OGH 3Ob202/23m

OGH3Ob202/23m31.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei F* GmbH, *, vertreten durch MMag. Christoph Schlor, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die erstbeklagte und widerklagende Partei L*gesellschaft mbH, *, und die zweitbeklagte Partei E* N*, beide vertreten durch Mag. Christian Puck, Rechtsanwalt in Wien, wegen 75.748,12 EUR sA und Feststellung (führendes Verfahren zu AZ 40 Cg 26/22g) und 34.452,91 EUR sA (verbundenes Verfahren zu AZ 40 Cg 27/22d), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2023, GZ 1 R 110/23p‑111, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Mai 2023, GZ 40 Cg 26/22g, 40 Cg 27/22d‑102, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 1. Juni 2023 (ON 103), teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00202.23M.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) erwarb mit Anteilskaufvertrag vom 2. 5. 2018 von der Erstbeklagten und Widerklägerin (in der Folge: Erstbeklagte) 100 % der Geschäftsanteile an drei zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften, darunter die I* GmbH (in der Folge: GmbH). Gegenstand dieses Verfahrens ist nur der Erwerb der GmbH durch die Klägerin. Im Anteilskaufvertrag wurde für die GmbH ein „Basiskaufpreis“ von 103.369,07 EUR vereinbart, wovon die Klägerin 68.912,71 EUR zahlte. Der Unternehmenswert der GmbH betrug (ausgehend von deren Sanierbarkeit bei einer zweijährigen Restrukturierungsphase) am 31. 3. 2018 (Zwischenabschluss) rund 648.000 EUR und am 2. 5. 2018 (Anteilskaufvertrag) rund 698.000 EUR.

[2] Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unterschritt das Eigenkapital in Wirklichkeit das angenommene buchmäßige Eigenkapital von 10.000 EUR. Tatsächlich war das Eigenkapital der GmbH am 31. 3. 2018 mit 166.306,22 EUR und am 2. 5. 2018 mit 179.929,98 EUR im Minus. Zu diesen beiden Stichtagen bestand sowohl eine rechnerisch buchmäßige Überschuldung als auch eine Überschuldung zu Liquidationswerten. In der Bilanz berücksichtigte Forderungen (in Höhe von 64.892,98 EUR) waren tatsächlich bereits beglichen; in einem Fall wurde ein unrichtiger Forderungsbetrag ausgewiesen. Andere Forderungen (in Höhe von 57.849,53 EUR) waren uneinbringlich. Eine Darlehensrückzahlung (in Höhe von 101.500 EUR) erfolgte durch einen Gläubigerverzicht. Die Jahresabschlüsse wurden nicht in Übereinstimmung mit den einschlägigen handelsrechtlichen Vorschriften und den österreichischen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung erstellt. Sie gaben die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der GmbH nicht richtig und vollständig wieder.

[3] Die Klägerin hätte in Kenntnis des Umstands, dass das Eigenkapital zum wirtschaftlichen Stichtag bereits negativ war, dass Forderungen uneinbringlich waren, dass die Darlehensrückführung an die L* GmbH zum Teil in Form eines Verzichts erfolgte, und dass die Jahresabschlüsse nicht den im Vertrag festgehaltenen Standards entsprachen, den Anteilskaufvertrag nicht geschlossen.

[4] Zum Zeitpunkt der Nachbesprechung zwischen den Geschäftsführern der Klägerin und der Erstbeklagten am 13. 6. 2018 wusste die Klägerin, dass das Eigenkapital negativ war, Forderungen unrichtig ausgewiesen und Verbindlichkeiten (Geschäftsführerbezüge) nicht verbucht waren. Zudem war sie der Ansicht, dass Forderungen aus einem nicht fremdüblichen Geschäft (über eine Geschäftsführertätigkeit) unrichtig verbucht waren.

[5] Am 30. 9. 2020 verkaufte die Klägerin die Geschäftsanteile an der GmbH um 1 EUR an eine Investorin. Im Jänner 2021 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und die Schließung des Unternehmens angeordnet.

