfahrensdauer von bereits mehr als zehn Jahren bis zur (vom Obersten Gerichtshof bestätigten) teilweisen Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung durch das Rekursgericht bei gleichzeitiger Indexsteigerung von fast 32 % (1 Ob 148/97i), oder bei einer Zeitspanne von elf Jahren zwischen dem Enteignungsbescheid und dem erstinstanzlichen Beschluss und einem Geldwertverfall von 29 % (3 Ob 97/03s).
4.4. Zu 1 Ob 138/13w wurde eine Aufwertung auch für den Fall eines Geldwertverlusts von rund 13 % während einer Verfahrensdauer von sechs Jahren grundsätzlich bejaht. Der Oberste Gerichtshof stellte in dieser Entscheidung aber auch klar, dass im Regelfall kein Anlass für den Ausgleich eines allfälligen Geldwertverlusts besteht, solange der Enteignete noch den Nutzen aus der Sache ziehen kann und ihm dieser als Äquivalent zu Verfügung steht; wobei diese Argumentation jedoch nicht mehr greift, sobald die Nutzungsmöglichkeit mit dem Vollzug des rechtskräftigen Enteignungsbescheids wegfällt. Eine Aufwertung des gebührenden Entschädigungsbetrags ist daher geboten, wenn im Ergebnis insgesamt ein so gravierender Nachteil des Enteigneten vorliegt, dass ihm ohne diesen Ausgleich ein „Sonderopfer“ auferlegt würde (so bereits 3 Ob 97/03s mwN).
4.5. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann aus der Entscheidung 1 Ob 138/13w somit nicht abgeleitet werden, dass die dem Antragsteller zustehende Enteignungsentschädigung zu valorisieren wäre; wobei sich die Frage, ob die festgestellte Inflation von 6,1 % während der dreijährigen Dauer des Verfahrens erster Instanz eine Aufwertung im Fall einer „echten“ ‑ also mit dem Verlust des Eigentums verbundenen ‑ Enteignung rechtfertigen könnte, hier gar nicht stellt: Der vorliegende Fall ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass dem Antragsteller das Eigentum an seiner Liegenschaft nicht entzogen wurde, sodass er ‑ ungeachtet der zwangsweisen Servitutsbegründung und der Bauarbeiten unter seinem Grundstück ‑ niemals an einer Nutzung gehindert war. Damit fehlt es schon von vornherein an dem, nach der zitierten Entscheidung für die Bejahung eines Ausgleichs des Geldwertverlusts erforderlichen, Wegfall der Nutzungsmöglichkeit durch den Vollzug des Enteignungsbescheids. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt auch ganz wesentlich von jenem, der den jüngst ergangenen Entscheidungen 6 Ob 203/15v und 8 Ob 113/15y zugrunde lag, in denen jeweils aufgrund einer Verfahrensdauer in erster Instanz von mehr als sieben Jahren und einem Geldwertverfall von 16,9 % eine Aufwertung der für die teilweise Enteignung der betroffenen Grundstücke, die auch den Abriss einiger (Betriebs-)Gebäude notwendig machte, zuerkannten Entschädigungsbeträge (von rund 2,4 bzw 1,4 Mio EUR) bejaht wurde.
5.1. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher im Sinn eines Zuspruchs der restlichen Enteignungsentschädigung (unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlung von 4.500 EUR) ohne die begehrte Valorisierung abzuändern.
5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf der ‑ nach wie vor aufrechten (RIS‑Justiz RS0058085 [T4]) ‑ Bestimmung des § 44 EisbEG. Demnach scheidet ein Kostenersatz an den Enteigner aus; dem Enteigneten gebührt bei teilweisem Erfolg ‑ wie bei einem einseitigen Rechtsmittel ‑ ein auf der Basis des Erfolgs (des ersiegten Betrags) berechneter Kostenersatz (RIS‑Justiz RS0053546). Für das Verfahren erster Instanz ergibt sich durch die Reduktion des zugesprochenen Betrags keine Änderung, weil das Erstgericht dem Antragsteller ‑ unbekämpft ‑ ohnehin weniger als die nach der nun anzuwendenden Bemessungsgrundlage gebührenden Kosten zugesprochen hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)