[6] Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 75.748,12 EUR sA; zudem stellte sie ein Feststellungsbegehren. Dazu erhob die Erstbeklagte in der Folge eine Widerklage auf Zahlung von 34.452,91 EUR sA.

[7] Die Klägerin brachte vor, dass ihr ein Anspruch auf Aufhebung des Vertrags wegen Irrtums und auf Rückzahlung des bereits gezahlten Kaufpreises von 68.912,71 EUR zustehe. Die Beklagten hätten verschwiegen, dass die GmbH tatsächlich insolvent gewesen sei und keine gewöhnliche Geschäftstätigkeit ausgeübt habe, sowie dass Forderungen uneinbringlich gewesen seien und eine Darlehensrückzahlung durch einen Gläubigerverzicht erfolgt sei. Bei richtiger Aufklärung hätte sie den Anteilskaufvertrag mit der Erstbeklagten nicht geschlossen. Das Unternehmen sei wertlos geworden und während des Verfahrens um 1 EUR verkauft worden. Die Herausgabe der Geschäftsanteile an die Erstbeklagte sei daher untunlich. Ein allfälliger Rückforderungsanspruch der Erstbeklagten beschränke sich auf den Wert des wertlosen Gesellschaftsanteils. Schließlich habe sie Anspruch auf Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Nachteile, die ihr aufgrund des Vertrauens auf die Richtigkeit der Zusagen des Beklagten zu den vorgenommenen Investitionen und den Rückzahlungen von Verbindlichkeiten entstehen.

[8] Die Beklagten entgegneten, dass eine Berufung der Klägerin auf Irrtum gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, weil diese schon im Mai und Juni 2018 bewusst am Vertrag festgehalten habe, anstatt die Vertragsauflösung durch Anfechtung herbeizuführen. Für den Fall der Vertragsaufhebung habe die Erstbeklagte als Verkäuferin einen Rückforderungsanspruch, der primär auf die Rückübertragung der Geschäftsanteile an der GmbH gerichtet sei. Da diese Rückübertragung aufgrund der Misswirtschaft der Klägerin untunlich sei und diese unredlich sei, sei der Erstbeklagten der Unternehmenswert der GmbH zum 2. 5. 2018 in Höhe von 698.000 EUR zu ersetzen. Dieser Rückzahlungsanspruch werde (bis zur Höhe der Klagsforderung) als Gegenforderung eingewendet; zudem werde der restliche Betrag mit Widerklage geltend gemacht.

[9] Das Erstgericht stellte im führenden Verfahren die Klagsforderung mit 69.979,11 EUR als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend fest und erkannte die Beklagten daher schuldig, den genannten Betrag an die Klägerin samt Zinsen zu zahlen; das Zahlungsmehrbegehren wies es ab; zudem gab es dem Feststellungsbegehren statt. Das Widerklagebegehren wies das Erstgericht ab.

[10] Die von der Klägerin geltend gemachte Irrtumsanfechtung des Anteilskaufvertrags sei berechtigt. Infolge Wegfalls des Kaufvertrags sei der Klägerin der gezahlte Kaufpreis von 68.912,71 EUR zurückzuerstatten. Zudem habe sie Anspruch auf Schadenersatz für das Honorar des Notars in Höhe von 1.066,40 EUR. Der geltend gemachte Ersatzanspruch für die Maklerkosten stehe ihr aber nicht zu, weil die Beklagte von dem von der Klägerin abgeschlossenen Vermittlungsvertrag keine Kenntnis gehabt habe. Aufgrund der von der Erstbeklagten erhobenen Zug-um-Zug-Einrede habe grundsätzlich die Rückabwicklung des gesamten Vertrags zu erfolgen. Aufgrund der Weiterveräußerung des Unternehmens durch die Klägerin sei dessen Rückstellung aber weder möglich noch tunlich. Daher habe die Klägerin Wertersatz zu leisten. Aufgrund der Unredlichkeit der Klägerin zufolge Kenntnis vom Anfechtungsgrund sei der Verkehrswert der GmbH mit 698.000 EUR zu beziffern. Im Anlassfall sei aber zu berücksichtigen, dass der mit dem Anteilskaufvertrag erhoffte Nutzen für die Klägerin darin bestanden habe, ein Unternehmen zu erwerben, dessen Eigenkapital zumindest 10.000 EUR betrage. Der unter Berücksichtigung der vertraglichen Preisanpassungsregelung verschaffte Nutzen der Klägerin sei daher de facto nicht vorhanden, weshalb der Erstbeklagten auch kein Kondiktionsanspruch zustehe.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Hingegen gab es der Berufung der Klägerin Folge und änderte das angefochtene Urteil im führenden Verfahren dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 75.748,12 EUR als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend feststellte und die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, der Klägerin den genannten Betrag samt Zinsen zu zahlen. Zudem gab es dem Feststellungsbegehren statt. Zum verbundenen Verfahren bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts in der Hauptsache, änderte aber die Kostenentscheidung ab.

[12] Nach der Rechtsprechung werde die Gestaltungsberechtigte (hier die Klägerin) erst mit der Kenntnis vom Aufhebungsgrund unredlich. Die Feststellungen des Erstgerichts könnten nur so verstanden werden, dass die Klägerin in Kenntnis aller vom Erstgericht als wesentliche Geschäftsirrtümer gewerteten Umstände in Summe den Anteilskaufvertrag nicht geschlossen hätte. Voraussetzung für die Unredlichkeit der Klägerin wäre daher gewesen, dass diese von sämtlichen die Anfechtbarkeit begründenden Umständen Kenntnis gehabt hätte. Aus den Feststellungen ergebe sich demgegenüber jedoch bloß die Kenntnis der Klägerin über einzelne die Irrtumsanfechtung begründende Umstände. Sie sei daher als redlich anzusehen. Aus diesem Grund sei der Rückforderungsanspruch der Erstbeklagten auf Wertersatz nicht mit dem objektiven Unternehmenswert der GmbH, sondern nach dem von der Klägerin erzielten Verkaufserlös zu bemessen. Da dieser mit 1 EUR faktisch nicht vorhanden sei, stehe der Erstbeklagten kein Kondiktionsanspruch zu. Die Verletzung von Aufklärungspflichten könne nicht nur das Veranlassen eines relevanten Geschäftsirrtums, sondern zudem auch Schadenersatzpflichten begründen. Schadenersatzrechtlich sei der Vertrauensschaden zu ersetzen und die Klägerin so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie den Anteilskaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Ihr gebühre daher nicht nur Ersatz für das Honorar des Notars, sondern auch für die Maklerprovision.

[13] Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die darauf abzielt, das Klagebegehren im führenden Verfahren infolge Berücksichtigung der zu Recht bestehenden Gegenforderung abzuweisen und dem Widerklagebegehren stattzugeben.

[15] Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

I. Vorbemerkungen:

[17] Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass der Anteilskaufvertrag durch Anfechtung der Klägerin wegen Irrtums aufgelöst ist, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags zu erfolgen hat und eine Rückstellung des Unternehmens durch die Klägerin in natura nicht möglich ist. Die Klagsforderung (im führenden Verfahren) ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens; das Gleiche gilt für das der Klägerin zuerkannte Feststellungsbegehren. Die solidarische Haftung der Zweitbeklagten sowie das Zinsenbegehren (gemäß § 456 UGB) sind ebenfalls nicht mehr strittig.

II. Verfahrensmängel:

[18] Mit der Beurteilung, dass die Beklagten mit dem erstmals in der Berufung erhobenen Tatsachenvorbringen, wonach ihnen der Unternehmenswert zurückzuerstatten sei, weil die Klägerin den Anteilskaufvertrag schon früher hätte anfechten können, gegen das Neuerungsverbot verstießen, wirft das Berufungsgericht den Beklagten vor, sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht auf die Unredlichkeit der Klägerin berufen zu haben. Dies ist unrichtig. Tatsächlich haben die Beklagten vorgebracht, dass die Berufung der Klägerin auf eine Irrtumsanfechtung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, weil diese schon im Mai und Juni 2018 bewusst am Kaufvertrag festgehalten habe, anstatt (bereits zu diesem Zeitpunkt) eine Vertragsauflösung durch Anfechtung herbeizuführen. Damit haben sich die Beklagten ausreichend erkennbar auf die Unredlichkeit der Klägerin gestützt. Außerdem hat das Erstgericht die Umstände, aus denen sich die Unredlichkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Nachbesprechung am 13. 6. 2018 ergibt, im Detail festgestellt. Diese Feststellungen halten sich jedenfalls im Rahmen der Einwendungen der Beklagten und sind daher nicht unzulässig überschießend (vgl RS0040318; RS0037972).

[19] Darüber hinaus hat das Berufungsgericht den erstgerichtlichen Feststellungen einen unrichtigen Inhalt beigemessen, indem es ausführte, diese könnten nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin in Kenntnis aller vom Erstgericht als wesentliche Geschäftsirrtümer gewerteten Umstände den Anteilskaufvertrag nicht geschlossen hätte und für die Unredlichkeit der Klägerin daher vorausgesetzt sei, dass diese von sämtlichen die Anfechtbarkeit begründenden Umständen Kenntnis gehabt hätte. Zunächst ist die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts unrichtig, dass die Klägerin nach den Feststellungen von den von ihr geltend gemachten Umständen nur teilweise Kenntnis gehabt habe. In Wirklichkeit beziehen sich die erstgerichtlichen Feststellungen zur Kenntnis der Klägerin auf dieselben irrtumsrelevanten Umstände, auf die sich die Klägerin in ihrem Vorbringen gestützt hat. Davon abgesehen lag in Wirklichkeit nur ein einziger irrtumsrelevanter Umstand vor, nämlich jener, dass das Eigenkapital der GmbH (zu den Stichtagen 31. 3. 2018 und 2. 5. 2018) tatsächlich negativ war. Die weiteren „Detailfeststellungen“ beziehen sich auf die Gründe dafür.

III. Gegenforderung und Widerklage:

[20] 1. Nach Auflösung eines Vertrags (hier durch Anfechtung wegen Irrtums) hat gemäß § 877 ABGB iVm §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese – über Einrede des Beklagten oder aufgrund des Anbots des Klägers – nur Zug um Zug erfüllt zu werden. Derartige Ansprüche des Beklagten sind als Gegenforderungen einzuwenden (RS0016321; 8 Ob 150/08d; 6 Ob 150/22k mwN).

[21] 2. Bei Leistung eines Geldbetrags (hier durch die Klägerin als Käuferin) wird vom (Bereicherungsschuldner) die Rückzahlung des Erhaltenen geschuldet (RS0016322; 6 Ob 265/01s).

[22] 3.1 Demgegenüber ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache bzw des Kaufgegenstands in natura gerichtet.

[23] 3.2 Ist dieser primäre Anspruch unmöglich oder untunlich, so schuldet der Bereicherungsschuldner (hier die Klägerin) Wertersatz nach Maßgabe des erlangten Vorteils (RS0016321; RS0016360; 6 Ob 265/01s; 6 Ob 150/22k). Vorteil im Sinn des § 877 ABGB ist das, was in jemandes unbeschränkte Verwendungsmöglichkeit gelangt ist (vgl 5 Ob 44/08v). Ein verschaffter Vorteil kann demnach im Eigentumserwerb, im Gebrauch oder Verbrauch der Sache oder in einer wirksamen Weiterveräußerung bestehen. Maßgebender Zeitpunkt für die Bewertung des Vorteils ist grundsätzlich jener der Nutzengewinnung hier durch Weiterveräußerung (vgl Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1437 ABGB Rz 5 mwN).

[24] 3.3 Die Höhe des Wertersatzes hängt dabei davon ab, ob der Bereicherungsschuldner redlich oder unredlich war. Der Bereicherungsschuldner ist jedenfalls unredlich, sobald er vom (eigenen oder fremden) Gestaltungsrecht und damit von seiner Rückstellungspflicht Kenntnis erlangt hat (vgl Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 877 ABGB Rz 18; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1437 ABGB Rz 2 mwN).

[25] Der redliche Bereicherungsschuldner muss grundsätzlich den objektiven Verkehrswert der Sache ersetzen, oder – bei bereits erfolgter Nutzenrealisierung – lediglich den darunter liegenden tatsächlich erzielten Vorteil (Gebrauchsentgelt, Ersparnis oder Veräußerungserlös). Der unredliche Bereicherungsschuldner hat hingegen zumindest den Verkehrswert zu ersetzen, ohne sich auf einen tatsächlich geringeren Vorteil (Ersparnis oder Erlös) berufen zu können. Erzielt der unredliche Bereicherungsschuldner einen höheren Veräußerungserlös als den auf dem Markt erzielbaren Wert (Verkehrswert), so hat er auch diesen zu vergüten, sofern der höhere Preis nicht durch wesentliche eigene Beträge (Aufwendungen oder sonstige Tätigkeiten) des Bereicherungsschuldners zustande kam (Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1437 ABGB Rz 6 f mwN; vgl auch Bollenberger/P. Bydlinski in PBydlinski/Perner/Spitzer 7 § 1437 ABGB Rz 7).

[26] 3.4 Die Klägerin war als Bereicherungsschuldnerin jedenfalls ab dem Zeitpunkt unredlich, zu dem sie (hier) von ihrem eigenen Gestaltungsrecht Kenntnis erlangte. Nach den Feststellungen waren ihr ab dem 13. 6. 2018 die maßgebenden irrtumsrelevanten Umstände bekannt. Als unredliche Bereicherungsschuldnerin hat sie somit den objektiven Verkehrswert des Unternehmens als Wertersatz an die Erstbeklagte zurückzuzahlen. Der von der Klägerin tatsächlich verlangte Kaufpreis in Höhe von 1 EUR ist demnach nicht maßgebend.

[27] 3.5 Der Anlassfall ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gestaltungsrecht von der Klägerin(als Bereicherungsschuldnerin hinsichtlich des Unternehmenswerts) selbst ausgeübt wurde und sie den Zeitpunkt dafür frei gewählt hat. Konkret hat sie die Klage am 17. 5. 2019 eingebracht, die Anfechtung wegen Irrtums aber erst nachträglich, nämlich mit Schriftsatz vom 30. 4. 2021, erklärt. Von ihrem Gestaltungsrecht hatte sie bereits am 13. 6. 2018 Kenntnis.

[28] Die Klägerin hat somit über die zurückzustellende Sache weiterhin verfügt, obwohl sie wusste, dass ihr diese nicht mehr zusteht. Bei wissentlicher Inanspruchnahme einer ihm nicht zustehenden Leistung hat jedenfalls der unredliche Bereicherungsschuldner den Verkehrswert bzw ein verkehrsübliches Entgelt zu ersetzen (vgl Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1437 ABGB Rz 7). Daraus ist abzuleiten, dass der unredliche Bereicherungsschuldner die Höhe des Wertersatzes nicht durch Hinausschieben der Geltendmachung des Gestaltungsrechts willkürlich beeinflussen und etwa einen Wertverlust des Kaufgegenstands herbeiführen oder in Kauf nehmen darf. Bei einer erst späteren Geltendmachung des Gestaltungsrechts (nach Kenntnis von der Gestaltungsmöglichkeit) muss er sich daher so behandeln lassen, als ob er den Kaufgegenstand sofort bei Kenntnis der Rückgabepflicht zurückgestellt hätte.

[29] 4. Da der objektive Unternehmenswert (Verkehrswert) der GmbH zum 13. 6. 2018 nicht festgestellt wurde, liegt ein relevanter sekundärer Feststellungsmangel vor. In Stattgebung der Revision waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Entscheidungsgrundlage in dieser Hinsicht zu ergänzen haben. Die von der Klägerin behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen hingegen nicht vor. Die festgestellte Überschuldung der GmbH bedeutet nicht, dass deren Wert zum 13. 6. 2018 zwingend mit null anzusetzen wäre. Die Behauptung der listigen Irreführung betrifft – soweit nachvollziehbar – die Klagsforderungen.

[30] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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